OGH 4Ob113/06f

OGH4Ob113/06f20.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Löw, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hagen Nagler, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen 198.075,76 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. März 2006, GZ 2 R 27/06t-68, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 24. November 2005, GZ 13 Cg 2/03g-62, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin vertreibt als Großhändlerin Mineralölprodukte; die Beklagte ist ein Transportunternehmen. Zwischen den Streitteilen kam ein Vertrag zustande, wonach die Beklagte für die Klägerin sämtliche Transporte mit Mineralölprodukten durchführen sollte. Der - auf bestimmte Zeit abgeschlossene - Vertrag sah Mindestmengen für die Beförderung vor; bei ihrer Nichterreichung sollte die Beklagte berechtigt sein, der Klägerin einen bestimmten Betrag pro Liter Mindermenge in Rechnung zu stellen, der sich auf etwa 29 bis 37 % des Transportentgelts belief.

Strittig ist die Frage, ob die mit einer Vertragsstrafe sanktionierte Vereinbarung von Mindestauftragsmengen sittenwidrig ist. Das Erstgericht hat die Sittenwidrigkeit bejaht, das Berufungsgericht hat sie verneint.

Die Beklagte macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, es bestehe keine Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit „unechter Vertragsstrafen". Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Vereinbarung nichtig oder allenfalls teilnichtig sei, sei über den Einzelfall hinaus von Bedeutung. Die Entscheidung sei auch grob unbillig. Sie führe dazu, dass die Beklagte ohne wirtschaftliches Zutun zumindest 98.954,83 EUR „zusätzlich zum entgangenen Werklohn" (gemeint offenbar: zusätzlich zur Kostenersparnis) lukriere. Die Beklagte führe selbst aus, dass ihr durch die vorzeitige Vertragsauflösung ein Deckungsbeitrag von maximal 93.356,06 EUR entgehe.

Die Vereinbarung einer Konventionalstrafe verstößt nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegen die guten Sitten, wenn deren Zahlung das wirtschaftliche Verderben des Schuldners herbeiführt oder seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit übermäßig beeinträchtigen könnte oder sonst ein offensichtlich unbegründeter Vermögensvorteil für den Gläubiger vorliegt, der dem Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht oder gegen oberste Rechtsgrundsätze verstößt (3 Ob 87/99m = ecolex 2001/142; 4 Ob 167/03t; RIS-Justiz RS0026259 und RS0016560). Ob es sich um eine „echte" oder um eine „unechte" Vertragsstrafe handelt, ist ohne Bedeutung. Die „unechte" Vertragsstrafe unterscheidet sich von der „echten" Vertragsstrafe nur dadurch, dass ein Erfüllungsanspruch ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0017727).

Bei der Angemessenheitskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB ist auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Für diesen Zeitpunkt ist eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenprüfung vorzunehmen. Bei Vereinbarung einer Konventionalstrafe wird es darauf ankommen, ob sich die Höhe des Vergütungsbetrags an jenem durchschnittlichen Schaden orientiert, der nach der Schätzung eines redlichen Beobachters bei der damit sanktionierten Vertragsverletzung normalerweise eintritt (1 Ob 581/83 = JBl 1983, 534; RIS-Justiz RS0016913).

Die angefochtene Entscheidung steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass das Interesse der Beklagten an einer Mindermengenvereinbarung legitim war, weil sie - ex ante betrachtet - mit einem hohen Deckungsbeitragsausfall rechnen musste. Ob und gegebenenfalls zu welchen Bedingungen die Beklagte Ersatzaufträge würde lukrieren können, war für beide Teile im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar. Dass es der Beklagten gelungen ist, Ersatzaufträge zu erhalten, kann daher bei der Angemessenheitskontrolle nicht berücksichtigt werden.

Dem im außerordentlichen Rechtsmittel neuerlich erhobenen Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist entgegen zu halten, dass die Streitteile schon bei Reduzierung der Mindestmengen mit der Auflassung von Tankstellen gerechnet haben. Sie wurden daher in ihren gemeinsamen Erwartungen nicht enttäuscht. Dass die Klägerin schließlich gezwungen war, eine größere Anzahl von Tankstellen zu verkaufen/schließen, als sie zunächst erwartet hatte, liegt allein in ihrem Risikobereich.

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