OGH 5Ob128/19p

OGH5Ob128/19p16.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. D* H*, geboren * 2009, 2. H* H*, geboren * 2013, beide wohnhaft bei ihrer Mutter M* H*, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Land Niederösterreich, dieser vertreten durch den Magistrat der Stadt St. Pölten, Jugendhilfe, *, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 18. Juni 2019, GZ 23 R 226/19m‑37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 3. Mai 2019, GZ 3 PU 108/10s‑33, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127711

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die beiden minderjährigen Kinder D* und H* H* werden im Haushalt ihrer Mutter betreut. Der Vater ist seit 1. 4. 2010 geldunterhaltspflichtig.

Der im November 2009 geborene D* beantragte die Erhöhung der gerichtlich festgesetzten Unterhaltsbeträge, und zwar für den Zeitraum von 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 auf monatlich 300 EUR und für den Zeitraum ab 1. 1. 2019 auf monatlich 325 EUR. Die im Februar 2013 geborene H* stellte den Antrag, die Unterhaltsbeträge für den Zeitraum von 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 mit monatlich 265 EUR und ab 1. 1. 2019 mit monatlich 285 EUR festzusetzen.

Das Erstgericht erhöhte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für D* für den Zeitraum ab 1. 10. 2018 auf monatlich 295 EUR. Die Unterhaltsverpflichtung für H* setzte es für den Zeitraum von 1. 10. 2018 bis 28. 2. 2019 mit monatlich 265 EUR und für den Zeitraum ab 1. 3. 2019 mit 285 EUR fest. Die darüber hinausgehenden Mehrbegehren (monatlich 5 EUR für den Zeitraum 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 sowie monatlich 30 EUR ab 1. 1. 2019 für D* sowie 20 EUR für den Zeitraum 1. 1. 2019 bis 28. 2. 2019 für H*) wies das Erstgericht ab. Es ging dabei – soweit für das Revisionsrekursverfahren relevant – davon aus, dass der mit dem Jahressteuergesetz 2018 – JStG 2018, BGBl 2018/62, eingeführte Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung mangels Anspannungsobliegenheit des Vaters nicht zu berücksichtigen sei.

Das Rekursgericht gab dem (gegen den abweisenden Teil des Beschlusses gerichteten) Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Einzige im Rekursverfahren zu behandelnde Frage war die unterhaltsrechtliche Auswirkung des Familienbonus Plus. Nach Auffassung des Rekursgerichts führe der Familienbonus Plus zwar zu einer Erhöhung des Nettoeinkommens, die bei der Ermittlung des Unterhaltsbeitrags grundsätzlich zu berücksichtigen sei. Allerdings habe der Vater bisher den Familienbonus Plus offenbar nicht beantragt und eine Anspannung auf dessen Bezug sei nicht möglich. Erhalte der Unterhaltsschuldner den steuerlichen Vorteil tatsächlich erst im Weg des Jahresausgleichs, könne ihm nicht jetzt schon die damit verbundene höhere Unterhaltsverpflichtung auferlegt werden.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu. Die Einführung des Familienbonus Plus bewirke eine wesentliche Änderung der Rechtslage, die in allen Unterhaltsverfahren eine Rolle spiele und zu der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen. Sie beantragen, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die monatlichen Unterhaltsbeträge wie beantragt festgesetzt werden.

Der Vater hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

1. Der Gesetzgeber hat durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, mit dem „Familienbonus Plus“ einen neuen Steuerabsetzbetrag eingeführt. Dieser Familienbonus Plus nach § 33 Abs 3a EStG steht erstmals für das Kalenderjahr 2019 zu und ersetzt den Kinderfreibetrag nach § 106a EStG aF sowie die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Ausdrückliches Ziel war die finanzielle Entlastung von berufstätigen Eltern (5 Ob 92/19v).

2. Gegenstand des Revisionsrekurses ist die Frage, wie sich der neu eingeführte „Familienbonus Plus“ auf die Bemessung des Kindesunterhalts auswirkt und ob die bisher in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gebräuchliche formelhafte Berechnungsmethode zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch die Anrechnung von Transferleistungen dadurch eine Änderung erfährt.

3. Mit dieser Frage hat sich kürzlich der 4. Senat in seiner Entscheidung vom 11. 12. 2019, 4 Ob 150/19s ausführlich auseinandergesetzt. Der 4. Senat kam zusammengefasst zum Ergebnis, dass der Gesetzgeber den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt hat, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die erwähnten steuergesetzlichen Maßnahmen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt. Jedenfalls für die Unterhaltsbemessung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgt die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral. Der erkennende Senat schließt sich dieser überzeugend begründeten Auffassung an (5 Ob 127/19s; 5 Ob 187/19i [je mit einer ausführlichen Darstellung]).

4. Demnach sind die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Familienbonus Plus bei Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht zu berücksichtigen ist. Zwar hat entsprechend der neuen Rechtslage nunmehr die Anrechnung der Transferleistungen zu entfallen. Dieser Umstand wirkt sich hier aber auf die Unterhaltsansprüche der Antragsteller im Ergebnis zum Teil nicht und zum Teil nur so geringfügig aus, dass der Differenzbetrag die Korrektur der vom Erstgericht vorgenommenen Unterhaltsbemessung nicht rechtfertigt. Der Unterhalt wird eben gerade nicht exakt mathematisch berechnet, sondern im Rahmen einer Ermessensentscheidung bemessen (8 Ob 48/19w; RS0057284 [T14]).

Auf Basis der maßgeblichen Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung in erster Instanz (vgl RS0006801), unter Heranziehung der in den Rechtsmittelverfahren unstrittigen Bemessungsgrundlage von 1.777 EUR und in Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Prozentsatzmethode (zu dieser: RS0053242; RS0047424) ergeben sich (rechnerisch) folgende Unterhaltsbeträge:

Dem mj D* gebührt für die Zeit von 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 ein Anteil von 17 % (18 % – 1 %) der Bemessungsgrundlage. Dieser Betrag in Höhe von 302 EUR ist durch die Anrechnung der Transferleistungen entsprechend der unbekämpft gebliebenen Berechnung des Erstgerichts auf den von diesem festgesetzten gerundeten Betrag von 295 EUR zu kürzen. Ab 1. 1. 2019 entfällt dieser Kürzungsbetrag, sodass dem mj D* ab 1. 1. 2019 nach der Prozentwertmethode ein Unterhaltsbetrag von gerundet 300 EUR gebührte. Rechnerisch ergäbe sich demnach zwar ein geringfügig höherer Unterhaltsanspruch des mj D* als vom Erstgericht zugestanden, die Differenz von 5 EUR wäre aber im Verhältnis zum Gesamtunterhaltsbetrag (weniger als 2 %) so geringfügig, dass sie bei einer Unterhaltsbemessung, die rechnerisch nicht penibel genau zu erfolgen hat, unberücksichtigt bleiben kann (vgl 5 Ob 236/18v).

Der mj H* gebührt für die Zeit von 1. 10. 2018 bis 28. 2. 2019 ein Anteil von 15 % (16 % – 1 %) der Bemessungsgrundlage, das sind gerundet 265 EUR. Die für den Zeitraum bis 1. 1. 2019 an sich gebotene Berücksichtigung der Transferleistungen ergibt – im Revisionsverfahren unbestritten – keinen Kürzungsbetrag. Für die Zeit ab 1. 3. 2019 gebührt der mj H* ein Anteil von 17 % (18 % – 1 %), das sind gerundet 300 EUR. Allerdings begehrte sie in ihrem Antrag für die Zeit ab 1. 3. 2019 (nur) 285 EUR, mehr darf ihr nicht zugesprochen werden. Im Unterhaltsverfahren gelten das Antragsprinzip und der Dispositionsgrundsatz (5 Ob 236/18v). Auch in Bezug auf den Unterhaltsanspruch der mj H* hat es daher bei den vom Erstgericht festgesetzten Unterhaltsbeträgen zu bleiben.

5. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

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