European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00007.23Z.0427.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Zweitantragstellerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerinnen sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft mit einem aus sechs Stiegen und insgesamt 145 Wohnungseigentumsobjekten bestehenden Mehrparteienhaus.
[2] Im Jahr 2018 erwarb die Erstantragsgegnerin von der L* GmbH 4.477 Anteile der Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an 39 Wohnungen auf den Stiegen I bis III des Hauses. Sowohl im Kaufvertrag mit der L* GmbH als auch in den späteren Verträgen, mit denen sie zwei dieser Wohnungen verkaufte, waren Klauseln enthalten, nach denen sich die jeweilige Käuferin für drei Jahre „betreffend Bestellung bzw. Abberufung der Hausverwaltung dieser Liegenschaft zum gleichen Stimmverhalten wie die Verkäuferseite“ verpflichtet. Die Zweitantragsgegnerin erwarb im Jahr 2018 von der L* GmbH 945 Anteile der Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an insgesamt zehn Wohnungen, ebenfalls auf den Stiegen I bis III des Hauses. Mag. R* ist selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Erstantragsgegnerin (seit Juni 2015) und der Zweitantragsgegnerin (seit August 2018). M* ist selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der L* GmbH und der „t*“; außerdem ist er „in 32 weitere Gesellschaften involviert“.
[3] Am 2. Juli 2019 teilte Mag. R* im Namen der Erstantragsgegnerin den übrigen Miteigentümern der Liegenschaft mit, dass er mehrere Wohneinheiten „zur langfristigen Veranlagung“ erworben habe und zum nächstmöglichen Termin die „t*“ Hausverwaltung GmbH (im Folgenden: „t*“) als neue Hausverwaltung bestellen wolle. Deren Geschäftsführer M* sei „nicht mehr als Miteigentümer wirtschaftlich am Haus involviert, sodass kein Interessenkonflikt mehr“ bestehe. Diesem Schreiben beigefügt waren eine Firmenbroschüre der „t*“, ein unbefristeter Verwaltungsvertrag sowie ein Abstimmungsblatt für einen Umlaufbeschluss über eine Verwalterumbestellung. Das Abstimmungsblatt solle bei Zustimmung unterfertigt bis zum 20. September 2019 an die Erstantragsgegnerin retourniert werden. M* und andere Mitarbeiter der „t*“ machten für diese Umbestellung Werbung („Überzeugungsarbeit“) im Haus.
[4] Das den Miteigentümern zugesendete Abstimmungsblatt war undatiert und enthielt das gewünschte Ergebnis des Umlaufbeschlusses, bestehend aus der Bestellung von „t*“ zur neuen Hausverwaltung zum nächstmöglichen Zeitpunkt und der Vollmachtserteilung an die Erstantragsgegnerin zur Kündigung der bestehenden Verwaltung zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Darunter befand sich eine Tabelle zum Eintragen von Name, Unterschrift und Wohnungseigentumsobjekt, sowie der Hinweis, dass mit Unterfertigung „der Fassung des Beschlusses zugestimmt“ werde.
[5] Im Juli 2019 verwaltete die „t*“ bereits die Wohnungseigentumsobjekte der Erstantragsgegnerin. Außerdem war die „t*“-Immobilienmanagement GmbH & Co KG mit der Vermittlung der den beiden Antragsgegnerinnen gehörenden Wohnungen betraut; deren unbeschränkt haftende Gesellschaft, die „t*“-Immobilienmanagement GmbH, wird seit September 2014 von M* selbständig vertreten.
[6] In einem undatierten, an die Miteigentümer gerichteten Schreiben sprach sich die Erstantragstellerin gegen die „t*“ als neue Hausverwaltung aus; sie warnte davor, dass die Wohnhausanlage ein Objekt für Investoren werden sollte. In einem weiteren Schreiben vom September 2019 an die Miteigentümer argumentierte sie, dass eine Hausverwaltung mit firmeninternem Planungsbüro, einer Immobilienvermarktung samt Werbeabteilung sowie hauseigener Bauüberwachung und Haustechnik kostenintensiv und in der Vergabe kaum überprüfbar sei. Ihre Bedenken äußerte sie auch mündlich, woraufhin sie ein als „Unterlassungsaufforderung“ bezeichnetes Anwaltsschreiben im Namen der Erstantragsgegnerin mit Hinweis auf den Tatbestand der Kreditschädigung erhielt; sie wurde zum Widerruf und Kostenersatz aufgefordert. M* informierte die Miteigentümer außerdem schriftlich als Geschäftsführer der „t*“, dass die Erstantragstellerin Unwahrheiten und Unterstellungen über die Hausverwaltung und seine Person äußere.
[7] Am 24. September 2019 gab die Erstantragsgegnerin per Aushang das Ergebnis des Umlaufbeschlusses bekannt: Die bisherige Hausverwaltung solle mit Jahresende 2019 als Verwalter gekündigt und „t*“ ab Jänner 2020 als neuer Verwalter beauftragt werden. Außerdem wurde mitgeteilt, es hätten 8.395 Anteile für und 8.254 Anteile gegen diese Verwalterumbestellung gestimmt. Auf die einmonatige Anfechtungsfrist wurde hingewiesen.
[8] Die Antragstellerinnen begehrten jeweils die Feststellung, dass der am 24. September 2019 bekannt gemachte Umlaufbeschluss über die Kündigung der bisherigen Verwalterin und die Bestellung der „t*“ als neue Hausverwaltung rechtsunwirksam sei. Das Abstimmungsblatt habe nur die Aufforderung zur Zustimmung enthalten, sodass nur eine Stimmenthaltung, aber keine Gegenstimme möglich gewesen sei. Rechtsunkundige Miteigentümer hätten die Zusendung überhaupt nur als Werbung eines unbekannten Unternehmens angesehen. M* habe schon im Jahr 2017 auf teils sehr aggressive Weise versucht, einen Verwalterwechsel für die Liegenschaft zu erreichen; auch damals sei ein Beschluss für unwirksam erklärt worden. Außerdem seien die Stimmrechtsbindungen in den Kaufverträgen über die von den Antragsgegnerinnen verkauften Objekte unzulässig. Auch bestehe ein wirtschaftliches Naheverhältnis zwischen der angestrebten Hausverwaltung und den Erst- und Zweitantragsgegnerinnen.
[9] Die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen wendeten ein, die Eigentümergemeinschaft habe sich mehrheitlich für die Umbestellung der Verwalterin entschieden; der Beschluss sei wirksam und mangelfrei zustande gekommen.
[10] Das Erstgericht stellte fest, dass der Umlaufbeschluss für die Bestellung der „t*“ zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur neuen Hausverwaltung für die Liegenschaft rechtsunwirksam sei, und verpflichtete die Antragsgegnerinnen zum Kostenersatz.
[11] Wenn ein Umlaufbeschluss kein Feld für eine Gegenstimme vorsehe, müsse ein entsprechender Hinweis aufscheinen, dass die Miteigentümer auch dagegen stimmen könnten; der Text dürfe nicht den Eindruck vermitteln, dass nur Zustimmung oder Stimmenthaltung möglich sei. Durch die anwaltliche Unterlassungsaufforderung sei das Äußerungsrecht gegen den Vorschlag eingeschränkt worden; Gleiches gelte für die schriftliche Information der Miteigentümer durch die Erstantragsgegnerin. Es bestehe ein wirtschaftliches Naheverhältnis zwischen der neuen Hausverwaltung und der Erstantragsgegnerin und problematisch seien auch die Stimmbindungsklauseln in den Kaufverträgen. Der Umlaufbeschluss sei daher nicht wirksam zustande gekommen.
[12] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung mit der Maßgabe, dass es das Datum der Bekanntmachung durch Hausanschlag und die Bevollmächtigung der Erstantragsgegnerin zur Kündigung der bisherigen Verwalterin ergänzte. In der Kostenentscheidung änderte es den Sachbeschluss teilweise ab.
[13] M* sei Geschäftsführer sowohl der „t*“ als auch der L* GmbH, die schon im Jahr 2017 versucht habe, mittels Umlaufbeschlusses die „t*“ als neue Hausverwaltung dieser Liegenschaft zu installieren. Wenn diese Gesellschaft nun zwar ihre insgesamt 69 Wohnungen verkauft, in Stimmbindungsklauseln aber die Abstimmung der Käufer in ihrem Sinn bei einer neuerlichen Beschlussfassung vorbereitet habe, so könne nicht davon die Rede sein, dass die Käufer in ihrer Abstimmungsentscheidung frei gewesen wären. Dass diese Stimmbindungen entscheidenden Einfluss gehabt hätten, zeige sich am knappen Ergebnis; schon eine Käuferin hätte ausgereicht, um die Mehrheit zu verändern. Auch die Begründung des Erstgerichts, nach der die Antragsgegnerinnen nicht an der Abstimmung hätten teilnehmen dürfen, sei zutreffend. Die Befürchtung, dass die vorhandene Rücklage bei Bestellung der „t*“ als Hausverwaltung überwiegend für die Stiegen der Wohnanlage verwendet werde, in denen sich die Objekte der Antragsgegnerinnen befänden, sei nicht von der Hand zu weisen. Da der Beschluss bereits aus diesen Gründen unwirksam sei, erübrigten sich weitere Erörterungen zur Unwirksamkeit wegen anderer Verstöße.
[14] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob (und gegebenenfalls in welchem Umfang) Stimmrechtsbindungsvereinbarungen zulässig seien; außerdem sei zum Ausschluss eines Wohnungseigentümers vom Stimmrecht keine gesicherte Rechtsprechung vorhanden.
[15] In ihrem Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragen die Antragsgegnerinnen, die Entscheidung dahin abzuändern, dass der Antrag abgewiesen werde.
[16] Die Zweitantragstellerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[17] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG iVm § 52 WEG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig.
[18] 1.1 Gemäß § 24 Abs 3 WEG steht dem Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft kein Stimmrecht zu, wenn die beabsichtigte Beschlussfassung ein Rechtsgeschäft, Rechtsverhältnis oder Rechtsstreit mit diesem Miteigentümer oder mit einer Person, mit der dieser durch ein familiäres oder wirtschaftliches Naheverhältnis verbunden ist, zum Gegenstand hat. Gemäß § 24 Abs 7 WEG können die den Wohnungseigentümern zustehenden Befugnisse zur Mitwirkung an der Entscheidungsfindung in der Eigentümergemeinschaft (Äußerungs- und Stimmrecht sowie Minderheitsrechte bei der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft) nicht vertraglich abbedungen werden.
[19] 1.2 Der Begriff des familiären oder wirtschaftlichen Naheverhältnisses in § 24 Abs 3 WEG wurde bewusst aus der Bestimmung des § 6 Abs 4 MaklerG übernommen, sodass auf das dort entwickelte Gesetzesverständnis zurückgegriffen werden kann. Zweck der Regelung ist da wie dort die Vermeidung von Interessenkollisionen. Der Geschäftsabschluss bzw das Stimmverhalten soll von den Interessen des Geschäftspartners des Dritten und nicht von den Interessen des Maklers bzw Stimmführers gesteuert sein. Ob ein Interessenkonflikt droht, hängt einerseits von der Intensität der Beziehung zwischen den in Rede stehenden Personen, andererseits vom Zweck des Geschäfts ab. Es kommt dabei auf die Umstände des Einzelfalls an, die nach wirtschaftlich sinnvollen und praktikablen Gesichtspunkten zu beurteilen sind (RIS‑Justiz RS0118452; Painsi in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht II § 24 Rz 29 ff).
[20] 1.3 Die Enthebung und Bestellung des Verwalters gehört zu jenen Rechtsgeschäften, die gemäß § 24 Abs 3 WEG einen Stimmrechtsausschluss gebieten, wenn durch das familiäre oder wirtschaftliche Naheverhältnis eines Wohnungseigentümers zum Verwalter Gemeinschafts-interessen auf dem Spiel stehen. Bei einem Naheverhältnis eines Wohnungseigentümers zu der als Verwalter ausersehenen natürlichen oder juristischen Person ist stets zu hinterfragen, ob im konkreten Fall eine den Gemeinschaftsinteressen abträgliche Verwaltung etwa durch einen Strohmann dieses Wohnungseigentümers droht. Bestehen dafür plausible Anhaltspunkte, relativieren sie die Intensität des für den Stimmrechtsausschluss erforderlichen Tatbestandsmerkmals des wirtschaftlichen Naheverhältnisses (5 Ob 106/17z mwN; RS0118455).
[21] Ein zum Ausschluss vom Stimmrecht führendes zu enges wirtschaftliches Naheverhältnis zum Verwalter kann sich aus der Eigenschaft als Gesellschafter (mit erheblichen Anteilen) und/oder Geschäftsführer des Geschäftspartners, konzernmäßigen Verflechtungen und Beteiligungen, oder wirtschaftliche Abhängigkeiten aus einem Dienst-, Werkvertrags- oder Auftragsverhältnis ergeben (RS0118453).
[22] 2.1 Im vorliegenden Fall sind die beiden Antragsgegnerinnen mit ihren insgesamt 5.422 Anteilen an der Liegenschaft (verbunden mit Wohnungseigentum an 49 Wohnungen) zwar nicht gemeinsam Mehrheitseigentümer, sie haben aber unstrittig bei der Beschlussfassung über die von ihnen im Umlaufweg initiierte Abberufung und Neubestellung der Verwalterin mitgestimmt. Wenn das Rekursgericht zu dem Ergebnis kam, dass ein wirtschaftliches Naheverhältnis (jedenfalls der Erstantragsgegnerin) zu der auf Initiative der Erstantragsgegnerin zu bestellenden Verwalterin insbesondere deswegen bestehe, weil deren 39 Wohnungen bereits durch diese betreut und durch eine mit dieser eng verflochtenen Gesellschaft vermittelt würden, auf die wiederum der Geschäftsführer der als neue Hausverwaltung zu bestellenden Gesellschaft maßgeblichen Einfluss habe, so steht dies im Einklang mit der hier wiedergegebenen Rechtsprechung zu § 24 Abs 3 WEG. Die Revisionsrekurswerberinnen behaupten zwar, dass „kein für die Anwendbarkeit von § 24 Abs 3 WEG erforderliches besonderes Abhängigkeitsverhältnis“ der neuen Verwalterin bestehe, zeigen aber nicht auf, weshalb diese Beurteilung den im Einzelfall bestehenden Beurteilungsspielraum überschreite. Sie ziehen im Übrigen selbst nicht in Zweifel, dass bei Stimmrechtsausschluss (auch nur einer der beiden) das Ergebnis der Abstimmung – mit nur 8.395 Anteilen für und 8.254 Anteilen gegen – nicht zu der von ihnen angestrebten Umbestellung der Verwalterin geführt hätte. Der Hinweis der Antragsgegnerinnen darauf, dass sie „lediglich rund 32 % der Anteile an der Liegenschaft“ hätten und daher keine „dominanten“ Miteigentümer seien, schließt ein wirtschaftliches Naheverhältnis im Sinn des § 24 Abs 3 WEG nicht aus.
[23] 2.2 Die rechtliche Beurteilung der festgestellten Rechtsunwirksamkeit des am 24. September 2019 mit Aushang bekannt gemachten Umlaufbeschlusses der Eigentümergemeinschaft infolge des wirtschaftlichen Naheverhältnisses der Erstantragsgegnerin zur vorgeschlagenen Hausverwaltung ist nicht zu beanstanden. Die vom Rekursgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage der Unzulässigkeit der dreijährigen Stimmbindungsklauseln in den Kaufverträgen mit der Erstantragsgegnerin sowie mit deren Käuferinnen (im Bezug auf die Bestellung und Abberufung der Hausverwaltung) kann hier unbeantwortet bleiben, weil ihr nur eine theoretisch-abstrakte Bedeutung zukommt (vgl RS0111271).
[24] 3. In ihrer Revisionsrekursbeantwortung hat die Zweitantragstellerin nicht auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, weshalb sie die Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen hat (vgl RS0035979; RS0035962).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)