OGH 4Ob149/07a

OGH4Ob149/07a4.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Wettbewerbsschutzverband *****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Schütz, Rechtsanwalt in Stixneusiedl, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 36.340 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 25. April 2007, GZ 4 R 68/07h-11, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 5. Februar 2007, GZ 15 Cg 126/06g-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Begehren,

1. die beklagte Partei sei schuldig, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken ab sofort jede Art von Ankündigung des Offenhaltens an mehr als sechs Sonn- oder Feiertagen pro Jahr und/oder das Offenhalten an mehr als sechs Sonn- oder Feiertagen pro Jahr, je für die Filiale in *****, zu unterlassen,

2. der klagenden Partei werde die Ermächtigung erteilt, den stattgebenden Teil des Urteilsspruchs in den Punkten Unterlassung und Urteilsveröffentlichung binnen 12 Monaten ab Rechtskraft auf Kosten der Beklagten, mit Fettdruckumrandung und Fettdrucküberschriften sowie gesperrt geschriebenen Parteien und Parteienvertretern, in Normallettern und Normalabstand im redaktionellen Textteil einer Samstagsausgabe der „Oberösterreichischen Nachrichten", Linz, veröffentlichen zu lassen,

abgewiesen werden.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 9.418,10 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 2.102 EUR Barauslagen, 1.219,35 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt ein Blumengeschäft in L*****, das sie an mehr als sechs Sonn- und Feiertagen im Jahr offen hält. In einer Parallelstraße befindet sich etwa auf gleicher Höhe ein Seniorenheim. Der kürzeste Weg vom Blumengeschäft zum Heim führt über einen Wochenmarkt in jenem Häusergeviert, das durch die beiden Parallelstraßen begrenzt ist. Die Entfernung beträgt etwa 120 m; es müssen keine Straßen überquert werden.

Der klagende Verein vertritt unter anderem die oberösterreichische Landesinnung der Gärtner und Floristen. Er beantragt, der Beklagten das Offenhalten des Geschäfts an mehr als sechs Sonn- und Feiertagen und das Ankündigen eines solchen Offenhaltens zu untersagen; weiters begehrt er die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Die Beklagte verstoße gegen das Sonn- und Feiertags-Betriebszeitengesetz (BZG). Die Ausnahmeregelung in Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur Arbeitsruhegesetz-Verordnung (ARG-VO) erlaube nur das Offenhalten von Blumengeschäften „bei Krankenanstalten". Ein Seniorenheim sei keine Krankenanstalt. Zudem liege das Geschäft nicht „beim" Seniorenheim, sondern in einer Entfernung von 300 bis 350 m. Es bestehe kein Sichtkontakt, vielmehr führe der Weg durch einen Hinterhof und über einen Wochenmarkt. Außerdem gebe es zwei Blumenhändler, deren Geschäfte näher am Seniorenheim lägen als jenes der Beklagten.

Die Beklagte beruft sich auf die vom klagenden Verein genannte Ausnahmebestimmung in Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO. Beim Seniorenzentrum handle es sich um ein „Pflegeheim" im Sinne des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes, das in unmittelbarer Nähe des Blumengeschäfts liege.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Ausnahmebestimmung sei eng auszulegen. Das Blumengeschäft liege nicht in unmittelbarer Nähe und daher nicht mehr „beim" Seniorenheim. Auf die Frage, ob es sich dabei überhaupt um eine Krankenanstalt handle, müsse daher nicht mehr eingegangen werden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu. Das Erstgericht habe zwar das Tatbestandsmerkmal der räumlichen Nähe sehr eng ausgelegt. Eine abschließende Klärung dieser Frage sei aber nicht erforderlich, weil das Seniorenheim jedenfalls keine Krankenanstalt sei. Dass die Bewohner dort ärztlich betreut würden, reiche dafür nicht aus. Nach § 6 Abs 1 des oö Krankenanstaltengesetzes 1997 bedürfe der Betrieb einer Krankenanstalt einer Bewilligung durch die Landesregierung. Dass es eine solche Bewilligung gebe, habe die Beklagte nicht einmal behauptet. Auf allenfalls konsenswidrig geführte Krankenanstalten sei die Regelung nicht anwendbar. Eine Analogie scheitere am Grundsatz, dass Ausnahmebestimmungen einschränkend auszulegen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zur analogen Anwendung von Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO auf Alten- und Pflegeheime fehlt. Sie ist auch berechtigt.

1. Gegen § 1 UWG verstößt, wer sich durch einen zu Wettbewerbszwecken begangenen Rechtsbruch einen Vorsprung gegenüber Mitbewerbern verschafft (RIS-Justiz RS0078089, RS0077931). Der Gesetzesverstoß muss subjektiv vorwerfbar sein. Maßgebend ist, ob die Auffassung des belangten Mitbewerbers über den Inhalt der angeblich verletzten Norm durch das Gesetz so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten kann (4 Ob 331/82 = SZ 56/2 - Metro-Post; RIS-Justiz RS0077771; zuletzt etwa 4 Ob 29/07d). Es ist daher zu prüfen, ob die Beklagte mit guten Gründen annehmen konnte, auch an Sonn- und Feiertagen zum Offenhalten ihres Blumengeschäfts befugt zu sein.

2. Ausgangspunkt für die Beurteilung dieser Frage ist § 2 Abs 1 lit a BZG. Diese Bestimmung gestattet ganz allgemein - also ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich Arbeitnehmer beschäftigt werden oder nicht - jede Gewerbeausübung an Sonn- und Feiertagen, zu deren Durchführung nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften die Beschäftigung von Arbeitnehmern zulässig ist (RIS-Justiz RS0052485). Gewerbe- und Arbeitszeitrecht laufen daher in diesem Bereich parallel.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht maßgebend ist das Arbeitsruhegesetz (ARG) iVm der zu dessen § 12 ergangenen Arbeitsruhegesetz-Verordnung (ARG-VO). Die Anlage zu dieser Verordnung enthält eine Aufzählung von Tätigkeiten, für die auch an Sonn- und Feiertagen Arbeitnehmer beschäftigt werden dürfen. Sie ist zwar als Ausnahme von den Arbeitnehmerschutzbestimmungen einschränkend auszulegen (RIS-Justiz RS0051695). Kriterium ist aber auch hier die Vertretbarkeit, nicht die Richtigkeit der Auslegung (idS zuletzt 4 Ob 170/06p und 4 Ob 173/06d).

3. Nach Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO ist von der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ausgenommen „in Betrieben der Bundesinnung der Gärtner und Blumenbinder die Betreuung der Kunden im Detailverkauf bei Friedhöfen während der Öffnungszeiten und bei Krankenanstalten während der Besuchszeiten".

3.1. Das Berufungsgericht hat an sich richtig erkannt, dass Alten- und Pflegeheime nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keine „Krankenanstalten" sind. Dem entspricht auch die Definition in § 1 des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten, das nach Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG dem von den Vorinstanzen herangezogenen Landesgesetz zugrunde liegt. Danach sind unter Krankenanstalten (Heil- und Pflegeanstalten) Einrichtungen zu verstehen, „die zur Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustands durch Untersuchung, zur Vornahme operativer Eingriffe, zur Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung, zur Entbindung oder für Maßnahmen medizinischer Fortpflanzungshilfe bestimmt sind" (Abs 1). Ferner sind als Krankenanstalten auch Einrichtungen anzusehen, die „zur ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken bestimmt sind" (Abs 2).

Alter und die damit unter Umständen verbundene Hinfälligkeit, die eine Betreuung in einem Altersheim (Pflegeheim, Seniorenheim) notwendig machen kann, ist auch bei weiter Auslegung nicht als „Krankheit" im Sinn dieser Bestimmung anzusehen. Ihr Wortlaut deckt das Offenhalten des Geschäfts daher tatsächlich nicht.

3.2. Allerdings schließt auch eine taxative Aufzählung das Vorliegen einer "teleologischen" oder "unechten" Lücke nicht aus, bei der der Normzweck in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer Norm auf einen nicht unmittelbar geregelten Fall fordert. Analogie ist auch bei einer taxativen Aufzählung möglich und geboten, wenn ein nicht besonders angeführter Sachverhalt alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (4 Ob 364/87 = SZ 60/172 - Videokassettenverleih; RIS-Justiz RS0008839). Daher sind auch Ausnahmeregelungen im Rahmen ihrer engeren ratio legis der ausdehnenden Auslegung und auch der Analogie fähig (4 Ob 230/02f = SZ 69/159 - www.meischi.at) .

Der Zweck von Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO liegt darin, all denen, die einen Friedhof während der Öffnungszeiten oder eine Krankenanstalt während der Besuchszeiten aufsuchen wollen, die Möglichkeit zu verschaffen, unmittelbar vor dem Besuch Blumen zu kaufen, und zwar auch dann, wenn der Besuch - was gerade bei Kranken- und Friedhofsbesuchen typisch ist - in eine Zeit fällt, zu der Sonn- und Feiertagsruhe herrscht (4 Ob 393/87 = SZ 60/254 - Blumen-Sonntagsverkauf; RIS-Justiz RS0051699).

Dieser Regelungszweck erfasst in gleicher Weise Besuche in Alten- und Pflegeheimen (Seniorenheimen): Bewohner solcher Heime sind ebenso wie Patienten in Krankenhäusern typischerweise nicht (mehr) mobil und daher zur Pflege ihrer sozialen Kontakte auf Besuche angewiesen. Das gilt wegen der regelmäßig längeren Verweildauer sogar in noch höherem Maße als bei Krankenhauspatienten. Wie in Krankenanstalten finden solche Besuche oft an Sonn- und Feiertagen statt, und Blumen sind typische Geschenke. Es ist daher kein Grund erkennbar, warum die strittige Bestimmung zwar Krankenanstalten (und Friedhöfe) erfassen sollte, nicht aber Alten- und Pflegeheime (Seniorenheime).

Da Krankenanstalten und Friedhöfe für die Anwendung von I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO keine Mindestgröße aufweisen müssen, kommt es auf die Anzahl der Bewohner eines Alten- und Pflegeheims grundsätzlich nicht an. Die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung könnte zwar rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie angesichts eines nicht oder kaum vorhandenen Bedarfs in Wahrheit nur dazu diente, das Offenhalten für andere Kunden zu rechtfertigen. Dafür gibt es hier aber keinen Anhaltspunkt.

Die Auffassung der Beklagten, dass auch solche Blumengeschäfte unter Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO fallen, die bei Alten- und Pflegeheimen (Seniorenheimen) liegen, ist daher mit guten Gründen vertretbar.

3.3. Ob ein Blumengeschäft „bei" einem Friedhof, einer Krankenanstalt oder einem Alten- und Pflegeheim liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl 4 Ob 12/88, 4 Ob 37/88). Hier befindet sich das Blumengeschäft nur etwa 120 m vom Seniorenzentrum entfernt, zudem ist es durch den Innenhof eines Häusergevierts leicht erreichbar. Daher ist anzunehmen, dass (auch) viele Besucher des Heims das Angebot des Geschäfts nutzen werden. Zwar werden sie angesichts der örtlichen Gegebenheiten eher nicht zufällig dort vorbeikommen und sich spontan zu einem Blumenkauf entschließen. Gerade in Alters- und Pflegeheimen sind aber regelmäßige Besuche üblich, was die Annahme erlaubt, dass die Besucher mit der Zeit auch die nähere Umgebung kennen lernen. Daher ist es durchaus wahrscheinlich, dass nicht wenige von ihnen das - wenngleich nicht unmittelbar auf ihrem Weg liegende - Geschäft bewusst aufsuchen.

Unerheblich wäre es auch, wenn es, wie der Kläger behauptet, andere Blumengeschäfte in noch geringerer Entfernung zum Heim gäbe. Denn Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO ist nicht zu entnehmen, dass diese Bestimmung nur die jeweils nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit - die zudem nicht an jedem Sonn- und Feiertag geöffnet haben muss - erfasste. Die Existenz solcher Geschäfte kann zwar eines der Elemente bei der Beurteilung der räumlichen Nahebeziehung sein (4 Ob 12/88). Im vorliegenden Fall fiele dieses Element aber wegen der geringen Entfernung und der leichten Erreichbarkeit des strittigen Geschäfts von vornherein nicht entscheidend ins Gewicht.

3.4. Aufgrund dieser Erwägungen ist die Auffassung der Beklagten, sie dürfe ihr Geschäft aufgrund von Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO auch an Sonn- und Feiertagen offen halten, jedenfalls so lange vertretbar, als nicht gegenteilige Entscheidungen von Verwaltungsbehörden oder des Verwaltungsgerichtshofs vorliegen. Die Klage ist daher abzuweisen.

Allgemein gilt: Die Auffassung, dass Punkt I.2.c)aa) der Anlage zur ARG-VO analog auf Alten- und Pflegeheime anzuwenden sei, ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht mit guten Gründen vertretbar.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf (§ 50 iVm) § 41 ZPO. Die Beklagte hat Anspruch auf Ersatz der notwendigen und zweckmäßigen Kosten der Rechtsverteidigung.

4.1. Die Kosten der anwaltlichen Vertretung sind nur auf einer Bemessungsgrundlage von 36.340 EUR zu bestimmen, was zu einer entsprechenden Reduktion der Ansätze in den Kostenverzeichnissen der Beklagten führt. Gleiches gilt für die Pauschalgebühr im Berufungs- und im Revisionsverfahren. Inländische Postentgelte sind nach § 23 Abs 1 RATG vom Einheitssatz erfasst und schon aus diesem Grund nicht zu ersetzen.

4.2. Die Beklagte verzeichnet Kopierkosten für sechs Urkunden, die sie der Klagebeantwortung in Ablichtung beigelegt hatte. Dabei verrechnet sie 0,40 EUR pro Seite (insgesamt 2,40 EUR), ohne die Höhe dieses Betrags weiter zu bescheinigen.

(a) Die Ersatzfähigkeit von Kopierkosten wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und der Instanzgerichte nicht einheitlich beurteilt. Der erkennende Senat hat sie in 4 Ob 286/99h bejaht, ebenso das OLG Innsbruck in 2 R 164/06v, das OLG Linz in 4 R 156/99k und ein strafrechtlicher Senat des OLG Wien in 18 Bs 52/02. Demgegenüber nehmen andere Senate des Obersten Gerichtshofs (zuletzt 6 Ob 14/01d und 7 Ob 76/07p) sowie die Oberlandesgerichte Graz (5 R 147/02f) und Wien (15 R 68/05p) an, dass das Herstellen von Ablichtungen vom Einheitssatz erfasst sei und daher nicht gesondert honoriert werden könne. Wieder andere Entscheidungen lassen diese Frage offen und lehnen den Ersatz mit der Begründung ab, dass der Ersatzwerber Notwendigkeit und Höhe der Kopierkosten nicht bescheinigt habe (8 Ob 8/02p, OLG Wien 4 R 12/06y).

(b) In der Lehre bejaht Korn (Kopierkosten und Einheitssatz, RZ 2006, 242) die Ersatzfähigkeit der Kosten von Ablichtungen, die nicht für den Schriftsatz- oder Korrespondenzaufwand des Anwalts erforderlich seien. Das betreffe insbesondere die Ablichtung von vorzulegenden Urkunden. Diese Kosten seien jedenfalls dann als Barauslagen iSv § 16 RATG zu ersetzen, wenn der Anwalt die Ablichtungen außerhalb seiner Kanzlei gegen Entgelt anfertigen lasse. Mangels sachlicher Rechtfertigung einer Differenzierung müsse das aber auch dann gelten, wenn die Ablichtungen in der Kanzlei des Anwalts hergestellt würden. Der Einheitssatz erfasse solche Kosten jedenfalls nicht.

Nigl (Sind Kopierkosten gesondert zu vergüten? RZ 2007, 92) hält dem entgegen, dass der Begriff „Barauslagen" in § 16 RATG einschränkend auszulegen sei. Er erfasse nur jene Kosten, die nicht mit dem Kanzleiaufwand des Rechtsanwalts zusammenhingen. Dieser Aufwand werde schon durch das Honorar der jeweiligen anwaltlichen Leistung (nicht erst durch den Einheitssatz) abgedeckt und könne daher nicht als (weitere) Barauslagen ersetzt verlangt werden. Das gelte auch dann, wenn der Anwalt die Leistung - etwa an eine Kopierstelle - auslagere.

(c) Diese Ausführungen überzeugen.

Korn weist zwar zutreffend darauf hin, dass solche Kopierkosten nicht unter den Einheitssatz fallen. Denn dieser erfasst nach § 23 Abs 1 RATG nur die in den Tarifposten 5, 6 und 8 genannten Nebenleistungen und den Ersatz von Postgebühren im Inland, nicht aber (andere) Barauslagen. Darauf kommt es aber nicht an. Denn „andere Auslagen" iSv § 16 RATG sind nur solche, die in einer Zahlung an Dritte bestehen, und zwar insbesondere zur Honorierung der von diesen erbrachten Leistungen. Das ergibt sich aus der Systematik von § 16 RATG: Sowohl die Umsatzsteuer als auch Pauschalgebühren und Postentgelte sind an Dritte zu leisten; gleiches gilt für die Kosten eines Einvernehmensanwalts. Die in § 16 RATG genannten „anderen Auslagen" können daher ebenfalls nur in diesem Sinn verstanden werden. Kanzleiinterner Aufwand fällt nicht darunter.

Für interne Kopierkosten kann nichts anderes gelten: Das Herstellen von Kopien (welcher Art auch immer) ist eine geradezu typische Kanzleitätigkeit, die mit der Führung fast jeden Prozesses verbunden ist. Wollte man diese Leistung in bestimmten Fällen gesondert honorieren, so stellte sich sofort die Frage, warum das nicht auch für andere Formen des kanzleiinternen Personal- und/oder Sachaufwands gelten sollte (etwa die Anschaffung eines Fachbuchs für einen bestimmten Fall, anteilige Kosten einer Fachzeitschrift, oder anteilige Kosten einer in der Kanzlei angestellten wissenschaftlichen Hilfskraft). Auch das spricht gegen einen gesonderten Ersatz. Vielmehr ist anzunehmen, dass die mit anwaltlichen Leistungen - insbesondere mit einer Urkundenvorlage - verbundenen Kopierkosten vom Honorar für die jeweilige Leistung gedeckt sind.

Der Anwalt wird dadurch, was für die Auslegung des RATG durchaus von Bedeutung ist, nicht unbillig belastet. Der Sachaufwand für eine Kopie liegt weit unter dem von der Beklagten angesetzten Betrag von 0,40 EUR. Kopieranstalten verrechnen bei Selbstbedienung, wenn überhaupt, nur ein Zehntel davon; die Selbstkosten eines Anwalts werden kaum höher sein. Dass bei Gericht für unbeglaubigte Aktenabschriften 0,40 EUR je Seite zu zahlen sind (Anmerkung 6 zu TP 15 GGG), beruht darauf, dass damit auch der Aufwand in der Geschäftsabteilung (Ausheben des Akts etc) abgegolten werden muss. Dieser Betrag kann somit nicht als Anhaltspunkt für den reinen Kanzleiaufwand des Anwalts herangezogen werden. Die Kopierkosten werden daher im Regelfall keine Höhe erreichen, die einen gesonderten Verzeichnungs- und Bestimmungsaufwand lohnt. Das mag einer der Gründe sein, warum das RATG keine diesbezügliche Ersatzregelung enthält, obwohl eine solche durchaus möglich wäre.

Eine außergewöhnlich hohe Zahl von Kopien kann zwar zu einer merkbaren finanziellen Belastung der Kanzlei führen. Das wird aber in der Regel nur bei Prozessen mit höherem Streitwert vorkommen. Das Entlohnungssystem des RATG spiegelt aber ohnehin den Umstand wider, dass Prozesse mit hohem Streitwert typischerweise auch einen höheren Aufwand erfordern als solche mit geringem Streitwert. Das gilt - bei der für die Auslegung des RATG gebotenen Durchschnittsbetrachtung - auch für die Anzahl der vorzulegenden Urkunden. Kopien sind dabei ohnehin nur dann im strengen Sinn erforderlich, wenn die Vorlage mit einem Schriftsatz erfolgt und daher nach § 81 ZPO auch „Abschriften" der Beilagen anzuschließen sind. Die Schriftsatzkosten werden den damit verbundenen Aufwand bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung in aller Regel abdecken. Gleiches gilt für die Kosten der Verhandlung, wenn man auch in diesem Fall die Ausfolgung eines Urkundendoppels an den Gegner für erforderlich oder zumindest angebracht hält. Dem Gericht selbst kann die Partei ohnehin die Originale vorlegen.

Es ist daher mit der überwiegenden Rechtsprechung daran festzuhalten, dass kanzleiinterne Kopierkosten keine ersatzfähigen „anderen Auslagen" iSv § 16 RATG sind.

(d) Gegen dieses Ergebnis wendet Korn ein, dass dadurch eine Ungleichbehandlung gegenüber „ausgelagerten" Kopierkosten entstünde. Dieses Argument beruht allerdings auf der Prämisse, dass die letztgenannten Kosten jedenfalls ersatzfähig seien. Das trifft aber nicht zu. Denn wenn, was regelmäßig der Fall ist, die Kopien auch in der Kanzlei hergestellt werden könnten, ist die Auslagerung an Dritte nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich. Daher erhielte die siegreiche Partei auch in einem solchen Fall die Kopierkosten nicht ersetzt. Anderes würde nur dann gelten, wenn die Kopien aus objektiven Gründen nicht in der Kanzlei hergestellt werden konnten, etwa weil das Original nur an einem bestimmten Ort zur Verfügung stand (etwa bei einem Gericht oder einer Behörde) oder weil es ein atypisches Format aufwies. Das wäre jedoch im Einzelfall zu behaupten und zu bescheinigen. Hier liegen keine solchen Umstände vor.

(e) Der Kläger ist daher nicht verpflichtet, die Kopierkosten zu ersetzen. Allgemein gilt: Werden in der Kanzlei eines Anwalts Urkunden für die Vorlage bei Gericht kopiert, so fällt der damit verbundene Sachaufwand nicht unter den Begriff der „anderen Auslagen" iSv § 16 RATG; vielmehr ist auch dieser Aufwand durch das Honorar für jene anwaltliche Leistung abgedeckt, mit der die Vorlage erfolgt. Müssen die Kopien außerhalb der Kanzlei hergestellt werden, so sind die damit verbundenen Auslagen nur dann zu ersetzen, wenn diese Vorgangsweise zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlich war.

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