Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über die Berufung aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Der Kläger hat der Beklagten ein Haus vermietet. Mit einer der Beklagten am 17. Dezember 2004 zugestellten Klage begehrte er rückständigen Mietzins von 173.869,06 EUR und die Räumung des Mietobjekts. Die Beklagte habe von Jänner bis November 2004 keinen Mietzins geleistet, weswegen er gemäß § 1118 ABGB die Auflösung des Mietvertrags erkläre. Während des Verfahrens brachte er ergänzend vor, dass die Beklagte den Mietzins auch weiterhin nicht leiste. Auf dieser Grundlage dehnte er sein Zahlungsbegehren auf rückständigen Mietzins bis Oktober 2005 in Höhe von 359.146,10 EUR aus. Das Verfahren ist noch anhängig (6 C 673/04b des Bezirksgerichtes Graz). Mit der hier zu beurteilenden Klage, die am 25. April 2006 bei Gericht einlangte, begehrt der Kläger ebenfalls die Räumung des Mietobjekts. Die Beklagte leiste seit 1. Jänner 2004 keinen Mietzins und benutze das Objekt (daher) titellos. Im bereits anhängigen Verfahren habe er sein Zahlungsbegehren „vorerst letztlich" auf 359.146,10 EUR ausgedehnt. "Hilfsweise" erkläre er „sohin auch in dieser Klage" die Auflösung des Bestandvertrags. Er sei zu dieser Klage gezwungen, weil die Beklagte das früher eingeleitete Verfahren „mit allen möglichen Einwänden einschließlich der Ablehnung des Gerichts" verschleppe. In der Verhandlung vom 23. Mai 2006 brachte er ergänzend vor, die Beklagte habe seit Jänner 2004 „keinen einzigen Bestandzins" geleistet. Durch die Nichtzahlung sei ihm „bisher" ein „Schaden" von 457.981,52 EUR erwachsen.
Die Beklagte wendet ein, dass der Klage die Streitanhängigkeit des früher eingeleiteten Räumungsverfahrens entgegenstehe. In der Sache bestreitet sie das Vorliegen eines Mietzinsrückstands, da ihr „aus der Herstellung eines neuen Stiegenhauses sowie der Herstellung von Brandabschnitten etc" eine Gegenforderung zustehe, die „das Klagebegehren" übersteige.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Mietvertrag sei bereits mit der Zustellung der ersten Räumungsklage aufgelöst worden. Zwischen Auflösungserklärung und Rechtskraft des Urteils herrsche ein Schwebezustand, sodass in dieser Zeit keine titellose Benützung des Objekts vorliegen könne. Die dasselbe Bestandverhältnis betreffende spätere Räumungsklage sei daher mit Urteil abzuweisen. Das Berufungsgericht hob das Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück. Da das Räumungsbegehren in beiden Verfahren auf unterlassene Mietzinszahlungen seit dem 1. Jänner 2004 gestützt werde, stimmten nicht nur die Parteien und das Begehren, sondern auch die rechtserzeugenden Tatsachenbehauptungen überein. Für die Berechtigung des Räumungsbegehrens sei nicht die Sachlage bei Klagszustellung, sondern jene bei Schluss der Verhandlung erster Instanz entscheidend. Daher könnten auch Bestandzinsrückstände, die während des Verfahrens erster Instanz anliefen, das Räumungsbegehren rechtfertigen. Der Kläger habe sein Räumungsbegehren in keinem der beiden Verfahren auf Rückstände aus bestimmten Mietzinsperioden beschränkt. Insbesondere ergebe sich aus seinem Vorbringen im früher anhängig gemachten Verfahren keine Beschränkung der Auflösungserklärung auf Mietzinsrückstände für bestimmte Zinsperioden, die eine Abgrenzung zur späteren Klage ermöglichte. Die Räumungsklagen seien daher nicht auf Mietzinsrückstände für verschiedene Zeiträume gestützt. Mit seinem Rekurs beantragt der Kläger, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem eine Sachentscheidung aufzutragen. Rechtsgrund für das Räumungsbegehren im früher anhängig gemachten Verfahren sei ein qualifizierter Mietzinsrückstand bis November 2004 gewesen. Die nun zu beurteilende Klage sei demgegenüber (auch) darauf gestützt, dass die Beklagte auch weiterhin keinen Bestandzins gezahlt habe. Daher liege keine Streitanhängigkeit vor. Die Beklagte beschränkt sich in ihrer Rekursbeantwortung darauf, auf die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RIS-Justiz RS0043861), er ist auch berechtigt.
1. Die Streitanhängigkeit hat nach § 233 Abs 1 ZPO die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen.
Über ein- und denselben Anspruch soll daher nur einmal entschieden werden (Mayr in Fasching/Konecny2, Vor §§ 232, 233 ZPO Rz 1), da nach der dem Gesetz zu Grunde liegenden Idealvorstellung ohnehin nur eine richtige Entscheidung möglich ist (7 Ob 683/81; 4 Ob 567/83 = MietSlg 35.774).
Ob derselbe Anspruch vorliegt, ist nach den Streitgegenständen der betroffenen Verfahren zu beurteilen. Diese werden nach stRsp durch den jeweiligen Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen vorgebrachten Tatsachen (Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (RIS-Justiz RS0039255, vgl auch RS0037419). Streitanhängigkeit ist daher nur dann anzunehmen, wenn der in der neuen Klage prozessual geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RIS-Justiz RS0039347, vgl auch RS0039179, RS0039196). Keine Streitanhängigkeit liegt demgegenüber vor, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen nur teilweise übereinstimmen, wenn also beim später geltend gemachten Anspruch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten (RIS-Justiz RS0039366, RS0039221). Denn in diesem Fall ist es möglich, dass die beiden Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Damit fällt aber die tragende Begründung für die Streitanhängigkeitssperre weg (7 Ob 683/81; 4 Ob 567/83 = MietSlg 35.774).
2. In den hier zu beurteilenden Verfahren stimmen zwar die Parteien und die auf Räumung gerichteten Sachanträge überein. Der rechtserzeugende Sachverhalt ist aber nicht vollkommen ident.
2.1. Im früher eingeleiteten Verfahren stützte der Kläger sein Räumungsbegehren ursprünglich nur auf einen Zinsrückstand von Jänner bis November 2004. Daraus leitet er nun ab, dass auch derzeit nur dieser Rückstand Rechtsgrund seines (ersten) Räumungsbegehrens sei. Das Berufungsgericht hat aber richtig erkannt, dass nach stRsp auch während des Prozesses aufgelaufene Rückstände ein Räumungsbegehren rechtfertigen können (RIS-Justiz RS0020952). Voraussetzung dafür ist, dass auch insofern die zeitliche Abfolge - Mahnung, Nachfristgewährung und Auflösungserklärung - gewahrt wurde (RIS-Justiz RS0021072). Mahnung und Aufhebungserklärung müssen allerdings nicht ausdrücklich erfolgen, sondern können schon in der Fortführung des Verfahrens erblickt werden (1 Ob 685/90 = SZ 64/127; 7 Ob 248/97i = wobl 1999/115; 1 Ob 36/98w = wobl 1998/230; vgl Würth in Rummel3 § 1118 Rz 19).
Auf der Grundlage dieser Rsp ist die Ausdehnung des Zahlungsbegehrens auf Mietzins für die Zeit bis Oktober 2005 dahin zu verstehen, dass auch das Räumungsbegehren nun ebenfalls (auch) auf diesen weiteren Mietzinsrückstand gestützt wird. Der Streitgegenstand des früher eingeleiteten Räumungsprozesses ist daher nicht auf den ursprünglich geltend gemachten Rückstand beschränkt.
2.2. Dennoch stimmen die vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen nicht vollkommen überein. Denn im früher eingeleiteten Verfahren hatte der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt - dh bei Einbringung der zweiten Klage - nur einen Mietzinsrückstand bis Oktober 2005 in Höhe von 359.146,10 EUR behauptet. Nur dieser Rückstand war daher strittig. Demgegenüber liegt der hier zu beurteilenden Klage ein bis Mai 2006 weiter angewachsener Rückstand von 457.981,52 EUR zu Grunde. Das ergibt sich zwingend aus dem Vorbringen des Klägers in der Verhandlung vom 23. Mai 2006, wonach die Beklagte seit Jänner 2004 keinen einzigen Mietzins geleistet habe, wodurch ihm bisher (dh bis Mai 2006) ein Schaden (gemeint offenkundig: ein Mietzinsentgang) von 457.981,52 erwachsen sei.
Damit sind aber - anders als vom Berufungsgericht angenommen - die strittigen Mietzinsperioden nicht vollständig ident. Die beiden Verfahren könnten daher zu unterschiedlichen Ergebnissen führen:
Selbst wenn sich im ersten Verfahren herausstellen sollte, dass bis Oktober 2005 kein qualifizierter Mietzinsrückstand bestand, könnte die zweite Klage mit der Begründung Erfolg haben, dass für Mietzinsperioden ab November 2005 - also in einem nur von der zweiten Klage erfassten Zeitraum - ein solcher Rückstand vorliege. Anders als in dem der Entscheidung 2 Ob 584/88 (= MietSlg 40.790) zu Grunde liegenden Sachverhalt stimmt der Rechtsgrund der beiden Räumungsbegehren daher nicht vollkommen überein. Die vom Berufungsgericht angenommene Streitanhängigkeit liegt aus diesem Grund nicht vor (idS auch die zu billigende Entscheidung LGZ Wien 41 R 316/82 = MietSlg 34.734).
2.3. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch mit der Rsp zur Präklusionswirkung der Rechtskraft. Danach ist es nicht zulässig, einen abgeurteilten Rechtsanspruch ohne Vorliegen der Voraussetzung für eine Wiederaufnahmsklage deshalb neuerlich geltend zu machen, weil sich der Tatbestand schon zur Zeit der ersten Entscheidung anders dargestellt habe als er vorgetragen oder ermittelt wurde (3 Ob 616/78 = SZ 52/151; RIS-Justiz RS0041317; zuletzt etwa 7 Ob 142/06t). Daraus könnte abgleitet werden, dass auch während der Anhängigkeit des ersten Verfahrens keine weitere Klage erhoben werden darf, die zur Stützung des selben Begehrens einen anderen Sachverhalt behauptet.
Aus der Rsp zur Präklusionswirkung ließe sich allerdings nicht ableiten, dass ein abweisendes Urteil im ersten Verfahren eine neuerliche Räumungsklage wegen dort nicht strittig gewesener Mietzinsrückstände hinderte. Das folgt aus dem Zusammenhang zwischen Mietzins- und Räumungsklage: Beschränkt der Kläger eine Mietzinsklage auf Teile des bei Schluss der Verhandlung offenen Mietzinses, so ist er mit der Geltendmachung der nicht strittig gewordenen Beträge nach
allgemeinen Grundsätzen nicht präkludiert (8 Ob 252/02w = SZ 2003/37;
RIS-Justiz RS0039155; zuletzt etwa 3 Ob 315/05b = JBl 2006, 720 mwN).
Es wäre ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch, wollte man ihm im Gegensatz dazu die Geltendmachung eines Räumungsbegehrens verweigern, das er mit eben solchen (anderen) Mietzinsrückständen begründet. Tritt aber nach Abschluss des früher eingeleiteten Verfahrens keine Präklusionswirkung ein, so kann auch während dessen Anhängigkeit keine Prozesssperre bestehen.
3. Auch andere Erwägungen können die Klagszurückweisung nicht tragen. Insbesondere kann sie nicht auf fehlendes Rechtsschutzinteresse des Klägers gestützt werden. Zwar wäre es für ihn zweifellos möglich (und wohl auch sinnvoll) gewesen, anstelle der gesonderten Klage im bereits anhängigen Verfahren ein Vorbringen zu weiteren Zinsrückständen zu erstatten. Das Rechtsschutzinteresse für eine Klage ist aber nicht schon deswegen zu verneinen, weil der Kläger sein Ziel auch auf andere Weise erreichen könnte (RIS-Justiz RS0037636; 4 Ob 516/96 = SZ 69/39 = EvBl 1996/135 [dort unrichtig 4 Ob 519/96]; vgl - auch zu möglichen Kostenfolgen - Rechberger/Klicka in Rechberger3 vor § 226 Rz 10; Fasching in Fasching2 I Einl Rz 181).
4. Aus diesen Gründen ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung aufzutragen. Eine meritorische Erledigung durch den Obersten Gerichtshof kommt nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0065254).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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