OGH 6Ob139/22t

OGH6Ob139/22t18.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. DI (FH) M*, 2. W* GmbH, *, beide vertreten durch Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E* Ges.m.b.H., *, vertreten durch Schmidt Pirker Podoschek Rechtsanwälte OG in Wien, und deren Nebenintervenientin K* GmbH, *, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der C*bank * AG, wegen 67.638,62 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen dasUrteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2022, GZ 14 R 174/21t-34, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. September 2021, GZ 65 Cg 70/20x-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00139.22T.0418.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist die mit dem Bundesgesetz über die Einlagensicherung und Anlegerentschädigung bei Kreditinstituten (Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz – ESAEG, BGBl I 2015/117) geschaffene Einrichtung zur Sicherung von Einlagen.

[2] Die Zweitklägerin ist eine gemeinnützige GmbH und vermietet leistbaren und sozial verträglichen Wohnraum.

[3] Mit Kaufvertrag vom 12. 3. bzw 23. 4. 2020 kaufte der Erstkläger zu Anlagezwecken als „Vorsorgewohnung“ von der Zweitklägerin eine Eigentumswohnung samt KFZ‑Stellplatz zu einem Kaufpreis von insgesamt 167.600 EUR. Nach der im Kaufvertrag enthaltenen Treuhandvereinbarung wurde ein Rechtsanwalt (künftig: der Treuhänder) bevollmächtigt und beauftragt, die grundbücherliche Eintragung des Liegenschaftserwerbs zugunsten des Erstklägers durchzuführen und die Kaufpreissumme samt den am Treuhandkonto abgereiften Zinsen binnen acht Tagen ab Erhalt des die Einverleibung des Eigentumsrechts ausweisenden Gerichtsbeschlusses auf das Konto der Zweitklägerin zu überweisen. Mit Überweisungen vom 26. 3. und 2. 4. 2020 zahlte der Erstkläger den gesamten Kaufpreis auf das im Kaufvertrag genannte, vom Treuhänder zum Zweck der Abwicklung dieses Kaufvertrags gesondert eröffnete Treuhandkonto bei der C*bank * AG (künftig: das Kreditinstitut) ein. Samt Zinsen befand sich auf diesem Anderkonto mit 30. 6. 2020 ein Betrag von 167.638,62 EUR. Mit Beschluss des Bezirksgerichts * vom 14. 7. 2020 wurde das Eigentum des Erstklägers am Kaufgegenstand im Grundbuch eingetragen. Dieser Beschluss wurde dem Treuhänder im Weg des ERV am 15. 7. 2020 übermittelt, somit gemäß § 89d Abs 2 GOG am 16. 7. 2020 zugestellt.

[4] Am 15. 7. 2020 wurde von der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) bekannt gemacht, dass sie dem Kreditinstitut mit Mandatsbescheid vom 14. 7. 2020 gemäß § 70 Abs 2 Z 4 BWG die Fortführung des Geschäftsbetriebs mit sofortiger Wirkung zur Gänze untersagt hatte und der Einlagensicherungsfall iSd § 9 ESAEG eingetreten sei. Am 28. 7. 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Kreditinstitut eröffnet und die Nebenintervenientin zur Masseverwalterin bestellt.

[5] Über Aufforderung des Treuhänders überwies die Beklagte am 31. 8. 2020 100.000 EUR auf ein vom Treuhänder bekanntgegebenes neues Treuhandkonto.

[6] Die Kläger begehren die Zahlung von 67.638,62 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 8. 2020, hilfsweise die Zahlung von 33.819,31 EUR samt Zinsen je an den Erstkläger und die Zweitklägerin, hilfsweise die Zahlung von 67.638,62 EUR samt Zinsen allein an den Erstkläger, hilfsweise die Zahlung von 67.638,62 EUR samt Zinsen allein an die Zweitklägerin.

[7] Es liege hinsichtlich beider Kläger ein Fall der zeitlich begrenzt gedeckten, bis zu einer Höhe von 500.000 EUR erstattungsfähigen Einlage gemäß § 12 Z 1 lit a ESAEG vor, weil die Einlage das Resultat einer Immobilientransaktion im Zusammenhang mit einer privat genutzten Wohnimmobilie sei. Die Gefahr des Verlusts des Treuguts treffe beide Treugeber (die Kläger) zu gleichen Teilen. Sie seien im Hinblick auf die Klageforderung, zumindest als Streitgenossen anzusehen. Hilfsweise stehe ihnen der begehrte Betrag je zur Hälfte, hilfsweise alternativ zur Gänze zu. Darüber hinaus lägen eine mehrseitige Treuhand und ein offengelegtes Treuhandkonto vor. Beide Kläger seien Treugeber, sodass nach § 11 Abs 2 ESAEG die erstattungsfähigen Einlagen anteilsmäßig für jeden von ihnen zu berücksichtigen seien. Daraus ergebe sich, dass der begehrte Betrag unabhängig von § 12 ESAEG auszuzahlen sei, weil die Einlagen auf dem Treuhandkonto bis zu einer Höhe von 2 x 100.000 EUR gesichert seien.

[8] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Sie beanstandete das Klagehauptbegehren als unklar, weil es nicht erkennen ließ, ob die Kläger etwa von einer Gesamthandforderung oder einer Gesamtforderung ausgingen. In der Sache brachte sie zusammengefasst vor, es liege keine Einlage vor, die aus einer Immobilientransaktion im Zusammenhang mit privat genutzten Wohnimmobilien resultiere. Die Einlage resultiere nicht aus einer stattgefundenen Immobilientransaktion, weil die Transaktion bei Eintritt des Sicherungsfalls noch nicht abgeschlossen gewesen sei. § 12 Z 1 lit a ESAEG erfasse nach seinem Regelungszweck nur den Verkäufer einer Immobilie, sodass der Erstkläger nicht aktiv legitimiert sei. Hinsichtlich der Zweitklägerin liege keine private Nutzung der Wohnimmobilie vor.

[9] Soweit die Kläger gemäß § 11 Abs 2 ESAEG eine anteilsmäßige Zurechnung des Guthabens auf dem Treuhandkonto vertreten, treffe es zwar zu, dass bei offen gelegten Treuhandkonten die Treugeber als Einleger gelten. Das führe bei Treuhandkonten für Liegenschaftstransaktionen aber nicht automatisch dazu, dass Käufer und Verkäufer einen Anspruch auf Erstattung hätten. Der Anspruch stehe dem berechtigten Einleger zu, das sei jene Person, von der das auf dem Konto eingezahlte Geld stamme. Daher habe im Sicherungsfall nur der Käufer einen Anspruch auf Erstattung des allgemeinen Sicherungsbetrags von 100.000 EUR; bei mehreren Käufern sei jeder von ihnen als Einleger bis zu 100.000 EUR gesichert. Im vorliegenden Fall sei sowohl im Schreiben (Anm: des Treuhänders) an die Beklagte vom 27. 7. 2020 als auch in der Meldung der Treuhandschaft an die Rechtsanwaltskammer nur der Erstkläger als Treugeber ausgewiesen, die Zweitklägerin hingegen als Begünstigte. Bei Treuhandvereinbarungen in Bezug auf Liegenschaftstransaktionen werde zwar häufig der Verkäufer als Treugeber angesehen, für den Einlagensicherungsfall nach dem ESAEG sei aber darauf abzustellen, wer Einleger sei, von wem also die Einlage stamme. Die Beklagte habe die Entschädigung in Höhe von 100.000 EUR bereits am 31. 8. 2020 an den Erstkläger ausgezahlt; ein darüber hinausgehender Anspruch bestehe nicht.

[10] Die Nebenintervenientin schloss sich dem Vorbringen der Beklagten an.

[11] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des (gesamten) Klagebetrags samt 4 % Zinsen ab Rechtskraft des Urteils an den Erstkläger; dessen Zinsenmehrbegehren sowie das Haupt- und die Eventualbegehren der Zweitklägerin wies es hingegen ab. Der Schutzzweck des § 12 Z 1 lit a ESAEG umfasse auch Einlagen im Zusammenhang mit Transaktionen von Wohnimmobilien, die als Vorsorgewohnung erworben und privat vermietet würden. Hingegen handle es sich für die Zweitklägerin nicht um eine Transaktion im Zusammenhang mit privaten Wohnimmobilien.

[12] Das Berufungsgericht wies das Klagehauptbegehren sowie die Eventualbegehren beider Kläger ab. Es ließ die Revision zu, weil es an einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.

[13] Rechtlich erörterte es, der zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls auf dem Treuhandkonto erliegende Geldbetrag sei für keine der klagenden Parteien eine besonders geschützte Einlage iSd § 12 Z 1 lit a ESAEG gewesen. Privilegiert seien nur jene Einlagen, die aus einer abgeschlossenen Transaktion „resultierten“, also eine als Verkaufserlös gutgeschriebene Einlage. Daher sei der Erstkläger als Käufer der Wohnung nicht geschützt. Da nur der Verkaufserlös des Verkäufers geschützt sei, komme es darauf an, ob der Verkäufer die Wohnimmobilie privat genutzt habe, was hinsichtlich der Zweitklägerin nicht der Fall sei.

[14] Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie Abänderung und Klagestattgebung im Sinn ihres Hauptbegehrens, hilfsweise im Sinn ihrer Eventualbegehren anstrebt.

[15] Die Revision der Kläger ist zulässig, weil zur Berücksichtigung der Einlagen auf Treuhandkonten gemäß § 11 Abs 2 ESAEG bei mehrseitigen Treuhandschaften zur Abwicklung von Immobilientransaktionen keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

A. Rechtliche Grundlagen

Rechtliche Beurteilung

[16] 1.1. Mit der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme hat der europäische Normengeber die Errichtung und die Funktionsweise von Einlagensicherungssystemen geregelt und die Verfahren dafür festgelegt. Die (harmonisierte) Deckungssumme sollte dabei so festgesetzt werden, dass im Interesse sowohl des Verbraucherschutzes als auch der Stabilität des Finanzsystems möglichst viele Einlagen erfasst werden (ErwGr 21). Art 6 Abs 1 der Richtlinie legt dazu fest, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Deckungssumme für die Gesamtheit der Einlagen desselben Einlegers 100.000 EUR beträgt.

[17] Nach Art 6 Abs 2 lit a der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten zusätzlich zu Abs 1, dass „Einlagen, die aus Immobilientransaktionen im Zusammenhang mit privat genutzten Wohnimmobilien resultieren“, für eine Dauer von mindestens drei und höchstens zwölf Monaten nach Gutschrift des Betrags oder nach dem Zeitpunkt, ab dem diese Einlagen auf rechtlich zulässige Weise übertragen werden können, über den Betrag von 100.000 EUR hinaus geschützt sind.

[18] 1.2. In Österreich wurde diese Richtlinie mit dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (ESAEG) umgesetzt, das in seinem zweiten Teil die Einlagensicherung und die Entschädigung der Einleger regelt.

[19] Nach den Begriffsbestimmungen des § 7 Abs 1 ESAEG sind Einleger die Inhaber […] einer Einlage (Z 6); Einlagen sind (soweit hier von Interesse) (Z 3 lit a:) Einlagen gemäß § 1 Abs 1 Z 1 BWG und (Z 3 lit b:) Guthaben, die sich aus auf einem Konto verbliebenen Beträgen oder aus Zwischenpositionen im Rahmen von Bankgeschäften, der Erbringung von Zahlungsdiensten oder der Ausgabe von E-Geld ergeben und vom Kreditinstitut nach den geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zurückzuzahlen sind, einschließlich Festgeldanlagen und Spareinlagen.

[20] Durch die Einlagensicherung gedeckt sind Einlagen, wenn sie nach § 10 Abs 1 ESAEG erstattungsfähig sind (was hier zutrifft), bis zu einer Höhe von 100.000 EUR pro Einleger bei einem Mitgliedsinstitut sowie die zeitlich begrenzt gedeckten Einlagen gemäß § 12 ESAEG (§ 7 Abs 1 Z 5 ESAEG).

[21] Über den Betrag von 100.000 EUR hinaus sind Einlagen nur unter den Voraussetzungen des § 12 ESAEG geschützt. Nach § 12 Z 1 lit a ESAEG sind Einlagen bis 500.000 EUR gedeckt, wenn sie aus Immobilientransaktionen im Zusammenhang mit privat genutzten Wohnimmobilien resultieren.

[22] 1.3. Die mit der Richtlinie harmonisierte Obergrenze von 100.000 EUR gilt ganz grundsätzlich pro Einleger und nicht pro Einlage (vgl Art 6 Abs 1, Art 7 Abs 1 RL 2014/49/EU ). Auch das mit dem ESAEG umgesetzte System der Einlagensicherung stellt grundsätzlich auf den Einleger und die ihm als dem Inhaber zugeordneten Einlagen ab. Dabei gilt die (allgemeine) Haftungsobergrenze von 100.000 EUR für die Gesamtheit der Einlagen eines Einlegers iSd § 7 Abs 1 Z 3 ESAEG (1 Ob 241/21d [Rz 27 f]).

[23] 2.1. § 11 ESAEG regelt die Berechnung erstattungsfähiger und gedeckter Einlagen in Sonderfällen. Abs 2 dieser Bestimmung enthält eine Regelung für Treuhandkonten. § 11 Abs 2 ESAEG lautet:

„Bei offengelegten Treuhandkonten gelten die Treugeber als Einleger. Die Einlagen auf solchen Treuhandkonten sind bei der Berechnung der erstattungsfähigen Einlagen der einzelnen Einleger entsprechend den für die Verwaltung dieser Einlagen geltenden Vorgaben anteilsmäßig für jeden der Treugeber zu berücksichtigen. Dies gilt auch für einen Treugeber, dessen Identität dem Mitgliedsinstitut nur aufgrund der Anwendung

1. […]

2. sonstiger bundesgesetzlicher Bestimmungen, die von einer sofortigen Offenlegung der Identität des Treugebers gegenüber dem Kreditinstitut absehen,

nicht bekannt ist, wenn ein solcher Treugeber seinen Anspruch gegenüber der Sicherungseinrichtung nachweisen kann. Treuhandschaften gemäß Z 1 und Z 2 sind bei der Berechnung der erstattungsfähigen Einlagen einzelner Einleger erst ab jenem Zeitpunkt zu berücksichtigen, ab dem die Treugeber ihren Anspruch gegenüber der Sicherungseinrichtung nachgewiesen haben.“

[24] Diese Bestimmung setzt Art 7 Abs 3 der RL 2014/49/EU um. Art 7 Abs 3 Satz 2 RL 2014/49/EU enthält eine Regelung für das Vorhandensein mehrerer Treugeber. Dazu wird angeordnet: „Gibt es mehrere uneingeschränkt Nutzungsberechtigte, so wird der auf jeden von ihnen gemäß den für die Verwaltung der Einlagen geltenden Vorschriften entfallende Anteil bei der Berechnung der Obergrenze […] berücksichtigt.“

[25] 2.2. Bereits aus dem klaren Wortlaut des § 11 Abs 2 ESEAG und des dieser Bestimmung zugrunde liegenden Art 7 Abs 3 Satz 2 RL 2014/49/EU ergibt sich daher, dass auch im Fall des Vorhandenseins mehrerer Treugeber für ein Treuhandkonto eine auf den einzelnen Einleger, nicht auf die Einlage abstellende Betrachtung anzuwenden ist.

[26] Das bedeutet, dass bei der Ermittlung der (allgemeinen) Haftungsobergrenze von 100.000 EUR für die Gesamtheit der Einlagen eines Einlegers jeder Einleger – und daher auch jeder Treugeber bei einem offengelegten Treuhandkonto iSd § 11 Abs 2 ESAEG – individuell zu betrachten ist, also für jeden die allgemeine Höchstsumme von 100.000 EUR zur Verfügung steht. Die einem Treugeber aus einem Treuhandkonto anteilsmäßig zuzurechnende Einlage fließt daher für jeden Treugeber einzeln in die Berechnung der Gesamtsumme seiner erstattungsfähigen Einlagen ein.

[27] 2.3. Ein offengelegtes Treuhandkonto ist ein Konto, bei dem das Kreditinstitut die Treugeber des Kontos kennt. Treugeber, die vom Kunden (Treuhänder) nicht gegenüber dem Kreditinstitut bekannt gegeben wurden, haben bei Eintritt des Sicherungsfalls keinen Anspruch auf Entschädigung durch die Sicherungseinrichtung, weil diese aus Sicht des Kreditinstituts zu diesem Zeitpunkt weder bekannt noch identifizierbar waren. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass rechtswidriges Verhalten durch Zahlungen der Einlagensicherungseinrichtung honoriert wird. Eine Ausnahme bilden (unter anderem) jene Treugeber, bei denen bundesgesetzliche Bestimmungen es für zulässig erachten, dass eine sofortige Offenlegung der Identität des Treugebers unterbleibt, wie etwa § 9a RAO. Derartigen Treugebern wird die Möglichkeit eingeräumt, ihren Anspruch gegenüber der Sicherungseinrichtung nachzuweisen und so einen Anspruch auf Entschädigung zu erlangen (ErläutRV 686 BlgNR XXV. GP 6 f).

[28] 2.4. Nach § 11 Abs 3 ESAEG, mit dem Art 7 Abs 2 letzter Unterabsatz der RL 2014/49/EU umgesetzt wurde, werden Einlagen auf einem Konto, über das zwei oder mehr Personen als Gesellschafter (unter anderem) einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verfügen können, bei der Berechnung der erstattungsfähigen und gedeckten Einlagen zusammengefasst und als Einlage eines Einlegers behandelt.

B. Zum vorliegenden Fall

[29] 3.1. Die Beurteilung des vorliegenden Falls erfordert in einem ersten Schritt die Lösung der Frage, ob die zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls (§ 9 ESAEG) auf dem Treuhandkonto erliegende Einlage für die Berechnung der gedeckten Einlagen als Einlage bloß eines Einlegers oder als Einlage von zwei Einlegern (des Erstklägers und der Zweitklägerin) zu behandeln ist. Im nächsten Prüfungsschritt ist sodann die Höhe der erstattungsfähigen Einlagen pro Einleger zu ermitteln, um beurteilen zu können, ob diese 100.000 EUR überschreiten, sodass ihre Deckung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 ESAEG abhängt.

[30] 3.2. Der Sicherungsfall trat im vorliegenden Fall am 14. 7. 2020 ein, weil an diesem Tag gemäß § 70 Abs 2 BWG die gänzliche Einstellung des Geschäftsbetriebs und damit die Zahlungseinstellung hinsichtlich der gedeckten Einlagen des betroffenen Kreditinstituts behördlich verfügt wurden (vgl § 9 Z 2 ESAEG).

[31] 4. Soweit die Kläger (unter anderem) die bloße Rechtsbehauptung aufstellten, sie stünden hinsichtlich der Kaufpreisforderung in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, liegen dafür keine Anhaltspunkte vor. Zwar kann der Vertrag über die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts auch stillschweigend geschlossen werden (RS0022210), es muss aber eine – wenn auch lose – Gemeinschaftsorganisation zwischen den Beteiligten vereinbart sein, die jedem Partner gewisse Einwirkungs- oder Mitwirkungsrechte gibt (5 Ob 199/20f; RS0022154; RS0022118). Der Kauf einer Immobilie unter Einschaltung eines Treuhänders vermag keine als Gesellschaft qualifizierbare Gemeinschaftsorganisation zwischen den Kaufvertragsparteien zu begründen. § 11 Abs 3 ESAEG kommt daher nicht zur Anwendung.

[32] 5.1. Im Hinblick auf § 11 Abs 2 ESAEG wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, dass es sich bei dem gegenständlichen Konto um ein offengelegtes Treuhandkonto iSd § 11 Abs 2 Satz 1 ESAEG handelte, bringt sie doch selbst vor, die Entschädigung von 100.000 EUR an den Erstkläger (und nicht etwa an den Treuhänder) ausgezahlt zu haben, weil bei Treuhandkonten für Liegenschaftstransaktionen jene Person als Einleger zu gelten habe, von dem das auf das Konto einbezahlte Geld stamme.

[33] Aus dem Vorbringen beider Parteien ergibt sich darüber hinaus implizit, dass es sich um ein Konto handelte, bei dem die Identität der Treugeber dem Mitgliedsinstitut zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls – wohl aufgrund der Anwendbarkeit des § 9a RAO – nicht bekannt war.

[34] Daraus folgt, dass die Einlagen am gegenständlichen Treuhandkonto nach § 11 Abs 2 ESAEG für die Treugeber „entsprechend den für die Verwaltung dieser Einlagen geltenden Vorgaben anteilsmäßig“ zu berücksichtigen sind, die ihren Anspruch gegenüber der Sicherungseinrichtung nachweisen können.

[35] 5.2. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass zunächst zu beurteilen ist, ob der Erstkläger und der Zweitkläger zu Recht für sich in Anspruch nehmen, beide Treugeber iSd § 11 Abs 2 ESAEG zu sein, die als Einleger gelten.

[36] Der Umstand, dass der Treuhänder mit Schreiben vom 27. 7. 2020 der Beklagten gegenüber nur den Erstkläger als Treugeber bezeichnete, schneidet der Zweitklägerin nicht den ihr gemäß § 11 Abs 2 ESAEG offen stehenden Nachweis ihrer Anspruchsberechtigung als Treugeberin ab. Die Berücksichtigung der Treuhandschaft erfolgt allerdings nach § 11 Abs 2 letzter Satz ESAEG diesfalls erst ab dem Zeitpunkt des erfolgten Nachweises.

[37] 5.3. Die Treuhandschaft ist im österreichischen Recht nicht gesetzlich geregelt, ihr Inhalt ist im Einzelnen nach der Parteienvereinbarung zu beurteilen (RS0010444).

[38] Die ständige Rechtsprechung nimmt bei der in Österreich üblichen Ausgestaltung der Rechtsposition eines Treuhänders zu den Kaufvertragsparteien eines Liegenschaftskaufvertrags eine mehrseitige Treuhand an (vgl nur 4 Ob 84/98h; 1 Ob 119/01h): Eine solche liegt vor, wenn der Treuhänder mehrere Interessen zu wahren hat, etwa einerseits das Interesse des Käufers an der lastenfreien Verbücherung seines Eigentumsrechts und andererseits das Interesse des Verkäufers an der Lastenfreistellung und der Auszahlung des Kaufpreises (6 Ob 248/03v; 1 Ob 119/01h; 4 Ob 84/98t; 6 Ob 41/98t; RS0010415 [T5, T7]).

[39] Beim vorliegenden Fall handelt es sich um einen derartigen Fall einer mehrseitigen Treuhand, in der der Treuhänder die Interessen sowohl des erstklagenden Käufers als auch jene der zweitklagenden Verkäuferin zu wahren hatte.

[40] 5.4. Die Behandlung beider klagenden Parteien als Treugeber entspricht auch der Zuordnung der Gefahr des zufälligen Verlusts des Treuguts in einem Fall wie dem vorliegenden:

[41] Hier stand der zweitklagenden Verkäuferin zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls (am 14. 7. 2020) noch kein Auszahlungsanspruch zu, weil die Auszahlungsbedingung – der Erhalt des Einverleibungsbeschlusses – noch nicht eingetreten war. Gleichzeitig stand dem erstklagenden Käufer auch kein Rückzahlungsanspruch gegen den Treuhänder zu, weil ein solcher voraussetzt, dass der auf das Vertragsverhältnis zwischen Treugeber und Treunehmer anzuwendende Auftragsvertrag beendet wird (2 Ob 87/00h = RS0010421 [T2]), was hier nicht der Fall war.

[42] Kommt es im Fall einer mehrseitigen Treuhand beim Kaufvertrag nach Abschluss der Treuhandvereinbarung und vereinbarungsgemäßer Übermittlung des Kaufpreises an den Treuhänder, aber noch vor Erfüllung der Bedingungen für die Auszahlung an den Verkäufer zu einem von den Vertragsparteien nicht zu vertretenden Verlust der treuhändig erlegten Kaufpreissumme, so trifft dieser Verlust die Parteien, sofern sie keine Vereinbarung für einen solchen Fall getroffen haben, zu gleichen Teilen (RS0107960 [T1, T2]; 4 Ob 84/98a; 1 Ob 119/01h; 3 Ob 241/02s; 6 Ob 248/03v). Bis zum Entstehen eines Ausfolgungsanspruchs ist es nämlich gerade Zweck der Treuhänderbestellung, die eindeutige Zuordnung des Vermögens zu einem der Treugeber auszuschließen (1 Ob 119/01h).

[43] 5.5. Nach § 11 Abs 2 ESAEG gelten – bei offengelegten Treuhandkonten – die Treugeber als Einleger. Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung zur mehrseitigen Treuhand beim Liegenschaftskauf sind im vorliegenden Fall sowohl der Erstkläger als auch die Zweitklägerin Treugeber. Sowohl Erst- als auch Zweitkläger gelten daher als Einleger iSd § 7 Abs 1 Z 6 ESAEG.

[44] 5.6. Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt steht, es sei nur der Käufer bzw diejenige Person als Treugeber anzusehen, die den Kaufpreis auf das Treuhandkonto einzahlte, steht dies mit dem klaren Wortlaut des § 11 Abs 2 Satz 1 ESAEG, der an die zivilrechtliche Beurteilung der Treuhandschaft anknüpft, nicht im Einklang. Diese Rechtsansicht lässt sich auch nicht aus der von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 246/99y ableiten. Dort wurde zu Gemeinschaftskonten und Anderkonten ausgesprochen, dass die Zahlung aus der Einlagensicherung (sowohl nach § 93 BWG idF BGBl 1996/445 als auch nach der älteren Rechtslage) bei Gelingen des Nachweises, dass es sich um den „berechtigten Einleger“ handle, auch an einen „'bloßen wirtschaftlichen Eigentümer der Einlage', somit an eine Person, von welcher das aus dem Konto eingezahlte 'Geld stammt'“, zu erfolgen habe. Zu beurteilen war in jenem Fall allerdings nicht ein zum Zweck der Abwicklung eines Kaufvertrags eingerichtetes Treuhandkonto, sondern vielmehr die Frage nach der Anspruchsberechtigung des Ehemanns zusätzlich zu jener der Ehefrau bei einem Konto, das zunächst als Gemeinschaftskonto des Ehepaars, dann als Konto der Ehefrau mit Zeichnungsberechtigung des Ehemanns geführt wurde und auf das auch vom Ehemann Einzahlungen geleistet worden waren. Dass in diesem Fall für die Ermittlung der wirtschaftlichen Berechtigung des – einen Anspruch aus der Einlagensicherung geltend machenden – Ehemanns darauf abgestellt wurde, „von wem das auf dem Konto eingezahlte 'Geld stammt'“, lässt nicht den Schluss zu, dass bei Treuhandkonten zum Zweck der Abwicklung eines Liegenschaftskaufvertrags nur die Person als gesicherter Einleger gelten kann, die die Einzahlung auf das Konto tätigte.

[45] 5.7. Da sohin der Erstkläger und die Zweitklägerin gemäß § 11 Abs 2 ESAEG als Einleger hinsichtlich des gegenständlichen Treuhandkontos gelten, sind die Einlagen auf diesem Konto „entsprechend den für die Verwaltung dieser Einlagen geltenden Vorgaben anteilsmäßig“ für jeden von ihnen zu berücksichtigen.

[46] Im vorliegenden Fall, in dem aufgrund der Treuhandvereinbarung im Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls keiner der Kaufvertragsparteien ein Ausfolgungsanspruch gegen den Treuhänder zustand und der zufällige Verlust des Kaufpreises von beiden Vertragsparteien gleichteilig zu tragen war, ist die Einlage beim Erstkläger und bei der Zweitklägerin gleichteilig, also je zur Hälfte, zu berücksichtigen.

[47] 5.8. Die Kläger stehen auf dem Rechtsstandpunkt, aus der gleichteiligen Berücksichtigung der Einlage folge bereits die Berechtigung zumindest eines der Klagebegehren, weil die Einlage von 167.638,62 EUR auf dem Treuhandkonto in der Summe der unabhängig von den Voraussetzungen des § 12 ESAEG pro Einleger gedeckten Einlage von 100.000 EUR (§ 7 Abs 1 Z 5 ESAEG), also in insgesamt 200.000 EUR, Deckung finde.

[48] 6.1. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand kann die Anspruchsberechtigung der Kläger allerdings noch nicht beurteilt werden.

[49] 6.2. Wie bereits ausgeführt, fließt die einem Treugeber aus einem Treuhandkonto anteilsmäßig zuzurechnende Einlage für jeden Treugeber einzeln in die Berechnung der Gesamtsumme seiner erstattungsfähigen Einlagen ein.

[50] Die Kläger bringen vor, bereits unabhängig von der Höherdeckung gemäß § 12 ESAEG einen „kumulierten“ Anspruch auf Deckung in Höhe der gesamten Einlage von 167.638,62 EUR zu haben.

[51] Dazu ist klarzustellen, dass jedem Einleger ein eigener gesetzlicher Anspruch gegen die beklagte Einlagensicherungseinrichtung zusteht. Der Umstand, dass beide Kläger als Treugeber hinsichtlich der Einlage auf dem gegenständlichen Treuhandkonto zu qualifizieren sind, vermag im Verhältnis der Kläger zur Beklagten weder ein Gesamthandschuldverhältnis noch ein Solidarschuldverhältnis zu begründen.

[52] 6.3. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Anspruch des Erstklägers oder der Zweitklägerin gegenüber der Beklagten aufgrund einer bis zur Höhe von 100.000 EUR gedeckten Einlage iSd § 7 Abs 1 Z 5 ESAEG besteht, ist die Gesamtheit der Einlagen jedes Klägers einzeln zu berücksichtigen.

[53] Die Frage, ob, gegebenenfalls in welcher Höhe dem Erstkläger und der Zweitklägerin abgesehen von der Einlage auf dem gegenständlichen Treuhandkonto zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls Einlagen beim betroffenen Kreditinstitut zukamen, wurde allerdings bisher im Verfahren nicht erörtert; dazu wurden auch keine Feststellungen getroffen. Daher kann nicht beurteilt werden, inwiefern die Einlagen der (jeweils einzeln zu betrachtenden) Kläger den jedem Einleger grundsätzlich zur Verfügung stehenden allgemeinen Höchstbetrag von 100.000 EUR unter Mitberücksichtigung des gegenständlichen Treuhandkontos bereits erreichten oder überstiegen.

[54] 6.4. Darüber hinaus steht fest, dass die Beklagte über Aufforderung des Treuhänders am 31. 8. 2020 100.000 EUR auf ein vom Treuhänder bekannt gegebenes neues Treuhandkonto überwies. Nach dem Vorbringen der Beklagten erbrachte sie diese Leistung (nur) an den Erstkläger. Auch die Widmung dieser Leistung – als Zahlung zugunsten des Erstklägers oder zugunsten der aus dem Treuhandkonto bei der betroffenen Bank berechtigten Treugeber – wurde im Verfahren bisher nicht erörtert.

[55] 6.5. Aus diesen Gründen kann nicht beurteilt werden, ob einem der Kläger oder beiden Klägern ein – jeweils eigener, nicht in ein Gesamthand- oder Gesamtschuldverhältnis eingebundener – Anspruch gegen die Beklagte zusteht. Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Urteile und die Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung erforderlich.

[56] 6.6. Im fortgesetzten Verfahren wird mit den Klägern die trotz Rüge durch die Beklagte aufrecht erhaltene unklare Fassung des Klagehauptbegehrens zu erörtern sein.

[57] Für die Beurteilung der materiellen Berechtigung der erhobenen Begehren werden die gesamten auf jeden Kläger entfallenden erstattungsfähigen (iSd § 10 Abs 1 ESAEG) Einlagen beim betroffenen Kreditinstitut zu ermitteln und die Widmung der von der Beklagten geleisteten Zahlung zu erörtern und zu beurteilen sein. Ausgehend davon wird zu beurteilen sein, ob hinsichtlich eines oder beider Kläger ein (weiterer) Anspruch gegen die Beklagte nur unter den Voraussetzungen des § 12 ESAEG besteht. Da dies im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht absehbar ist, ist derzeit nicht auf die zur Auslegung von § 12 Z 1 lit a ESAEG aufgeworfenen Fragen einzugehen, weil der Oberste Gerichtshof nicht verpflichtet ist, zu möglichen, aber noch nicht feststellungsmäßig gesicherten Fallgestaltungen Stellung zu nehmen (RS0088931 [T3]).

[58] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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