OGH 4Ob109/15f

OGH4Ob109/15f15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*****, 2. P***** A*****, 3. A***** S*****, und 4. Y***** K*****, alle vertreten durch Dr. Roland Katary, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 16.955,55 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. März 2015, GZ 11 R 232/14i, 11 R 233/14m‑49, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Oktober 2014, GZ 58 Cg 101/12t-41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00109.15F.1215.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.048,68 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Vorinstanzen gaben der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit von Vereinsbeschlüssen und auf Feststellung, dass der Zweitkläger Präsident des beklagten Vereins ist, statt. Das Feststellungsbegehren, der Drittkläger sei Finanzdirektor und der Viertkläger Generaldirektor des Beklagten, wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage nach der Abgrenzung zwischen absolut nichtigen und anfechtbaren Vereinsbeschlüssen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Nichtigkeit von Beschlüssen im Vorfeld der nunmehr für nichtig zu erklärenden Vereinsbeschlüsse fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist ungeachtet des berufungsgerichtlichen Zulassungsausspruchs ‑ an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist ‑ in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1. § 7 VerG 2002 bestimmt:

Beschlüsse von Vereinsorganen sind nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. Jedes von einem Vereinsbeschluss betroffene Vereinsmitglied ist zur Anfechtung berechtigt.

1.2. § 7 VerG 2002 differenziert demgemäß zwischen anfechtbaren Beschlüssen, die vorerst gültig sind und erst mit Rechtskraft des über die Anfechtungsklage befindenden Gerichtsurteils vernichtet werden, und von Anfang an nicht gültig zustandegekommenen und daher rechtsunwirksamen („nichtigen“) Beschlüssen (RIS-Justiz RS0121262). Der Beschluss eines Vereinsorgans kann auch wegen der Art seines Zustandekommens gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein, enthält doch § 7 VerG 2002 keine Beschränkung auf eine inhaltliche Sittenwidrigkeit des Beschlusses eines Vereinsorgans (RIS‑Justiz RS0123632).

1.3. Ein Verstoß gegen die guten Sitten iSd § 7 VerG 2002 liegt in einer groben Rechtswidrigkeit ohne Verletzung eines Verbotsgesetzes (10 Ob 36/07b). Grundsätzlich hat sich die Nichtigkeit auf gravierende Fälle fehlerhafter Beschlüsse zu beschränken. Es müssen derartig klare Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt ist (1 Ob 32/10b).

2. Der Oberste Gerichtshof entschied zu dieser Thematik bisher im Einzelnen wie folgt:

2.1. 4 Ob 150/07y nahm einen Verstoß gegen Art 6 EMRK an, als einem Vereinsmitglied ohne Anhörung wesentliche Mitgliedschaftsrechte entzogen wurden. Dies begründet absolute Nichtigkeit.

2.2. 10 Ob 36/07b stellte im Zusammenhang mit § 7 VerG 2002 auf den allgemeinen Rechtssatz ab, wonach die Wirksamkeit der Beschlussfassung einer Personenmehrheit davon abhängt, dass allen an der Mitwirkung der Willensbildung Beteiligten die beabsichtigte Beschlussfassung rechtzeitig mitgeteilt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geboten werden muss (RIS-Justiz RS0017963). Bei einem Personenverband bedeutet die Nichteinladung stimmberechtigter Mitglieder zu einer beschließenden Versammlung einen besonders schweren Verstoß gegen diese tragenden Grundsätze des Verbandsrechts. Jedenfalls dann, wenn beinahe die Hälfte der Anzahl der Mitglieder nicht eingeladen wurde, gebietet es diese besondere und grobe Rechtswidrigkeit, wodurch nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handels gewahrt ist, bei trotzdem durchgeführter Abstimmung in der bedeutenden Angelegenheit der Wahl zum Leitungsorgan des Vereins durch dessen Mitgliederversammlung die Nichtigkeit des Beschlusses oder der Wahl anzunehmen.

2.3. Nach 1 Ob 32/10b wird bei einem bloßen Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte ein Nichtigkeit begründender, schwerwiegender Einberufungsmangel in der Regel nicht vorliegen, setzt ein solcher doch voraus, dass nur mehr von einem „Zerrbild einer Beschlussfassung“ gesprochen werden könnte. Grundsätzlich ist eine Sittenwidrigkeit dann zu verneinen, wenn die Mitgliederversammlung das vom zuständigen Vereinsorgan einberufene und für die Fassung der angefochtenen Beschlüsse zuständige Vereinsorgan war und die Mitglieder zur Versammlung geladen waren.

2.4. 4 Ob 71/12p hält fest, dass die Mitglieder jedenfalls von bedeutsamen und weittragenden Tagesordnungspunkten ‑ wie beispielsweise von beabsichtigten maßgeblichen Satzungsänderungen oder von der geplanten Auflösung des Vereins ‑ schon aus elementaren Gründen der Vereinsdemokratie so rechtzeitig vor dem Zusammentritt der Mitgliederversammlung informiert werden müssen, dass genügend Zeit zu einer sachgerechten Vorbereitung bleibt.

3. Anwendung auf den konkreten Sachverhalt

3.1. Der im Juli 2010 gefasste Umlaufbeschluss betreffend die Abberufung des Zweitklägers als Präsident des Exekutivkomitees erging ohne jegliche vorherige Stellungnahmemöglichkeit des Zweitklägers; drei Vereinsmitgliedern, darunter der Erstkläger, wurde die Kenntnisnahme- und Teilnahmemöglichkeit verwehrt (bei einer Gesamtzahl von fünf Mitgliedern), während ein Nichtmitglied abstimmen durfte. Im Übrigen sahen die Statuten Umlaufbeschlüsse der Generalversammlung gar nicht vor. Dass ‑ wie vom Berufungsgericht ausgeführt ‑ an der Nichtigkeit dieses Umlaufbeschlusses kein Zweifel bestehen kann, stellt angesichts dieser gravierenden Rechtsverletzungen jedenfalls keine Fehlbeurteilung dar.

3.2. Die (erste) Generalversammlung vom 27. 9. 2010 wurde von zwei Personen einberufen, von denen eine nicht mehr Mitglied des Exekutivkomitees war. Da nach den Statuten das Exekutivkomitee nur beschlussfähig ist, wenn alle seine Mitglieder eingeladen wurden und anwesend sind und eine Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Mitglied des Exekutivkomitees nicht zulässig ist, lag ein Einberufungsmangel vor. Überdies wurde dem rechtmäßigen Vertreter des Erstklägers als Vereinsmitglied der Zutritt verweigert, jedoch ein von seiner Funktion enthobenes Vorstandsmitglied des Erstklägers als dessen Vertreter zugelassen, dem Vertreter eines weiteren Mitglieds wurde der Zutritt verwehrt, dafür wurde einem Nichtmitglied die Stimmberechtigung eingeräumt. Auch dem Zweitkläger als Präsidenten wurde der Zutritt verweigert.

Nun mögen zwar die einzelnen Statutenverstöße, Zutrittsbehinderungen und Stimmrechtseinräumung an Nichtmitglieder für sich allein gesehen gerade noch nicht die Nichtigkeitsschwelle überschreiten, jedoch in ihrer Gesamtheit betrachtet ist die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die in der Generalversammlung vom 27. 9. 2010 gefassten Beschlüsse nichtig sind, jedenfalls vertretbar und mit der unter 2. dargestellten Rechtsprechung in Einklang zu bringen (vgl auch RIS-Justiz RS0051171 zur Gesamtbetrachtung von Mängeln bei der Nichtigkeit einer Wahl nach § 60 ArbVG).

3.3. Die Generalversammlung vom 30. 9. 2011 litt an ähnlichen Mängeln. Auch sie wurde nicht statutengemäß durch sämtliche Mitglieder des Exekutivkomitees, sondern unter anderem durch ein Nichtmitglied dieses Komitees einberufen. An der Generalversammlung nahmen drei Nichtmitglieder als stimmberechtigte Mitglieder teil (zwei von ihnen wurden in der Generalversammlung vom 27. 9. 2010 im Rahmen von nichtigen Beschlüssen aufgenommen, eines wurde nie Mitglied), deren Rechtspersönlichkeit überdies nicht erwiesen ist.

Die Qualifikation der in dieser Generalversammlung gefassten Beschlüsse durch die Vorinstanzen ist daher auch hier ‑ in Gesamtbetrachtung der Mängel ‑ vertretbar. Im Übrigen ergibt sich die Nichtigkeit von Beschlüssen der Generalversammlung vom 30. 9. 2011 schon daraus, dass sie an ungültige frühere Beschlüsse anschließen (vgl RIS-Justiz RS0114612 zum Aktienrecht).

4. Zusammenfassend ist die Annahme der Nichtigkeit der angefochtenen Beschlüsse durch das Berufungsgericht vertretbar und begründet keine (grobe) Fehlbeurteilung, die ein Aufgreifen durch den Obersten Gerichtshof erforderte.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Umsatzsteuer für die anwaltlichen Leistungen des Klagevertreters im Zusammenhang mit der Revisionsbeantwortung war nicht zuzusprechen, denn Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für ausländische Parteien unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess ‑ kommentarlos ‑ 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (§ 54 Abs 1 ZPO). Ist die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt (hier: Japan, Indien, Schweiz), kann die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (vgl RIS‑Justiz RS0114955). Letzteres war nicht der Fall.

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