European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00162.23V.0416.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach § 1 Abs 4 Z 3 MRG sind (unter anderem) die Mietzinsbestimmungen der §§ 15 ff MRG auf Mietgegenstände, die im Wohnungseigentum stehen, nicht anzuwenden, sofern der Mietgegenstand in einem Gebäude gelegen ist, das aufgrund einer nach dem 8. 5. 1945 erteilten Baubewilligung neu errichtet worden ist. Bei diesem Ausnahmetatbestand ist – wie auch bei jenem des § 1 Abs 4 Z 1 MRG – auf die Neuerrichtung eines Gebäudes, in dem sich der Mietgegenstand befindet, abzustellen, und nicht bloß auf die Neuerrichtung des Mietgegenstands selbst (RS0069293 [T5]zu § 1 Abs 4 Z 1 MRG).
[2] 2. Eine Neuerrichtung des Gebäudes liegt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur dann vor, wenn es sich um die Gewinnung neuen und nicht eine bloß bauliche Umgestaltung schon vorhandenen Raums für Wohnzwecke und Geschäftszwecke handelt. Bloße Adaptierungen, eine Neuverteilung des Raums durch Versetzung von Zwischenwänden, die Teilung von Wohnungen oder eine Umwandlung von Geschäftsräumen in Wohnräume fallen nicht darunter (RS0068742). Die Neuerrichtung eines einzelnen Mietobjekts oder der bloße Umbau des Gebäudes unter Wiederverwendung bestehen gebliebener vermietbarer Räume also genügt nicht (RS0068742 [T2]).
[3] An der tatbestandsmäßigen Neuerrichtung eines Gebäudes fehlt es daher schon dann, wenn bestehen gebliebene Räume des alten Baubestandes im neuen Haus weiterverwendet werden. Wenn nur einzelne Gebäudeteile eines Objekts erhalten geblieben sind, ist im Rahmen einer vergleichenden Wertung zu entscheiden, ob dennoch eine Neuerrichtung iSd § 1 Abs 4 Z 1 MRG vorliegt (RS0069270 [T3]). Die Geringfügigkeit der Einbeziehung alter Gebäudeteile in das neue Objekt wird zwar für die Annahme einer gänzlichen Neuerrichtung sprechen, wenn es sich um Reste des alten Mauerwerks (etwa Fundamente, denkmalgeschützte Fassadenteile etc) oder auch um umschlossene Gebäudeteile handelt, denen unter dem Aspekt der Vermietbarkeit keine selbständige Bedeutung zukommt; sie eignet sich aber dann nicht mehr als Abgrenzungskriterium, wenn das eigentliche Objekt der Mieterschutzgesetzgebung, eine als Wohnung oder Geschäftslokal selbständig vermietbare Räumlichkeit, erhalten geblieben ist (RS0069270 [T1, T3]; RS0097182 [T3]).
[4] Die Neuerrichtung (Neuschaffung) von Mietgegenständen setzt voraus, dass durch bauliche Maßnahmen Räume gewonnen werden, die entweder bisher überhaupt nicht zur Verfügung standen oder zur Verwendung als Wohn- oder Geschäftsräume nicht geeignet waren (RS0069647 [T1]; RS0070741 [T3] jeweils zu § 1 Abs 4 Z 2 MRG und § 16 Abs 1 Z 2 MRG). Die wenn auch mit beträchtlichen Kosten verbundene, aber bloß bauliche Umgestaltung schon vorhandenen Raums für Wohn- und Geschäftszwecke sowie die Renovierung eines mangels Instandhaltung unbenützbar gewordenen Mietgegenstands sind keine Neuschaffung (RS0069647 [T5]).
[5] 3. Ob der Fortbestand von Teilen des alten Gebäudes der Annahme einer Neuerrichtung iSd § 1 Abs 4 Z 1 MRG entgegensteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0069270 [T5, T8]; RS0097182 [T6]). Gleiches gilt für die Wiederverwendung bestehen gebliebener vermietbarer Räume. Bei diesen Prüfungen ist daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen.
[6] Dem Rekursgericht ist hier auch keine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung des konkreten Einzelfalls unterlaufen. Dessen Rechtsansicht, auf Basis des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts liege keine Neuerrichtung iSd § 1 Abs 4 Z 1 MRG vor, weil von einer „Entkernung“ des Gebäudes keine Rede sein könne und vorhandene Räume gerade mit der Wohnung des Antragstellers weiter verwendet worden seien, hält sich im Rahmen der von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätze und des den Gerichten bei deren Anwendung auf den Einzelfall eingeräumten Beurteilungsspielraums.
[7] Die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen ist stets einzelfallbezogen und begründet damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0118891 [T4]). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt die Antragsgegnerin in ihrem Revisionsrekurs auch insoweit nicht auf.
[8] Bei der auf dieser Basis vorzunehmenden wertenden Gesamtschau sind nicht nur wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, sondern auch und vor allem das Ausmaß der vorgenommenen baulichen Änderungen. Auch umfangreiche und kostspielige Umbauarbeiten können den Ausnahmetatbestand der Neuerrichtung eines Gebäudes nicht erfüllen, wenn bloß alter Baubestand adaptiert oder umgestaltetwird (vgl RS0069257).
[9] An diesem Ergebnis ändert auch die ursprüngliche allfällige wirtschaftliche Abbruchreife des Hauses und die schon erteilte baubehördliche Bewilligung für dessen Abtragung nichts. Entgegen der Argumentation der Antragsgegnerin ist aus der Bestimmung des § 1112 ABGB (iVm § 29 Abs 1 Z 2 MRG und § 30 Abs 2 Z 14 MRG) und der dazu ergangenen Rechtsprechung für deren Standpunkt nichts Entscheidendes zu gewinnen. Ist eine „erhaltende“ Sanierung ausgeschlossen und sind praktisch einem Neubau gleichkommende Maßnahmen erforderlich, führt das zwar zum „rechtlichen Untergang“ des Mietobjekts und zur Beendigung eines Bestandverhältnisses (5 Ob 55/22g mwN). Voraussetzung hierfür ist jedoch selbst bei Erteilung eines Abbruchauftrags, dass die Baugebrechen aus technischen Gründen nicht behoben werden können oder der Bestandgeber diese nicht behebt und dazu auch nicht verpflichtet ist (5 Ob 55/22g; RS0027764; RS0122970). Eine bloße Abbruchbewilligung reicht für den rechtlichen Untergang der Bestandsache jedenfalls nicht aus (RS0021025). Der „rechtliche Untergang“ der Bestandsache iSd § 1112 ABGB liegt nur vor, wenn die Sache an sich aus dem Rechtsverkehr gezogen wurde oder wenn die für die Vermietbarkeit überhaupt oder für die Vermietung zu einem bestimmten Zweck erforderliche Qualifikation endgültig und unabänderlich verlorengeht (RS0033014 [T1]). Aus einer mangelnden Erhaltungspflicht des Vermieters (wegen Unwirtschaftlichkeit entsprechender Maßnahmen) kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass eine „erhaltende“ Sanierung, wenn sie trotzdem vorgenommen wird, stets als eine Neuerrichtung iSd § 1 Abs 4 Z 3 MRG anzusehen ist. Die Anwendbarkeit dieses Ausnahmetatbestands hängt nur bedingt, etwa bei der Bewertung der weiterverwendeten Bauteile, von den Gründen für eine (Nicht-)Neuerrichtung ab. Bei dieser Beurteilung, insbesondere dem nach der Rechtsprechung vorzunehmenden wertenden Vergleich, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht wirtschaftliche Aspekte, sondern Ausmaß und Funktion der erhalten gebliebenen Gebäudeteile der wesentliche Aspekt der Prüfung. Wenn sich der Vermieter trotz Unwirtschaftlichkeit der Erhaltung für diese und gegen einen (umfassenden) Abbruch und nachfolgenden Neubau entscheidet, kann er sich für nachfolgende Mietverhältnisse nicht schon allein deshalb auf § 1 Abs 4 Z 3 MRG berufen.
[10] 4. Der Revisionsrekurs war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
[11] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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