OGH 4Ob131/16t

OGH4Ob131/16t30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers DI P***** R*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die Beklagte T***** plc, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, in eventu Leistung (Streitwert 30.100 EUR), über den Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 14. April 2016, GZ 15 R 47/16s-31, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 4. Februar 2016, GZ 10 Cg 17/15s‑24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00131.16T.0830.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss wie folgt zu lauten hat:

„1. Die Einrede der internationalen Unzuständigkeit wird verworfen.

2. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ist örtlich unzuständig.

3. Die Rechtssache wird an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Klagenfurt überwiesen.

4. Die Kosten des Zwischenstreits über die Zuständigkeit werden gegenseitig aufgehoben.“

Begründung

Der Kläger begehrt mit der am 27. 1. 2015 eingebrachten Klage die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus ihrer Mitwirkung an der Manipulation des Referenzzinssatzes LIBOR in Schweizer Franken; eventualiter stellt er ein Leistungsbegehren. Die Beklagte habe zwischen Mai 2008 und Juli 2009 rechtswidrig und schuldhaft an der Manipulation des LIBOR‑Referenzzinssatzes in Schweizer Franken mitgewirkt. Durch dieses rechtswidrige und schuldhafte Verhalten sei dem Kläger ein Schaden in seinem Vermögen durch höheren Zinsaufwand entstanden, weil bei dem von ihm bei einer österreichischen Bank aufgenommenen Kredit die Anpassung des Sollzinssatzes an den LIBOR vereinbart worden sei. Die Zuständigkeit des österreichischen Gerichts gründe sich insbesondere auf Art 7 EuGVVO. Die Beklagte habe eine Zweigniederlassung in Wien.

Die Beklagte wendete die örtliche (internationale) Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Sie habe ihren Sitz in Großbritannien. Auch wenn sie in Wien eine Zweigniederlassung betreibe, so setze der Gerichtsstand der Zweigniederlassung nach Art 7 Nr 5 EuGVVO einen Streit aus dem Betrieb der Zweigniederlassung voraus, der jedoch nicht vorliege. Im Übrigen sei der Kläger durch den behaupteten Kartellrechtsverstoß – wenn überhaupt – nur mittelbar geschädigt.

Der Kläger stellte für den Fall, dass sich das Erstgericht für unzuständig erachte, den Antrag auf Überweisung an das Landesgericht Klagenfurt. Dies sei das Wohnsitzgericht des Klägers und somit nicht offenbar unzuständig. Darüber hinaus sei jedenfalls dort der Schaden eingetreten.

Das Erstgericht wies die Klage zurück und den Überweisungsantrag an das Landesgericht Klagenfurt ab. Die Zuständigkeitstatbestände nach Art 7 Z 2, Z 5 bzw Z 7 EuGVVO seien ebenso wenig erfüllt, wie jener nach Art 17 iVm Art 2 EuGVVO. Das angerufene Gericht und damit auch das Landesgericht Klagenfurt seien international nicht zuständig.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs im Hinblick auf den (großen) Einfluss des LIBOR auf den Geld- und Kreditverkehr zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der – von der Beklagten beantwortete – Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Bejahung der Zuständigkeit anstrebt, ist zulässig und teilweise berechtigt.

In einem Parallelverfahren, 4 Ob 120/16z, dem ein praktisch identer Sachverhalt mit derselben Beklagten und identen Parteienvertretern zugrunde liegt, hat der Senat zur internationalen Zuständigkeit bei (mittelbaren) Schäden aus Kartellrechtsverstößen wie folgt ausgesprochen:

Gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderem Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bildend, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Als Delikt im Sinn dieser Bestimmung werden in der Rechtsprechung unerlaubte Handlungen angesehen, welche eine Schadenshaftung des Beklagten nach sich ziehen, die nicht an einem Vertrag anknüpft. Darunter fallen insbesondere auch Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb und aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten (4 Ob 2/12s; 2 Ob 222/14g; RIS‑Justiz RS0109078).

Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art 7 Nr 2 (früher Art 5 Nr 3) EuGVVO ist verordnungsautonom zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfasst dieser Gerichtsstand sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht. Bei Distanzdelikten kann sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden. Als Erfolgsort kommt aber nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkt. Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten lassen dessen Sitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht werden (RIS‑Justiz RS0119142). Mehrfach sprach der Oberste Gerichtshof daher aus, dass dieser Gerichtsstand nicht dadurch am Sitz des Klägers als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens begründet wird, dass dem Kläger (nach seinem Vorbringen) durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (4 Ob 2/12s mwN; RIS‑Justiz RS0119298).

Wurde eine Person durch ein Delikt oder eine deliktsähnliche Handlung lediglich mittelbar geschädigt, weil sich die unerlaubte Handlung gegen einen Dritten richtete, ist Erfolgsort lediglich der Ort der Erstschädigung (EuGH Rs 220/88, Dumez/Hessische Landesbank, Rn 20; Rauscher, Europäisches Zivilprozess‑ und Kollisionsrecht 4 Art 7 Brüssel Ia‑VO Rn 122 mwN).

Nach der EuGH‑Rsp ist der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (C-189/08 Zuid-Chemie, Rn 27).

Zu C-352/13 , CDC Hydrogen Peroxide SA, legte der EuGH in einem Kartellschadenersatz betreffenden Vorabentscheidungsverfahren Art 5 Nr 3 EuGVVO dahin aus, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art 101 AEUV und Art 53 des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 Schadenersatz verlangt wird, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist und jeder von ihnen gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen Sitz hat. Da es sich um einen Schaden handelt, der in den Mehrkosten besteht, die wegen eines künstlich überhöhten Preises anfielen, lässt sich dieser Ort nur für jeden einzelnen mutmaßlich Geschädigten ermitteln und liegt grundsätzlich an dessen Sitz (Rn 52). Dieser Ort bietet alle Garantien für die sachgerechte Gestaltung eines eventuellen Prozesses, weil die Prüfung einer Klage auf Ersatz des Schadens, der einem bestimmten Unternehmen durch ein Kartell verursacht worden sein soll, im Wesentlichen von den spezifischen Gegebenheiten der Situation dieses Unternehmens abhängt. Unter diesen Umständen kann das Gericht des Orts, an dem das Unternehmen seinen Sitz hat, offensichtlich am besten über eine solche Klage entscheiden (Rn 53).

Nichts Anderes kann nach diesen Grundsätzen dann gelten, wenn – wie hier im Anlassfall – der nach seinen Behauptungen Geschädigte ein Bankkunde ist, der seine Schadenersatzklage auf eine unionsrechtswidrige Marktbeeinflussung durch die Beklagte (mit der Folge einer Erhöhung des Zinssatzes als Marktpreis für Kredite) stützt. Für das Kartelldeliktsrecht ist der Erfolgsort, also der Ort, wo der durch die kartellbedingten Mehrkosten verursachte Schaden entsteht, der (Wohn-)Sitz des Geschädigten (Stadler in Musielak/Voit, ZPO 13 , Art 7 EuGVVO Rn 19 mwN, vgl auch Harms/Sanner/Schmidt in EuZW 2015, 584 [590]).

Im Hinblick auf den Wohnsitz des Klägers, der durch das wettbewerbsrechtswidrige Verhalten der Beklagten an seinem Vermögen geschädigt zu sein behauptet, im Sprengel des angerufenen Gerichts, liegt die in Anspruch genommene Zuständigkeit im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO vor.

Dieselben Erwägungen zur Frage der internationalen Zuständigkeit treffen auf den hier vorliegenden Fall zu, sodass die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des durch die Kartellrechtsverletzung geschädigten Klägers zu bejahen ist. Wohnsitzgericht des Klägers ist allerdings nicht das angerufene Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, sondern das Landesgericht Klagenfurt. Dem Revisionsrekurs des Klägers ist daher teilweise Folge zu geben, und zwar hinsichtlich der Abweisung des Einwands der internationalen Unzuständigkeit. Der Einwand der Beklagten in Richtung örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erfolgte jedoch zu Recht. Aufgrund des rechtzeitigen Überweisungsantrags des Klägers ist die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Klagenfurt zu überweisen.

Da der Kläger im Ergebnis im Zuständigkeitsstreit zur Hälfte durchgedrungen ist, sind die diesbezüglichen Kosten der Parteien gegenseitig aufzuheben.

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