OGH 2Ob86/11b

OGH2Ob86/11b30.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H***** H*****, vertreten durch Dr. Andreas Köb, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei (nunmehr) A***** AG, *****, vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 22.889,39 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2011, GZ 4 R 320/10y-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. September 2010, GZ 46 Cg 209/09v-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „A***** AG“ berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.259,64 EUR (darin 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Zu I.: Aus dem Firmenbuch (FN *****) ist ersichtlich, dass die Firma der beklagten Partei geändert wurde. Auf deren Antrag ist die Parteienbezeichnung daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen.

Zu II.: Der Kläger ist Konsument und verfügte bei der beklagten Partei über ein Wertpapierdepot. Er erwarb nach Vermittlung eines A*****-Beraters im November 2006 über die beklagte Partei 20.000 Stück des von der L***** emittierten und von L***** garantierten Wertpapiers „D*****“ (eines Garantiezertifikats) zu einem Kaufpreis von 20.000 EUR und Spesen von 500 EUR. Anfang Dezember 2006 wurden die Wertpapiere in das Depot des Klägers eingeliefert. Die Beratung war anhand eines Werbefolders der beklagten Partei erfolgt, in welchem dem Wertpapier „100%ige Sicherheit“ bescheinigt wurde und von „100 % Kapitalgarantie“ die Rede war. Auch der Berater hatte erklärt, dass es sich um eine „total sichere“ Anlage handle, weil es dafür eine 100%ige Kapitalgarantie gebe. Über ein Insolvenzrisiko informierten weder er noch die Broschüre. Der Kläger hatte den Werbefolder nur kurz durchgeblättert, ihn aber nicht gelesen. Weitere Fragen stellte er nicht. Für seine Investitionsentscheidung war die 100%ige Kapitalgarantie ausschlaggebend. In der Folge gerieten sowohl die Emittentin als auch die - in der Werbebroschüre nicht genannte - Garantin in die Insolvenz, was auch für Fachkreise überraschend war. Die von der Klägerin erworbenen Wertpapiere wurden dadurch praktisch wertlos.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Aufhebung des Vertrags über den Ankauf der näher bezeichneten Wertpapiere sowie die Zahlung von 22.889,39 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Rückstellung der Wertpapiere. Hilfsweise stellte er ein Feststellungsbegehren. Er stützte sich im Wesentlichen auf einen von der beklagten Partei bzw dem ihr zuzurechnenden Berater veranlassten wesentlichen Geschäftsirrtum über das wahre Verlustrisiko und die schadenersatzrechtliche Haftung wegen Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren mit einer geringfügigen Ausnahme statt.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Abweisung des gesamten Klagebegehrens ab. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete es damit, dass es noch an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob bei einer Veranlagung wie im vorliegenden Fall eine ausdrückliche Aufklärung über das - theoretisch immer bestehende - Insolvenzrisiko notwendig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. Der Oberste Gerichtshof hat sich inzwischen in ganz ähnlich gelagerten Fällen bereits mehrfach mit der Frage der Haftung der beklagten Partei aufgrund der in ihrem Werbefolder über das auch hier gegenständliche Finanzprodukt („D*****“) enthaltenen Informationen befasst. In der Entscheidung 4 Ob 20/11m = EvBl 2011/119, 825 (zust Klausberger) = ÖBA 2012/1769, 57 (zust Schopper) gelangte er zu dem Ergebnis, dass durch den Inhalt des Folders, insbesondere durch den blickfang- und schlagwortartigen Hinweis auf die „100%ige Kapitalgarantie“ und eine „100%ige Sicherheit“, kein falscher Gesamteindruck über das Risiko der geplanten Investitionen hervorgerufen werde. Es bestehe kein Schutzbedürfnis des Vertragspartners, ihn über ein bloß theoretisches, praktisch zu vernachlässigendes allgemeines Insolvenzrisiko aufzuklären. Dieser Rechtsansicht ist der Oberste Gerichtshof - trotz der von Graf (Sind Drachen wirklich so harmlose Tiere?, ecolex 2011, 506) geäußerten Kritik - in zahlreichen Entscheidungen gefolgt, sodass von einer mittlerweile gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist (zuletzt etwa 7 Ob 107/11b mwN; 1 Ob 132/11k; 9 Ob 5/11t; 9 Ob 17/11g; RIS-Justiz RS0026135 [T26, T27], RS0029601 [T19, T20], RS0108073 [T15, T16], RS0119752 [T10, T11], RS0124492 [T2]).

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stimmt mit dieser Rechtsprechung überein. Eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO stellt sich daher nicht. Die in diesem Zusammenhang gerügte Aktenwidrigkeit liegt überdies nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Fehlt es an einer Verletzung der Aufklärungspflicht, können auch alle Überlegungen des Klägers zur Kausalität einer solchen und zur diesbezüglichen Beweislast auf sich beruhen. Der dieses Thema betreffenden Rüge eines (vermeintlichen) Verfahrensmangels zweiter Instanz fehlt es von vornherein an der erforderlichen Relevanz.

3. Verwirklicht hat sich auch im vorliegenden Fall einzig das Insolvenzrisiko, über das die beklagte Partei im Hinblick auf die Einschätzung durch die Fachkreise im November 2006 nicht aufzuklären hatte. Soweit sich der Kläger darüber hinaus auf eine Verletzung von sonstigen Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten nach den §§ 11 ff WAG aF, nach § 384 UGB, infolge culpa in contrahendo, wegen der „rollenüberschreitenden Stellung“ der beklagten Partei sowie nach § 4 KMG beruft, ist ihm zu entgegnen, dass die behaupteten Unterlassungen und daraus allenfalls resultierende Fehlvorstellungen ohnehin nicht schlagend geworden sind (vgl 1 Ob 108/11f; 1 Ob 109/11b; 7 Ob 113/11k; 1 Ob 132/11k). Mangels Verletzung von Aufklärungspflichten wurde bereits in 4 Ob 20/11m ein Schadenersatzanspruch des Anlegers verneint.

4. Aus den Feststellungen ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Berater dem Kläger anlässlich des Beratungsgesprächs vom Inhalt des Werbefolders abweichende Informationen zuteil werden ließ. Auf die im Rechtsmittel erörterte Frage, ob das Verhalten des Beraters der beklagten Partei zuzurechnen sei, kommt es daher nicht an (4 Ob 20/11m; 5 Ob 56/11p; 7 Ob 107/11b).

5. Da es der Beantwortung erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, erweist sich die Revision als unzulässig. Sie ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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