Spruch:
Durch die Aufforderung eines Angestellten zum Ablegen der Kleider wird bei Vorhandensein einer Hinweistafel, daß keine Haftung übernommen wird, kein Verwahrungsvertrag begrundet.
Entscheidung vom 31. Jänner 1968, 6 Ob 329/67.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz; Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin ist seit langem Kunde des Beklagten und früher in dessen Filiale in der A.-Straße gekommen. Seit der Eröffnung der Filiale in der L.-Straße im Jahre 1960 kommt sie alle zwei bis drei Wochen dort hin. Man gelangt dort durch die Eingangstür in einen Vorraum, in dem sich die Kassa sowie eine Kleiderablage befinden. Die Kassa ist nicht ständig besetzt, vielmehr macht die Geschäftsführerin Erika K. nur dann dort die erforderlichen Eintragungen, wenn sie sonst nichts zu tun hat. Die Ablage besteht aus einer Stange mit Haken und einem Hutbrett und ist von einer etwa 30 cm breiten Holzverschalung umgeben, sodaß sie wie ein Kasten ohne Tür aussieht. Oberhalb der Ablage in einer Höhe von 1.80 m befindet und befand sich auch am 26. Februar ein weißes Schild in der Größe eines normalen Geschäftskalenders mit dem Text, daß für abhanden gekommene Garderobe nicht gehaftet wird. Der Vorraum geht ohne Abtrennung in den ersten Teil des Salons über, von dem man nach links in den zweiten Teil sowie in den Herrensalon gelangt.
Wenn von den Angestellten des Beklagten jemand Zeit hat, wird den Kunden aus dem Mantel geholfen, der Mantel durch die Angestellten aufgehängt und der Kunde nach der Behandlung wieder in der Mantel geholfen. Bei den einzelnen Behandlungsstühlen befindet sich keine Aufhängevorrichtung. Hin und wieder verlangen Kunden, daß ihre Pelzmäntel in die Garderobe der Angestellten rückwärts im Geschäft gehängt werden.
In die Filiale des Beklagten kommen viele Kunden mit Pelzmänteln, doch ist noch nie etwas abhanden gekommen. Neben vielen Stammkunden gibt es auch Laufkunden. Am 26. Februar 1966 waren die Mäntel allen Kunden in der Garderobe aufgehängt gewesen. Die Klägerin wurde bei ihrem Eintritt von Erika K. gebeten, abzulegen. Das Lehrmädchen kam eben hinzu, als die Klägerin selbst ihren Persianermantel mit weißem Kragen aufhängte, und geleitete die Klägerin dann in den zweiten Teil des Salons, wo sie auf einen Behandlungsstuhl kam, von dem aus sie die Garderobe nicht beobachten konnte. Nach Beendigung der Behandlung war der Mantel abhanden gekommen.
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Klagsanspruch auf Ersatz des Persianermantels, der der Klägerin am 26. Februar 1966 im Frisiersalon des Beklagten abhanden gekommen ist, dem Gründe nach zur Hälfte zu Recht bestehe.
Das Erstgericht nahm den Standpunkt ein, daß mangels Übernahme des Mantels in die Obsorge ein Verwahrungsvertrag oder ein diesem ähnliches Rechtsverhältnis nicht zustandegekommen sei. Wohl aber sei zwischen den Parteien ein Werkvertrag abgeschlossen worden. Zufolge § 1169 ABGB. seien die Bestimmungen des § 1157 ABGB. sinngemäß anzuwenden. Danach müsse der Dienstgeber und ebenso der Unternehmer einen gesicherten Raum als erforderliche Kleiderablage zur Verfügung stellen, nämlich dann, wenn sich der Besteller zur Erlangung der Leistung notwendigerweise in den Betrieb des Unternehmers begeben müsse. Da die Klägerin auch keine Möglichkeit hatte, selbst die Garderobe zu überwachen, treffe den Beklagten eine Fürsorgepflicht und bei deren Verletzung eine Verschuldenshaftung, die zwingenden Charakter habe und durch Anbringung einer Tafel nicht ausgeschlossen werden könne. Der Beklagte sei daher nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, die Garderobe so anzulegen, daß die Kunden selbst ihre Mäntel überwachen können, zumal das derzeitige Personal des Klägers bestimme und auch hier bestimmt habe, wo die Klägerin Platz zu nehmen habe. In der Verletzung dieser Pflicht liege das Verschulden des Beklagten.
Allerdings falle der Klägerin ein Mitverschulden zur Last, da ihr, selbst wenn sie die Haftungsausschlußtafel übersehen haben sollte, hätte auffallen müssen, daß die Garderobe keine Sicherheit für ein so wertvolles Stück wie einen Persianermantel biete. Der Klägerin wäre zuzumuten gewesen, zu verlangen, daß ihr Mantel entweder in ihre Nähe gebracht oder vom Personal in Obhut genommen werde. Der Beklagte könne nicht einwenden, die Klägerin hätte den Frisiersalon nicht mit einem Pelzmantel bekleidet aufsuchen müssen, da er von Kunden lebe, die gepflegt aussehen wollen und daher gern seinen Salon in entsprechender wertvoller Kleidung aufsuchen.
Das Verschulden beider Parteien wiege gleich schwer, der Schaden sei durch das Zusammenwirken des beiderseitigen Verhaltens herbeigeführt worden. Der Klagsanspruch, dessen Höhe noch zu prüfen sei, bestehe daher dem Gründe nach zu Recht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht, wohl aber jener der Klägerin Folge und sprach aus, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zur Gänze zu Recht bestehe. Es führte hiezu folgendes aus:
Der Rechtsansicht des Erstgerichtes könne nicht gefolgt werden, weil § 1169 ABGB. nur eine Fürsorgepflicht des Bestellers und nicht des Unternehmers statuiere. Es liege aber ein Verwahrungsvertrag vor, da ein solcher auch konkludent geschlossen werden könne. Dies geschehe insbesondere durch die Inanspruchnahme der Ablageeinrichtung im Betrieb eines Unternehmens, wenn dies unvermeidlich sei und wenn die Kunde von dem Platz, den sie zur Entgegennahme der Leistung des Unternehmers einnehme, keine Möglichkeit habe, die abgelegten Kleider auf zumutbare Weise selbst zu überwachen.
Nach der Verkehrsauffassung gehöre zur Einrichtung eines Frisiersalons eine Kleiderablage. Der Kunde könne nicht zugemutet werden, während der Behandlung die Überkleider anzubehalten, hinsichtlich der Kopfbedeckung sei dies überhaupt mit der Behandlung unvereinbar. In der Beistellung einer verkehrsgemäßen Kleiderablage seien daher die Offerte des Unternehmers zum Abschluß eines Verwahrungsvertrages zu erblicken. Für den vorliegenden Fall gelte dies umsomehr, als die Klägerin beim Betreten des Geschäftes durch die Geschäftsführerin ersucht wurde, abzulegen, was sich nur auf die vorhandene Ablage beziehen konnte. Daher sei es nicht entscheidend, wer den Pelzmantel aufgehängt habe. Auch wenn dies die Klägerin tat, sei mit Rücksicht auf alle Umstände ein Verwahrungsvertrag zustandegekommen, was durch die Haftungsausschlußtafel nicht gehindert wurde, zumal den Beklagten auf Grund des Werkvertrages eine Verwahrpflicht als Nebenverpflichtung getroffen habe. Eine einseitige, allgemeine Haftungsablehnung sei wirkungslos.
Der Beklagte habe den ihm nach den §§ 964, 1298 ABGB. obliegenden Beweis, daß er seiner Verpflichtung zur sorgfältigen Verwahrung nachgekommen sei oder daß der Pelzmantel durch einen von ihm nicht zu verantwortenden Zufall abhanden gekommen sei, nicht erbracht, ja nicht einmal angetreten. Er hafte daher dafür, und zwar gemäß § 1313a ABGB. auch für seine Angestellten.
Eine Überwachungspflicht der Klägerin habe nicht bestanden, weil diese dem Sinn und Zweck des Verwahrungsvertrages geradezu widerspräche. Sie habe infolge der vom Beklagten organisatorisch herbeigeführten Situation auch keine Möglichkeit hiezu gehabt, sodaß es ihr nicht als Mitverschulden angerechnet werden könne, daß ihr die leichte Zugänglichkeit der Kleiderablage für andere Personen ohne weiteres erkennbar war. Daß der Klägerin die Möglichkeit bekannt war, die Verwahrung des Mantels im Garderoberaum der Angestellten zu verlangen, sei in erster Instanz nicht behauptet worden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge und hob die Urteile der Untergerichte auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin begrundet ihren Anspruch auf Ersatz ihres abhanden gekommenen Pelzmantels damit, daß sie ihn dem Beklagten während der Inanspruchnahme der Dienstleistungen in seinem Frisiersalon in Verwahrung gegeben habe. Voraussetzung dieses Begehrens ist daher das Zustandekommen eines Verwahrungsvertrages zwischen den Streitteilen. Er kann, wie jeder Vertrag, ausdrücklich oder auch konkludent, nämlich durch solche Handlungen, die bei Überlegung aller Umstände mit Rücksicht auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übriglassen, abgeschlossen werden (§ 863 ABGB.). Wesentlich für den Verwahrungsvertrag ist die Übernahme einer Sache in die Obsorge des Verwahrers. Er setzt die im beiderseitigen Einverständnis erfolgte Übergabe und Übernahme in die Obsorge voraus (Gschnitzer in Klang[2] IV 635, SZ. V 98). Diese ist die Pflicht zur sorgfältigen Verwahrung einer Sache. Sie ist nicht bloße Überlassung eines Raumes (z. B. zum Aufheben eines Mantels), sondern Obhut (Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz S. 7). Werden etwa in einem Gast- oder Kaffeehaus Kleiderhaken angebracht, so dienen diese zumindest in der Regel nur der Bequemlichkeit der Gäste. Sie sollen nicht genötigt sein, in den Oberkleidern im Lokal zu sitzen. Es kann in dem Anbringen der Haken aber nicht ohne weiteres ein stillschweigendes Offert des Lokalinhabers an seine Gäste, die aufgehängten Kleider in seine Obsorge zu nehmen, erblickt werden, da aus dem Anbringen der Kleiderhaken noch nicht folgt, daß der Gewerbeinhaber die Haftung für die Kleider übernehmen wolle (GlUNF. 3737, 4759, Gschnitzer in Klang[2] IV, 644). Genauso begrundet auch die Mithilfe des Personals beim Ablegen der Kleider noch keine Verwahrung (Gschnitzer a. a. O., SZ I 69). Anders wäre es, wenn eine eigene Kleiderablage (Gschnitzer, Besonderer Teil und Schadenersatz S. 1), eine besondere Garderobe zur Verfügung gestellt wird (SZ. IV 30, SZ. XIX 233, SZ. XX 154, SZ. XXXVII 151 = EvBl. 1965 Nr. 86) oder in der Tätigkeit des Personals unter den gegebenen Umständen nicht eine bloße Hilfeleistung beim Ablegen, sondern darüber hinaus auch die Übernahme der abgelegten Kleider in die Obsorge des Gewerbeinhabers erblickt werden muß (Rspr. 1936 Nr. 228). Überhaupt ist zu beachten, ob nicht stillschweigend die Obsorge übernommen wird, weil der Eigentümer der Sachen seine Habe nicht beaufsichtigen kann und zur Benutzung der Einrichtung gezwungen ist, wie etwa, wenn über ärztliche Anordnung zum Zwecke einer Operation die Kleider abgegeben werden müssen (Gschnitzer in Klang[2] IV 644). Um zu allen diesen Fragen erschöpfend Stellung nehmen zu können, bedarf es aber der eingehenden Prüfung der gesamten Umstände, wo und wie der Pelzmantel in der vom Beklagten eingerichteten Kleiderablage abgegeben wurde, ihrer Beschaffenheit und ihrer genauen Lage in den Geschäftsräumen des Beklagten und im Verhältnis zu den Räumen, in denen die Kunden des Frisiersalons bedient werden. Die bisher vorliegende Freihandskizze des Erstgerichtes reicht dazu nicht hin. Dazu wird die Vornahme eines Augenscheines erforderlich sein. Erst dann wird die Beurteilung möglich sein, ob die Klägerin nach den gesamten Umständen annehmen mußte oder doch annehmen konnte, daß ihr Mantel in dieser Ablage beaufsichtigt werde.
Feststellungsmängel liegen aber auch noch vor, was die Behauptung des Beklagten betrifft, daß er im Geschäftslokal durch Anschlag die Ablehnung einer Haftung bekanntgemacht habe. Das Erstgericht nahm dazu als erwiesen an, daß sich oberhalb der Kleiderablage in einer Höhe von 1.8 m ein weißes Schild in der Größe eines normalen Geschäftskalenders befindet und auch an dem gegenständlichen Tag befunden habe, mit dem Text, daß für abhanden gekommene Garderobe nicht gehaftet werde. Das Berufungsgericht hielt eine solche Erklärung rechtlich für unbeachtlich. Darin ist ihm aber nicht zu folgen. Die Aufforderung der Angestellten des Beklagten an die Klägerin, die Garderobe zu benutzen, kann bei Vorhandensein dieser Ankündigung nur dahin verstanden werden, daß unter dem vom Beklagten gemachten Vorbehalt abgelegt werden könne. Die mündliche Erklärung der Angestellten läßt sich von dieser schriftlichen Bekanntmachung nicht trennen. Im Hinblick auf eine ausdrückliche Erklärung könnte aber ein Einverständnis des Beklagten zur Übernahme der Obsorge, wie sie für den Verwahrungsvertrag wesentlich ist, nicht mehr angenommen werden. Damit hätte er vielmehr unmißverständlich und ausdrücklich seinen entgegenstehenden Willen erklärt, und nach der ausdrücklichen Erklärung bliebe keine Möglichkeit für die Annahme eines stillschweigenden Vertragsabschlusses.
Eine solche Erklärung muß auch als rechtlich wirksam anerkannt werden. Eine Unwirksamkeit der Ablehnung der Haftung durch Anschlag nach § 970a ABGB. kommt dagegen nicht in Frage. Denn diese Bestimmung gilt ebenso wie die des § 3 des Bundesgesetzes vom 16. November 1921, BGBl. Nr. 638. in der Fassung des Bundesgesetzes vom 24. November 1951, BGBl. Nr. 259, nur für die nach den §§ 970 ff. ABGB. Haftpflichtigen (Gschnitzer a.a.O. S. 669 f.). Zu diesen gehört aber der Beklagte als Inhaber eines Frisiersalons nicht. Besteht damit kein gesetzliches Hindernis für den Beklagten, eine Haftung abzulehnen, kann er gegen seinen Willen aber nicht zu einem Verwahrungsvertrag genötigt werden. Es handelt sich dabei nicht darum, daß ein Verwahrer seine für den Verwahrungsvertrag wesentliche Pflicht zur Obsorge abzulehnen suchte, was ausgeschlossen wäre, sondern darum, daß eine ausdrückliche Erklärung abgegeben wurde, einen bestimmten Vertrag nicht schließen zu wollen. Dieses Recht für sich in Anspruch zu nehmen, könnte dem Beklagten nicht verwehrt werden. In der vorzitierten Entscheidung SZ. XXXVII 151 = EvBl. 1965 Nr. 86 gelangte der Oberste Gerichtshof nicht zuletzt auch deswegen zur Bejahung der Haftung des dort beklagten Lokalinhabers, weil dieser eine Ablehnung der Haftung nicht durch Anschlag zum Ausdruck gebracht hatte. Das Berufungsgericht nahm, von seiner abweichenden rechtlichen Beurteilung ausgehend, zu diesen Feststellungen des Erstgerichtes, die die Klägerin in ihrer Berufung bekämpft hatte, nicht Stellung. Es kommt aber auch gar nicht allein darauf an, ob ein solcher Anschlag vorhanden war, sondern ob ihn die Klägerin gesehen hat oder ihn doch bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte sehen müssen. Auch in dieser Richtung werden daher über die Art und Beschaffenheit dieses Anschlages, insbesondere über seine genauere Größe, die Größe der Schrift und über die Wahrnehmbarkeit dieser Mitteilung unter gen gegebenen örtlichen Verhältnissen, auf Grund des vorzunehmenden Augenscheines die notwendigen Feststellungen zu treffen sein.
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