OGH 2Ob85/10d

OGH2Ob85/10d21.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 22. November 2005 verstorbenen J*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des E*****, vertreten durch Frimmel/Anetter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 8. März 2010, GZ 5 R 223/09i-100, womit der Rekurs des Genannten gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Weiz vom 13. Oktober 2009, GZ 1 A 53/06b-93, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Der Antrag auf Zuerkennung der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der am 22. 11. 2005 verstorbene Erblasser hinterließ seine beiden Söhne Ing. J***** und Mag. K*****. In seinem Testament vom 3. 11. 1995 hatte er seinen Sohn K***** sowie dessen Söhne M***** und E***** zu den Erben seines Vermögens bestimmt und die Enterbung seines Sohnes J***** angeordnet. Letzterer sei gegen ihn mit einer falschen und verleumderischen Strafanzeige vorgegangen.

In der Folge wurde der enterbte Sohn (ua) wegen des gegen seinen Vater gerichteten, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedrohten Verbrechens der Verleumdung gemäß § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB rechtskräftig für schuldig erkannt. Daraufhin bekräftigte der Erblasser die Enterbung dieses Sohnes am 24. 11. 1998 mittels eines „Beisatzes“ zu seinem Testament.

Im Verlassenschaftsverfahren gaben Mag. K***** und seine Söhne zunächst bedingte Erbantrittserklärungen aufgrund des Testaments vom 3. 11. 1995 ab. Ing. J***** und dessen Sohn E***** gaben auf das Gesetz gestützte bedingte Erbantrittserklärungen ab. Das Erstgericht wies im daran anschließenden Verfahren über das Erbrecht die Erbantrittserklärungen der beiden Letztgenannten ab und stellte das Erbrecht des Mag. K***** und seiner Söhne aufgrund des Testaments vom 3. 11. 1995 fest. Diese Entscheidung wurde vom Rekursgericht bestätigt; der außerordentliche Revisionsrekurs des E***** wurde zurückgewiesen (2 Ob 81/09i).

Die Erben erklärten in der Tagsatzung vom 14. 9. 2009, ihre bedingten in unbedingte Erbantrittserklärungen umzuwandeln. Ihre Vermögenserklärung ergab Aktiva von 49.980,68 EUR und Passiva von 3.451,66 EUR, sodass ein reiner Nachlass von 46.529,02 EUR ausgewiesen wurde. Sie brachten vor, E***** (in der Folge nur noch: Enkel) fehle es an der Parteistellung und somit an jeglichem Antragsrecht. Der Enkel wiederholte indessen seinen bereits im Verfahren über das Erbrecht (AS 409) und auch schon davor (AS 157) gestellten Antrag auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses, wobei er insbesondere auf angebliche Vorempfänge der Erben an Liegenschaften und Wertpapieren verwies. Er sprach sich ferner dagegen aus, die Einantwortung vorzunehmen, solange nicht über seine Pflichtteilsansprüche entschieden worden sei (AS 595).

Das Erstgericht wies in seinem sechs Punkte umfassenden Einantwortungsbeschluss den Antrag des Enkels auf Inventarisierung des Nachlassvermögens „zufolge Verjährung gemäß § 1487 ABGB“ zurück (Punkt 2.); der Nachlass wurde den Erben aufgrund des Testaments vom 3. 11. 1995 und des Beisatzes vom 24. 11. 1998 je zu einem Drittel eingeantwortet (Punkt 3.).

Das Rekursgericht wies den vom Enkel (nur) gegen Punkt 2. dieser Entscheidung erhobenen Rekurs zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der Rechtsmittelwerber habe in seiner Anfechtungserklärung ausdrücklich ausgeführt, dass er die Punkte 1. sowie 3. bis 6. des angefochtenen Beschlusses nicht bekämpfe. Durch die rechtskräftige Einantwortung sei das Abhandlungsverfahren beendet, eine weitere Befassung des Abhandlungsgerichts mit der Verlassenschaftsangelegenheit komme nicht mehr in Betracht. Rechtsmittel, die auf weitere Verfahrensschritte des Abhandlungsgerichts abzielen würden, seien ausgeschlossen. Der Rekurs, mit welchem die Inventarisierung des Nachlassvermögens durchgesetzt werden solle, sei daher als unzulässig zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Enkels, aus dessen Anfechtungserklärung und Inhalt (nicht aber aus dem verfehlten Rechtsmittelantrag) erschließbar ist, dass er die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die meritorische Entscheidung des Rekursgerichts im Sinne seiner Rekursanträge begehrt.

Die Erben erstatteten (ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof) eine Revisionsrekursbeantwortung, in der sie die Zurückweisung des Rechtsmittels und die Abweisung der darin gestellten Anträge begehren.

Im Außerstreitverfahren ist ein im Rahmen des Rekursverfahrens ergangener Beschluss des Rekursgerichts, mit dem ein Rekurs aus formalen Gründen zurückgewiesen wurde, nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG anfechtbar (5 Ob 185/08d; 2 Ob 174/09s; RIS-Justiz RS0120565; RS0120974).

Diese liegen hier vor. Der Enkel macht zutreffend geltend, dass das Rekursgericht mit der Zurückweisung seines Rekurses von ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist. Der Revisionsrekurs ist daher zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu erwogen:

1. Der Oberste Gerichtshof vertrat zur Rechtslage nach dem Außerstreitgesetz 1854 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der verlassenschaftsgerichtliche Endbeschluss und die Einantwortungsurkunde inhaltlich eine Einheit bilden würden. Es schade daher nicht, wenn nur der Endbeschluss mit dem Ziel, die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens zu erreichen, und nicht auch gleichzeitig die Einantwortung angefochten werde. Werde die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens als notwendig erkannt, sei auch die formell nicht bekämpfte Einantwortungsurkunde aufzuheben (SZ 47/12; 7 Ob 177/01g; 3 Ob 256/08f; RIS-Justiz RS0006305). Werde der Antrag auf Errichtung eines Inventars abgewiesen und im gleichen Beschluss bereits die Einantwortungsurkunde erlassen, so sei bei Stattgebung dieses Antrags im Rechtsmittelverfahren auch die Aufhebung der Einantwortungsurkunde erforderlich, weil mit deren Rechtskraft das Verlassenschaftsgericht keine Möglichkeit mehr habe, sich mit der konkreten Nachlasssache zu befassen (RIS-Justiz RS0007920).

Nunmehr regelt § 178 AußStrG nF Inhalt und formelle Gestaltung des Einantwortungsbeschlusses. Danach soll die in der früheren Praxis gepflogene Trennung von Endbeschluss und Einantwortungsurkunde in dieser Striktheit nicht aufrecht erhalten werden (vgl die etwa bei Fucik/Kloiber, AußStrG, wiedergegebenen ErläutRV). Abs 3 dieser Bestimmung sieht vor, dass gleichzeitig mit der Einantwortung auch alle übrigen noch offenen Verfahrenshandlungen, insbesondere die Aufhebung von Sperren, Sicherstellungen (§ 176 Abs 2) und die Bestimmung von Gebühren, vorgenommen werden sollen. Dies betrifft den Inhalt des bisherigen Endbeschlusses, wobei es dem Verlassenschaftsgericht überlassen bleibt, im Einzelfall zu entscheiden, ob die Erledigung der noch offenen Verfahrenshandlungen zweckmäßigerweise im Einantwortungsbeschluss oder in einem getrennten Beschluss geschehen soll (vgl Fucik/Kloiber aaO § 178 Rz 5; Bittner in Rechberger, AußStrG § 178 Rz 8).

Die Neuregelung lässt die frühere Rechtslage aber jedenfalls insofern unberührt, als nach dieser ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Einantwortung und den dem Endbeschluss vorbehaltenen, nun aber nach § 178 Abs 3 AußStrG zu treffenden Entscheidungen bejaht worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob - wie im vorliegenden Fall - ein einheitlicher Beschluss gefasst oder in getrennten Beschlüssen entschieden wird. Das bedeutet, dass die eingangs erörterte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs weiterhin anzuwenden ist.

Im vorliegenden Fall wurde der Antrag des Enkels auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlassvermögens im Einantwortungsbeschluss zurückgewiesen. Obwohl sich der Rekurs des Enkels nur gegen diesen Spruchpunkt richtete, hinderte dies nicht seine meritorische Erledigung; hätte doch eine stattgebende Entscheidung die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens zur Folge, was zwangsläufig auch zur Aufhebung der Einantwortung führen muss. Dabei schadet es auch nicht, dass der Enkel den die Einantwortung betreffenden Spruchpunkt (sogar) ausdrücklich unbekämpft ließ. Es kann ihm nicht unterstellt werden, dass er ein sinnloses, weil infolge der Rechtskraft der Einantwortung unzulässiges Rechtsmittel erheben wollte (vgl SZ 47/12), zumal er sich schon in erster Instanz gegen die Einantwortung vor Entscheidung über seine Pflichtteilsansprüche ausgesprochen hat.

2. Entgegen der Auffassung der Erben mangelt es dem Enkel auch nicht an der Parteistellung und dem damit verbundenen Antrags- und Rechtsmittelrecht:

Pflichtteilsberechtigte Personen sind gemäß §§ 784, 804 ABGB berechtigt, im Verlassenschaftsverfahren die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses zu begehren, woraus sich ihre Parteistellung iSd § 2 Abs 1 AußStrG ergibt (vgl 4 Ob 539/95; 1 Ob 2222/96p). Dieses Recht steht ihnen nach herrschender Rechtsprechung bis zur Zustellung des Einantwortungsbeschlusses zu (vgl 7 Ob 71/01v; RIS-Justiz RS0008350). Stellt ein volljähriger Noterbe einen solchen Antrag, ist das Inventar zu errichten (§ 165 Abs 1 Z 6 AußStrG; zu den minderjährigen Noterben vgl Z 2), wobei der Wert des Nachlassvermögens am Todestag des Erblassers einzusetzen ist (RIS-Justiz RS0007898).

Unter den pflichtteilsberechtigten Personen sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie an sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als Noterben in Betracht kommen könnten (2 Ob 229/09d; RIS-Justiz RS0012855). Das Verlassenschaftsgericht hat bei Entscheidung über den Antrag eines Noterben auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses nur dessen Eigenschaft als Noterbe zu prüfen, nicht aber auch, ob und in welchem Ausmaß die Forderung des Noterben auf Auszahlung des Pflichtteils materiell zu Recht besteht (vgl 4 Ob 539/95; 4 Ob 342/98t; 7 Ob 71/01v; 2 Ob 229/09d; RIS-Justiz RS0013007; Sailer in KBB² § 804 Rz 2).

Es ist aktenkundig und zwischen den Beteiligten des Verlassenschaftsverfahrens unstrittig, dass der Vater des Enkels wegen einer gegen den Erblasser gerichteten strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, rechtskräftig verurteilt und er deswegen vom Erblasser enterbt worden ist. Da für eine (vom Enterbten gar nicht behauptete) Verzeihung oder den Widerruf der Enterbung keine Anhaltspunkte bestehen, können - ohne dass es einer näheren Prüfung dieser Umstände bedürfte - weder an der eingetretenen und fortbestehenden Erbunwürdigkeit (§ 540 ABGB), noch an der Rechtmäßigkeit der Enterbung (§ 770 ABGB) begründete Zweifel bestehen (vgl Welser in Rummel, ABGB³ § 770 Rz 1; Scheuba in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge [2010] § 9 Rz 53, 57, 58 und 63). Das bedeutet jedoch, dass im vorliegenden Fall gewillkürter Erbfolge der Enkel als Nachkomme des rechtmäßig enterbten Sohnes des Erblassers gemäß § 763 iVm § 780 ABGB Pflichtteilsberechtigter ist (vgl Apathy in KBB² § 780 Rz 1; Welser aaO § 780 Rz 1; Scheuba aaO § 9 Rz 51; Eccher in Schwimann, ABGB³ III § 770 Rz 2 und § 780 Rz 1).

3. Aus den dargelegten Erwägungen erweist sich die Zurückweisung des Rekurses durch das Rekursgericht als unzutreffend, was zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt; das Rekursgericht wird den Rekurs des Enkels meritorisch zu erledigen haben.

Die verzeichneten Kosten des Revisionsrekurses sind nicht zuzusprechen. Gemäß § 185 AußStrG findet im Verlassenschaftsverfahren - außer im (hier bereits abgeschlossenen) Verfahren über das Erbrecht - kein Ersatz von Vertretungskosten statt.

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