OGH 2Ob178/99m

OGH2Ob178/99m8.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Ana G*****, und Ruzica G*****, beide vertreten durch die gesetzlichen Vertreter Marta und Vinko G*****, diese vertreten durch Dr. Sabine Gauper-Müller, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 1. S 122.764,80 und 2. S 28.614,40 je sA und Feststellung (Feststellungsinteresse zu 1. S 50.000,-- und zu 2. S 33.334,--), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 11. März 1999, GZ 3 R 20/99g-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15. November 1998, GZ 23 Cg 222/97i-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.525,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens, hievon die Erstklägerin S 7.048,50, die Zweitklägerin S 2.476,50 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Auf der Eisenbahnstrecke der Österreichischen Bundesbahnen zwischen Pörtschach und Klagenfurt fahren im Frühverkehr planmäßig ein Eil- und ein Regionalzug. Dabei fährt der Eilzug vor dem Regionalzug von Pörtschach ab und hält planmäßig bis zur Station Klagenfurt-Hauptbahnhof nicht an. Der danach fahrende Regionalzug hält hingegen vor der Station Klagenfurt-Hauptbahnhof auch an der Station Klagenfurt-Lend planmäßig an.

Am 2. 4. 1997 hatte der Eilzug Verspätung und fuhr nur kurz vor dem Regionalzug von Pörtschach ab. Die zum damaligen Zeitpunkt 13 und 14-jährigen Klägerinnen wollten auf ihrer Schulzeit wie immer den Regionalzug benutzen, um dann in der Station Klagenfurt-Lend auszusteigen. An diesem Tag stiegen sie aber irrtümlich in den Eilzug ein. Nachdem sie erfahren hatten, dass dieser nicht in der Station Klagenfurt-Lend anhalten werde, sprangen sie, als der Zug gerade eine Langsamfahrstelle in Krumpendorf mit etwa 55 km/h passierte, nach Öffnen der Waggontür aus dem fahrenden Zug. Dadurch erlitten beide schwere Verletzungen. Der von den Klägerinnen benützte Eisenbahnwaggon war mit Drehfalttüren ausgestattet. Zum Öffnen der Türe musste der Türdrücker gegen Federkraft nach oben über die Senkrechte bis in eine Stellung von 30 Grad zur Senkrechten auf der anderen Seite und sodann weiter unter Überwindung eines weiteren Widerstandes hinuntergedrückt werden, wobei erst im Zug dieser Weiterbewegung der Entriegelungsmechanismus zu greifen beginnt und die Türe erst entriegelt ist, wenn der Türdrücker ganz unten ist. Dann erst kann die Fallttür nach außen aufgedrückt werden. Diese Art der Türöffnung diente dazu, Manipulationen und unbedachtes Öffnen der Türe zu vermeiden. An der Innenseite der Türen waren Piktogramme in Form eines gelben Dreieckes mit schwarzem Rand und der stilisierten Darstellung einer zu Boden fallenden Person angebracht. Eine Blockiervorrichtung, die verhindert, dass die Türen während der Fahrt geöffnet werden können, war nicht vorhanden. Solche Blockiervorrichtungen sind nur für nach dem 1. 1. 1980 gebaute Eisenbahnwaggons vorgeschrieben. Der von den Klägerinnen benützte Waggon war vor diesem Zeitpunkt gebaut worden und war eisenbahnbehördlich genehmigt.

Die Klägerinnen begehren von der beklagten Partei Schadenersatz, weil die Türen wegen Fehlens einer Türblockiereinrichtung nicht den Sicherheitsvorschriften entsprochen hätten.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Der Unfall sei von den Klägerinnen allein verschuldet worden. Die Türen des Waggons seien voll funktionsfähig gewesen, hätten dem technischen Standard, den einschlägigen Vorschriften und auch dem UIC-Kodex entsprochen. Die darin enthaltenen Regelungen über Türblockiereinrichtungen seien nur für nach dem 1. 1. 1980 gebaute Waggons verbindlich. Der von den Klägerinnen benützte Waggon sei zugelassen gewesen, die Typengenehmigung und die Betriebsbewilligung aus dem Jahr 1962 seien aufrecht.

Der Unfall sei auf ein für die beklagte Partei unabwendbares Ereignis im Sinn des § 9 EKHG zurückzuführen.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren teilweise, dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Es erörterte - zusammengefasst - rechtlich, dass die beklagte Partei durch Verwendung von 35 Jahre alten Waggons mit unverändertem Türschließ- und Öffnungsmechanismus eine Gefahrenlage geschaffen habe, ohne die sich der Unfall der Klägerinnen nicht ereignet hätte. Es stelle keine Überspannung von Sorgfaltspflichten dar, die Ausscheidung solcher Waggons aus dem Fuhrpark zu fordern, auch wenn die technische Nutzungsdauer noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Das Berufungsgericht wies die Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes je Klägerin S 52.000,-- nicht aber S 260.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es vertrat - ebenfalls zusammengefasst - rechtlich die Meinung, dass der beklagten Partei kein Verstoß gegen die verbindliche Vorschrift des UIC-Kodex zum Vorwurf zu machen sei, weil dieser erst für nach dem 1. 1. 1980 gebaute Eisenbahnwaggons Geltung habe. Der Türöffnungsmechanismus an dem von den Klägerinnen benützten Waggon sei nicht defekt gewesen. Die beklagte Partei habe nicht damit rechnen müssen, dass die Waggontüre während der Fahrt bewusst geöffnet werde. Es stelle eine Überspannung der der beklagten Partei obliegenden Sorgfaltspflicht dar, von ihr die Ausscheidung stets jener Waggons aus ihrem Fuhrpark zu fordern, die nicht dem letzten Stand der Sicherheitstechnik entsprächen, möge auch diesbezüglich die Nachrüstung der verbesserten Sicherheitseinrichtungen empfohlen sein. Die Weiterverwendung von Waggons, die nicht dem fortgeschrittenen sicherheitstechnischen Standard entsprächen, sei gestattet, zumal es sich bei Eisenbahnwaggons um jedenfalls längerfristig nutzbare Beförderungsmittel handle. Die Beklagte habe ihre nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet, weil eben auf die konkreten Umstände abzustellen sei und sie mit einem derart atypischen Verhalten der Geschädigten nicht rechnen habe müssen. Die Zumutbarkeit der Beachtung jeder nur möglichen Sorgfaltspflicht habe dort ihre Grenze zu finden, wo durch ein willkürliches Verhalten des Geschädigten gewollt eine Türe - mit einem für den ordnungsgemäßen Gebrauch funktionsfähigen Öffnungs- und Schließmechanismus - geöffnet werde, um während der Fahrt vom Zug verbotenerweise abzuspringen.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil der Frage, ob eine nach § 9 EKHG beachtliche Sorgfaltswidrigkeit bereits dann vorliege, wenn ein Eisenbahnunternehmen seinen Fuhrpark innerhalb der technischen Nutzungsdauer verwende, statt ihn stets dem jeweils neuesten Sicherheitsstandard anzupassen, eine für die Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.

Die klagenden Parteien beantragen mit ihrer Revision die Stattgebung des Klagebegehrens.

Die beklagte Partei beantragt die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Die Zurückweisung einer Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführungen der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusätzlich zu den bereits vom Berufungsgericht gebrauchten Argumenten ist darauf zu verweisen, dass die Haftung nach § 9 Abs 3 EKHG dann auszuschließen ist, wenn ua das Ereignis auf das Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist. Dieses Tatbestandsmerkmal erfasst solche Verhaltensweisen, die objektiv verkehrswidrig sind und eine Erhöhung der Gefahr bedeuten (Schauer in Schwimann2 Rz 8 zu § 9 EKHG mwN). Ob das Verhalten des Geschädigten schuldhaft oder schuldlos war, ist gleichgültig (Schauer aaO Rz 9, Danzl EKHG6, 192 zum Verhalten eines Kindes). Die Regierungsvorlage zum EKHG (RV 470 BlgNR 8. GP, 10 f abgedruckt in Danzl EKHG6, 188) hat sich ausdrücklich mit aus dem fahrenden Zug springenden Personen befasst und darin ein willkürliches Verhalten des Verletzten gesehen, das der Betriebsunternehmer nicht abwenden könne. Da die Klägerinnen aus einem mit 55 km/h fahrenden Zug springen wollten, und dazu eine funktionsfähige Eisenbahntüre, die nur unter Überwindung eines Widerstandes durch Heben des Hebels über die Senkrechte und nachfolgenden Niederdrücken geöffnet werden konnte, öffnen mussten, liegt das Ausschlussmerkmal des § 9 Abs 2 EKHG bereits aus diesem Grund vor.

Der behauptete Fehler in der Beschaffenheit der Waggontüren liegt nicht vor, weil ein technischer Defekt an der Türe nicht aufgetreten war, sondern diese funktionsfähig war und den Zulassungsbestimmungen entsprach. Zu der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage liegt Rechtsprechung vor. Danach umfassen die Begriffe Fehler in der Beschaffenheit und Versagen der Verrichtungen technische Defekte des Fahrzeuges (Danzl aaO, 191), wenn es also nicht verkehrssicher ist. Dies trifft nicht schon dann zu, wenn das Fahrzeug nicht in einem in jeder Beziehung idealem Fahrzeug entspricht. Es genügt, dass das Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht (siehe die bei Danzl, EKHG6 § 9 unter E 33 abgedruckten Entscheidungen; Apathy EKHG Rz 23 zu § 9; Schauer in Schwimann2 Rz 48 zu § 9 EKHG). Mit diesen Grundsätzen stimmt die Auffassung des Berufungsgerichtes überein, dass das Unterlassen des - durch verbindliche Vorschriften nicht geforderten - Nachrüstens des Türmechanismus durch eine während der Fahrt wirksame Blockadeeinrichtung keine Verletzung der nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt iSd § 9 Abs 2 EKHG bedeutet, weil die Türen gegen unbeabsichtigtes Öffnen gesichert waren und die beklagte Partei mit dem atypischen Verhalten der Klägerinnen nicht rechnen musste.

Der Oberste Gerichtshof hat schon zu 2 Ob 2008/96z eine außerordentliche Revision in einem Fall zurückgewiesen, in dem die Haftung der hier ebenfalls beklagten Partei für die Verwendung von Drehfalttüren, die nicht mit einer Türblockadeeinrichtung versehen waren, verneint wurde, weil sie den Zulassungsbestimmungen entsprochen haben. Auch in diesem Fall war diese Tür zum verbotswidrigen Aussteigen während der Fahrt geöffnet worden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO, weil die beklagte Partei auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.

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