European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00241.21H.0210.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers kam es bei der Geburt der Tochter der Kläger im Krankenhaus der Beklagten 1995 zu einer durch Sauerstoffmangel bedingten Schädigung des Gehirns, die zu einer schweren Entwicklungsverzögerung sowie geistigen und körperlichen Behinderung der Tochter der Kläger führte. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist nicht strittig. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der den Klägern von ihrer Tochter abgetretene Anspruch auf Pflegekostenersatz insoweit, als er die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung des Zweitklägers und pauschale Nachtzuschläge für die Betreuungsleistungen beider Kläger betrifft.
[2] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren insoweit statt.
[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0031108 [T12, T13, T15, T16]) sind nach § 1325 ABGB vom Schädiger auch die Kosten der Vermehrung der Bedürfnisse aufgrund notwendiger Beiziehung einer Pflegeperson zu ersetzen. Wenn ein Dritter aufgrund familienrechtlicher Verpflichtungen Leistungen an oder für den Geschädigten erbringt, um dessen unfallbedingt vermehrte Bedürfnisse zu befriedigen, geschieht dies nach ständiger Rechtsprechung (RS0022789) nicht zu dem Zweck, den Schädiger zu entlasten. In einem solchen Fall ist der Schaden nicht objektiv‑abstrakt zu berechnen, sondern der tatsächliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und sodann der objektive Wert der von dritter Seite erbrachten Sach‑ oder Arbeitsleistung der Vergütung zugrunde zu legen. Es ist daher festzustellen, welche Kosten die Befriedigung dieser Bedürfnisse durch professionelle Kräfte erforderte. Zu den Zeiten tatsächlicher Pflegeleistungen kommt noch jene Zeit, die die Person, die den Verletzten pflegt, sonst außer Haus als Freizeit verbringen würde und auf die sie nunmehr verzichtet. Die Zeit, die die Pflegeperson jedenfalls beim Verletzten anwesend wäre (insbesondere während der Nacht und der Hausarbeit) ist hingegen nicht zu berücksichtigen, weil sie keinen konkreten Schaden bewirkt (RS0022789 [T3, T5, T6]). Fiktiv ist nicht der Schaden, sondern lediglich die Berechnungsmethode, weil bei einer derartigen Berechnung Leistungen durch professionelle Kräfte zugrunde gelegt werden, die in dieser Form nicht erbracht werden. Auch wenn als Kläger die die Pflege tatsächlich ausübenden Eltern auftreten, umfasst der Ersatzanspruch die Bruttolohnkosten, weil es auf den objektiven Wert der Pflegeleistung ankommt, den der Schädiger zu ersetzen hat (5 Ob 38/04f; RS0030213 [T10]; RS0031691 [T2, T6]).
[6] 1.2. Zur Ersatzfähigkeit der vom Arbeitgeber zu entrichteten Beiträge zur Sozialversicherung (Dienstgeberbeiträge) verneint der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Vorteilsausgleich zugunsten des Schädigers. Der Geschädigte soll nämlich abstrakt jederzeit in die Lage versetzt werden, sich durch die vermehrten Bedürfnisse notwendige Leistungen entgeltlich auf dem freien Markt zu beschaffen, weshalb die Judikatur bei Ermittlung des Ersatzbetrags vom objektiven Wert der Pflege‑ und Betreuungsleistungen ausgeht. Abzustellen ist auf die Schaffung einer Ersatzlage aus Sicht des Geschädigten und nicht darauf, was der Pflegeperson verbleibt (8 Ob 15/11f; 7 Ob 63/10f).Ungeachtet vereinzelter Kritik aus dem Schrifttum (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB‑Paxiskommentar4 § 1325 Rz 15 f; Schmaranzer – Zur fiktiven Berechnung von Pflegekosten,Zak 2010, 248) hält der Oberste Gerichtshof daher in ständiger Rechtsprechung am Zuspruch der Brutto‑ anstelle der Nettokosten in Bezug auf Lohnnebenkosten unabhängig davon fest, ob diese bloß für den Arbeitnehmer abzuführen oder vom Arbeitgeber selbst zu leisten wären.
[7] 2.1. Die Revisionswerberin meint nun, diese Judikatur sei nicht einschlägig, habe doch der Zweitkläger seinen früheren Beruf aufgegeben und sei nun beruflich als „pflegender Angehöriger“ tätig. Der Gesetzgeber habe festgelegt, dass für ihn in einem solchen Fall keine Dienstgeberbeiträge anfallen, er sei dennoch sozialversichert. In einem solchen Fall sei eine Abrechnung auf „Ist‑Kostenbasis“ vorzunehmen, die für den Zweitkläger anfallenden Dienstgeberbeiträge von 5.310,41 EUR daher nicht zu ersetzen. Dem ist nicht zu folgen.
[8] 2.2. Es trifft zu, dass für Personen, die sich nicht erwerbsmäßig gänzlich der Pflege eines Angehörigen widmen, der Anspruch auf Pflegegeld hat, die Möglichkeit einer begünstigten Weiterversicherung in der Pensionsversicherung geschaffen wurde. Der Bund übernimmt den fiktiven Dienstgeberbeitrag für sie (§ 33 Abs 9 erster Satz GSVG), wenn die Arbeitskraft durch die Pflege in der häuslichen Umgebung der pflegebedürftigen Person gänzlich beansprucht wird. Warum diese Begünstigung des Gesetzgebers den ersatzpflichtigen Schädiger entlasten sollte, kann die Revisionswerberin nicht nachvollziehbar begründen. Der Oberste Gerichtshof differenziert eben gerade nicht danach, ob sich die Pflegeperson nur teilweise oder gänzlich der Pflege des Angehörigen widmet. Eine solche Differenzierung ist aufgrund des objektiv‑abstrakten Berechnungsmodus auch nicht gerechtfertigt. Selbst die Nichtinanspruchnahme einer Ersatzkraft würde vielmehr nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung dazu führen, dass der Schädiger die Bruttokosten (einschließlich der Dienstgeberbeiträge) ersetzen müsste, obwohl solche dann gar nicht anfallen. Umso mehr muss das hier gelten, wo die Pflege durch den Zweitkläger „hauptberuflich“ erfolgt. Der nach den Grundsätzen der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu ermittelnde objektive Pflegebedarf erfasst eben auch Dienstgeberbeiträge, zumal die Geschädigte sich – sollte der Zweitkläger ausfallen – eine Ersatzlage durch Beiziehung einer professionellen Pflegekraft verschaffen können müsste.
[9] 2.3. Der vom Obersten Gerichtshof zu 2 Ob 152/99p judizierte Ausnahmefall, dass der Verletzte mit dem Familienmitglied ein Dienstverhältnis zwecks Pflegeleistung eingeht, liegt hier nicht vor. Ob diese – vereinzelt gebliebene – Entscheidung vollinhaltlich aufrechterhalten werden kann, bedarf daher keiner weiteren Erörterung. Der Zuspruch der Dienstgeberbeiträge auch für die Betreuungsleistungen des Zweitklägers kann sich jedenfalls auf gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen.
[10] 3.1. Gemäß § 2 lit B Z 7 des Mindestlohntarifs für im Haushalt Beschäftigte für Österreich in der relevanten, für das Jahr 2018 geltenden Fassung (BGBl II Nr 345/2016) gebührt dem diplomierten Gesundheits‑ und Krankenpflegepersonal für das erste bis fünfte Berufsjahr ein Bruttostundensatz von 12,31 EUR, wenn Betreuungsstunden in der Nacht zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr zusätzlich zur Tagesbetreuung erforderlich und vereinbart sind, ein Nachtzuschlag von 28,44 EUR pro Nacht. Hier steht fest, dass die Kläger nachts zwischen 20:00 Uhr abends und 6:00 Uhr morgens fünf‑bis zehnmal aufstehen müssen, um mit ihrer Tochter auf die Toilette zu gehen. Sie muss regelmäßig auch in der Nacht umgelagert werden, weil sie sich nicht selbstständig im Bett umdrehen kann. Die Vorinstanzen gingen daher von insgesamt jeweils zwei Stunden pro Nacht an erforderlicher Betreuung durch jeweils einen der beiden Kläger aus und sprachen den pauschalen Nachtzuschlag zu.
[11] 3.2. Die Revisionswerberin führt dagegen ins Treffen, der Nachtzuschlag gebühre nur aliquot entsprechend den tatsächlich in der Nacht geleisteten Arbeitsstunden. Sie kann aber bei Berücksichtigung des Wortlauts des für die Bewertung der Pflegeleistungen heranzuziehenden Mindestlohntarifs auch hier keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen im Einzelfall aufzeigen.
[12] 3.3. Der genannte Mindestlohntarif sieht nämlich (so in § 2 lit A) für Hausgehilfen und Hausangestellte bestimmte monatliche Mindestbruttobarlöhne vor, bestimmt aber gleichzeitig, dass für eine niedrige Stundenzahl nur der aliquote Teil gebührt. Der Tarif nimmt daher teilweise ausdrücklich eine Aliquotierung der von ihm normierten Sätze vor, in § 2 lit B Z 7 beim Nachtzuschlag aber gerade nicht, sondern spricht Nachtzuschläge durchwegs pauschal zu (vgl § 2 lit A Z 6, § 2 lit A Z 7 und § 2 lit B Z 6). Schon das Berufungsgericht wies zutreffend darauf hin, dass der Mindestlohntarif deutlich zwischen einem Zuschlag pro Nacht und pro Stunde differenziert, sich die von der Beklagten gewünschte Auslegung aus seinem Wortlaut daher nicht ergibt. Der im Mindestlohntarif vorgesehene Nachtzuschlag soll vielmehr – unabhängig davon, in welchem Ausmaß tatsächlich Betreuung in der Nacht erfolgt – offenbar den Umstand abgelten, dass die Nachtruhe der im Haushalt Beschäftigten durch Arbeitsleistungen gestört wird.
[13] 4. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
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