OGH 2Ob9/12f

OGH2Ob9/12f28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L***** P*****, und 2. T***** B*****, beide vertreten durch Mag. Wolfgang Kapek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Franz Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. (erstklagende Partei) 66.988,87 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), und 2. (zweitklagende Partei) 66.918,14 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2011, GZ 15 R 206/11s-94, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. In dritter Instanz ist nicht mehr strittig, dass gemäß Art 4 lit a Abs 1 zweiter Fall des Haager Straßenverkehrsübereinkommens das Recht der Republik Moldau zur Anwendung gelangt. Dieses Recht bestimmt laut Art 8 Z 6 des Übereinkommens auch die Personen, die Anspruch auf Ersatz des persönlich erlittenen Schadens haben. Gemäß Art 10 kann die Anwendung eines der durch dieses Übereinkommen für anwendbar erklärten Rechte nur ausgeschlossen werden, wenn sie mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Durch diese Regelung soll die inländische Rechtsordnung nur vor dem Eindringen solcher fremder Rechtsgedanken geschützt werden, die mit wesentlichen österreichischen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sind (2 Ob 237/04y; RIS-Justiz RS0074428). Erst wenn das Ergebnis der Anwendung im konkreten Fall für die österreichische Rechtsordnung untragbar ist, würde die Vorbehaltsklausel eingreifen (2 Ob 68/89; vgl auch 9 Ob 34/10f; RIS-Justiz RS0110743; Neumayr in KBB³ § 6 IPRG Rz 1). Fragen des ordre public und ihre Lösung betreffen daher typischerweise nur den jeweiligen Einzelfall (vgl 8 Ob 60/05i; 2 Ob 50/08d).

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist der Unfall auf einen Reifenplatzer zurückzuführen, ein Verschulden des Lenkers ist nicht erwiesen. Die Behauptung eines Fahrfehlers des Lenkers geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Würde österreichisches Recht zur Anwendung gelangen, käme als Anspruchsgrundlage nur die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters nach den Bestimmungen des EKHG in Betracht.

Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits klargestellt, dass das Fehlen eines Gefährdungshaftungstatbestands in der anzuwendenden fremden Rechtsordnung den Grundwertungen österreichischen Rechts nicht widerspricht. Dies sei weder mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar (Art 10 Haager Straßenverkehrsübereinkommen), noch würde dies zu einem Ergebnis führen, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar wäre (§ 6 IPRG; 2 Ob 25/92 [englisches Recht]).

3. Im vorliegenden Fall führt die Anwendung des Art 40 des Gesetzes Nr 1508-XII der Republik Moldau dazu, dass den Klägerinnen als Insassinnen des verunglückten Fahrzeugs kein Schadenersatzanspruch gebührt. Dieses Ergebnis deckt sich mit jenem, das auch bei Fehlen jeglichen Gefährdungshaftungstatbestands erzielt werden würde.

Trifft die beklagte Partei hingegen auch die Gefährdungshaftung (dies blieb im Verfahren ungeklärt), könnten wegen der unterschiedlichen Behandlung von innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs befindlichen Personen allenfalls wegen des Gleichheitssatzes Bedenken bestehen. Das Berufungsgericht hat dazu auf § 3 EKHG verwiesen, der ein gutes Beispiel dafür bietet, dass auch in der österreichischen Rechtsordnung die auf dem Gedanken des „Handelns auf eigene Gefahr“ gegründete Ungleichbehandlung einzelner Personengruppen (vgl Danzl, EKHG8 § 3 Anm 1) in bestimmten Fällen als sachlich gerechtfertigt angesehen wird. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts steht mit den zu § 6 IPRG bzw Art 10 Haager Straßenverkehrsübereinkommen entwickelten allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung im Einklang und wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

4. Richtig ist, dass die Vorinstanzen Art 40 des Gesetzes Nr 1508-XII selbständig auslegten, ohne die Auslegung und Anwendungspraxis im Heimatstaat der Klägerinnen erhoben zu haben.

Die Rechtsprechung sieht in dieser Vorgangsweise einen Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und unter Umständen zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt. Die Rechtsprechung bietet Beispiele, wo dies auch aufgrund einer außerordentlichen Revision geschah (vgl 2 Ob 121/11z mwN).

In der soeben zitierten Entscheidung hat der Senat aber auch die Ansicht vertreten, es müsste in der Rechtsrüge einer außerordentlichen Revision doch zumindest ansatzweise dargelegt werden, warum nach der richtig anzuwendenden Rechtsordnung ein günstigeres als das vom Berufungsgericht erzielte Ergebnis zu erwarten ist.

Auch im vorliegenden Fall ergeben sich aus den Revisionsbehauptungen der Klägerinnen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auslegung der Vorinstanzen den Rechtsanwendungsgrundsätzen des § 3 IPRG widerspricht (vgl 2 Ob 121/11z; RIS-Justiz RS0113594).

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