OGH 4Ob120/16z

OGH4Ob120/16z30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. P***** B*****, vertreten durch Dr. K. H. Plankel und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei T***** plc, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 30.100 EUR sA), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. März 2016, GZ 15 R 6/16m‑38, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. November 2015, GZ 58 Cg 27/15i‑34, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00120.16Z.0830.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.286,98 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 547,83 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrte mit der am 27. Februar 2015 eingebrachten Klage die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus ihrer Mitwirkung an der Manipulation des Referenzzinssatzes LIBOR in Schweizer Franken; hilfsweise erhob er ein Leistungsbegehren. Die Beklagte habe zwischen Mai 2008 und Juli 2009 rechtswidrig (entgegen europäischen Wettbewerbsvorschriften) und schuldhaft an der Manipulation des LIBOR‑Referenzzinssatzes in Schweizer Franken mitgewirkt. Die Beklagte habe mit einer weiteren international tätigen Bank versucht, die übliche Preisgestaltung von Zinsderivaten in Schweizer Franken zu verfälschen. Sie habe mit ihrer Partnerin die künftigen Gebote erörtert und Informationen über Handelspositionen und beabsichtigte Preise ausgetauscht. Die Europäische Kommission habe gegen die „Mittäterin“ eine hohe Geldbuße verhängt, der Beklagten als „Kronzeugin“ eine solche aber erlassen. Durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Beklagten sei dem Kläger ein Schaden in seinem Vermögen durch höheren Zinsaufwand entstanden, weil bei dem von ihm bei einer österreichischen Bank aufgenommenen Kredit die Anpassung des Sollzinssatzes an den LIBOR vereinbart worden sei. Nach den unionsrechtlichen Vorschriften könne jedermann auf Schadenersatz verklagt werden, wenn zwischen dem Schaden und einem Zuwiderhandeln gegen unionsrechtliche Wettbewerbsvorschriften ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Die Zuständigkeit des österreichischen Gerichts gründe sich insbesondere auf Art 7 EuGVVO, weil der Kläger seinen Wohnsitz und seine betroffenen Bankkonten in Österreich habe.

Die Beklagte wendete die örtliche (internationale) Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Sie habe ihren Sitz in Großbritannien. Auch wenn sie in Wien eine Zweigniederlassung betreibe, so setze der Gerichtsstand der Zweigniederlassung nach Art 7 Nr 5 EuGVVO einen Streit aus dem Betrieb dieser Zweigniederlassung voraus, welcher jedoch nicht vorliege.

Das Erstgericht verwarf im Hinblick auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 (richtig: Art 7 Nr 2) EuGVVO die Einrede der örtlichen (internationalen) Unzuständigkeit.

Das Rekursgericht wies hingegen über Rekurs der Beklagten die Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts zurück und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Fall fehle. Im Hinblick auf den Einfluss des LIBOR auf den Geld‑ und Kreditverkehr komme dieser Frage auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Art 7 Nr 2 EuGVVO sei einschränkend dahin auszulegen, dass der Ort, an dem sich ein bloßer Folgeschaden verwirklicht habe, nicht als zuständigkeitsbegründend in Betracht zu ziehen sei. Zwar könne eine Manipulation des LIBOR Folgewirkungen auch auf den dem Kläger von seiner österreichischen Bank vorgeschriebenen Zinssatz haben, der sich an dem von der Beklagten (behauptetermaßen) manipulierten Referenzzinssatz orientiere. Dabei handle es sich jedoch um einen Folgeschaden, der nur mittelbare Auswirkungen auf das vom Kläger seiner Vertragspartnerin zu leistende Entgelt habe. Weder zum vom Kläger auch herangezogenen Gerichtsstand der Zweigniederlassung nach Art 7 Nr 5 EuGVVO noch zum Gerichtsstand in Verbrauchersachen nach Art 17 EuGVVO habe der Kläger substantiiertes Vorbringen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Aufhebung des rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses anstrebt, ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Da die Klage am 27. Februar 2015 eingebracht wurde, ist hier bereits die EuGVVO 2012 anzuwenden (Art 66 Abs 1 EuGVVO).

Gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Als Delikt im Sinn dieser Bestimmung werden in der Rechtsprechung unerlaubte Handlungen angesehen, welche eine Schadenshaftung des Beklagten nach sich ziehen, die nicht an einem Vertrag anknüpft. Darunter fallen insbesondere auch Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb und aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten (4 Ob 2/12s; 2 Ob 222/14g; RIS‑Justiz RS0109078).

Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art 7 Nr 2 (früher Art 5 Nr 3) EuGVVO ist verordnungsautonom zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfasst dieser Gerichtsstand sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht. Bei Distanzdelikten kann sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden. Als Erfolgsort kommt aber nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkt. Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten lassen dessen Sitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht werden (RIS‑Justiz RS0119142). Mehrfach sprach der Oberste Gerichtshof daher aus, dass dieser Gerichtsstand nicht dadurch am Sitz des Klägers als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens begründet wird, dass dem Kläger (nach seinem Vorbringen) durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (4 Ob 2/12s mwN; RIS‑Justiz RS0119298).

Wurde eine Person durch ein Delikt oder eine deliktsähnliche Handlung lediglich mittelbar geschädigt, weil sich die unerlaubte Handlung gegen einen Dritten richtete, ist Erfolgsort lediglich der Ort der Erstschädigung (EuGH Rs 220/88, Dumez/Hessische Landesbank, Rn 20; Rauscher , Europäisches Zivilprozess‑ und Kollisionsrecht 4 Art 7 Brüssel Ia‑VO Rn 122 mwN).

Nach der EuGH‑Rechtsprechung ist der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (C‑189/08 Zuid‑Chemie , Rn 27).

Zu C‑352/13, CDC Hydrogen Peroxide SA , legte der EuGH in einem Kartellschadenersatz betreffenden Vorabentscheidungsverfahren Art 5 Nr 3 EuGVVO dahin aus, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art 101 AEUV und Art 53 des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 Schadenersatz verlangt wird, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist und jeder von ihnen gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen Sitz hat. Da es sich um einen Schaden handelt, der in den Mehrkosten besteht, die wegen eines künstlich überhöhten Preises anfielen, lässt sich dieser Ort nur für jeden einzelnen mutmaßlich Geschädigten ermitteln und liegt grundsätzlich an dessen Sitz (Rn 52). Dieser Ort bietet alle Garantien für die sachgerechte Gestaltung eines eventuellen Prozesses, weil die Prüfung einer Klage auf Ersatz des Schadens, der einem bestimmten Unternehmen durch ein Kartell verursacht worden sein soll, im Wesentlichen von den spezifischen Gegebenheiten der Situation dieses Unternehmens abhängt. Unter diesen Umständen kann das Gericht des Orts, an dem das Unternehmen seinen Sitz hat, offensichtlich am besten über eine solche Klage entscheiden (Rn 53).

Nichts Anderes kann nach diesen Grundsätzen dann gelten, wenn – wie hier im Anlassfall – der nach seinen Behauptungen Geschädigte ein Bankkunde ist, der seine Schadenersatzklage auf eine unionsrechtswidrige Marktbeeinflussung durch die Beklagte (mit der Folge einer Erhöhung des Zinssatzes als Marktpreis für Kredite) stützt. Für das Kartelldeliktsrecht ist der Erfolgsort, also der Ort, wo der durch die kartellbedingten Mehrkosten verursachte Schaden entsteht, der (Wohn‑)Sitz des Geschädigten ( Stadler in Musielak/Voit , ZPO 13 , Art 7 EuGVVO Rn 19 mwN, vgl auch Harms/Sanner/Schmidt in EuZW 2015, 584 [590]).

Im Hinblick auf den Wohnsitz des Klägers, der durch das wettbewerbsrechtswidrige Verhalten der Beklagten an seinem Vermögen geschädigt zu sein behauptet, im Sprengel des angerufenen Gerichts, liegt die in Anspruch genommene Zuständigkeit im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO vor.

Die Entscheidung des Erstgerichts, mit der es die Unzuständigkeitseinrede verworfen hat, ist daher wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO (Zwischenstreit über die Zuständigkeitseinrede).

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