Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird im Umfang der Stattgebung des Antrags der erbl. Tochter H***** L***** auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts auf Abweisung dieses Antrags wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Die Tochter des 2008 verstorbenen Erblassers hatte in einem notariellen Erbverzichtsvertrag im Jahr 1991 einen Erb- und Pflichtteilsverzicht abgegeben. Im Hinblick darauf wurde sie dem Verlassenschaftsverfahren nicht beigezogen. Das Erstgericht hat die Verlassenschaft der Witwe als Testamentserbin eingeantwortet. Über Rekurs der Tochter hob das Rekursgericht diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Beiziehung der Tochter auf. Im Zuge des weiteren Verfahrens beantragte die Tochter die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses, zumal sie Schritte zur Erreichung der Unwirksamkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts setzen wolle. Es sei ihr nämlich zum Zeitpunkt des Erbverzichtsvertrags der Umfang des Vermögens des Erblassers nicht bekannt gewesen und nicht genannt worden.
Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil der Antragstellerin aufgrund des abgegebenen Erb- und Pflichtteilsverzichts kein Noterbrecht mehr zustehe.
Das Rekursgericht gab dem Antrag auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses statt. Bei der Entscheidung über den Antrag eines Noterben auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses seien nur die gesetzlichen Voraussetzungen für das Vorliegen des Noterbrechts nach § 762 ABGB zu prüfen, nicht aber auch, ob und in welchem Ausmaß die Forderung des Noterben auf Auszahlung des Pflichtteils materiell zu Recht bestehe. Die Frage der Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts betreffe aber das materielle Pflichtteilsrecht. Das bedeute, dass die Antragstellerin trotz ihres Pflichtteilsverzichts Beteiligte des Verlassenschaftsverfahrens sei und ihr in dieser Eigenschaft das Recht auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses zustehe. Diese habe den Zweck, dem Noterben eine Grundlage für die Berechnung seiner Pflichtteilsforderung zu geben bzw darüber einen Überblick zu verschaffen, ob er in seinen Ansprüchen verkürzt worden sei. Das Inventar entfalte keine konstitutive Wirkung, sondern sei nur Richtschnur für die Beteiligten. Es erfülle vor allem auch die Funktion, eine Sachverhaltsgrundlage für eine einvernehmliche Aufteilung des Nachlasses zu bieten. Der Antrag auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlassvermögens sei daher zu Unrecht abgewiesen worden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil für die Lösung der anstehenden Rechtsfrage ausreichend oberstgerichtliche Judikatur vorhanden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen von der Testamentserbin erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Präzisierung der Wirkungen eines Erb- und Pflichtteilsverzichts auf das Inventarisierungsrecht zulässig und aus den nachstehend angeführten Gründen auch berechtigt:
1. Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, dass das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei. Daraus ergebe sich nämlich, dass der Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Noterbrecht zu einem Ausscheiden aus dem Kreis der konkret Pflichtteilsberechtigten führe.
2. Vor der Auseinandersetzung mit dieser Frage ist zunächst zu prüfen, ob die Entscheidung der ersten Instanz auf Abweisung des Antrags auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses überhaupt anfechtbar war. Verneinendenfalls wäre die Entscheidung der zweiten Instanz - von Amts wegen - als nichtig aufzuheben.
3. Gemäß § 45 Satz 2 AußStrG sind verfahrensleitende Beschlüsse, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache anfechtbar. Nach 6 Ob 140/08v ist im Verlassenschaftsverfahren eine derartige Sachentscheidung im Regelfall die Einantwortung. Alle im Zuge des dieser Entscheidung vorgelagerten Verfahrens ergehenden Entscheidungen seien schon begrifflich verfahrensleitende Entscheidungen, die nur nach Maßgabe des § 45 AußStrG angefochten werden könnten. U. Schrammel führte in einer Entscheidungsbesprechung (ÖJZ 2009/14) - zutreffend - aus, dass diese Ausführungen „nicht in dieser pauschalierten Form zu verstehen“ seien, gebe es doch auch im Verlassenschaftsverfahren Beschlüsse, die eine gesonderte Anfechtbarkeit rechtfertigten, wie etwa der Beschluss über die Nachlassseparation oder über die Nicht-/Genehmigung der Veräußerung von Gegenständen aus der Verlassenschaft im Rahmen der Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft.
Auch der Beschluss über einen Antrag auf Errichtung eines Inventars dient nicht bloß der zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens und ist daher selbständig anfechtbar. Eine - amtswegige - Aufhebung der Rekursentscheidung als nichtig kommt also nicht in Betracht, sodass inhaltlich auf das Rechtsmittel der Testamentserbin einzugehen ist:
4. Unter den pflichtteilsberechtigten Personen des § 764 ABGB sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall tatsächlich pflichtteilsberechtigt (Noterben) sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie an sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als Noterben in Betracht kommen könnten (RIS-Justiz RS0012855).
5. Der Noterbe kann auf die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses verzichten; ein solcher Verzicht kann auch stillschweigend erfolgen und etwa in der Erklärung eines Noterben erblickt werden, er sei mit seinen Erb- und Pflichtteilsrechten abgefunden (RIS-Justiz RS0013005; 6 Ob 556/80; vgl Eccher in Schwimann, ABGB3 § 804 Rz 2; Welser in Rummel 3 § 804 Rz 2; Sailer in KBB, ABGB2 § 804 Rz 3).
6. Das Rekursgericht stützt sich insbesondere auf 4 Ob 342/98t. Dort wurde - unter Berufung auf 4 Ob 539/95 = SZ 68/126 (vgl auch 7 Ob 532/86) - ausgesprochen, dass bei der Entscheidung über den Antrag eines Noterben auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses nur die gesetzlichen Voraussetzungen für das Vorliegen seines Noterbrechts nach § 762 ABGB zu prüfen seien, nicht aber auch, ob und in welchem Ausmaß die Forderung des Noterben auf Auszahlung des Pflichtteils materiell zu Recht bestehe. Begehre der Noterbe die Absonderung des Nachlasses, so sei die damit verbundene Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben nicht gerechtfertigt, wenn bescheinigt werde, dass der Noterbe wirksam enterbt worden sei und seine Pflichtteilsforderung daher nicht zu Recht bestehe. Dies müsse umso mehr gelten, wenn der Noterbe formgerecht auf sein Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet habe und die darüber erstellte Urkunde dem Verlassenschaftsgericht vorliege. Dem Noterben müsse aber die Möglichkeit gewährt werden zu bescheinigen, dass sein Verzicht unwirksam sei. Aufgrund einer solchen Bescheinigung sei zu entscheiden, ob der Noterbe legitimiert sei, die Absonderung des Nachlassvermögens zu begehren.
7. Im vorliegenden Fall fehlt es der Tochter des Erblassers aufgrund ihres seinerzeitigen Erb- und Pflichtteilsverzichts an der Eigenschaft als Noterbin. Wenn sie behauptet, dass dieser Verzicht unwirksam sei, so hätte sie dies dem Abhandlungsgericht gegenüber zumindest zu bescheinigen gehabt (4 Ob 342/98t). Dies ist nicht einmal ansatzweise geschehen. Der Antrag der Tochter auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses war daher abzuweisen.
Die Entscheidung des Erstgerichts war somit wiederherzustellen.
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