Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen die im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens von 72.085,20 S samt 5 % Zinsen ab 22. 12. 1995 und des über 4 % hinausgehenden Zinsenmehrbegehrens als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Die Klägerin übt das Gewerbe des Betriebes und der Führung einer Galerie aus. Im Jahr 1989 übernahm sie eine von einem international anerkannten Bildhauer im Jahre 1988 geschaffene siebenteilige Eisenskulptur sowohl zur Ausstellung als auch zum kommissionsweisen Verkauf. Im Herbst 1990 wurde diese Skulptur öffentlich präsentiert. Die Kosten für die Aufstellung trug die kunstfördernde beklagte Partei. Als die Eisenskulptur im März 1991 wieder abgetragen werden sollte, bemühte sich die Klägerin um einen geeigneten Lagerplatz. Der Geschäftsführer der beklagten Partei sagte ihr mündlich zu, dass die Skulptur auf einem Lagerplatz der beklagten Partei gelagert werden könne. Die Eisenskulptur wurde daraufhin abgetragen und auf dem erwähnten Lagerplatz, der ein Ausmaß von ca 20.000 m2 hat und weder bewacht noch eingezäunt war, abgestellt. Als die Klägerin im Jänner 1994 die Skulptur wieder an den Künstler zurückgeben wollte, teilte ihr der Lagerplatzleiter der beklagten Partei mit, dass Teile derselben abhanden gekommen seien und er glaube, dass diese Teile von einem Schrotthändler mitgenommen worden seien. Eine Nachbildung der Skulptur, die, obwohl sie nur zum Teil zerstört wurde, als Gesamtkunstwerk gänzlich vernichtet wurde, und die im freien Handel in Österreich einen Wert von 700.000 S bis 900.000 S hatte, war aus künstlerischen und arbeitsmethodischen Gründen nicht möglich. Die nunmehrige Klägerin wurde daraufhin vom Künstler geklagt. In diesem Verfahren wurde zwischen den Streitteilen ein Vergleich abgeschlossen, in welchem sich die nunmehrige Klägerin verpflichtete, dem Künstler 96.300 DM inkl 7 % USt samt 5 % Zinsen aus 42.800 DM vom 14. 2. 1994 bis 29. 10. 1994 und aus 96.300 DM ab 30. 10. 1994 sowie 72.085,20 S an Prozeßkosten zu bezahlen.
Mit der am 22. 9. 1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin von der beklagten Partei - nach zweimaliger Ausdehnung (AS 11 und 77) - letztlich die Bezahlung von 755.815,20 S sA. Die beklagte Partei hafte für den Schaden, der ihr auf Grund des mit dem Künstler abgeschlossenen Vergleiches entstand, aus einem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Verwahrungsvertrag; dessen Unentgeltlichkeit stehe dem nicht entgegen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe der Klägerin das Abstellen der Skulptur auf dem Lagerplatz ausschließlich auf deren Gefahr gestattet, ohne eine Obsorgepflicht dafür zu übernehmen. Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass der Lagerplatz weder umzäunt noch bewacht sei, sodass sie für die Sicherheit der Skulptur Sorge zu tragen oder zumindest deren Teile zu kennzeichnen gehabt hätte. Im übrigen sei der Klägerin kein Schaden entstanden, weil sich seit 1991 kein Käufer für die Skulptur gefunden hätte und deren Wert daher gleich Null sei.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 683.730 S sA an die Klägerin und wies das Mehrbegehren von 72.085,20 S sA sowie ein Zinsenmehrbegehren ab, wobei diese teilweise Klagsabweisung in Rechtskraft erwuchs. Es traf dabei im wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht bejahte es das Zustandekommen eines Verwahrungsvertrages zwischen den Streitteilen und damit die Pflicht der beklagten Partei, die Skulptur auf dem Lagerplatz derart abzustellen, dass eine Verwechslung derselben mit Altmetall nicht möglich sei. Von einem zufälligen Untergang der Sache könne keine Rede sein, weil es einem durchschnittlichen Menschen auffallen müsse, dass Teile der Skulptur abhanden kommen könnten, wenn sie neben Altmetall und Schrott gelagert werde.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils gerichteten Berufung der beklagten Partei keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen gewesen sei.
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass im vorliegenden Fall nur die Frage entscheidend sei, ob nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes ein Verwahrungsvertrag zwischen den Streitteilen zustandegekommen sei, weshalb den zusätzlichen Feststellungen, welche die beklagte Partei begehre keine Bedeutung zukomme. Der Verwahrungsvertrag könne ausdrücklich oder konkludent abgeschlossen werden. Wesentlich sei für den Verwahrungsvertrag die Übernahme einer Sache in die Obsorge des Verwahrers. Er setze die im beiderseitigen Einvernehmen erfolgte Übergabe und Übernahme in die Obsorge voraus. Hiebei genüge, dass die Sache mit dem Traditionswillen des Übergebers aus seiner physischen Verfügungsmacht in die des von einem gleichen Übernahmswillen beherrschten Übernehmers übergehe bzw dass die Sache in eine Lage gebracht werde, in der sie sich tatsächlich oder nach der Verkehrsauffassung in der Macht des Übernehmers befinde; sei eine solche hergestellt, bedürfe es zur Übernahme weder des Ergreifens noch der persönlichen Gegenwart des Übernehmers, sondern lediglich seiner Zustimmung. Die beklagte Partei habe im Herbst 1990 die Aufstellung der Skulptur übernommen und hiefür (kunstfördernd) die Kosten getragen. In Kenntnis des Umstandes, dass es sich hier um ein Kunstwerk handle, habe der Geschäftsführer der beklagten Partei im März 1991 die Abstellmöglichkeit auf einem Lagerplatz der beklagten Partei zugesagt. Dorthin sei die Skulptur - durch wen auch immer - gebracht und dort noch Anfang 1994 von Angestellten der beklagten Partei als solche gesehen worden. Der Lagerplatzleiter habe in Betracht gezogen, dass die abhanden gekommenen Teile der Skulptur von einem Schrotthändler mitgenommen worden seien. Aus all dem folge, dass ein Verwahrungsvertrag zwischen den Streitteilen zustande gekommen sei und dass die beklagte Partei den ihr obliegenden Beweis, dass sie ihrer Verpflichtung zur sorgfältigen Verwahrung nachgekommen bzw die Skulptur durch eine von ihr nicht zu verantwortenden Zufall abhanden gekommen sei, nicht erbracht, ja nicht einmal angetreten habe. Sie habe sich vielmehr zu Unrecht auf das Nichtzustandekommen eines Verwahrungsvertrages berufen. Gemäß § 1313a ABGB hafte sie aber auch für ihre Angestellten. Eine Überwachungspflicht der Klägerin habe nicht bestanden, weil diese dem Sinn und Zweck des Verwahrungsvertrages grundsätzlich widerspreche. Im übrigen sei der darauf gegründete Mitverschuldenseinwand als Neuerung unzulässig erstmals im Berufungsverfahren erhoben worden.
Die gegen dieses zweitinstanzliche Urteil gerichtete außerordentliche Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht in einer die Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO gefährdenden Weise die Sach- und Rechtslage verkannt hat; sie ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin begründet ihren Anspruch auf Ersatz der zum Teil abhanden gekommenen und dadurch gänzlich vernichteten Eisenskulptur damit, dass sie diese der beklagten Partei in Verwahrung gegeben habe. Voraussetzung für die Berechtigung dieses Begehrens ist daher das Zustandekommen eines Verwahrungsvertrages zwischen den Streitteilen. Ein solcher entsteht gemäß § 957 ABGB, wenn jemand eine fremde Sache in seine Obsorge übernimmt. Der Verwahrungsvertrag kann - wie jeder Vertrag - ausdrücklich oder auch konkludent, nämlich durch solche Handlungen, die bei Überlegung aller Umstände mit Rücksicht auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übrig lassen, abgeschlossen werden (§ 863 ABGB).
Wesentlich für den Verwahrungsvertrag ist die Übernahme einer Sache in die Obsorge des Verwahrers, es handelt sich dabei sohin um einen Realvertrag (JBl 1952, 16; Schubert in Rummel2 Rz 1 zu § 957; Binder in Schwimann2 Rz 1 zu § 957). Der Verwahrungsvertrag setzt die im beiderseitigen Einverständnis erfolgte Übergabe und Übernahme einer Sache in die Obsorge voraus (SZ 5/98; JBl 1956, 232; 1 Ob 687/87 ua; Schubert aaO; Gschnitzer in Klang2 IV, 635). Die Hauptpflicht des Verwahrers ist sohin die Obsorge für die anvertraute Sache (Schubert aaO Rz 2 zu § 957 und Rz 1 zu § 961; Gschnitzer aaO 643). Diese ist die Pflicht zur sorgfältigen Verwahrung einer Sache. Sie ist nicht bloße Überlassung eines Raumes, sondern Obhut (SZ 41/14; Gschnitzer aaO 644). Die Pflicht zur Obsorge muß aus der Vereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend zu entnehmen sein (Gschnitzer aaO 644). Die Obsorge iSd § 957 ABGB umfasst nicht nur die passive Verwahrung, sondern auch die Verpflichtung zu positiven Handlungen, sofern diese nach der Natur der anvertrauten Sache zu ihrer Erhaltung bzw zur Verhinderung ihrer Verschlechterung erforderlich sind (SZ 56/143; JBl 1974, 622; 1 Ob 2083/96x ua; Schubert aaO Rz 2 zu § 957; Binder aaO Rz 6 zu § 958). Fehlt die Übernahme der Obsorge, so liegt kein Verwahrungsvertrag vor. Wer nämlich bloß die Benützung eines Raumes zum Abstellen von Sachen oder die Benützung eines Grundstückes zu diesem Zweck gestattet, ist nicht Verwahrer, sondern es liegt darin entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung, sohin Miete, Leihe oder Bittleihe (Schubert aaO Rz 2 zu § 957 und Rz 1 zu § 961; Gschnitzer aaO 644). Auch bei bloßen Gefälligkeitsverhältnissen, bei denen für den anderen erkennbar eine rechtsgeschäftliche Bindung nicht beabsichtigt ist, liegt kein Verwahrungsvertrag vor (JBl 1917, 237; Schubert aaO Rz 1 zu § 957; Binder aaO Rz 32 zu § 957). Der Verwahrungsvertrag kann zwar entgeltlich oder unentgeltlich abgeschlossen werden. Unentgeltlichkeit der Verwahrung spricht aber vielfach gegen eine schlüssige Obsorgezusage (JBl 1956, 232; Schubert aaO Rz 1 zu § 957; Binder aaO Rz 33 zu § 957).
Um zu all diesen Fragen erschöpfend Stellung nehmen zu können, bedarf es aber der eingehenden Prüfung der gesamten Umstände, insbesondere ob - wenn auch nur konkludent - die beklagte Partei die Übernahme der Obsorgepflicht hinsichtlich der gegenständlichen Eisenskulptur erklärt hat. Die bisherigen Feststellungen bilden zur Beurteilung dieser Frage keine verlässliche Grundlage, weshalb die Sache zufolge Fehlens für die Entscheidung wesentlicher Feststellungen noch nicht spruchreif ist. Das Erstgericht wird sohin im fortgesetzten Verfahren die Sachverhaltsgrundlage zur Klärung der Frage des Zustandekommens eines Verwahrungsvertrages infolge Übernahme einer Obsorgepflicht durch die beklagte Partei, zu erweitern haben.
Sollte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang zur Ansicht gelangen, dass zwischen den Streitteilen kein Verwahrungsvertrag zustande gekommen ist, scheidet eine Haftung der beklagten Partei aus.
Sollte es hingegen zur Auffassung gelangen, zwischen den Streitteilen sei ein Verwahrungsvertrag geschlossen worden, dann kann in dem der Klägerin von der Beklagten vorgeworfenen Verhalten, sie hätte sich um einen geeigneten Lagerplatz für die Skulptur selbst kümmern und für deren Sicherheit und Kennzeichnung Sorge tragen müssen, kein Mitverschulden der Klägerin liegen, weil alle diese Vorsorgen dann der Beklagten als Verwahrerin oblegen wären.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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