Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.189,40 (darin EUR 198,20 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Am 3. 1. 2003 kam es gegen 16.30 Uhr in der Talstation der von der beklagten Partei betriebenen Einseilumlaufbahn „F*****" zu einem Unfall, bei dem die Klägerin als Fahrgast eine schwere Knieverletzung erlitt. Die Klägerin war beim Aussteigen aus der sich mit einer Geschwindigkeit von 0.5 m/sec weiterbewegenden Sechspersonen-Gondel mit der an der Ferse ihres linken Schischuhes angebrachten, querstehenden Verstellschraube unter den nachfahrenden geöffneten Türflügel geraten, wodurch sich der Schischuh zwischen Türflügel und Boden verklemmte, das linke Bein verdrehte und die Klägerin aus der Gondel stürzte. Der unmittelbar neben dem Schaltkasten stehende Stationsbedienstete - sein Kollege befand sich im Bereich der eigentlichen Ausstiegsstelle - reagierte sofort und schaltete den „Kettenförderer" ab. Dies war die schnellstmögliche Variante, um die Gondel zum Stillstand zu bringen. In den „bei der F***** ausgehängten" Beförderungsbedingungen wird darauf hingewiesen, dass die Wagen nach dem selbsttätigen Öffnen der Türen rasch zu verlassen sind.
Ein Ausstiegsvorgang dauert normalerweise zwischen 0,3 und 0,6 sec. Rasches Aussteigen ist in ca 0,3 sec möglich. Vom Aufsetzen des linken Beines der Klägerin auf den Boden außerhalb der Gondel bis zum Verhaken mit der Tür verstrichen ca 0,6 sec. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin mit dem rechten Bein noch in der Gondel. Die Unterkante einer beladenen Gondel weist einen Bodenabstand von ca 23 cm auf. Im Ausstiegsbereich der Talstation sind Gummimatten ausgelegt. Cirka 70 cm nach dem Beginn der Bodenführung öffnen sich die beiden je 32 cm breiten Türflügel der Gondel selbsttätig um ca 90 Grad. Die ca zwanzig Jahre alte Bahn entspricht allen anzuwendenden seilbahntechnischen Normen. Die letzte Überprüfung der Anlage durch den „TÜV" hatte im Mai 2000 stattgefunden und keine relevanten Beanstandungen ergeben. Nach dem neuesten Stand der Technik, dem die „F*****" nicht mehr entspricht, werden die Gondeln im Ein- und Ausstiegsbereich „bodenbündig" geführt. Sie sind ferner mit um 180 Grad schwenkbaren Türen ausgestattet, sodass ein Verhaken mit der Türunterkante oder ein Umstoßen von Fahrgästen nahezu unmöglich ist. Ob der Umstellung der neuesten Bahnen auf solche Türen auch sicherheitstechnische Aspekte zugrundeliegen, kann nicht festgestellt werden. Um die „F*****" auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, müsste sie „neu gebaut" werden. Neben dem Austausch sämtlicher Gondeln müsste die Seilbahntechnik erneuert und unter Umständen sogar der Um- oder Neubau der Stationsgebäude vorgenommen werden. Seit der Inbetriebnahme der „F*****" hat es im Ausstiegsbereich noch nie einen Unfall gegeben. Um Unfälle wie den vorliegenden zu verhindern, müssten Klapptüren vermieden werden. Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei Schmerzengeld, den Ersatz der Kosten für eine Haushaltshilfe und für die Pflege und Betreuung ihres Kindes, der Besuchskosten ihrer Eltern und unfallbedingter Spesen sowie die Haftung der beklagten Partei für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall vom 3. 1. 2003. Die beklagte Partei wendete ein, der Unfall sei auf eine Verkettung unglücklicher Umstände bzw auf die Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen. Sie selbst habe ebenso wie ihre Bediensteten jede erdenkliche Sorgfalt aufgewendet, weshalb sie der Klägerin weder wegen einer Verletzung von Pflichten aus dem Beförderungsvertrag noch nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung zum Schadenersatz verpflichtet sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige und ließ die ordentliche Revision zu. Ausgehend von den übernommenen, nach Beweiswiederholung ergänzten Feststellungen des Erstgerichts verneinte es eine Verschuldenshaftung der beklagten Partei. Zur Gefährdungshaftung vertrat es die Ansicht, der beklagten Partei sei der Entlastungsbeweis gemäß § 9 EKHG gelungen. Mit dem Verhaken der Verstellschraube des Schischuhes der Klägerin habe die beklagte Partei auch bei Anwendung der äußersten nach den Umständen zumutbaren Sorgfalt nicht zu rechnen brauchen, zumal trotz der schischuhtechnischen Neuerungen der letzten Jahre im Ausstiegsbereich der Talstation der „F*****" noch nie ein Unfall passiert sei. Auch ein Fehler in der Beschaffenheit liege nicht vor. Zur Zulassung der Revision führte das Berufungsgericht aus, der Rechtsfrage nach der Möglichkeit des Entlastungsbeweises gemäß § 9 EKHG komme ausnahmsweise erhebliche Bedeutung zu, wenn - wie hier - feststehe, dass ein Unfall nach dem Stand der Technik vermieden worden wäre, die nicht dem Stand der Technik entsprechende Bahn aber über alle erforderlichen behördlichen Genehmigungen verfügt habe.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO:
Gemäß § 9 Abs 1 EKHG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch einem Versagen der Verrichtungen der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeuges beruhte. Zu den Eisenbahnen zählt § 1 EisbG 1957, das gemäß § 2 Abs 1 EKHG (idF BGBl 1977/676) hier noch maßgeblich ist, auch Haupt- und Kleinseilbahnen, wobei eine Einseilumlaufbahn als Hauptseilbahn iSd § 6 Abs 2 EisbG (nunmehr: § 2 SeilbG 2003, BGBl I 103/2003) gilt. Der Oberste
Gerichtshof hat schon in der Entscheidung 2 Ob 178/99m = ZVR 2001/37
= JBl 2001, 242 (Stefula/Thunhart) unter Hinweis auf bestehende
Vorjudikatur (vgl die bei Danzl, EKHG7 § 9 E 33 angeführten Entscheidungen) die Zulässigkeit einer Revision zur Klärung der zum damaligen Anlassfall formulierten Rechtsfrage verneint, ob eine nach § 9 EKHG beachtliche Sorgfaltswidrigkeit vorliege, wenn ein Eisenbahnunternehmen seinen Fuhrpark innerhalb der technischen Nutzungsdauer verwende, statt ihn stets dem jeweils neuesten Sicherheitsstandard anzupassen. Nach dem dort von den Vorinstanzen beurteilten Sachverhalt hatte die Tür eines im Jahr 1962 zugelassenen Eisenbahnwaggons während der Fahrt zum Zweck des verbotswidrigen Aussteigens geöffnet werden können, weil sie noch nicht mit einer Blockiervorrichtung ausgestattet war, wie sie für nach dem 1. 1. 1980 gebaute Eisenbahnwaggons verbindlich vorgeschrieben ist. In der Entscheidungsbegründung wurde ausgeführt, der behauptete Fehler in der Beschaffenheit der Waggontüren liege nicht vor, weil ein technischer Defekt an der Türe nicht aufgetreten, sondern diese funktionsfähig gewesen sei und den Zulassungsbestimmungen entsprochen habe. Von den Begriffen „Fehler in der Beschaffenheit" und „Versagen der Verrichtungen" seien technische Defekte des Fahrzeuges umfasst, sodass dieses nicht verkehrssicher sei. Dies treffe nicht schon dann zu, wenn das Fahrzeug nicht einem in jeder Beziehung idealen Fahrzeug entspreche. Es genüge, dass das Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche (ebenso 2 Ob 262/03y = ZVR 2005/34; RIS-Justiz RS0114049; Koziol, Haftpflichtrecht² II 548; Apathy, Komm z EKHG § 9 Rz 23; Schauer in Schwimann, ABGB² § 9 EKHG Rz 48). Ferner wurde in der zitierten Entscheidung das Unterlassen des - durch verbindliche Vorschriften nicht geforderten - Nachrüstens des Türmechanismus durch eine während der Fahrt wirksame Blockadeeinrichtung nicht als Verletzung der nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt iSd § 9 Abs 2 EKHG qualifiziert. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes stimmt mit diesen auch im vorliegenden Fall anzuwendenden Grundsätzen überein. Dafür, dass die Bauart und die Ausstattung der Gondeln unmittelbar vor dem Unfall den Zulassungsvorschriften nicht entsprochen hätte, liegen - anders als etwa in dem zu 2 Ob 78/95 = EvBl 1996/58 entschiedenen Fall eines schon zur Zeit der Betriebsanlagengenehmigung nicht verkehrssicheren Schiliftes - keine Anhaltspunkte vor.
Aber auch in der Revision werden keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
Gemäß § 9 Abs 2 EKHG gilt als unabwendbar ein Ereignis insbesondere dann, wenn es auf das Verhalten des Geschädigten, eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres zurückzuführen ist, sowohl der Betriebsunternehmer oder Halter als auch die mit Willen des Betriebsunternehmers oder Halters beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben und der Unfall nicht unmittelbar auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist. Die Haftungsbefreiung kommt dem Betriebsunternehmer oder Halter somit nur dann zugute, wenn er die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten hat; es muss alles vermieden werden, was zur Entstehung einer gefahrenträchtigen Situation führen könnte (RIS-Justiz RS0058326, RS0058278, RS0058411; Koziol aaO 551 ff; Apathy aaO Rz 15 f; Schauer aaO Rz 21). An diese Sorgfaltspflicht sind strengste Anforderungen zu stellen; sie darf andererseits aber auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden (vgl die Judikaturnachweise bei Danzl aaO E 68; Apathy aaO Rz 18; Schauer aaO Rz 22). Dabei ist nicht rückblickend zu beurteilen, ob der Unfall bei anderem Verhalten vermieden worden wäre, sondern von der Sachlage vor dem Unfall auszugehen (ZVR 1977/306; RIS-Justiz RS0058216). Der Umfang der gemäß § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt hängt regelmäßig von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab (RIS-Justiz RS0111708).
Die auf den dargelegten Grundsätzen beruhende Auffassung des Berufungsgerichtes, die beklagte Partei habe auch bei Anwendung der äußersten nach den Umständen zumutbaren Sorgfalt mit dem Einhaken einer quergestellten Verstellschraube eines Schischuhes an der Türflügelunterkante einer Gondel nicht rechnen können, hält sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes. Daraus ergibt sich aber bereits, dass - jedenfalls vor dem Unfall (vgl ZVR 2005/34) - selbst für einen besonders sorgfältigen Betriebsunternehmer keine Veranlassung bestehen konnte, seine Fahrgäste vor einer solchen potentiellen Gefahr zu warnen, sei es durch akustische, schriftliche oder bildliche Warnhinweise, oder - wie die Klägerin meint - durch die Anbringung einer parallel zur Fahrtrichtung der Gondel verlaufenden Bodenmarkierung, welche beim Aussteigen übertreten werden müsste. Den in der Revision zu diesem Thema vermissten Feststellungen kämen daher keine streitentscheidende Bedeutung zu, weshalb auch eine Auseinandersetzung mit dem in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf des Verstoßes gegen die oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Beweislastverteilung entbehrlich ist. Ein „Nachrüsten" der Gondeln durch den Einbau von dem aktuellen Standard entsprechenden Türen kam innerhalb der bestehenden Anlage technisch nicht in Betracht. Die Neuerrichtung der gesamten Seilbahnanlage war aber der beklagten Partei schon wegen des damit verbundenen Kostenaufwandes nicht zumutbar (2 Ob 178/99m; vgl auch die Erwägungen von Stefula/Thunhart in JBl 2001, 243 f zur Zumutbarkeit des „Nachrüstens"). Das Berufungsgericht hat demnach die Grenzen des ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraumes nicht überschritten, wenn es unter den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalles den der beklagten Partei obliegenden Entlastungsbeweis als gelungen angesehen und den Unfall als unabwendbares Ereignis iSd § 9 EKHG beurteilt hat.
Hat ein beklagter Betriebsunternehmer aber den Entlastungsbeweis gemäß § 9 Abs 2 EKHG, also den Beweis der Einhaltung der äußersten zumutbaren Sorgfalt, erbracht, so kommt auch seine Haftung wegen Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten oder nach den allgemeinen Grundsätzen des Ingerenzprinzips nicht in Betracht. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Klägerin daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
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