OGH 6Ob127/21a

OGH6Ob127/21a18.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richterin der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 2021, GZ 2 R 48/20y‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Handelsgericht vom 27. September 2019, GZ 29 Cg 37/18t‑10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00127.21A.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung, die im Übrigen unverändert bleibt, wird dahin abgeändert, dass dem Unterlassungsbegehren und dem darauf bezogenen Veröffentlichungsbegehren auch hinsichtlich der Klauseln 1, 10, 18 und 20 stattgegeben wird und die beklagte Partei daher schuldig ist, nach Ablauf von vier Monaten im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung auch folgender Klauseln:

1. Bei Widersprüchen zwischen den vorliegenden Beförderungsbedingungen und unseren Regelungen haben die Beförderungsbedingungen Vorrang.

10. Die auf Ihrer Bestätigung/Reiseroute oder anderswo verzeichneten Flugzeiten können sich zwischen dem Buchungsdatum und dem Reisedatum ändern.

18. Es bestehen keine Höchstbeträge für die Haftung bei Tod oder Verletzung von Fluggästen. Für Schäden bis zu einer Höhe von 113.100 SZR haften wir verschuldensunabhängig, es sei denn, wir können beweisen, dass der Schaden durch die Fahrlässigkeit des verletzten oder verstorbenen Fluggastes verursacht oder mitverursacht wurde. Über diesen Betrag hinausgehende Forderungen können wir durch den Nachweis abwenden, dass wir und unsere Agenten alle nötigen Maßnahmen ergriffen haben, um den Schaden zu vermeiden, oder dass es uns oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen.

20. Nach Artikel 22 des Übereinkommens sind wir für Schäden aus Verspätungen, die Sie selbst oder Ihr Gepäck bei der Luftbeförderung erfahren, nicht haftbar, sofern wir beweisen können, dass unsere Mitarbeiter und Agenten alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung ergriffen haben oder die Ergreifung dieser Maßnahmen unmöglich war. Mit Ausnahme von Fällen grober Fahrlässigkeit ist unsere Haftung bei Verspätungsschäden wie folgt begrenzt:

- Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Fluggästen auf 4.694 SZR pro Fluggast

- Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Gepäck auf 1.131 SZR pro Fluggast

 

oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es zu unterlassen, sich nach Ablauf von vier Monaten auf die vorstehend genannten Klauseln oder sinngleiche Klauseln zu berufen.

 

Die Kostenentscheidung bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist ein nach § 29 KSchG klageberechtigter Verband.

[2] Die Beklagte betreibt ein Luftfahrtunternehmen. Im Rahmen einer österreichweiten Tätigkeit schließt sie über das von ihr betriebene Flugbuchungsportal www.l*.com regelmäßig mit Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG Beförderungsverträge ab, denen sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), darin enthalten die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB), zugrunde legt.

[3] Der Kläger begehrt der Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern 24 darin enthaltene Klauseln oder sinngleiche Klauseln, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern zu verwenden und sich auf diese Klauseln oder auf sinngleiche Klauseln zu berufen. Ferner begehrt der Kläger die Einräumung der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen‑Zeitung“ der bundesweit erscheinenden Ausgabe. Die beanstandeten Klauseln verstießen gegen gesetzliche Verbote oder Gebote oder gegen die guten Sitten oder seien nicht ausreichend transparent. Wiederholungsgefahr bestehe, weil die Beklagte die Klauseln laufend im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern verwende und hinsichtlich der inkriminierten Klauseln keine vorbehaltlose Unterlassungserklärung abgegeben habe.

[4] Die Beklagte trat dem Klagebegehren entgegen und berief sich auf die Rechtmäßigkeit der vom Kläger beanstandeten Klauseln.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich sämtlicher Klauseln, mit Ausnahme der Klausel 10, unter Setzung einer Leistungsfrist von je vier Monaten für die Verwendung der Klauseln und für das Sich‑darauf‑Berufen sowie dem damit korrespondierenden Veröffentlichungsbegehren statt.

[6] Das Berufungsgericht unterbrach das Verfahren hinsichtlich der Klausel 4 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 25. 11. 2020 zu 6 Ob 77/20x oder den vom deutschen Bundesgerichtshof am 28. 5. 2020 zu I ZR 186/17 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung. Es gab der Berufung des Klägers nicht, jener der Beklagten hingegen teilweise Folge und wies das Klagebegehren auch betreffend die Klauseln 1, 18 und 20 ab. Im Übrigen (ua zu Klausel 10) bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts. Dazu sprach es aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die zu beurteilenden Klauseln für eine größere Anzahl von Verbrauchern von Bedeutung und nicht so eindeutig abgefasst seien, dass nur eine Möglichkeit der Beurteilung in Betracht käme.

[7] In seiner dagegen gerichteten Revisionstrebtder Kläger die Klagsstattgabe (auch) hinsichtlich der Klauseln 1, 10, 18 und 20 an.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

[9] Die Vorinstanzen haben die wesentlichen Grundsätze der Klauselprüfung im Rahmen eines Verbandsverfahrens (zu §§ 28, 29 KSchG, §§ 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 3 KSchG) zutreffend dargestellt. Auf diese Ausführungen, die in der Revision nicht in Frage gestellt werden, wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

1. Klausel 1:

„Bei Widersprüchen zwischen den vorliegenden Beförderungsbedingungen und unseren Regelungen haben die Beförderungsbedingungen Vorrang.“ (Fassung ab 25. 7. 2018, Punkt 2.3 ABB):

[10] 1.1 Das Erstgericht beurteilte diese Klausel als intransparent, weil die in der Klausel enthaltene Vorrangregelung den Verbraucher zwinge, im Einzelfall zu beurteilen, ob Bestimmungen der verschiedenen AGB – Beförderungsbedingungen und „unsere Regelungen“ – im Widerspruch zueinander stünden oder nicht. Ein solcher Verweis führe typischerweise dazu, dass sich der Verbraucher aus verschiedenen AGB jene Regelungen heraussuchen müsse, die für das konkrete Vertragsverhältnis gelten. Dazu komme die Unklarheit darüber, wann und unter welchen Umständen diese Bedingungen und Regelungen „Anwendung“ fänden, weil aufgrund der Formulierung „Regelungen …, die von Zeit zu Zeit gültig sind“, dem Verbraucher keine klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition gegeben werde.

[11] Das Berufungsgericht erachtete die Klausel hingegen als transparent, weil die Regelungen der Beklagten zu bestimmten Themen, auf die die Klausel verweise, direkt auf der Website der Beklagten mit einem Hyperlink abrufbar seien. Ferner würden die ABB der Beklagten definieren, was unter „Regelungen“ zu verstehen sei, weshalb Fluggästen nicht unklar sei, was „Regelungen“ der Beklagten seien. Sie müssten sich auch nicht die notwendige Information aus verschiedenen ABB zusammensuchen. Da die Vorrangregelung zugunsten der gegenständlichen AGB der Beklagten gelte und nicht umgekehrt, könne sich der Verbraucher stets auf die Geltung der ABB verlassen, sodass er durch die Klausel eine verlässliche Information über seine Rechtsposition erhalte.

[12] Die Revision des Klägers argumentiert, die Klausel sei intransparent, weil völlig unklar bleibe, um welche Regelungen es sich dabei handeln solle. Der Verbraucher müsse die für ihn relevanten Regelungen erst durch einen Abgleich der ABB mit sonstigen vertraglichen Regelungen oder einen Aufdecken etwaiger Widersprüche zwischen den ABB und anderen „Regelungen“ herausfiltern.

[13] 1.2 Der Oberste Gerichtshof hat diese Klausel in einem von einem anderen Verband gegen die Beklagte geführten Verbandsprozess jüngst für intransparent erachtet, weil sie den Verbraucher dazu verpflichte, unterschiedliche Vertragsbestimmungen miteinander zu vergleichen und diese auf einen Widerspruch hin zu überprüfen. Dies widerspreche dem Gebot der Sinnverständlichkeit einer allgemeinen Vertragsbestimmung iSd § 6 Abs 3 KSchG. Die Unverständlichkeit der Regelung werde noch dadurch verstärkt, dass völlig unbestimmt auf irgendwelche Widersprüchlichkeiten Bezug genommen werde (9 Ob 27/21t [ErwGr 1.; vgl zu vergleichbaren ABB‑Klauseln einer anderen Fluggesellschaft 10 Ob 19/21y [ErwGr 2. und 3.]; 4 Ob 63/21z [ErwGr 2.]).

[14] 1.3 Der erkennende Senat teilt diese Erwägungen. Die in der Klausel enthaltene Vorrangregelung ändert nichts an dieser Intransparenz, zwingt sie den Verbraucher doch dazu, im Einzelfall zu beurteilen, ob die „Regelungen“ der Beklagten – nach Art 1 der ABB werden damit die Regelungen im Dokument „Regelungen von R* zu bestimmten Themen“, die von Zeit zu Zeit gültig sind, bezeichnet – mit den Beförderungsbedingungen im Widerspruch zueinander stehen oder nicht (RS0122040 [T24]; 9 Ob 27/21t).

[15] Die Klausel ist daher intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG, weshalb die Entscheidung des Erstgerichts insoweit wiederherzustellen war.

2. Klausel 10:

„Die auf Ihrer Bestätigung/Reiseroute oder anderswo verzeichneten Flugzeiten können sich zwischen dem Buchungsdatum und dem Reisedatum ändern.“ (Fassung ab 25. 7. 2018, Punkt 9.1.1 ABB):

[16] 2.1 Das Erstgerichterachtete diese Klausel für zulässig. Sie gestalte den Vertrag nicht und regle nichts zwischen den Parteien, sondern habe den Charakter einer Überschrift. Es handle sich um eine reine Wissenserklärung, in der festgehalten werde, was für alle Unternehmer und Verbraucher allgemein bekannt sei, sodass § 28 Abs 1 KSchG darauf nicht anzuwenden sei. Mit den aus einer Änderung der Flugzeiten resultierenden Rechtsfolgen befasse sich erst Punkt 9.1.2 der ABB (Klausel 11).

[17] Das Berufungsgericht schloss sich der Beurteilung des Erstgerichts an. Die Klausel beinhalte lediglich eine Tatsachenmitteilung gegenüber den Verbrauchern und sei nicht dazu bestimmt, die vertragliche Beziehung zwischen der Beklagten und ihren Kunden zu regeln.

[18] Die Revisionsteht auf dem Standpunkt, die Klausel solle die Beklagte dazu berechtigen, die Flugzeiten aus jedem nur erdenklichen Grund zu ändern, bewirke daher Rechtsfolgen und sei somit auch eine der Kontrolle nach § 28 Abs 1 KSchG unterliegende Klausel. Eine Beschränkung auf äußere – also außerhalb der Ingerenz der Beklagten gelegene – Umstände nehme die Klausel nicht vor. Zudem sei die von den Vorinstanzen unterstellte Bedeutung der Klausel als reine Wissenserklärung für die Beklagte sinnlos. Die Klausel verstoße daher gegen § 6 Abs 2 Z 3 KSchG. Sie sei auch intransparent, weil sie Flugänderungen in beliebigem Ausmaß und aus beliebigen Gründen zulasse. Die Klausel 10 verweise zudem auf die Klausel 11, die von den Vorinstanzen für unzulässig erklärt worden sei. Auch aus diesem Grunde sei die Klausel 10 unzulässig.

[19] 2.2 Bei isolierter Betrachtung lässt die Klausel 10 zwar nicht erkennen, weshalb sich die Flugzeiten ändern können, insbesondere ob die Beklagte zu einer solchen Änderung berechtigt sei. Die beanstandete Klausel befindet sich jedoch unmittelbar unter der Überschrift: „9.1 Flugpläne“. Der der Klausel nachfolgende und letzte Unterpunkt des Punkts 9.1 ist Punkt 9.1.2 (im gegenständlichen Verfahren Klausel 11). Dieser lautet wie folgt:

„Bei Annahme Ihrer Buchung informieren wir Sie über die zu diesem Zeitpunkt geltenden voraussichtlichen Flugzeiten. Diese sind auch auf Ihrer Buchung/Reiseroute angegeben. Es kann vorkommen, dass die geplanten Flugzeiten geändert werden müssen, nachdem Sie Ihren Flug gebucht haben. Wenn Sie Ihre E-Mail-Adresse angegeben haben, werden wir versuchen, Sie auf diesem Wege über alle etwaigen Änderungen zu informieren. Sollten wir, mit Ausnahme der in Artikel 9 unten 2 [Anmerkung: betrifft Stornierungen und Umleitungen] dargestellten Situationen, die geplante Abflugzeit zwischen dem Zeitpunkt Ihrer Buchung und dem Reisedatum um mehr als drei Stunden verschieben und dies für Sie unannehmbar sein und wir ferner nicht in der Lage sind, Sie auf einen anderen, für Sie annehmbaren Flug umzubuchen, haben Sie Anspruch auf die Erstattung aller Kosten, die Ihnen für den geänderten Flug entstanden sind.“

[20] 2.3 Die Änderung der Flugzeiten betrifft die Hauptleistung der Beklagten. Das Verständnis eines durchschnittlichen Adressaten (RS0126158), der mit dem Klauselwerk konfrontiert ist, orientiert sich in dieser Konstellation nicht bloß am Wortlaut des einzelnen Satzes der Klausel 10, sondern am Kontext des gesamten Punktes 9.1 der ABB. Danach weist die Klausel 10 einen eindeutigen Bezug zur nachfolgenden Klausel 11 auf, in der der Inhalt der Klausel 10 im Wesentlichen wiederholt und konkretisiert wird. Der durchschnittliche Adressat nimmt daher an, dass auch die Klausel 10 die Bedingungen seines Vertrags mit der Beklagten regelt und nicht nur eine Wissenserklärung über allgemeineUmstände bei der Durchführung von Flugreisen enthält, zumal die Klausel auch keine Einschränkung auf Umstände vornimmt, die außerhalb der Ingerenz der Beklagten liegen.Sie kann daher im vorliegenden Fall nicht als bloße Tatsachenmitteilung gesehen werden. Nur ergänzend sei angemerkt, dass selbst die Beklagte vorgebracht hat, dass diese Klausel im Zusammenhalt mit Klausel 11 zu sehen sei.

[21] Klausel 11 wurde jedoch von den Vorinstanzen rechtskräftig als unwirksam beurteilt, weil sie ein iSd § 6 Abs 2 Z 3 KSchG unzulässiges einseitiges Leistungsänderungsrecht enthält, das der Beklagten bei kundenfeindlichster Auslegung eine beliebige Änderung der Abflugzeiten ermöglicht. Sie ist auch intransparent, weil für den Verbraucher nicht abschätzbar ist, unter welchen Umständen und in welchem Ausmaß es zu einer Änderung der Flugzeiten kommen könnte.

[22] Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass diese Beurteilung auch für die Klausel 10 zu gelten hat.

[23] 2.4 Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren auch hinsichtlich dieser Klausel stattgegeben wird.

3. Klausel 18:

„Es bestehen keine Höchstbeträge für die Haftung bei Tod oder Verletzung von Fluggästen. Für Schäden bis zu einer Höhe von 113.100 SZR haften wir verschuldensunabhängig, es sei denn, wir können beweisen, dass der Schaden durch die Fahrlässigkeit des verletzten oder verstorbenen Fluggastes verursacht oder mitverursacht wurde. Über diesen Betrag hinausgehende Forderungen können wir durch den Nachweis abwenden, dass wir und unsere Agenten alle nötigen Maßnahmen ergriffen haben, um den Schaden zu vermeiden, oder dass es uns oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen.“ (Fassung ab 25. 7. 2018, Punkt 14.2 ABB)

[24] 3.1 Das Erstgerichterklärte diese Klausel für unzulässig. Die Klausel beziehe sich zwar unzweifelhaft nur auf die Haftung bei Tod oder Verletzung von Fluggästen, jedoch werde in der Klausel ein anderer Maßstab für den Entlastungsbeweis angelegt als jener, der in Art 21 Abs 2 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. 5. 1999 („Montrealer Übereinkommen“ – MÜ) einseitig zwingend vorgesehen sei. Die Klausel stelle ihrem Wortlaut nach nicht auf alle Kriterien des Art 21 MÜ ab. Sie sei damit nichtig gemäß § 879 Abs 1 ABGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) und intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG.

[25] Das Berufungsgerichtwies das Klagebegehren betreffend diese Klausel ab. Richtig sei, dass sich die Klausel nur auf die Verletzung oder den Tod von Fluggästen beziehe. Die Klausel weiche jedoch inhaltlich nicht zum Nachteil des Verbrauchers von Art 21 MÜ ab. Hätte die Beklagte ein unrechtmäßiges und schuldhaftes Verhalten gesetzt, dann wäre der Freibeweis der Unmöglichkeit, alle nötigen Maßnahmen zur Schadensvermeidung zu setzen, jedenfalls ausgeschlossen. Auch der fehlende Hinweis in der Klausel auf Art 21 Abs 2 lit b MÜ mache die Klausel nicht intransparent.

[26] Die Revision releviert, dass die Klausel ihrem Wortlaut nach nicht ausschließlich die Haftung bei Tod oder Verletzung von Fluggästen betreffe. Es sei im zweiten Satz der angefochtenen Klausel auch nur die Rede von „Schäden“. Die Klausel enthalte zudem eine von Art 21 MÜ abweichende Regelung. Nach dieser Klausel werde überdies in Abweichung von Art 22 MÜ, der ein verschuldensunabhängiges Einstehen für Gepäckschäden vorsehe, eine Haftungsbefreiung der Beklagten für Schäden am Gepäck ermöglicht. Auch auf die in Art 20 MÜ vorgesehene Schadensteilung werde nicht abgestellt, weil die Klausel jedenfalls einen gänzlichen Entfall der Haftung vorsehe. Während im ersten Satz statuiert werde, dass es bei Tod oder Verletzung von Fluggästen keine Höchstbeträge gebe, solle nach Satz 3 die Haftung für bestimmte Beträge übersteigende Forderungen abgewendet werden. Dies sei widersprüchlich und daher intransparent. Es sei auch unklar, ob die in der Klausel geregelte Schadensgrenze von 113.100 SZR (wie in Art 21 MÜ vorgesehen) pro Reisendem gelte oder nicht.

[27] 3.2 Die Auslegung von Klauseln im Rahmen der Verbandsklage hat im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Nach der Rechtsprechung können auch zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar in einem Satz der AGB enthalten sein. Es kommt darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (RS0121187 [T1]).

[28] Im ersten und im zweiten Satz der Klausel wird auf Verletzungen oder den Tod von Fluggästen Bezug genommen. Die folgenden Satzteile und Sätze beziehen sich eindeutig auf die jeweils vorangegangenen Sätze bzw Satzteile. Die Klausel lässt somit auch in ihrem Gesamtzusammenhang für einen durchschnittlich aufmerksamen Leser unzweifelhaft erkennen, dass diese Bestimmung nur für Personenschäden (Tod oder Verletzung von Fluggästen) gilt. Dieses Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts ist daher nicht zu beanstanden.

[29] 3.3 Das Haftungssystem des MÜ nach Art 17 und Art 21 ist zweistufig ausgestaltet. Bis zu einer individuellen Haftungshöchstgrenze (nach den hier vorliegenden ABB noch 113.100 SZR [Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds], vgl BGBl III 2010/11 idF BGBl III 2011/4) besteht eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Luftfrachtführers, welcher nur noch der Mitverschuldenseinwand des Art 20 MÜ entgegengehalten werden kann (2 Ob 6/20a [ErwGr 4]). Soweit der Schaden höher ist, kommt nach Art 21 Abs 2 MÜ eine (strenge) Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast zum Tragen. Der Luftfrachtführer kann seine Haftung durch den Nachweis ausschließen oder mindern, dass der Schaden nicht auf eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist (lit a) oder dieser Schaden ausschließlich auf eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung eines Dritten, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist (lit b; 2 Ob 58/15s [ErwGr 5.]).

[30] 3.4 Der Klausel ist deutlich zu entnehmen, dass es keine Haftungshöchstbeträge gibt, aber sich die Beklagte bei Übersteigen einer gewissen Schadenshöhe von der Haftung freibeweisen kann. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei Nichtantritt oder Misslingen dieses Freibeweises die Haftung betraglich begrenzt wäre.

[31] 3.5 Nach Art 20 MÜ ist der Luftfrachtführer ganz oder teilweise von der Haftung befreit, wenn er nachweist, dass die Person, die den Schadenersatzanspruch erhebt, oder ihr Rechtsvorgänger den Schaden durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung, sei es auch nur fahrlässig, verursacht oder dazu beigetragen hat (7 Ob 32/20m [ErwGr 8.1]).

[32] Zutreffend verweist die Revision darauf, dass ein Hinweis auf eine mögliche Schadensteilung in der Klausel nicht erfolgt, sondern dort vom „Abwenden“ der Forderung gesprochen wird. Auch die Formulierung des zweiten Satzes lässt nicht mit ausreichender Klarheit einen Rückschluss auf eine – ebenso mögliche – bloße Reduzierung der Forderung im Sinne einer Schadensteilung zu.

[33] 3.6 Angesichts des Wortlauts dieser Klausel, der darauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt und betreffend Fluggäste, Schäden und Forderungen zwischen Einzahl und Mehrzahl wechselt, ist auch unklar, ob die darin geregelte Schadensgrenze von 113.100 SZR, wie in Art 21 MÜ vorgesehen, pro Reisendem gelten soll oder nicht.

[34] 3.7 Schon deshalb ist damit die Klausel zumindest intransparent, weil wesentliche Informationen weggelassen werden und ihr Fehlen geeignet ist, beim Adressaten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten (vgl 8 Ob 24/17p [ErwGr 3 f]). Ob die Klausel auch zum Nachteil des Verbrauchers von Art 21 Abs 2 MÜ abweicht, muss nicht mehr beantwortet werden.

[35] 3.8 Insoweit war hat die Revision daher Erfolg. Die Entscheidung des Erstgerichts ist wiederherzustellen.

4. Klausel 20:

„Nach Art 22 des Übereinkommens sind wir für Schäden aus Verspätungen, die Sie selbst oder Ihr Gepäck bei der Luftbeförderung erfahren, nicht haftbar, sofern wir beweisen können, dass unsere Mitarbeiter oder Agenten alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung ergriffen haben oder die Ergreifung dieser Maßnahmen unmöglich war. Mit Ausnahme von Fällen grober Fahrlässigkeit ist unsere Haftung bei Verspätungsschäden wie folgt begrenzt:

‑ Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Fluggästen auf 4.694 SZR pro Fluggast

‑ Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Gepäck auf 1.131 SZR pro Fluggast“

(Fassung ab 25. 7. 2018, Punkt 14.5 ABB)

[36] 4.1 Das Erstgericht beurteilte diese Klausel als intransparent. Sie verschleiere die wahre Rechtslage, nach welcher die Beklagte gemäß Art 22 Abs 5 MÜ auch bei Vorsatz ohne Höchstbetrag für Verspätungsschäden hafte. Die Klausel führe den Vorsatz aber nicht an, der Durchschnittskunde (der kein Jurist sei) denke sich bei Nennung grober Fahrlässigkeit den Vorsatz auch nicht dazu.

[37] Das Berufungsgericht erklärte die Klausel für zulässig. Der Durchschnittskonsument komme aufgrund der Formulierung der Klausel nicht auf die Idee, dass dann, wenn die die Beklagte privilegierende Haftungsbegrenzung bereits dann ausgeschlossen sei, wenn diese grob fahrlässig gehandelt habe, diese Privilegierung doch wieder zum Zug kommen könnte, wenn diese in der Absicht gehandelt habe, den Schaden herbeizuführen.

[38] Die Revision macht geltend, die Klausel verstoße mehrfach zum Nachteil der Verbraucher gegen die Bestimmungen des MÜ und sei auch intransparent. Sie gebe den Wortlaut des Art 22 Abs 5 MÜ nur unvollständig wieder und suggeriere dadurch, dass die in Art 22 MÜ normierten Haftungshöchstbeträge für Verspätungsschäden nur bei grober Fahrlässigkeit nicht gelten würden. Sie verschleiere damit die Rechtslage für den Verbraucher, weil die Haftungsbeschränkungen auch im Falle einer vorsätzlichen Schädigung nicht anwendbar seien. Auch werde in der Klausel Art 22 Abs 2 MÜ nicht berücksichtigt, wonach bei Wertdeklaration des Gepäcks durch den Verbraucher und Entrichtung des verlangten Zuschlags die Beklagte jedenfalls bis zu dieser Höhe Ersatz leisten müsse.

[39] 4.2 Gemäß Art 22 Abs 5 MÜ finden die betraglichen Haftungsbeschränkungen der Absätze 1 und 2 dieser Bestimmung keine Anwendung, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursacht worden ist, die entweder in der Absicht, Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass wahrscheinlich ein Schaden eintreten wird. Die genannte absichtliche Schadensverursachung ist mit Vorsatz gleichzusetzen (Reuschle, Montrealer Übereinkommen² Art 22 Rz 13; vgl Koziol/Apathy/Koch, Haftpflichtrecht III3 A/9/115).

[40] 4.3 Das Transparenzgebot (§ 6 Abs 3 KSchG) erfordert zwar nicht in jedem Fall die vollständige Wiedergabe des Gesetzestextes. Der Unternehmer kann jedoch bei Beachtung des Transparenzgebots auch dann zur Vollständigkeit verpflichtet sein, wenn andernfalls die Auswirkungen einer Klausel für den Verbraucher unklar blieben (RS0121951 [T2]). Eine Klausel, die zwar nur eine geltende Rechtslage wiedergibt, dies aber unvollständig, sodass der Verbraucher einen unrichtigen Eindruck von seiner Rechtsposition bekommen kann, ist intransparent (RS0115219 [T55]). Von einer Verletzung des Transparenzgebots ist auszugehen, wenn eine wesentliche Information weggelassen wird und ihr Fehlen geeignet ist, beim Adressaten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten (vgl 8 Ob 24/17p [ErwGr 3.]). Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen „Durchschnittskunden“ (RS0115219 [T17, T36]).

[41] 4.4 Nach dem Wortlaut der Klausel soll die Begrenzung der Haftung für Verspätungsschäden lediglich in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht gelten.

[42] Entgegen der Argumentation des Berufungsgerichts bezieht der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „grobe Fahrlässigkeit“ nicht in eindeutiger Weise im Sinne eines Größenschlusses unter Abwägung der Schwere des Verschuldens und der in der Klausel vorgesehenen Rechtsfolge der Haftungsprivilegierung auch auf vorsätzliches Verhalten. Eine entsprechende Verdeutlichung in der Klausel wäre der Beklagten leicht möglich und zumutbar. Die Klausel ist daher geeignet, den Verbraucher von der Geltendmachung eines die Höchstbeträge übersteigenden Verspätungsschadens bei vorsätzlicher Schadensverursachung abzuhalten.

[43] Das Erstgericht hat in dieser Klausel ohne Rechtsirrtum einen Verstoß gegen § 6 Abs 3 KSchG gesehen.

[44] 4.5 Darüber hinaus weist die Revision zutreffend darauf hin, dass die Klausel auch Art 22 Abs 2 MÜ nicht berücksichtigt, wonach bei Wertdeklaration des Gepäcks durch den Verbraucher und Entrichtung des verlangten Zuschlags der Luftfrachtführer jedenfalls bis zur Höhe des angegeben Betrags Ersatz zu leisten hat, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Reisenden an der Ablieferung am Bestimmungsort. Auch dies ist geeignet, den Verbraucher von der Geltendmachung eines den Höchstbetrag übersteigenden Verspätungsschadens abzuhalten.

[45] 4.6 Die Entscheidung des Erstgerichts ist daher auch betreffend diese Klausel wiederherzustellen.

[46] 5. Die Kostenentscheidung wurde vom Erstgericht vorbehalten (§ 52 Abs 3 ZPO).

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