European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E113052
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Die Ehe der Eltern des Kindes ist seit Oktober 2007 geschieden. Die Eltern sind seit Oktober 2013 gemeinsam mit der Obsorge betraut, wobei festgelegt wurde, dass der Knabe hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut wird. Das Kontaktrecht zwischen Vater und Sohn ist derzeit folgendermaßen geregelt:
a) jeden Mittwoch (außer Ferien) nach Schulende bzw Ende des privaten Musikunterrichts bis Donnerstag Schulbeginn;
b) alle 14 Tage (außer Ferien) von Freitag nach Schulende bzw Ende des Leistungsturnens bis Sonntag, 19:00 Uhr;
c) 15 Minuten Telefonkontakt an jedem Montag
d) Ferienbesuche: 4 Wochen Sommer, 6 Tage Weihnachten, 1 Woche Semesterferien, 1 ½ Tage Ostern.
Der Vater beantragte am 8. 7. 2014 seine Befreiung von der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind ab 1. 8. 2014. Er betreue den Sohn an rund 124 Tagen im Jahr, wodurch ihm ein hoher Sach‑ und Fahrtkostenaufwand entstehe. Das Einkommen der Mutter sei außerdem mehr als doppelt so hoch wie das des Vaters.
Das Erstgericht setzte den monatlich vom Vater zu leistenden Unterhalt ab 1. 8. 2014 bis auf weiteres von 405 EUR auf 280 EUR herab.
Es stellte das monatliche Nettoeinkommen der Mutter, die noch für ein jüngeres Kind sorgepflichtig ist, mit zumindest 4.300 EUR und jenes des Vaters mit 2.295 EUR fest. Der Sohn werde zu rund zwei Dritteln von der Mutter und zu einem Drittel vom Vater betreut, unter den konkreten Umständen rechtfertige dies eine Reduktion des Geldunterhalts um rund 30 %.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil es mit seiner Begründung von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 16/13a abgewichen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er weiterhin seine Befreiung von der Unterhaltspflicht anstrebt, ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
1. Grundsätzlich hängt die Unterhaltsbemessung immer von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass Differenzen des Ergebnisses noch nicht als uneinheitliche Rechtsprechung iSd § 62 Abs 1 AußStrG angesehen werden können (RIS‑Justiz RS0053263) und die Entscheidung des Rekursgerichts nicht korrekturbedürftig ist, wenn es nicht erkennbar gesetzliche Bemessungsfaktoren unbeachtet gelassen oder bei deren Beurteilung gegen den Willen des Gesetzgebers verstoßen hat.
2. Gemäß § 231 Abs 2 Satz 1 ABGB ‑ der § 140 Abs 2 ABGB aF entspricht (ErläutRV 2004 BlgNR XXIV. GP 33) ‑ leistet der Elternteil, der das Kind betreut, dadurch seinen Unterhaltsbeitrag, während der andere Elternteil, mit dem das Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, geldunterhaltspflichtig ist. Kinderbetreuung im eigenen Haushalt wird also vom Gesetz grundsätzlich als voller Unterhaltsbeitrag des betreffenden Elternteils gewertet und der Leistung von Geldunterhalt gleichgestellt (1 Ob 158/15i; 5 Ob 2/12y mwN = RIS‑Justiz RS0116443 [T6]).
2. Betreut und versorgt der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat dies keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht.
Als üblich gilt nach ständiger Rechtsprechung ein Kontaktrecht von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, insgesamt etwa 80 Tage pro Jahr (10 Ob 17/15w mwN; vgl Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 103). Starre Grenzen sind dabei allerdings nicht zu ziehen (vgl 1 Ob 209/08d ‑ zusätzlicher halber Tag pro Woche vernachlässigbar).
3. Teilen die Eltern die Betreuung jedoch in einem Ausmaß, das ganz klar über den Rahmen der üblichen Besuchskontakte des geldunterhaltspflichtigen Teils hinausgeht und leistet dieser während der verlängerten Kontakte Naturalunterhalt, ist nach der jüngeren ständigen Rechtsprechung der Geldunterhalt zu reduzieren (RIS‑Justiz RS0047452 [T6]; 1 Ob 158/15i). Pro wöchentlichem Betreuungstag, an dem sich das Kind über den üblichen Durchschnitt von (ein Tag pro Woche) hinaus beim zahlenden Elternteil aufhält (10 Ob 17/15w mwN), wird ein Abschlag von etwa 10 % vom Geldunterhalt vorgenommen. Dieser Ansatz bildet freilich nur eine Richtschnur (und eher die Untergrenze) für die Bedachtnahme auf die zusätzlichen Belastungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils (5 Ob 2/12y mwN).
4. Sind die Betreuungs‑ und Naturalleistungen der Eltern völlig gleichwertig, dann besteht kein Geldunterhaltsanspruch des Kindes mehr, sofern auch das maßgebliche Einkommen der Eltern etwa gleich hoch ist (RIS‑Justiz RS0047452 [T13]; Berücksichtigung der Luxusgrenze: 6 Ob 11/13f, 4 Ob 16/13a).
In allen anderen Fällen steht dem Kind aber weiterhin ein Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren und/oder weniger betreuenden Elternteil zu, der das unterschiedliche Betreuungsverhältnis bzw den geringeren Lebensstandard, an dem das Kind beim andern Elternteil partizipieren kann, ausgleicht (Schwimann/Kolmasch, aaO 103).
5. Ab wann von gleichwertigen Betreuungsleistungen der Eltern die Rede sein kann, ist angesichts der Vielfalt familiärer Lebens- und Betreuungsmodelle gleichfalls nicht mit einem starren Prozentsatz festzulegen.
Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 4 Ob 16/13a enthält (unter Berufung auf Gitschthaler, Der gesetzliche Unterhaltsanspruch von Kindern gegen ihre Eltern, ÖRPfl 2012, H2, 14 [21]) die Aussage, eine etwa gleichteilige Betreuung liege schon dann vor, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuung durchführt (vgl auch 5 Ob 2/12y). In diesem Fall sei nicht mehr mit prozentuellen Abschlägen für die zusätzlichen Besuchstage vorzugehen, sondern das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ mit der Konsequenz anzuwenden, dass nur bei erheblich unterschiedlichem Elterneinkommen Ausgleichszahlungen in Betracht kämen. Während der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung von „mindestens zwei Dritteln“ der Gesamtbetreuungszeit spricht, schlägt der als Beleg zitierte Aufsatz von Gitschthaler die Anwendung der Prozentabzugsmethode bis zu einem Betreuungsanteil des zahlenden Elternteils von 35 % vor.
6. Im vorliegenden Fall betreut der Revisionsrekurswerber das Kind an durchschnittlich 124 von 365 Tagen im Jahr oder (aufgerundet) 34 %. Sein Anteil an der Betreuungszeit liegt damit genau an der in der Entscheidung 4 Ob 16/13a gezogenen Grenze für den Wechsel zwischen „Prozentabzugsmethode“ und „betreuungs-rechtlichem Unterhaltsmodell“. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers hat sich daher das Rekursgericht mit seiner Entscheidung, auf den vorliegenden Sachverhalt (noch) die erstere Methode anzuwenden, nicht in Widerspruch zur zitierten jüngeren höchstgerichtlichen Rechtsprechung gesetzt.
7. Was die Höhe der Abschläge anlangt ist festzuhalten, dass allgemein verbindliche Prozentsätze für überduchschnittliche Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils nicht bestehen können, weil Unterhaltsentscheidungen immer Ermessens-entscheidungen sind (RIS‑Justiz RS0047419 [T23]). Prozentsätze können nur den Charakter einer Orientierungshilfe haben und zur Gleichbehandlung ähnlich gelagerter Fälle beitragen (1 Ob 158/15i; 5 Ob 2/12y; RIS‑Justiz RS0047460 [T4]; RS0128043; RS0047419).
8. Unter den hier vorliegenden Voraussetzungen bewegt sich die Höhe des von den Vorinstanzen gewählten 30 %igen Abzugs durchaus noch innerhalb des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens und begründet keine unvertretbare Fehlbeurteilung.
In der Entscheidung 7 Ob 178/06m hat der Oberste Gerichtshof eine Reduktion der Geldunterhaltspflicht eines Vaters, der sein Kind ebenfalls während eines Drittels des Jahres betreute, um 20 % gebilligt (ob noch eine weitere Herabsetzung in Frage gekommen wäre, war mangels eines vom Vater erhobenen Rechtsmittels nicht zu beurteilen).
Andererseits würde sich nach der Methode, pro über dem Durchschnitt anfallendem Betreuungstag pro Woche (10 Ob 17/15w mwN) einen Abschlag von 10 % vom Geldunterhalt vorzunehmen, bei den hier vorliegenden 2,4 Betreuungstagen pro Woche sogar nur ein Abzug von rund 14 % ergeben.
Die Entscheidung der Vorinstanzen, die zusätzliche Belastung des Vaters und die umgekehrte Ersparnis der hauptsächlich betreuenden Mutter so zu gewichten, dass die Geldunterhaltspflicht des Vaters in annähernd dem doppelten Prozentausmaß reduziert wurde, ist ‑ auch um einen abrupten Übergang an der Nahtstelle zum „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“ zu vermeiden - nicht korrekturbedürftig.
Soweit der Rechsmittelwerber ausführt, dass nach der letzten großen Familienrechtsnovelle das früher bestehende „Gefälle“ zwischen getrennt lebenden Eltern aufgehoben worden sei und es nach dem Konzept des Gesetzgebers keine bloßen „Besuchselternteile“ oder „Freizeitväter“ mehr gebe, ist ihm durchaus zuzustimmen; im vorliegenden Verfahren sind aber die Betreuungsverhältnisse gar nicht strittig.
Der Grundsatz, dass die jeweilige Aufteilung der Betreuungspflichten zwischen den Elternteilen auch eine den Umständen nach angemessene Auswirkung auf das Ausmaß der Geldunterhaltspflicht haben soll, wurde vom Rekursgericht nicht missachtet.
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