European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E130116
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Aus Anlass des Revisionsrekurses der gefährdeten Partei wird der Beschluss des Rekursgerichts, mit dem über den Rekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei meritorisch entschieden wurde, als nichtig aufgehoben, und dem Erstgericht aufgetragen, den Schriftsatz der Gegnerin der gefährdeten Partei vom 29. April 2020 (nur) als Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung des Erstgerichts vom 3. April 2020, GZ 8 C 302/20g‑2, zu behandeln und darüber das gesetzmäßige Verfahren einzuleiten.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Mit Vertrag vom 5. August 2018 vereinbarten die Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden: Bestellerin) und eine Maschinenbau GmbH (im Folgenden: Werkunternehmerin) die Lieferung einer Kesselbodenfräsmaschine. Unter dem Punkt „Zahlungsmodalitäten“ vereinbarten sie:
[2] „30 % Anzahlung bei Auftragserhalt, gegen Bankgarantie, Laufzeit der Bankgarantie bis zur Anlieferung aller Maschinenteile bei[der Bestellerin].“
[3]
[4] Am 3. Juli 2018 bestätigte eine Bank die Anzahlungsgarantie und verpflichtete sich, die Zahlung innerhalb von acht Bankarbeitstagen nach Einlangen der schriftlichen Aufforderung der Bestellerin zu bezahlen; diese Garantie wurde später mit Schreiben vom 20. Jänner 2020 bis 15. April 2020 verlängert. Im Februar 2020 wurden sämtliche Teile der Maschine der Bestellerin mittels einer Spedition zugestellt.
[5] Mit Schreiben vom 17. März 2020 forderte die Bestellerin die Bank auf, ihr den garantierten Höchstbetrag von 265.239,60 EUR bis 31. März 2020 auszubezahlen.
[6] Am 1. April 2020 beantragte der Masseverwalter der Werkunternehmerin als gefährdete Partei die Erlassung folgender einstweiliger Verfügung:
[7] „1. Zur Sicherung des Anspruches der gefährdeten Partei auf Widerruf des bereits erfolgten Abrufs der Anzahlungsgarantie der Drittschuldnerin wird der [Bestellerin] verboten, die Forderung aus der Anzahlungsgarantie der Drittschuldnerin vom 3. Juli 2018 über einen Betrag in der Höhe von 265.239,60 EUR einzuziehen;
[8] 2. An die [Garantiebank] wird der Befehl gerichtet, bis auf weitere gerichtliche Anordnung den Betrag von 265.239,60 EUR aus der gegenüber der [Bestellerin] erklärten Anzahlungsgarantie vom 3. Juli 2018 weder gänzlich noch teilweise auf Rechnung der gefährdeten Partei auszubezahlen;
[9] 3. Der Anspruch der gefährdeten Partei auf Widerruf des bereits erfolgten Abrufs der Anzahlungsgarantie ist binnen sechs Monaten mit Klage geltend zu machen.“
[10] Dazu brachte die gefährdete Partei zusammengefasst vor, sämtliche Maschinenteile seien in der Kalenderwoche 8 (17. bis 21. Februar 2020) an die Bestellerin geliefert worden, weshalb die Bankgarantie ihre Gültigkeit verloren habe; dennoch habe die Bestellerin die Bank aufgefordert, ihr den Höchstbetrag auszubezahlen, was einen rechtsmissbräuchlichen Abruf der Bankgarantie darstelle. Der Bestellerin sollte es mit der Anzahlungsgarantie ermöglicht werden, die geleistete Anzahlung zurück zu erhalten, wenn – aus welchem Grund auch immer – der Vertrag bis zur Lieferung der Maschinenteile nicht zur Ausführung gelange. Dem Abrufschreiben der Bestellerin sei eine Behauptung, dass Maschinenteile nicht geliefert worden seien, nicht zu entnehmen. Nach erfolgter Ablieferung der Teile würden die Insolvenz der Werkunternehmerin (Eröffnung mit Beschluss vom 25. Februar 2020; Rücktritt des Masseverwalters vom Vertrag gemäß § 21 IO mit Schreiben vom 5. März 2020) und die von der Bestellerin behauptete Unmöglichkeit eines Zusammenbaus der Maschine keinen vereinbarten Sicherungsfall darstellen. Die Gefährdung des Anspruchs auf Widerruf der rechtsmissbräuchlich abgerufenen Anzahlungsgarantie iSd § 381 Z 1 EO sei angesichts der unmittelbar zu gewärtigenden Auszahlung der Garantiesumme offensichtlich.
[11] Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen, als bescheinigt angenommenen Sachverhalts ohne Anhörung der Bestellerin. Rechtlich führte es aus, dem Begünstigten dürfe die Inanspruchnahme der Bankgarantie nur bei Rechtsmissbrauch verboten werden. Der Garantieauftraggeber habe zu bescheinigen, dass er seine gesicherte Verpflichtung zur Gänze erfüllt habe und die missbräuchliche Inanspruchnahme evident sei. Es sei bescheinigt, dass die Sicherung bis zur Lieferung der Maschinenteile bestehen sollte und diese geliefert worden seien. Die gesicherte Verpflichtung sei damit erfüllt. Die Inanspruchnahme der Garantie sei daher rechtsmissbräuchlich erfolgt.
[12] Dagegen erhob die Gegnerin der gefährdeten Partei (Bestellerin), vertreten durch einen deutschen Rechtsanwalt das „Rechtsmittel des Rekurses sowie des Widerspruchs“, das nach Verbesserungsauftrag durch einen Einvernehmensanwalt als „Rekurs samt Widerspruch“ unverändert unterfertigt wurde. Es enthält die Anträge, die Einstweilige Verfügung des Erstgerichts sowie die darin ausgesprochenen Einziehungs‑ und Zahlungsverbote aufzuheben. Eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Bankgarantie liege nicht vor; der im Antrag vorgetragene Sachverhalt sei in entscheidenden Teilen unvollständig sowie teilweise sogar falsch. Sodann macht die Bestellerin zusammengefasst geltend, es sei nie zu einer erfolgreichen Vorabnahme gekommen und auch eine Übertragung der angelieferten Bauteile ins Eigentum der Bestellerin unterblieben, obwohl beide Umstände nach dem weiteren Inhalt des zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrags und dem ausdrücklich erklärten Willen der Parteien Voraussetzung für eine zwingend danach erfolgende Anlieferung der Maschinenteile sein sollten. Es würden auch Pläne, Zeichnungen und andere Dokumentationen, ein Montageplan, Programmierungen und Lizenzen fehlen. Die gelieferten Bauteile würden derzeit keinen Wert aufweisen und nicht einer vertragsgerechten Kesselbodenfräsmaschine entsprechen. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut komme es daher erkennbar nicht bloß auf die Anlieferung der Maschinenteile als solche an, weshalb die Anzahlungsgarantie von der Bestellerin zu Recht in Anspruch genommen worden sei.
[13] Das Rekursgericht behandelte diesen Schriftsatz als einen mit einem Widerspruch verbundenen, vorweg zu erledigenden Rekurs, gab ihm Folge und wies den Sicherungsantrag ab.
[14] Das Erstgericht habe sich mit dem Rücktritt des Masseverwalters vom Vertrag und dessen Rechtsfolgen nicht auseinandergesetzt, was infolge gehörig ausgeführter Rechtsrüge aufzugreifen sei. Das Rekursgericht stellte aus einer im Akt befindlichen Urkunde ergänzend den Inhalt der Rücktrittserklärung des Masseverwalters gemäß § 21 IO vom 5. März 2020 fest. Rechtlich folgerte es daraus, bei einem solchen Vertragsrücktritt behalte jeder Teil die ihm bereits erbrachten Leistungen, dem Vertragspartner stehe allerdings ein Schadenersatzanspruch zu und die dem Vertragspartner des Schuldners bestellten Sicherheiten dienten auch der Deckung eines solchen Anspruchs. Da der Vertragsrücktritt auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zurückwirke, habe die Bestellerin bei Abruf der Anzahlungsgarantie am 17. März 2020 bereits einen Schadenersatzanspruch nach § 21 Abs 2 IO gehabt. Da die Garantie nach den Zahlungsvereinbarungen auf keinen bestimmten Garantiefall eingeschränkt und zur Zeit des Abrufs (17. März 2020) aufrecht gewesen sei (Verlängerung bis 15. April 2020), habe sie auch zur Absicherung dieses Schadenersatzanspruchs gedient, sodass ihre Inanspruchnahme zumindest nicht evident rechtsmissbräuchlich gewesen sei.
[15] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die vom Erstgericht erlassene einstweilige Verfügung wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[16] Die Gegnerin der gefährdeten Partei erstattete ohne Freistellung eine Revisionsrekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[17] Der außerordentliche Revisionrekurs ist zulässig und berechtigt, weil aus Anlass des Revisionsrekurses ein dem Beschluss des Rekursgerichts anhaftender Verstoß gegen die funktionale Zuständigkeit aufzugreifen ist.
[18] 1. Der Schriftsatz der Bestellerin machte weder prozessuale noch materiell‑rechtliche Fehler des Erstgerichts, also keinen einzigen Rekursgrund geltend, sondern enthält ausschließlich neues Tatsachenvorbringen mit dem Ziel darzulegen, dass die Anzahlungsgarantie ungeachtet der Anlieferung der Maschinenenteile noch nicht erloschen ist. Der Inhalt des Schriftsatzes entspricht somit dem (ohnehin darin erwähnten) Widerspruch nach § 397 EO. Dieser kann sich nämlich sowohl gegen den Ausspruch über die Annahme der Glaubhaftmachung des Anspruchs, als auch gegen die Zulässigkeit oder Angemessenheit der getroffenen Maßnahme richten; überdies können alle Umstände angeführt werden, wonach die getroffene Verfügung unzulässig ist, und das Widerspruchsverfahren kann daher zu einer wesentlichen Änderung der Entscheidungsgrundlagen führen (RIS‑Justiz RS0005884 [T2]). Dem gegenüber gilt für den Rekurs das Neuerungsverbot auch im Sicherungsverfahren, und zwar auch in den Fällen, in denen keine vorherige Anhörung des Gegners stattfand (RS0002445 [T4]). Der angefochtene Beschluss ist daher aufgrund der Sach‑ und Aktenlage zur Zeit seiner Erlassung zu überprüfen (RS0002382; 3 Ob 189/10f).
[19] 2. Es stellt sich daher die Frage, ob der Schriftsatz der Bestellerin nicht – ungeachtet des einmalig verwendeten Wortes „Rekurses“ – nur als Widerspruch zu verstehen ist, wie also die Prozesshandlung der Bestellerin auszulegen ist.
[20] Bei der Auslegung einer Prozesshandlung kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0037416; RS0097531; RS0017881); es ist jener Variante der Vorzug zu geben, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen (RS0106326).
[21] Da der einzige Hinweis auf das Vorliegen eines Rekurses in der einmaligen Erwähnung dieses Wortes in einer Art Überschrift besteht, ein Rekurs der Bestellerin aber keinen zulässigen Inhalt hätte, deren erkennbare Absicht darin liegt, durch die Erhebung des Schriftsatzes eine Verbreiterung des Sachverhalts zu erreichen, und der Aufbau des Schriftsatzes auch nicht ansatzweise erkennen lässt, dass der Verfasser zwei verschiedene Rechtsbehelfe, die sich an zwei verschiedene Gerichte richten, erheben wollte, muss der Schriftsatz ausschließlich als Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung des Erstgerichts verstanden werden.
[22] 3. Die – hier nicht einschlägige – Entscheidung 5 Ob 195/10s (= RS0121347 [T2]), wonach der Umstand, dass in einem ausdrücklich als „Rekurs“ bezeichneten Schriftsatz keine Rekursgründe ausgeführt wurden, sondern nur im Widerspruchsverfahren gemäß § 397 EO zulässige neue Tatsachenbehauptungen aufgestellt wurden, nicht die Annahme einer unrichtigen Benennung des Rechtsmittels bzw Rechtsbehelfs und seine Umdeutung in einen Widerspruch gebietet, steht dieser Rechtsansicht nicht entgegen. Denn der dabei behandelte Rechtsmittelschriftsatz war nicht als (verbundener) Widerspruch bezeichnet, sondern nur als „Rekurs“, der auch einen „Antrag, dem Rekurs Folge zu geben“, und die Verzeichnung von „Rekurskosten“ enthielt.
[23] 4. Dem Rekursgericht war somit eine inhaltliche Behandlung des Schriftsatzes als Rekurs und eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Über den tatsächlich ausschließlich vorliegenden Widerspruch hat damit ein funktionell unzuständiges Gericht entschieden, weil darüber das Erstgericht zu entscheiden hat (König Einstweilige Verfügungen6 Rz 6.101; E. Kodek in Angst/Oberhammer EO³ § 398 Rz 1; G. Kodek in Deixler‑Hübner EO §§ 397, 398 Rz 19). Dieser Mangel der funktionellen Zuständigkeit des Rekursgerichts ist vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen (vgl RS0115201 [T4], RS0042059 [T9]). Unter einem war dem Erstgericht aufzutragen, den Schriftsatz der Gegnerin der gefährdeten Partei vom 29. April 2020 als Widerspruch zu behandeln und darüber das gesetzmäßige Verfahren einzuleiten.
[24] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 402 und 78 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO, da nur die Entscheidung des Rekursgerichts als nichtig aufgehoben wurde (RS0035870; RS0123067).
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