OGH 4Ob43/16a

OGH4Ob43/16a30.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** D*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Vetter ‑ Dr. Frisch in Lustenau, gegen die beklagten Parteien 1. MMag. T***** P*****, 2. A***** P*****, 3. S***** P*****, alle vertreten durch Summer Schertler Stieger Kaufmann Droop Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, wegen Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 24. November 2015, GZ 2 R 321/15v‑39, womit das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 26. August 2015, GZ 3 C 802/14s‑34, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Eingabe des Erstbeklagten vom 22. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Der Kläger ist seit 2003 Eigentümer einer nach Süden ausgerichteten Wohnung mit Terrasse, die eine raumhohe verglaste Fensterfront von 12 m aufweist.

Die Beklagten sind Miteigentümer des südlich dieser Wohnung gelegenen Hauses, auf dessen Dach sie im Jahr 2011 eine Photovoltaikanlage errichten ließen. Diese ist teilweise auch in unüblicher Winkelstellung auf der Nordseite des Dachs angebracht, sodass sie vom Frühjahr bis zum Spätsommer zur Wohnung des Klägers hin Sonnenlicht reflektiert. Je nach Jahreszeit und Sonnenstand erreicht die Blendwirkung Ausmaße, dass bereits bei einer Blickzuwendung von wenigen Sekunden massive Augenschäden eintreten können. Die Beeinträchtigung setzt bei entsprechendem Wetter bereits um 11:15 Uhr ein und kann bis 14:00 Uhr andauern. Die etwa horizontal auf die Terrasse bzw die Glasfront der klägerischen Wohnung einwirkenden Reflexionen können bereits an einem Fixpunkt über eine Stunde dauern, über die gesamte Länge der Terrasse sogar noch länger. Der kurze Abstand der Photovoltaikanlage zur Wohnung des Klägers bedingt einen sehr großen Winkelbereich, in dem Blendbelästigungen auf der Terrasse des Klägers auftreten können. Während des Hochsommers können bei entsprechend sonnigem Wetter zur Mittagszeit über einen Zeitraum von mindestens zehn Wochen bis über eine Stunde pro Tag Lichtbelästigungen auftreten. Sonnenbrillen haben einen zu geringen Absorptionsgrad, um die vorliegende Gesundheitsgefährdung völlig auszuschließen. Die Photovoltaikanlage der Beklagten hat einen Reflexionsanteil des Sonnenlichts von jedenfalls mehr als 1,5 %. Solche Lichtstärken führen zu einer massiven Gesundheitsgefährdung. Starke Lichtreize lassen sich im Gehirn bis zum nächsten Tag nachweisen; länger andauernde Absolutblendungen sind unmittelbar gefährlich. Im Wohnbereich des Klägers reicht die Blendung bis 30 cm über den Boden, sodass insbesondere Kinder, die nicht auf ihre Sicherheit achten, gefährdet sind.

Um der Blendwirkung und den damit verbundenen Gesundheitsgefahren vorzubeugen, müsste der Kläger entweder die Glasfront durch stark getöntes Glas abschirmen oder durch zusätzliche Vorrichtungen abschirmbar gestalten oder die Wohnung mittels Rollos derart verdunkeln, dass auch bei Tageslicht elektrisches Licht benötigt würde. Selbst dann bleiben jedoch „Blendspalten“ zurück. Die effizienteste Methode, die Beeinträchtigungen in der Wohnung des Klägers zu beheben, wäre der Abbruch der auf der Nordseite angebrachten und wiederverwertbaren Solarmodule, der etwa 5.000 EUR kosten würde. Im Fall der Verwendung der Solarmodule an anderer, energieeffizienterer Stelle der Liegenschaft der Beklagten ließe sich ein Teil der Umbaukosten durch Verbesserung der Gesamtleistung der Anlage hereinbringen.

Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagten zur Unterlassung der vom Dach ihres Gebäudes ausgehenden Blendwirkung (Lichtreflexion und Spiegelung) über das zulässige Ausmaß hinaus, sodass ein ortsübliches Wohnen in der Wohnung des Klägers möglich ist und die vom Gebäude der Beklagten ausgehenden Lichtreflexionen oder Spiegelungen auf die Wohnung des Klägers das ortsübliche und zumutbare Maß nicht mehr überschreiten. Dieses Begehren des Klägers sei auch ohne Angabe einer Messgröße ausreichend bestimmt. Es existierten keine entsprechenden Normen für bestimmte Grenzwerte, die Beeinträchtigungen des Klägers hingen nicht nur von der Dauer der Spiegelung während eines Tages und der Jahreszeit, sondern auch von der räumlichen Ausdehnung und den Witterungsverhältnissen ab. Die beanstandeten Immissionen überschritten das ortsübliche Maß und bewirkten auch eine wesentliche Beeinträchtigung der Wohnung des Klägers. Auch die mehrjährige Duldung der Einwirkungen habe nicht dazu geführt, dass die festgestellten Blendungen ortsüblich geworden wären. Sie seien auch unter Berücksichtigung eines Interessenausgleichs im Sinn des friedlichen Zusammenlebens der Nachbarn nicht zu dulden. Auf die Frage, ob und inwieweit der Kläger die Möglichkeit hätte, durch eigene Maßnahmen Blendungen auszuschließen, komme es im Hinblick auf die Beeinträchtigung seines freien Ausblicks aus der Wohnung nicht an. Wegen fehlender Ortsüblichkeit komme es auch nicht darauf an, welche Beseitigungs‑ oder Vorsorgemaßnahmen für die Beklagten zumutbar wären.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung zu von einer Photovoltaikanlage ausgehenden Lichtimmissionen bestehe und auch die Bestimmtheit des Klagebegehrens klärungsbedürftig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Unterlassungsbegehrens anstreben, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Mit ihrer Beanstandung des berufungs-gerichtlichen Verweises auf die erstgerichtliche rechtliche Beurteilung nach § 500a ZPO zeigen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf, weil die Nachvollziehbarkeit der berufungsgerichtlichen Entscheidungsgründe nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden kann. Der ‑ im Übrigen bloß auf einzelne Teilaspekte der rechtlichen Beurteilung bezogene ‑ Verweis auf die vom Berufungsgericht für zutreffend erkannte erstgerichtliche rechtliche Beurteilung entspricht einer vertretbaren Auslegung des § 500a ZPO.

2. Eine Aktenwidrigkeit kann nur in der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts eines Beweismittels bestehen, nicht jedoch in der Übernahme erstgerichtlicher Feststellungen (RIS‑Justiz RS0043347, RS0043240). Der allfällige Versuch der Beklagten, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen auch noch in dritter Instanz anzugreifen, ist unzulässig. Die allenfalls unrichtige Wiedergabe von Parteienvorbringen begründet gleichfalls keine Aktenwidrigkeit (RIS‑Justiz RS0041814), der erstinstanzliche Verweis auf Urkundenbeilagen kann grundsätzlich kein Vorbringen ersetzen (RIS‑Justiz RS0037915).

Im Übrigen verstehen die Beklagten die Ausführungen des Berufungsgerichts falsch, wenn sie sich gegen die Annahme einer schlagartigen Zunahme von Einwirkungen wenden. Diese bezieht sich auf die Errichtung/Inbetriebnahme der Photovoltaikanlage, welche das plötzliche Einsetzen von sonneneinstrahlungsbedingten Reflexionen bewirkt hat.

3. Lichtimmissionen waren bereits mehrfach Gegenstand oberstgerichtlicher Entscheidungen. Diese betrafen nicht nur die von künstlichen (technischen) Lichtquellen ausgehenden Einwirkungen, sondern auch die Einwirkung reflektierten Sonnenlichts (10 Ob 20/11f mwN). Es ist aber unerheblich, ob die Immission von einer künstlichen oder natürlichen Lichtquelle ausgeht. Es spricht nichts dagegen, die zu Lichtimmissionen aufgrund künstlicher Lichtquellen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auch auf Lichtimmissionen aufgrund reflektierten Sonnenlichts zu übertragen (10 Ob 20/11f).

Das Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB besteht dann, wenn die auf die benachbarte Liegenschaft wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen, wobei die örtlichen Verhältnisse in beiden Belangen zu beachten sind (RIS‑Justiz RS0010587). Ob eine Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigt und die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0010558). Die Frage, ob eine Immission (noch) als ortsüblich zu beurteilen ist, ist nicht allein aufgrund rein empirischer Ergebnisse, sondern auch anhand normativer Wertungen zu prüfen; die Ortsüblichkeit ist somit auch ein wertungsabhängiger Rechtsbegriff (10 Ob 20/11f mwN). Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abstellt und daher von der Natur und der Zweckbestimmung des beeinträchtigten Grundstücks abhängig ist. Maßgeblich ist nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des durch die Einwirkungen Betroffenen befindet (RIS‑Justiz RS0010607, RS0010557, RS0010583). Da die Normen des Nachbarrechts dem Interessenausgleich dienen und in hohem Maß einer wertenden Auslegung zugänglich sind, sind Immissionen jedenfalls zu dulden, wenn sie keine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung hervorrufen, mögen sie auch noch so ortsunüblich sein (10 Ob 20/11f).

Diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist das Berufungsgericht im vorliegenden Fall entgegen der von den Revisionswerbern vertretenen Auffassung gefolgt. Die vorliegend zu überprüfende Beurteilung widerspricht auch nicht der zu 10 Ob 20/11f für vertretbar angesehenen Abweisung eines auf Lichtreflexionen von einem Dach gestützten Unterlassungsbegehrens. Nicht nur die Dauer der Immissionen bildet ein Kriterium für die Beurteilung der ortsüblichen Benutzung der Liegenschaft bzw deren wesentlicher Beeinträchtigung. Im Gegensatz zum dort beurteilten Sachverhalt nehmen die Lichtreflexionen hier ein Ausmaß an, dass schon einige Sekunden direkter Betrachtung ausreichen, massive Augenschäden zu bewirken. Hinzu kommt, dass die auf einer Nordseite des Daches angebrachte Photovoltaikanlage infolge des schlechten Wirkungsgrades eher unüblich ist und auch noch eine unübliche Winkelstellung, die aber die Reflexionswirkung begünstigt, aufweist.

Soweit die Revisionswerber das öffentliche Interesse an der Erzeugung von Solarstrom ins Treffen führen, kann dies jedenfalls dann nicht die Zulässigkeit von unmittelbaren Einwirkungen auf das Nachbargrundstück rechtfertigen, wenn die Beeinträchtigung nicht notwendig mit dem Betrieb der Anlage verbunden ist (andere Aufstell‑ und Ausrichtemöglichkeit) und überdies nicht erkennbar ist, dass die ‑ ohnehin ungünstig ausgestaltete ‑ Anlage nicht auch ohne die über das gewöhnliche Maß hinausgehenden störenden Einwirkungen auf die Nachbarliegenschaft betrieben werden kann (vgl 7 Ob 192/09z; RIS‑Justiz RS0010680, RS0010541). Nach den getroffenen Feststellungen ist gerade die im Hinblick auf die Energieeffizienz ungünstige und daher unübliche Neigung der Anlage auf der Nordseite des Daches Auslöser der horizontal auf die Wohnung des Klägers wirkenden Lichtreflexion.

Dass es in der Gemeinde viele Photovoltaikanlagen gibt, sagt nichts darüber aus, ob es auch zu vergleichbaren Blendwirkungen auf Wohnungen kommt. Es kommt aber nicht auf die Ortsüblichkeit der emittierenden Anlagen, sondern nur auf die Ortsüblichkeit der Emissionen an (vgl 2 Ob 252/04d). Unter Berücksichtigung des von § 364 ABGB intendierten friedlichen Zusammenlebens der Nachbarn (RIS‑Justiz RS0010501) und des angestrebten Interessenausgleichs im Rahmen gegenseitiger Rücksichtnahme (RIS‑Justiz RS0010607) hat die Beurteilung der Zumutbarkeit allfälliger eigener Abwehrmaßnahmen auch zu berücksichtigen, dass die Beklagten hier durch unsachgemäßes Vorgehen den Zustand geschaffen haben, der zur wesentlichen Beeinträchtigung des Klägers geführt hat (vgl RIS‑Justiz RS0110784 [T6]). Es bildet daher keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn die Vorinstanzen dem Kläger nicht zugemutet haben, seine Wohnung während der gesundheitsgefährdenden Blendwirkung, ausgelöst durch die Photovoltaikanlage der Beklagten, komplett zu verdunkeln.

Die Behauptung der Revisionswerber, es komme infolge unbeständigen Wetters ohnehin nur zu sehr wenigen Sonnentagen, verstößt gegen das Neuerungsverbot. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Vorlage von Urkunden grundsätzlich kein erstinstanzliches Tatsachenvorbringen ersetzen kann (RIS‑Justiz RS0037915).

4. Fragen der ausreichenden Bestimmtheit des Klagebegehrens bilden regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0037671). Es entspricht der Rechtsprechung, dass sowohl bei Lärmimmissionen (RIS‑Justiz RS0037178) als auch bei Lichtimmissionen (10 Ob 20/11f) ein auf Untersagung ortsunüblicher und das zumutbare Maß überschreitender Emissionen gerichtetes Klagebegehren zulässig ist, was insbesondere in Fällen zutrifft, in denen die Überschreitung der ortsüblichen Intensität ‑ wie hier ‑ evident ist (1 Ob 96/03d).

5. Wann aus einer Überschreitung des bis dahin Ortsüblichen eine Änderung des Üblichen wird, richtet sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls (7 Ob 361/97g). Die in der Rechtsprechung teilweise unterschiedlich beantwortete Frage, nach welchem Zeitraum ortsunübliche Immissionen zu üblichen werden (3 Ob 77/09h; 3 Ob 65/03z, je mwN), braucht hier nicht erörtert zu werden. Was auf einem einzigen Grundstück in der Gemeinde herkömmlich ist, muss noch nicht ortsüblich sein (RIS‑Justiz RS0010672). Die „örtlichen Verhältnisse“ sind weiträumiger zu verstehen; es geht um Gebiets‑ oder Stadtteile mit annähernd gleichen Lebens‑ und Umweltbedingungen (5 Ob 65/03z). Dass ausschließlich von einer Anlage auf eine Wohnung einwirkende, überdies gesundheitsgefährdende Immissionen, die grundsätzlich nie als ortsüblich beurteilt werden können (7 Ob 80/14m; 8 Ob 128/09w; vgl RIS‑Justiz RS0126292), auch nach drei Jahren nicht ortsüblich werden, ist jedenfalls vertretbar. Überdies steht das hier unbestrittene mehrfache klägerische Tätigwerden gegen die Anlage der Beklagten (Eingaben an Verwaltungsbehörden) der widerspruchslosen Duldung entgegen (vgl 3 Ob 201/99a).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Im Hinblick auf die Einmaligkeit des Rechtsmittels (RIS‑Justiz RS0041666; Kodek in Rechberger ZPO 4 vor § 461 Rz 12 mwN) ist die Replik des Erstbeklagten auf die Revisionsbeantwortung des Klägers zurückzuweisen.

Da der Kläger auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision nicht hingewiesen hat, hat er die Kosten seiner insoweit nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

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