Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Der in Rechtskraft erwachsene Beschluß des Erstgerichts, mit dem der Sachantrag hinsichtlich der Mietzinsperiode 17. bis 31. 8. 1995 zurückgewiesen wurde, bleibt hievon unberührt.
Text
Begründung
In einem Vorverfahren auf Überprüfung des Mietzinses stellte die Schlichtungsstelle mit ihrer in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung vom 21. 3. 1996 fest, daß die Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin das gesetzlich zulässige Zinsausmaß für das Objekt *****, durch Vorschreibung "folgenden Betrages als Hauptmietzins: S 16.139,-- vom 1. 8. 1995 bis 16. 8. 1995 nicht überschritten haben".
Im nunmehr anhängigen Verfahren wies das Erstgericht den Antrag auf Feststellung, daß der Mietzins im Zeitraum vom 17. 8. bis 31. 8. 1995 überhöht sei, - unbekämpft - zurück (Punkt 1) und den Antrag auf Feststellung, daß der Mietzins im Zeitraum vom 1. 9. 1995 bis 1. 6. 1996 überhöht sei, ab (Punkt 2). Es erachtete rechtlich, die Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 21. 3. 1996 entfalte formelle Rechtskraft, was den Mietzinsüberprüfungsantrag für den Zeitraum 17.
8. bis 31. 8. 1995 betreffe. Außerdem entfalte sie materielle Rechtskraft für den Antrag, soweit er den Zeitraum 1. 9. 1995 bis 28. 2. 1997 (Entscheidungsmonat der Schlichtungsstelle im vorliegenden Verfahren) betreffe. Das Gericht sei an eine Vorentscheidung auch dann gebunden, wenn zwar nicht die Begehren, aber die Parteien und der rechtserzeugende Sachverhalt ident seien und beide Verfahren in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen zu entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatten würden. Der Antrag im Vorverfahren und der vorliegende Antrag würden sich nur durch den zu überprüfenden Zeitraum des Mietzinses unterscheiden.
Das Rekursgericht gab dem gegen Punkt 2 dieser Entscheidung erhobenen Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte folgendes aus:
Formelle Rechtskraft bedeute lediglich, daß eine Entscheidung (in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist) unanfechtbar ist. Die materielle Rechtskraft - Maßgeblichkeit einer Entscheidung - wirke durch die Einmaligkeitswirkung (Wiederholungsverbot oder ne bis in idem) und durch die Bindungswirkung (inhaltliche Bindung oder Abweichungsverbot). Nach der Rechtsprechung werde eine Bindungswirkung nicht nur dann anerkannt, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den neuen Anspruch ist, sondern auch dann - als Sonderfall der Präjudizialität -, wenn zwischen beiden Begehren ein derart enger inhaltlicher Zusammenhang bestehe, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen zu entscheidenen Rechtsfrage nicht gestatteten. Voraussetzung sei aber die Identität der Parteien in beiden Verfahren; anderernfalls würde das rechtliche Gehör einer Partei, die im früheren Verfahren nicht beteiligt war, verletzt werden. Nach einem engeren Verständnis der Bindungswirkung beschränke sich das Verbot, eine Vorfrage selbständig zu beurteilen, auf jene - zwischen den Parteien - rechtskräftig ergangene Entscheidung, mit der darüber als Hauptsache entschieden wurde.
Im vorliegenden Fall sei die Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 21. 3. 1996 formell rechtskräftig. Ihre materielle Rechtskraft habe folgende Auswirkungen: Die Einmaligkeitswirkung verbiete eine Überprüfung desselben Mietzinses (August 1995). Die inhaltliche Bindungswirkung verbiete wegen des engen inhaltlichen Zusammenhanges mit dem vorliegenden Verfahren eine neuerliche Prüfung der Angemessenheit des zwar für einen anderen Zeitraum, aber in gleicher
Höhe vorgeschriebenen, monatlichen Hauptmietzinses. Im einzelnen:
Im Vorverfahren habe der Antrag vom 16. 8. 1995 gelautet: "Wir bitten um eine Überprüfung, da wir der Meinung sind, daß die Miete zu hoch ist." Die Schlichtungsstelle habe die Stellungnahmen der Antragsgegner sowie ein Gutachten des Magistrats der Stadt Wien, MA 40, über die Höhe des angemessenen Hauptmietzinses sowie über die Nutzfläche des Bestandobjektes eingeholt. Hievon sei die Antragstellerin jeweils verständigt worden. Mit der Entscheidung vom 21. 3. 1996 habe die Schlichtungsstelle den Antrag auf Feststellung, daß durch Vorschreibung des Hauptmietzinses S 16.139,-- vom 1. 8. 1995 bis 16. 8. 1995" das zulässige Zinsausmaß überschritten worden sei, abgewiesen, weil der vereinbarte, wertgesicherte Hauptmietzins angemessen sei. Diese Entscheidung sei rechtskräftig geworden.
Mit dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrag vom 9. 9. 1996 begehre die Antragstellerin die Feststellung, daß der Hauptmietzins "ab dem 17. 8. 1995 bis 1. 9. 1995 bis auf weiteres überhöht sei" (das Datum 1. 9. 1995 wurde während des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle korrigiert auf 1. 9. 1996). Die Antragstellerin habe vorgebracht, daß der "monatliche Nettomietzins" S 16.139,-- betrage und daß dieser Mietzins "unter Berücksichtigung der Lage, Größe, des Erhaltungszustandes und der Art des Mietobjektes, bei weitem überhöht" sei.
Das bedeute, daß die Antragstellerin -obwohl dies im Vorverfahren geprüft worden sei - neuerlich die Überprüfung derselben Höhe des Hauptmietzinses (S 16.139,--) aus demselben Rechtsgrund (Überschreitung des angemessenen Hauptmietzinses nach § 16 Abs 1 MRG) begehre. Auch wenn die Schlichtungsstelle den angemessenen Hauptmietzins zum Teil aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung festgestellt habe (sie habe unter anderem die Art der Geschäftstätigkeit - Verkauf hochpreisiger Qualitätsware - berücksichtigt, obwohl der Mietvertrag im Dezember 1989 geschlossen worden sei und die Antragstellerin mit 1. 1. 1994 eingetreten sei, und dies außerdem als mietzinserhöhend gewertet; weiters habe sie als Stichtag den 1. 1. 1994 statt richtigerweise Dezember 1989 angenommen), ändere diese zum Teil unrichtige rechtliche Beurteilung der Schlichtungsstelle nichts daran, daß sie über die Angemessenheit des Hauptmietzinses entschieden habe. Wegen dieses engen inhaltlichen Zusammenhanges der Entscheidung im Vorverfahren und der im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Frage - Angemessenheit des monatlichen Hauptmietzinses von S 16.139,-- - sei das Gericht an diese rechtskräftige Entscheidung im Vorverfahren gebunden. Andersfalls könnte der in derselben Höhe vorgeschriebene Hauptmietzins immer wieder "bekämpft" werden, weil jeweils nur die Überprüfung des Hauptmietzinses bestimmter Zinsperioden begehrt werde und zB nicht die Feststellung des zulässigen (angemessenen) Hauptmietzinses bei Abschluß des Mietvertrages.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine gesicherte, einheitliche oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Reichweite der Bindungswirkung einer Entscheidung bestehe.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem erkennbaren Antrag, die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben.
Die Antragsgegner beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
Im Ergebnis zutreffend wendet sich die Rechtsmittelwerberin gegen die von den Vorinstanzen angenommene Bindungswirkung:
Die objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft werden grundsätzlich durch die Identität des Anspruchs bedingt. Die materielle Rechtskraft wirkt allerdings auch im Fall des "begrifflichen Gegenteils" und - lediglich als Bindungswirkung - im Fall der Präjudizialität, dh wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch Vorfrage (bedingendes Rechtsverhältnis) für den neuen Anspruch ist (2 Ob 10/96 = SZ 69/54; Fasching, LB2 Rz 1514 ff; Rechberger in Rechberger § 411 ZPO Rz 6 ff mwN). Daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären, wird auch von den Vorinstanzen nicht behauptet. Insbesondere fehlt es an der Identität des Anspruchs hier deshalb, weil das neu gestellte Begehren inhaltlich nicht dieselbe Feststellung fordert (Fasching aaO Rz 1515), sondern sich auf eine andere Mietzinsperiode bezieht.
In der Judikatur (RS0041157) wird allerdings auch die Meinung vertreten, daß selbst mangels Identität des Begehrens ein Urteil eines Vorprozesses zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichts führen könne, insbesondere, wenn Parteien und rechtserzeugender Inhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatteten. Diese von der überwiegenden Lehre (Deixler-Hübner, JBl 1996, 467; Frauenberger, JBl 1994, 484; Oberhammer, JAP 1996/97, 28 f; derselbe JBl 1995, 461;
Fasching aaO Rz 1519; Rechberger aaO § 411 ZPO Rz 10; derselbe in FS
Nakamura 477, 483 f) abgelehnte Absicht wird von der jüngeren
Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (9 Ob 501/96 = SZ 68/2 = JBl
1995, 458 [Oberhammer]; 2 Ob 10/96 = SZ 69/54 = ecolex 1996, 600
[Oberhammer]; 5 Ob 2152/96y = MietSlg 48.646; 5 Ob 2267/96k = MietSlg
48.645; 9 ObA 205/98g) in Frage gestellt. Danach reicht es nicht aus, daß eine im Vorprozeß relevante Vorfrage auch eine solche des späteren Prozesses ist. Wenn eine bestimmte Tatsache aber im Vorprozeß nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens bildete, sondern lediglich eine Vorfrage darstellte, dann kommt der Entscheidung dieser Vorfrage im Vorprozeß keine bindende Wirkung im folgenden zu. In der Lehre (etwa Rechberger in FS Nakamura 485) wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die österreichische ZPO mit dem Zwischenantrag auf Feststellung eine Institut kennt, das - ausnahmsweise - die Möglichkeit einer rechtskräftigen Feststellung von Vorfragen eröffnet. Die Annahme, daß auch die Feststellungen über eine Vorfrage im Vorprozeß selbständig rechtskräftig werden können, würde diesen Zwischenantrag auf Feststellung völlig entwerten und überdies dem Wortlaut des § 411 ZPO widersprechen, wonach präjudizielle Rechtsverhältnisse dann rechtskräftig entschieden werden, wenn sie zum Inhalt eines Zwischenfeststellungsantrages gemacht wurden. Werden Vorfragen ohnehin bindend festgestellt, wäre dieser Halbsatz überflüssig (9 ObA 205/98g mwN).
Der erkennende Senat hat demzufolge in 5 Ob 2267/96k = MietSlg 48.645 einem selbständig anfechtbaren, der formellen Rechtskraft fähigen Beschluß nach § 33 Abs 2 MRG über die Höhe des vom Mieter geschuldeten Betrages eine über den anhängigen Prozeß hinausgehende Wirkung nicht zugebilligt. Er hat in 5 Ob 2152/96y = MietSlg 48.646 in einem Mietzins- überprüfungsverfahren ausgesprochen, daß nur die Entscheidung über einen (zulässigen) Zwischenantrag oder Hauptantrag betreffend die maßgebende Ausstattungs- kategorie Bindungswirkung auf nachfolgende Verfahren entfalten kann. Ist eine solche Entscheidung nicht ergangen, so besteht (für einen neuerlichen Hauptmietzinsüberprüfungsantrag) keine Bindung an die Vorentscheidung, mit welcher ebenfalls nur über einen Zinsüberprüfungsantrag abgesprochen wurde. In 5 Ob 1074/91 = MietSlg 43.317 wurde (im Zusammenhang mit einem Ermäßigungsbegehren nach § 44 Abs 3 MRG idF vor dem 3. WÄG) eine Bindung an eine frühere Entscheidung der Schlichtungsstelle bejaht, die allerdings die Gesetzmäßigkeit in Zukunft fällig werdender Mietzinse betroffen hatte. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung wurde in 5 Ob 318/98w bei der Beurteilung der Rechtskraftwirkung auf die Identität der Zinsperioden abgestellt.
Im vorliegenden Fall sind aber die Zinsperioden, auf die sich die jeweiligen Sachanträge erstrecken, unterschiedlich, weshalb es sich um verschiedene Feststellungsbegehren handelt. Zu einer Ausdehnung der objektiven Grenzen der Rechtskraft besteht hier schon deshalb kein Anlaß, weil die Rechtsprechung zu § 37 Abs 1 Z 8 MRG ohnehin die unterschiedlichsten Begehren zuläßt; so steht es Mieter und Vermieter frei, die Feststellung der zulässigen Höhe des Mietzinses nicht nur zu bestimmten Zinsterminen, sondern auch pro futuro zu begehren; auch zahlreiche andere, über einzelne Mietzinsperioden hinausgehende Anträge sind möglich (vgl Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 § 37 MRG Rz 21 mwN). Weiters kann auch im Verfahren gemäß § 37 MRG gemäß dessen Abs 3 Z 13 jede Verfahrenspartei einen Zwischenantrag auf Feststellung stellen und damit zu einer Entscheidung gelangen, deren Rechtskraftwirkung über jene der Entscheidung in der Hauptsache hinausgeht (vgl Würth/Zingher aaO § 37 MRG Rz 36 f). Nur am Rande sei erwähnt, daß die wiederholte Stellung von Mietzinsüberprüfungsanträgen insbesondere bei Mutwilligkeit Kostenfolgen gemäß § 37 Abs 3 Z 19 MRG haben kann.
Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß "Entscheidungsharmonie zwar grundsätzlich erstrebenswert ist, die Grenzen der materiellen Rechtskraft allein deshalb aber nicht ausgeweitet werden können. Mit dem Gedanken der "Rechtssicherheit" ist es durchaus vereinbar, bei der Beurteilung eines neuen Anspruchs Konsequenzen aus der erkannten Unrichtigkeit einer Vorentscheidung zu ziehen und jene nicht einfach "fortzuschreiben" (2 Ob 10/96 = SZ 69/54; RIS-Justiz RS0102102). Daß das LGVÜ eine generell andere Sicht nicht gebietet, wurde bereits in 9 ObA 205/98g näher ausgeführt (vgl allerdings 1 Ob 2123/96d = SZ 70/60; 1 Ob 60/97y = SZ 70/261). Die Vorschriften des 8. Abschnitts dieses Übereinkommens gelangen nur dann zur Anwendung, wenn mehrere Verfahren in verschiedenen Vertragsstaaten anhängig sind, auf Binnensachverhalte ist das LGVÜ nicht anzuwenden (Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Art 21 Rz 3). Daß es zur ergänzenden Interpretation inländischen Rechts, insbesondere der Rechtskraftvorschriften herangezogen werden darf, ist durchaus zweifelhaft. Abgesehen davon ist im vorliegenden Fall nicht zu befürchten, daß es zu Entscheidungen kommen könnte, deren Rechtsfolgen einander gegenseitig ausschließen würden (Czernich/Tiefenthaler aaO Art 21 Rz 1 mwN); sollten sich für unterschiedliche Mietzinsperioden unterschiedliche Mietzinshöhen ergeben, wären die betreffenden Entscheidungen nicht in diesem Sinne miteinander unvereinbar.
Da die von den Vorinstanzen angenommene Bindungswirkung nach Meinung des erkennenden Senates somit nicht besteht, müssen noch Feststellungen getroffen werden, die eine Beurteilung des geltend gemachten Anspruches erlauben. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Sachbeschlüsse an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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