European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00142.24D.1114.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen deren mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind die beiden Miteigentümer einer Liegenschaft, wobei die Anteile des Antragstellers mit Wohnungseigentum an der Wohnung W1, diejenigen der Antragsgegnerin mit Wohnungseigentum an der Wohnung W2 verbunden sind. Von dem auf dem Grundstück 131/3 errichteten Gebäude mit diesen Objekten erreicht man einen von den Streitteilen genutzten Garten auf ihrem Grundstück 131/4. Von dessen Südwestecke führt in der Natur ein Gehweg über die als Gutsbestand der Nachbarliegenschaft EZ 484 im schlichten Miteigentum der Nachbarn stehenden Grundstücke 126, 127 und 150 zu öffentlichem Gut. Eine Dienstbarkeit des Gehrechts ist nicht einverleibt. Die Eigentümer der Nachbarliegenschaft brachten im September 2020 ein Schloss an einem Gartentor auf ihrem Grundstück an, um das Begehen des Weges zu verhindern. Durch Verhandlungen erreichte die Antragsgegnerin die Ausfolgung eines Schlüssels an sie. Seit dem Jahr 2021 verfügt auch der Antragsteller über einen Schlüssel, sodass es ihm und seinen Mietern aktuell möglich ist, den Weg zu nutzen. Da die Eigentümer der Nachbarliegenschaft aber das Bestehen eines Gehrechts an sich bestreiten, will der Antragsteller auf Feststellung einer ersessenen Dienstbarkeit klagen. Die Antragsgegnerin verweigert ihre Zustimmung dazu.
[2] Das Erstgericht gab dem Antrag Folge und verpflichtete die Antragsgegnerin, „der gerichtlichen Durchsetzung des Dienstbarkeitsrechts des Gehens wie in Beilage ./A abgebildet zugunsten der Liegenschaft der Streitteile gegenüber dem Eigentümer der Nachbarliegenschaft zuzustimmen“. Ein drohender Schaden aus der Verweigerung der Zustimmung zur Klage sei nicht von der Hand zu weisen, die Einwendungen dagegen seien schikanös.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge und wies den Sachantrag ab. Von einer Verjährung des Dienstbarkeitsrechts wegen Freiheitsersitzung könne keine Rede sein. Allerdings sei eine Einschränkung der Privatautonomie nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Lösung schwerwiegender Interessenkollisionen in Kauf zu nehmen. Ein Zwang zum Vertragsabschluss könne zwar auch in einer aus den Treuepflichten, dem Verbot des Rechtsmissbrauchs und dem Schikaneverbot resultierenden Zustimmungs‑ und Handlungspflicht bestehen. Hier drohe dem Antragsteller aber kein Schaden, weil er im Jahr 2021 den Schlüssel ausgefolgt erhalten habe. Eine Pflicht zur Verbesserung der gemeinsamen Liegenschaft durch die mit der Einverleibung einer Dienstbarkeit einhergehenden Wertsteigerung bestehe nicht. Eine maßgebliche Verletzung der Treuepflicht eines Wohnungseigentümers liege nur vor, wenn ansonsten unvermeidliche massive negative Konsequenzen drohten, was hier nicht der Fall sei. Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Rekursgericht mit 10.000 EUR übersteigend. Den Revisionsrekurs ließ es mit der Begründung zu, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle zur Frage, ob aus wechselseitig bestehenden Treuepflichten auch Verhaltenspflichten der Wohnungseigentümer abgeleitet werden können, einen offenkundigen Vorteil wahrzunehmen und eine mögliche Verbesserung der gemeinschaftlichen Sache zu erwirken.
[4] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag auf Abänderung dahin, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[5] Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Revisionsrekurs ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruchs des Rekursgerichts – nicht zulässig.
[7] 1.1. Treuepflichten der Wohnungseigentümer sind in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (RS0013395 [T7]). Treuepflichtverletzungen wurden etwa angenommen, wenn eine – aufgrund von Verstößen gegen zwingende Bestimmungen des WEG – nichtige Wohnungseigentumsbegründung zu sanieren war (vgl 7 Ob 4/16p), entscheidungserheblich waren Treuepflichten in der Rechtsprechung auch im Zusammenhang mit der Zustimmung zu bestimmten Vereinbarungen (vgl die Judikaturübersicht bei Scharmer/Knoll, IWD – Treuepflichten im Wohnungseigentum – ausgewählte Fragen, wobl 2021, 9 [10]).
[8] 1.2. Inhaltlich wird von den Mitgliedern einer Eigentümergemeinschaft nämlich verlangt, dass sie Gemeinschaftsinteressen wahrnehmen und aktiv um die Abwehr von Schäden für die Gemeinschaften bemüht sind (5 Ob 82/03z [Zustimmungspflicht zur Annahme einer schenkungsweisen Grundabtretung zur Verhinderung des sonst notwendigen Gebäudeabrisses bejaht]). Drohten nach dem Sachverhalt hingegen keine massiven negativen Konsequenzen aus einer Verweigerung, lag weder eine Treuepflichtverletzung noch ein Verstoß gegen das Schikaneverbot vor (6 Ob 211/17y [Zustimmungspflicht zu einer Servitutsvereinbarung mit Eigentümern der Nachbarliegenschaft verneint]; 5 Ob 134/18v [Zustimmungspflicht zu einer Vereinbarung zur Ausweisung von Zubehörwohnungseigentum und zur Berichtigung von Fehlbezeichnungen von Stellplätzen verneint]). Die Schwelle für eine aus der Treuepflicht erfließende aktive Handlungspflicht ist nach dieser Rechtsprechung daher auch im Bereich des Wohnungseigentumsrechts, wo eine gegenüber der schlichten Miteigentumsgemeinschaft intensivierte Treuepflicht besteht (RS0013395 [T5, T9]), sehr hoch anzusetzen. Insbesondere darf das Tätigwerden für den betroffenen Teilhaber nur mit geringem Aufwand und geringem Nachteil verbunden sein (6 Ob 211/17y; 5 Ob 134/18v). Der Fachsenat stellte in dem Zusammenhang darauf ab, ob die Verweigerungshaltung nur mit Schikane erklärt werden kann (5 Ob 82/03z; 5 Ob 134/18v). Eine Einschränkung des Grundsatzes der Privatautonomie, also der Entscheidungsfreiheit, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wird (RS0013940), wäre nämlich grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Lösung schwerwiegender Interessenkollisionen in Kauf zu nehmen (RS0113652), was nach der vom Revisionsrekurswerber nicht in Zweifel gezogenen Auffassung des Rekursgerichts auch für die Frage maßgeblich ist, ob sich ein Mitglied einer Wohnungseigentumsgemeinschaft einer beabsichtigten Klage anschließen möchte oder nicht.
[9] 1.3. Sowohl die Frage der Verletzung einer bestehenden Treuepflicht als auch, ob eine rechtsmissbräuchliche Weigerung oder Schikane vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (6 Ob 211/17y; RS0026265 [T3]) und wirft daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage auf. Dies gilt – im Gegensatz zu der in der Zulassungsbegründung vertretenen Auffassung des Rekursgerichts – auch für die Frage, ob im Einzelfall aus der Treuepflicht des Wohnungseigentümers eine Handlungspflicht abgeleitet werden könnte, einen offenkundigen Vorteil für die Eigentümergemeinschaft wahrzunehmen. Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor.
[10] 2.1. Die Argumentation des Antragstellers läuft im Wesentlichen darauf hinaus, die von ihm angestrebte Verbücherung der Dienstbarkeit des Gehrechts bringe nicht nur eine wesentliche Nutzungserleichterung (wegen einer Abkürzung des Weges in die Innenstadt), sondern auch einen wirtschaftlichen Vorteil (Innenstadtnähe als wertsteigerndes Merkmal der Immobilie). Die dem entgegengehaltene Auffassung des Rekursgerichts, eine maßgebliche Verletzung der Treuepflicht eines Wohnungseigentümers könne nur dann vorliegen, wenn ansonsten unvermeidliche, massive negative Konsequenzen drohen, die hier nicht erkennbar seien, kann sich aber auf die bereits zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen. Auch der daraus vom Rekursgericht folgerichtig gezogene Schluss, ein Wohnungseigentümer, der eine offenkundige Verbesserung der gemeinschaftlichen Sache im Wege einer Klageführung ablehne, verhalte sich noch nicht treuwidrig, selbst wenn ihm nur geringe Nachteile drohen sollten, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.
[11] 2.2. Massive negative Konsequenzen einer unterlassenen Klageführung sind aus dem festgestellten Sachverhalt tatsächlich nicht abzuleiten. Die erstmals im Revisionsrekurs ins Treffen geführte Behauptung eines drohenden Schadens wegen einer typischen Verschlechterung der Beweislage durch Zeitablauf verstößt gegen das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot (RS0070485; RS0070471) und ist daher unbeachtlich.
[12] 2.3. Nicht zuletzt ist auch der Einwand der Antragsgegnerin, sie wolle durch eine Klageführung gegen die Nachbarn das gute nachbarschaftliche Verhältnis zu diesen nicht beeinträchtigen, um sich nicht um das ihr persönlich eingeräumte Gehrecht über den Servitutsweg zu bringen, nicht von der Hand zu weisen. Dass es der Antragsgegnerin darum gehen würde, dem Antragsteller durch die Verweigerung der Zustimmung zur Klageführung zu schaden, ist daraus gerade nicht ableitbar. Auch ist nicht zu erkennen, dass die möglichen Nachteile für die Antragsgegnerin durch eine Klageführung so gering wären, dass die Verweigerung nur noch mit Schikane erklärt werden könnte (6 Ob 211/17y; 5 Ob 134/18v).
[13] 3. Auch die Frage, ob sich ein Servitutsbelasteter der Ausübung einer Servitut im Sinn des § 1488 ABGB widersetzt hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0034288 [T2, T5]; RS0034241 [T6]). Die Auffassung des Rekursgerichts, eine Freiheitsersitzung drohe hier im Hinblick auf das Ausfolgen eines Schlüssels (auch) an den Antragsteller und seine Mieter nicht, ist im Hinblick auf die Rechtsprechung, wonach ein vom Verpflichteten errichtetes Hindernis drei Jahre lang fortbestehen muss (RS0034241), nicht korrekturbedürftig. Hat sich der Verpflichtete nämlich letztlich ohne Erfolg widersetzt – wovon das Rekursgericht ausging – kann von einem Rechtsverlust durch Ablauf der Verjährungsfrist keine Rede sein (RS0034241 [T3]).
[14] 4. Damit war der Revisionsrekurs zurück-zuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[15] 5. Es entspricht der Billigkeit nach § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG, dass die Antragsgegnerin, die darauf hingewiesen hat, dass das Rechtsmittel des Antragstellers nicht zulässig ist, die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung ersetzt erhält. Im Gegensatz zur Auffassung des Rekursgerichts liegt jedoch eine wohnrechtliche Außerstreitsache nach § 52 Abs 1 Z 3 WEG vor, weil der dortige Verweis alle sonstigen Angelegenheiten der Wohnungseigentümer erfasst, die nach den Regelungen des ABGB im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen sind. Dazu zählen auch sämtliche nach § 838a ABGB auf den außerstreitigen Rechtsweg verwiesenen Streitigkeiten zwischen Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten (5 Ob 244/21z). Eine solche liegt hier vor. Maßgeblich für die Bemessungsgrundlage ist daher der zwingende Streitwert nach § 10 Z 3 lit b lit bb RATG von 2.500 EUR, der für eine Überschreitung der dort genannten Höchstbeträge keine Entscheidungsbefugnis des Erstgerichts nach § 7 RATG offenlässt (6 Ob 93/98i). Das Kostenverzeichnis der Antragsgegnerin war daher entsprechend zu korrigieren.
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