OGH 9Ob17/11g

OGH9Ob17/11g21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. S***** H*****, vertreten durch die Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Bank AG, *****, vertreten durch die Ebert Huber Swoboda Oswald & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 21.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2010, GZ 4 R 318/09b-15, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. Juli 2009, GZ 18 Cg 29/09t-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf

„A***** AG, *****“ berichtigt.

II. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.259,64 EUR (darin enthalten 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

ad I. Aus dem Firmenbuch (FN *****, Handelsgericht Wien) ist ersichtlich, dass die Firma der Beklagten nunmehr „A***** AG“ lautet und sich deren neue Geschäftsanschrift in „*****“ befindet. Die Bezeichnung der Beklagten ist daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen (vgl 1 Ob 108/11f ua).

ad II. Die Klägerin erwarb von der Beklagten (damaliger Firmenwortlaut: C***** Aktiengesellschaft) am 5. 12. 2006 aufgrund der Beratung durch die hiezu befugte AR***** GmbH (im Folgenden: AR*****) das von der (niederländischen) L***** Co. B.V. emittierte Bond Zertifikat „D*****“ um den Betrag von insgesamt 21.000 EUR. Die Beklagte hatte der AR***** eine Informationsbroschüre zur Verfügung gestellt, worin dieses Wertpapier mit einer 100%igen Kapitalgarantie beworben wurde. In dieser Informationsbroschüre wurden über die Garantin keine Angaben gemacht. Aus dem (ausführlicheren) Kapitalmarktprospekt ergab sich, dass die L***** Inc. (US-amerikanische Investmentbank, Muttergesellschaft der Emittentin) Garantin war. Im September 2008 wurden sowohl die Garantin als auch Emittentin insolvent.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage, gestützt auf die von ihr behauptete Kapitalgarantie der Beklagten und eine Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums, die Zahlung von 21.000 EUR sA Zug-um-Zug gegen Rückübertragung der Wertpapiere „D*****“; hilfsweise möge festgestellt werden, dass die Beklagte der Klägerin für alle Schäden hafte, die aus dem Ankauf des Zertifikats „D*****“ um 20.000 EUR entstehen; hilfsweise sei die Beklagte schuldig, der Klägerin jenen Betrag samt Anhang zu zahlen, den die Klägerin am 5. 10. 2010 von L***** Co. B.V. bzw L***** Inc. weniger erhalte als 20.000 EUR; hilfsweise möge festgestellt werden, dass die Beklagte der Klägerin für jenen Schaden hafte, den die Klägerin aus der Veranlagung in das Zertifikat „D*****“ erleide, insbesondere dadurch, dass die Klägerin am 5. 10. 2010 weniger erhalte als 20.000 EUR.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wendete insbesondere ein, dass sie keine Kapitalgarantie übernommen habe.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren der Klägerin statt. Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Beklagten das Ersturteil im Sinne der vollständigen Klageabweisung ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob bei einer derartigen, überdies eine Vielzahl von Anlegern betreffenden Veranlagung eine Aufklärung über das theoretisch immer bestehende allgemeine Insolvenzrisiko notwendig sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Revision aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund jedenfalls zulässig sei. Vorrangig sei die Revision jedoch schon deshalb zulässig, weil die Beklagte den Eindruck erweckt habe, dass sie selbst für die Leistung garantiere. Darüber hinaus liege Dissens, zumindest aber ein wesentlicher Geschäftsirrtum vor, weil die Klägerin keine Anleihe, sondern einen Investmentfondsanteil erwerben wollte.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die von der Klägerin erhobene Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich gemäß § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken:

Der Oberste Gerichtshof hat schon in seiner dieselbe Informationsbroschüre der Beklagten betreffenden Entscheidung 4 Ob 176/10a die Auffassung des Gerichts zweiter Instanz, aus dem Prospektinhalt sei nicht zu schließen, dass die Beklagte Garantin des beworbenen Produkts sei, als vertretbar bezeichnet. An dieser Auffassung wurde auch in den nachfolgenden Entscheidungen festgehalten (4 Ob 20/11m; 8 Ob 38/11p ua).

Vom Nichtzustandekommen eines Geschäfts zwischen den Parteien infolge „Dissenses“ war im Klagevorbringen keine Rede. Die Klägerin brachte in erster Instanz auch nicht vor, dass sie ein Wertpapier („Investmentfondsanteil D*****“) erwerben wollte, von dem sie in der Revision selbst einräumt, dass ein solches Wertpapier nicht existierte. Vielmehr ging die Klägerin stets davon aus und betonte dies auch mehrfach, dass sie von der Beklagten aufgrund der Informationsbroschüre (Verkaufsprospekt) das Bond Zertifikat „D*****“ um das Nominale von 20.000 EUR und ein Agio von 1.000 EUR erworben hat. Da dies auch die Beklagte als richtig zugestand, erachtete es das Erstgericht zu Recht als außer Streit stehend, dass die Klägerin am 5. 12. 2006 von der Beklagten das Bond Zertifikat „D*****“ um insgesamt 21.000 EUR erworben hat. Grundlage des Kaufs war die dem Ersturteil in Kopie angeschlossene Informationsbroschüre. Darin wird das gegenständliche Wertpapier „D*****“ unter den „Eckdaten“ nicht als Investmentfondsanteil, sondern als „Zertifikat mit Kapitalgarantie“ beschrieben (siehe zur näheren Ausgestaltung dieses Zertifikats [Anleihe] 4 Ob 20/11m). Für die Annahme der Klägerin, sie habe keine Anleihe, sondern einen Investmentfondsanteil erworben (siehe zur Funktionsweise und näheren Ausgestaltung von Investmentfondsanteilen das Investmentfondsgesetz (InvFG) 2011, BGBl I 2011/77; vgl auch Macher in Macher/Buchberger/Kalss/Oppitz, InvFG Vor § 1 Rz 22 ff ua), bleibt nach der Informationsbroschüre, die Grundlage des Erwerbs der Klägerin war, kein Raum.

Richtig ist, dass in dem mit der Stampiglie der AR***** versehenen Formular über den Antrag der Klägerin auf Depoteröffnung bei der Beklagten das Wertpapier „D*****“ offenbar fälschlich in der Rubrik „Antrag zum Kauf von Investmentfondsanteilen“ eingetragen wurde (Beil /1). Diesem Umstand maß jedoch schon das Erstgericht bei seiner Klagestattgebung keine besondere Bedeutung zu. Übereinstimmend gingen die Vorinstanzen vom Konsens der Parteien bezüglich des Erwerbs des Wertpapiers „D*****“ aus. Davon abweichenden Fehlbezeichnungen im Depotantrag kommt zufolge Konsenses bezüglich der Identität des Wertpapiers keine Bedeutung zu. Der Einwand der Klägerin, sie habe keine Anleihe (Zertifikat), sondern Investmentfondsanteile erwerben wollen, geht deshalb ins Leere (vgl zur Unbegründetheit dieses Einwands auch 7 Ob 79/11k). Nach der Lage des Falls kann entgegen der Behauptung in der Revision keine Rede davon sein, dass es sich bezüglich des Erwerbs von Investmentfondsanteilen um eine von der Beklagten zugestandene Tatsache handle. Weitere Erörterungen des Vorbringens der Parteien können hier unterbleiben, weil Fragen der Auslegung des Parteienvorbringens zufolge ihrer Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen (vgl RIS-Justiz RS0042828 ua).

Aus § 473a ZPO ist für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ebenfalls nichts zu gewinnen. Diese Bestimmung bezieht sich - soweit hier relevant - nicht auf Feststellungsmängel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sondern auf unrichtige Tatsachenfeststellungen (vgl RIS-Justiz RS0115460 ua). Im Übrigen besteht keine Notwendigkeit für ein Vorgehen des Berufungsgerichts nach § 473a ZPO, wenn - wie hier - in der Berufung bei gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge auf die erstgerichtlichen Feststellungen Bezug genommen wird (vgl RIS-Justiz RS0113473 ua). Es wurde daher auch nicht das rechtliche Gehör der Klägerin im Berufungsverfahren verletzt; die Rüge der Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist unbegründet. Die Berufungsentscheidung leidet auch nicht an einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Zu der vom Berufungsgericht der Begründung der Zulassung der Revision zugrunde gelegten Frage, ob die Klägerin deshalb unrichtig informiert wurde, weil sie von der Beklagten nicht auf die Gefahr der Insolvenz der Emittentin oder der Garantin hingewiesen worden sei, hat der Oberste Gerichtshof bereits in einer Reihe vergleichbar gelagerter Fälle, in denen es ebenfalls um das Zertifikat „D*****“ ging, Stellung genommen (4 Ob 20/11m; 8 Ob 148/10p; 8 Ob 38/11p; 9 Ob 87/10z; 1 Ob 132/11k ua). In 4 Ob 20/11m legte der Oberste Gerichtshof mit eingehender Begründung dar, dass die Beklagte im Hinblick auf die Einschätzung der Finanzkraft der Emittentin L***** Co. B.V. durch die Fachkreise im November/Dezember 2006 davon ausgehen durfte, dass das Bonitätsrisiko bloß theoretischer, vernachlässigbarer Natur sei. Dass die in der Informationsbroschüre angeführten exzellenten Ratings der drei führenden Ratingagenturen zum Kaufdatum noch gültig gewesen seien, sei von den dortigen Klägern nicht bestritten worden. Unter diesen Umständen sei die in der Broschüre in Form des Ratings enthaltene Information über die Bonität der Emittentin ausreichend gewesen; einer darüber hinausgehenden Aufklärung der Kläger über das allgemeine Bonitätsrisiko habe es nicht bedurft. Schon mangels Verletzung von Aufklärungspflichten sei das auf Irrtum und Schadenersatz gestützte Begehren unberechtigt. Auf die Frage der Zurechnung des Verhaltens eines zwischengeschalteten Beraters zur Beklagten komme es daher nicht an.

Nichts anderes gilt auch im vorliegenden, gleichgelagerten Fall. Da der Oberste Gerichtshof zu den maßgebenden Rechtsfragen in den - wenngleich erst nach dem bekämpften Berufungsurteil ergangenen - zitierten Entscheidungen bereits eingehend Stellung genommen hat, mangelt es der vorliegenden Revision an der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO, die nach ständiger Rechtsprechung noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegeben sein muss (RIS-Justiz RS0112769 ua). Der Umstand allein, dass sich die hier zu beantwortenden Rechtsfragen in mehreren Parallelverfahren verschiedener Anleger stellen bzw stellten, bewirkt nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042816 ua).

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage ist daher die Revision der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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