European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00233.23B.1022.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
I. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden wie folgt abgeändert:
Die Klagebegehren,
1. die beklagte Partei sei schuldig, es zu unterlassen, in Österreich im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin kosmetische Erzeugnisse, insbesondere Parfums, die mit dem Wortzeichen „LADY MILLION“ und/oder „PACO RABANNE“ und/oder mit dem Wortbildzeichen
gekennzeichnet sind, zu bewerben, zum Kauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, die außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht wurden;
2. die beklagte Partei sei schuldig, den klagsstattgebenden Teil des Urteils (ausschließlich der Kostenentscheidung) binnen 14 Tagen nach Rechtskraft auf eigene Kosten mit Fettumrandung, gesperrt und fett gedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen jedoch mit Normallettern auf der Website * oder, sollte die genannte Internetadresse geändert werden, auf jener Website, mit der an Stelle der Internetadresse * verwendeten Internetadresse, in einem Fenster in der Größe eines Viertels der Bildschirmoberfläche, die bei Eingabe der Internetadresse * bzw der an Stelle dieser Internetadresse * eingegebenen Internetadresse in der Adresszeile des Webbrowsers unmittelbar erscheine und sich weder verkleinern lasse, noch sich automatisch verkleinere, nicht in Form eines Pop-up-Fensters, dauerhaft und ununterbrochen für die Dauer von 30 Tagen zu veröffentlichen;
3. die beklagte Partei sei schuldig, den klagsstattgebenden Teil des Urteils (ausschließlich der Kostenentscheidung) binnen zwei Monaten nach Rechtskraft auf eigene Kosten mit Fettumrandung, gesperrt gedruckter Fettdrucküberschrift „IM NAMEN DER REPUBLIK“ sowie mit gesperrt und fett gedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen jedoch mit Normallettern, jeweils auf Seite 3, in einer Print- und Onlineausgabe der monatlich österreichweit erscheinenden Kundenmagazine „* News“ und „* Newsflash“, jeweils im Ausmaß einer Viertelseite zu veröffentlichen;
4. die klagende Partei werde ermächtigt, den klagsstattgebenden Teil des Urteils (ausschließlich der Kostenentscheidung) binnen drei Monaten nach Rechtskraft auf Kosten der beklagten Partei mit Fettumrandung, Fettdrucküberschrift „IM NAMEN DER REPUBLIK“ sowie mit gesperrt und fett gedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen jedoch mit Normallettern, im redaktionellen Teil einer Freitagausgabe der österreichweit erscheinenden Gratistageszeitung „HEUTE“ sowie in einer Printausgabe des monatlich erscheinenden Frauenmagazins „Maxima“, jeweils im Ausmaß einer Viertelseite zu veröffentlichen;
werden abgewiesen.
II. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 27.907,44 EUR (darin 4.182,91 EUR USt und 2.810 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen
Entscheidungsgründe:
[1] Die klagende Konzerngesellschaft eines international im Bereich Mode und Parfümeriewaren tätigen Konzerns ist Berechtigte der Unionsmarken (UM) bzw international registrierten Marken (IR) mit Schutzwirkung (auch) für Österreich „LADY MILLION“ (UM) und „PACO RABANNE“ (IR) sowie der Wortbildmarke (UM)
[2] Die Klägerin unterhält ein selektives Vertriebssystem qualitativer Natur, im Rahmen dessen sie ausgewählte Vertragshändler für den Vertrieb von Parfums ihrer Marken autorisiert. Nach den Bestimmungen der mit ihnen abgeschlossenen Verträge ist den so autorisierten Vertragshändlern bzw nationalen Vertriebsgesellschaften mit Sitz in der EU oder dem EWR eine Verkaufstätigkeit bzw ein Handel von Markenware an andere Vertragshändler oder Konsumenten mit Sitz in der EU oder einem EWR‑Mitgliedstaat erlaubt, hingegen ein Vertrieb an einen Beteiligten mit Sitz außerhalb der EU oder des EWR verboten. Autorisierte Vertragshändler werden nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt, die das Verfügen über einen eigenen Kassenbereich, das Vorhandensein und Anbieten von Produkten der Klägerin in entsprechender Regalbreite und -tiefe, deren Präsentation in Schaufenstern ihrem Image entsprechend sowie das Bereitstellen eines entsprechend geschulten Verkaufspersonals voraussetzen. In den einzelnen Länder-Online-Shops der Vertriebshändler der Klägerin bestehen beträchtliche Preisunterschiede hinsichtlich der klagsgegenständlichen Markenprodukte. Die Klägerin betreibt ein Tracking‑System mit individuellen Tracking‑Codes in Form von Strichcodes oder QR‑Codes, die vor Auslieferung auf den einzelnen Parfumverpackungen sowie zusätzlich auf den ausgelieferten Großkartons, in denen einzelne Produktchargen ausgeliefert werden, angebracht werden. Die Verpackungen oder Überverpackungen weisen keine darüber hinausgehenden Unterscheidungsmerkmale auf, die Rückschlüsse auf den Bestimmungsort erlauben könnten. Aus dem auf der Verpackung angebrachten Tracking‑Code kann – wenn überhaupt – durch Einlesen des Codes, der eine 12-stellige Zahlenkolonne ausweist, ausgelesen und abgeleitet werden, an welche nationale Vertriebsgesellschaft bzw welchen Vertragshändler die Ware von der Klägerin ausgeliefert worden war.
[3] Die Beklagte handelt in Österreich mithilfe eines aus rund 600 Filialen bestehenden Filialnetzes mit Drogerie- und Parfümeriewaren. 2016 und 2017 erwarben Mitarbeiter der Klägerin anlässlich von drei Käufen in Filialen der Beklagten insgesamt drei Parfums mit den Marken der Klägerin, wobei nicht festgestellt werden kann, dass die Parfums durch Lieferung der Klägerin erstmals außerhalb des EWR in Verkehr gebracht, noch dass sie an Unternehmen außerhalb des EWR versandt worden waren.
[4] Die Beklagte bewarb die Markenprodukte der Klägerin in ihrem Online‑Shop, in einer von ihr herausgegebenen Druckschrift, in einem ebenfalls von ihr herausgegebenen Magazin, sowie in Flugblättern und in Werbeeinschaltungen der Gratiszeitung „HEUTE“ und der Druckschrift „Beauty Report“.
[5] Die Beklagte schließt mit jedem einzelnen ihrer Lieferanten Codierungsvereinbarungen ab, in denen ihr die jeweiligen Lieferanten zusichern, dass nur Ware geliefert wird, die vom Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung innerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden war. Im Falle der Beanstandung sind die Lieferanten verpflichtet, der Beklagten die Lieferkette nachzuweisen und im Falle des Verstoßes durch Lieferung von Nicht-EWR-Ware zur Schad- und Klagloshaltung verpflichtet. Zudem verpflichten sich die Lieferanten, die gelieferte Ware zunächst an eine Spedition zu liefern, die auf der Unterseite oder Rückseite jedes einzelnen Produkts einen Sticker mit einem aus Buchstaben und Ziffern bestehenden sechsstelligen Code anzubringen hat, der der Beklagten die Zuordnung jedes Produkts zu einem bestimmten direkten Lieferanten der Klägerin ermöglichen soll. Nach den Bestimmungen der Codierungsvereinbarungen muss dieser Code bei Artikeln, die in einer Zellophanhülle verpackt sind, direkt auf der Zellophanhülle angebracht werden. Die direkten Lieferanten der Beklagten in Bezug auf die drei klagsgegenständlichen Parfums sind ebenso wenig feststellbar wie deren Lieferkette bis zur Klägerin.
[6] Die Klägerin begehrte von der Beklagten wie im Spruch ersichtlich. Dazu stützte sie sich auf ihre Rechte als Inhaberin der genannten Marken.
[7] Die Beklagte bestritt das Begehren und vertrat den Standpunkt, dass die Klägerin die klagsgegenständlichen Produkte vermutlich gar nicht an ihre Vertragshändler außerhalb des EWR versandt, sondern bereits vorher dem Handel im EWR zugeführt habe. Im Übrigen bestünden relevante Preisunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und finde innerhalb des selektiven Vertriebssystems der Klägerin ein nennenswerter grenzüberschreitender Handel nicht statt; ein solcher werde durch die vertragliche Vorgabe von Mindestabnahmemengen unattraktiv gemacht. Die Verbraucher könnten von den Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten nur profitieren, wenn Händler wie die Beklagte die Waren über Zwischenhändler in anderen Mitgliedstaaten erwerben und weiterverkaufen könnten. Müsse die Beklagte ihre Bezugsquellen offenlegen, würde die Klägerin von einer weiteren Belieferung der vertragsbrüchigen Händler Abstand nehmen und die Bezugsquellen der Klägerin würden versiegen, wodurch die tatsächliche Gefahr einer Marktabschottung bestünde. Daher treffe im vorliegenden Fall ohnehin die Klägerin die Beweislast für das erstmalige Inverkehrbringen der Produkte innerhalb des EWR. Ein Anspruch auf Urteilsveröffentlichung bestehe nicht, da der Verstoß bereits längere Zeit zurückliege. Die Aufklärung würde daher auch nicht die intendierte Wirkung entfalten. Im Übrigen stehe die Urteilsveröffentlichung in den begehrten Medien in keiner Relation zur behaupteten Rechtsverletzung.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche (richtig) Revision nicht zulässig sei.
[9] Die Beklagte begehrt mit ihrer außerordentlichen Revision, die Klage abzuweisen; die Klägerin beantragt mit ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist im Hinblick auf neuere Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union zulässig und berechtigt.
[11] 1.1. Kernfrage des Revisionsverfahrens ist, wem die Negativfeststellung zum erstmaligen Inverkehrbringen der bei den Testkäufen erworbenen Originalwaren zur Last fällt.
[12] 1.2. Nach ständiger nationaler Rechtsprechung ist die Beweislastverteilung revisibel; ihre grundsätzliche Regel lässt sich auf die knappe Formel bringen, dass jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (RS0039939; vgl auch RS0037797), sofern das konkret anwendbare Recht keine Sonderregeln vorsieht (vgl RS0109832).
[13] Daher trägt derjenige, der einen Anspruch behauptet, grundsätzlich für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungs- und Beweislast. Umgekehrt hat derjenige, der den Anspruch bestreitet, die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; vgl auch RS0022862).
[14] 1.3. Ein Unterlassungsanspruch wie der von der Klägerin erhobene wird durch zwei Elemente konkretisiert: Eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser zuwidergehandelt wird (vgl RS0037660).
[15] In aller Regel hat der Kläger daher die anspruchsbegründenden Tatsachen, aus denen er die Unterlassungspflicht ableitet, und eine Begehungsgefahr zu beweisen, also eine bereits erfolgte Eingriffshandlung des Beklagten oder deren Drohen (vgl RS0111375 zum Patentrecht; RS0037456 [T3], RS0012061 [T4]). Hat der Beklagte bereits gegen seine Unterlassungspflicht verstoßen, wird die Wiederholungsgefahr vermutet, sodass er für deren Wegfall behauptungs- und beweispflichtig ist (vgl RS0037661, RS0080065, RS0005402).
[16] 1.4. Anspruchsgrundlage für die Unterlassungspflicht der Beklagten ist hier Art 9, 130 UMV (vormals Art 9, 102 GMV) iVm § 2 Abs 2 und 3, § 51 Abs 1 MSchG.
[17] Gemäß Art 15 Abs 1 UMV (Art 13 Abs 1 GMV; § 10b MSchG) gewährt eine Unionsmarke ihrem Inhaber allerdings nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind (sog Erschöpfungsgrundsatz).
[18] Im Übrigen verweist Art 129 Abs 2 und 3 UMV (Art 101 Abs 2 und 3 GMV) auf das nationale materielle Recht und Verfahrensrecht, und zwar grundsätzlich auch hinsichtlich der Beweislast (vgl C‑367/21 – Hewlett Packard Rn 55 ff mwN).
[19] 1.5. Zu 4 Ob 29/00v ging der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit Art 5 und 7 MarkenRL noch davon aus, dass der Kläger das Inverkehrbringen außerhalb des EWR und das Fehlen der Zustimmung behaupten und beweisen müsse, weil es sich dabei um ein negatives Tatbestandsmerkmal handle (und nicht bloß den konsenslosen Vertrieb von mit der Marke gekennzeichneter [Original‑]Ware).
[20] Davon wich er zu 17 Ob 16/09s unter Verweis auf neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ab, insbesondere C‑244/00 , van Doren, und die darin angesprochene Warenverkehrsfreiheit nach Art 34, 36 AEUV. Seitdem ist ständige Rechtsprechung (RS0125253; vgl auch RS0118282), dass die Erschöpfung des Markenrechts nur auf Einwand des Beklagten zu prüfen ist. Der Beklagte hat dabei zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR auf den Markt gebracht wurden. Stattdessen kann er auch behaupten und beweisen, dass – etwa wegen eines ausschließlichen Vertriebssystems – eine Abschottung der Märkte innerhalb des EWR droht, wenn er seine Bezugsquellen offenlegen müsste. In diesem Fall hat der Kläger zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren erstmals außerhalb des EWR auf den Markt gebracht wurden. Gelingt dieser Beweis, müsste wiederum der Beklagte die Zustimmung des Markeninhabers zu einem (weiteren) Inverkehrbringen im EWR beweisen.
[21] Eine Anwendung dieser Grundsätze wurde bislang nicht nur für ausschließliche, sondern auch für selektive Vertriebssysteme erwogen, für Letztere jedoch jeweils im Einzelfall verneint (vgl 4 Ob 154/17a mwN).
[22] Zuletzt bekräftigte der Oberste Gerichtshof diese Rechtsansicht in seiner Entscheidung vom 12. 9. 2023 zu 4 Ob 52/23k. Aus der Entscheidung C‑175/21 , Harman (insb Rn 50 ff), des Gerichtshofs der Europäischen Union könne nichts Gegenteiliges abgeleitet werden.
[23] 1.6. In seinem Urteil vom 18. 1. 2024 zu C‑367/21 , Hewlett Packard,antwortete der EuGH auf eine Vorlagefrage allerdings, dass Art 15 Abs 1 UMV (bzw Art 13 GMV) in Verbindung mit den Art 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sei, dass „sie dem entgegenstehen, dass die Beweislast für die Erschöpfung des Rechts aus einer Unionsmarke ausschließlich den Beklagten eines Verletzungsverfahrens trifft, wenn die mit dieser Marke versehenen Waren, die keine Kennzeichen aufweisen, die es Dritten ermöglichen würden, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen und die über ein selektives Vertriebsnetz verteilt werden, dessen Mitglieder die Waren nur an andere Mitglieder dieses Netzes oder an Endverbraucher weiterverkaufen dürfen, von diesem Beklagten in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum erworben wurden, nachdem er von den Verkäufern die Zusicherung erhalten hatte, dass die Waren im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften dort vertrieben werden dürfen, und der Inhaber der Marke sich weigert, selbst eine solche Überprüfung auf Verlangen des Käufers vorzunehmen“.
[24] Die dortige Markeninhaberin und Klägerin vertreibt Computerhardware, die mit ihren Marken versehen ist, über autorisierte Vertreter, die sich verpflichten, die Hardware nicht an Personen – ausgenommen Endverbraucher – zu verkaufen, die nicht zum Vertriebsnetz der Klägerin gehören. Diese autorisierten Vertreter sind zudem gehalten, diese Waren nur von anderen autorisierten Vertretern oder von der Markeninhaberin selbst zu erwerben. Ähnlich wie hier waren die Produkte mit Seriennummern versehen, von denen die dortige Markeninhaberin, nicht aber ein Dritter, den Bestimmungsmarkt ableiten konnte.
[25] Die dortige Beklagte erwarb Originalprodukte von im EWR ansässigen Verkäufern, die keine offiziellen Vertragshändler waren, aber zugesichert hatten, dass der Vertrieb der Waren im EWR die ausschließlichen Rechte der Markeninhaberin nicht verletze. Überdies forderte die dortige Beklagte von autorisierten Vertretern der Markeninhaberin – vergeblich – eine Bestätigung ein, dass diese Waren im EWR ohne Beeinträchtigung der ausschließlichen Rechte in Verkehr gebracht werden können.
[26] Der EuGH hielt unter Wiedergabe seiner bisherigen Rechtsprechung fest (Rn 58 ff), dass eine Regel des nationalen Rechts, nach der die Erschöpfung des Rechts aus einer Marke eine Einwendung darstellt, sodass die Beweislast den Beklagten trifft, grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar sei, allerdings die Erfordernisse des Schutzes des freien Warenverkehrs eine Modifizierung dieser Beweisregel gebieten können. Die nationalen Modalitäten der Beweiserhebung und Beweiswürdigung seien zu modifizieren, wenn sie es dem Inhaber der Marke ermöglichen könnten, die nationalen Märkte abzuschotten und damit den Fortbestand von bestehenden Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Folglich sei es Sache des nationalen Gerichts, eine Modifizierung der Beweislastverteilung für die Erschöpfung des Rechts aus einer Marke vorzunehmen, wenn der Beklagte eines Verletzungsverfahrens in Fällen, in denen er selbst die Beweislast für das Inverkehrbringen der Waren in der Union oder im EWR durch den Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung tragen müsste, nachweisen könne, dass eine tatsächliche Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte bestehe.
[27] In concreto stellte der EuGH darauf ab (Rn 61 ff), dass die Markeninhaberin ein selektives Vertriebsnetz betreibt, in dessen Rahmen die mit den Marken versehenen Waren keine Kennzeichen aufweisen, die es Dritten ermöglichen würden, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen; dass die Markeninhaberin die Preisgabe dieser Information an Dritte ablehnt; und dass die Lieferanten der Beklagten nicht dazu geneigt sind, ihre eigenen Bezugsquellen offenzulegen. In einem solchen Vertriebssystem verpflichte sich der Lieferant üblicherweise, die vertraglichen Waren mittelbar oder unmittelbar nur an Händler zu verkaufen, die auf der Grundlage von festgelegten Kriterien ausgewählt worden sind, und diese Händler, die Waren nicht an Händler zu verkaufen, die in dem Gebiet, auf das der Lieferant die Durchführung dieses Vertriebssystems begrenzt hat, nicht autorisiert sind.
[28] Unter solchen Umständen dem Beklagten des Verletzungsverfahrens die Beweislast für den Ort aufzuerlegen, an dem die mit der Marke versehenen Waren, die er vertreibt, vom Inhaber dieser Marke oder mit seiner Zustimmung zum ersten Mal in den Verkehr gebracht wurden, könnte es dem Markeninhaber ermöglichen, Parallelimporten von mit dieser Marke versehenen Waren entgegenzuwirken, obwohl die Beschränkung des freien Warenverkehrs, die daraus folgen würde, nicht durch den Schutz des Rechts aus dieser Marke gerechtfertigt wäre. Der Beklagte des Verletzungsverfahrens hätte nämlich aufgrund der nachvollziehbaren Vorbehalte seiner Lieferanten, ihre Bezugsquellen innerhalb des Vertriebsnetzes offenzulegen, erhebliche Schwierigkeiten, einen solchen Beweis zu erbringen. Selbst wenn dem Beklagten der Nachweis gelänge, könnte der Markeninhaber für die Zukunft jede weitere Bezugsmöglichkeit bei dem Mitglied seines Vertriebsnetzes, das gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen hat, unterbinden.
[29] Folglich sei es unter diesen Umständen Sache des angerufenen nationalen Gerichts, eine Modifizierung der Beweislastverteilung für die Erschöpfung des Rechts aus den Unionsmarken vorzunehmen, indem es dem Markeninhaber die Beweislast dafür auferlegt, dass er das erste Inverkehrbringen von Exemplaren der betreffenden Waren außerhalb des Gebiets der Union oder des EWR vorgenommen oder genehmigt hat. Gelingt dieser Nachweis, werde es dem Beklagten des Verletzungsverfahrens obliegen, nachzuweisen, dass dieselben Exemplare anschließend vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung in den EWR eingeführt worden sind.
[30] 1.7. Die zu 17 Ob 16/09s (RS0125253) aufgestellten Grundsätze müssen angesichts dieser neuen Ausführungen zum Verhältnis zwischen den Rechten aus einer (Unions-)Marke und der europäischen Warenverkehrsfreiheit daher dahingehend ergänzt werden, dass eine Abschottung der Märkte im EWR, die vom Beklagten zu beweisen ist und zu einer Beweislast des Klägers für das erste Inverkehrbringen außerhalb des EWR führt, auch bei einem selektiven Vertriebssystem drohen kann, dessen Mitglieder die Waren nur an andere autorisierte Vertragshändler und Endverbraucher im EWR verkaufen dürfen.
[31] Zusätzlich ist erforderlich, dass die mit der Marke versehenen (Original‑)Waren keine Kennzeichen aufweisen, die es einem Dritten ermöglichen, den Markt zu ermitteln, für den sie bestimmt sind, und von Seiten des Markeninhabers (auch sonst) keine Auskunft darüber erlangt werden kann.
[32] Schließlich müssen die Waren vom Beklagten im EWR erworben worden sein, nachdem er von seinem Verkäufer die (glaubhafte) Zusicherung erhalten hat, dass diese im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften dort vertrieben werden dürfen, aber der Verkäufer (aus objektiv nachvollziehbaren Gründen) nicht zu einer Offenlegung seiner Bezugsquellen bereit ist, weil diesfalls die Unterbindung des Parallelhandels von Seiten des Markeninhabers zu erwarten ist.
[33] 2.1.1. Im vorliegenden Fall ist der Beklagten der Nachweis einer Marktabschottung im Sinne dieser jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gelungen:
[34] 2.1.2. Die Klägerin unterhält ein mit jenem zu C‑367/21 , Hewlett Packard,vergleichbares selektives Vertriebssystem.
[35] 2.1.3. Des Weiteren sind die einzelnen Waren zwar mit „Tracking-Codes“ versehen, Vertragshändlern oder Dritten ist es jedoch unstrittig nicht möglich, aufgrund der Verpackung bzw aus diesem Zahlencode den Ort des Inverkehrbringens bzw den Bestimmungsmarkt zu ermitteln.
[36] Konkrete Feststellungen zu einer Auskunftsverweigerung wurden hier zwar nicht getroffen; dennoch erscheint insofern keine Aufhebung erforderlich. Der Gerichtshof der Europäischen Union musste schon wegen der Fragestellung auf eine solche Bezug nehmen, erkennbarer Hintergrund ist aber die Überlegung, dass es dem potenziellen Käufer nicht möglich ist, den Ort des erstmaligen Inverkehrbringens von bestimmten Waren zu ermitteln, sei es durch ein selbstständiges Auslesen von Codes, eine Datenbank oder eine Anfrage. Dies war hier unstrittig der Fall, zumal ja nicht einmal im gerichtlichen Beweisverfahren unter Beiziehung eines Sachverständigen entsprechende Nachweise gelangen.
[37] 2.1.4. Letztlich wurde festgestellt, dass die Beklagte mit ihren Lieferanten Codierungsvereinbarungen abschließt, in denen ihr diese zusichern, dass nur Ware geliefert wird, die vom Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung innerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden war. Auch damit wird eine Voraussetzung erfüllt, die gemäß dem EuGH zu C‑367/21 dazu führt, der Klägerin die Beweislast für das erstmalige Inverkehrbringen zuzuweisen.
[38] 2.2. Die Klägerin argumentiert in ihrer Revisionsbeantwortung schließlich, dass ausgehend von den hier getroffenen Feststellungen über Preisunterschiede von lediglich weniger als 9 % bzw knapp über 8 % die grenzüberschreitenden Lieferungen im Binnenmarkt durch das Vertriebssystem der Klägerin nicht nachhaltig und erfolgreich unterbunden würden.
[39] Der EuGH stellte allerdings zu C‑367/21 , Hewlett Packard,allein auf die Umstände ab, „wie sie in Rn 61 des vorliegenden Urteils aufgezeigt wurden“ (vgl Rn 66, 67), nämlich, „dass die Inhaberin der betreffenden Unionsmarken ein selektives Vertriebsnetz betreibt, in dessen Rahmen die mit diesen Marken versehenen Waren keine Kennzeichen aufweisen, die es Dritten ermöglichen würden, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen, dass die Markeninhaberin die Preisgabe dieser Information an Dritte ablehnt und dass die Lieferanten der Beklagten nicht dazu geneigt sind, ihre eigenen Bezugsquellen offenzulegen“. Auch das anfragende Gericht hatte dort keine Preisunterschiede festgestellt oder eine tatsächliche Gefahr einer Marktabschottung konstatiert. Vielmehr ging der Gerichtshof davon aus (vgl Rn 63), dass in derartigen Konstellationen eine Beweislast des Beklagten dem Markeninhaber ermöglichen könnte, Parallelimporten entgegenzuwirken, obwohl die Beschränkung des freien Warenverkehrs, die daraus folgen würde, nicht durch den Schutz des Rechts aus dieser Marke gerechtfertigt wäre.
[40] 2.3. Im Ergebnis liegen daher alle zu C‑367/21 , Hewlett Packard, geforderten Voraussetzungen vor, um der Klägerin die Beweislast für das erstmalige Inverkehrbringen zuzuweisen, sodass die Negativfeststellung – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – zu Lasten der Klägerin geht.
[41] Da die Beweislast stets Thema des Verfahrens war und die Klägerin den Beweis des ersten Inverkehrbringens auch angetreten hat, ihn in conreto aber nicht mit der im Hauptverfahren erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit (vgl RS0110701 uvm) erbringen konnte, ist eine Aufhebung der Entscheidungen iSd §§ 182, 182a ZPO zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht erforderlich.
[42] Die Urteile der Vorinstanzen sind sohin in eine Abweisung des Unterlassungsbegehrens sowie der davon abhängigen Veröffentlichungsbegehren abzuändern. Ein Eingehen auf weitere in der Revision ins Treffen geführte Argumente ist damit entbehrlich.
[43] 3. Die Abänderung in der Hauptsache führt auch zu einer neuen Entscheidung über die Kosten aller drei Instanzen, die auf § 41 ZPO beruht, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO.
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