OGH 2Ob82/12s

OGH2Ob82/12s21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerinnen 1. S***** E*****, und 2. S***** E*****, gegen den Antragsgegner G***** E*****, vertreten durch Dr. Heinz-Wilhelm Stenzel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Jänner 2012, GZ 45 R 341/11x‑U‑316, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 4. Mai 2011, GZ 3 P 21/06h‑U‑310, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00082.12S.0221.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Selbst wenn das Rekursgericht die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses zu Recht ausgesprochen hat, ist diese nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dennoch nicht gegeben, wenn im Rechtsmittel nur solche Rechtsfragen geltend gemacht werden, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RIS‑Justiz RS0102059). Dieser Grundsatz gilt auch im außerstreitigen Verfahren jedenfalls dann, wenn im Revisionsrekurs eine erhebliche Rechtsfrage nicht einmal angesprochen wird (2 Ob 220/11h mwN). Letzteres ist hier der Fall:

1. Das Rekursgericht erblickte eine erhebliche Rechtsfrage darin, dass „zur Frage der Zulässigkeit und des Umfangs der Anspannung selbständiger Lehrer im Hinblick auf einzubeziehende Vorbereitungs- und Korrekturtätigkeiten, insbesondere auf die gesetzliche Durchschnitts-wochenarbeitszeit überschreitende Tätigkeiten“ noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere.

Der Antragsgegner geht in seinem Revisionsrekurs auf diese Rechtsfrage nicht ein. Insbesondere enthält er sich jeglicher Überlegungen rechtlicher Natur zur Anwendbarkeit des Anspannungsgrundsatzes im konkreten Fall. Er bekämpft vielmehr nur die auf dem Gutachten eines Sachverständigen beruhende Sachverhaltsannahme der Vorinstanzen, dass ihm neben seiner beruflichen Tätigkeit als selbständiger Lehrer bei einem Nachhilfeinstitut, wo er seit vielen Jahren auf Werkvertragsbasis Lateinunterricht erteilt, ausreichend Zeit für die Erzielung zusätzlicher Einkünfte durch private Nachhilfestunden verbleibe. Seiner Meinung nach wäre bei der Bewertung des zeitlichen Aufwands für die Vorbereitung seines Unterrichts und sonstiger administrativer Aufgaben nicht dem Gutachten des bestellten Sachverständigen, sondern der Aussage des Institutsleiters zu folgen gewesen.

Mit diesen Ausführungen verkennt der Antragsgegner, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist, weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (1 Ob 25/12a; 1 Ob 179/12y; RIS‑Justiz RS0007236). Zur Beweiswürdigung zählt aber auch die Frage, ob einem Sachverständigen zu folgen ist oder nicht, oder ob ein Sachverständiger die notwendige Fachkunde hatte (vgl 3 Ob 230/11m mwN). Eine neuerliche Befassung mit der bereits vom Rekursgericht behandelten Beweisrüge des Antragsgegners kommt in dritter Instanz daher nicht in Betracht.

2. Sonstige zielführende Argumente, aus denen sich ableiten ließe, dass dem Antragsgegner auch nach der von ihm erfolglos bekämpften, für den Obersten Gerichtshof jedoch bindenden Tatsachengrundlage die Erzielung zusätzlicher Einkünfte in dem von den Vorinstanzen ermittelten Ausmaß nicht zumutbar wäre, werden im Revisionsrekurs nicht dargetan. Die Behauptung, private Nachhilfestunden wären zwischen den Kursen nicht möglich, wurde bereits vom Rekursgericht als nicht überzeugend erachtet. Auch dabei handelt es sich um einen vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Akt der Beweiswürdigung.

3. Die Vorinstanzen haben als Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsansprüche der Antragstellerinnen die unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes erzielbaren Einkünfte des Antragsgegners herangezogen. Auf dessen (geringeren) tatsächlichen „Lebensaufwand“ kommt es daher nicht an (vgl 2 Ob 115/11t mwN). Demnach sind aber auch die im Rechtsmittel enthaltenen Ausführungen zum Ausmaß, in dem sich die Lebensgefährtin des Antragsgegners an den Kosten des gemeinsamen Haushalts beteiligt, und zur Frage, ob es sich dabei um nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehende „freiwillige Zuwendungen“ handelt, für die Bemessung des Unterhalts bedeutungslos.

4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 Ob 61/05a mehrere Voraussetzungen genannt, bei deren Vorliegen auch Ausgaben für den Nachhilfeunterricht wegen Schulschwierigkeiten eines unterhaltsberechtigten Kindes einen vom Unterhaltspflichtigen zu tragenden Sonderbedarf begründen kann. Danach kommt die Anerkennung als Sonderbedarf ua nur dann in Betracht, wenn der Nachhilfeunterricht „vorübergehend“ erforderlich ist. Der Antragsgegner hält dieses Kriterium im vorliegenden Fall für nicht erfüllt.

Den beiden Antragstellerinnen wurden die von ihnen ‑ damals noch vertreten durch ihre Mutter ‑ bereits im Jahr 2004 (ON 126, ON 134) als Sonderbedarf geltend gemachten Kosten der im Sommersemester des Schuljahres 2002/2003 und im Wintersemester des Schuljahres 2003/2004 benötigten Nachhilfe von den Vorinstanzen zuerkannt. Da sich ihr diesbezügliches Unterhaltsbegehren auf das Kalenderjahr 2003 beschränkte, waren ‑ vom Antragsgegner offenbar vermisste ‑ Feststellungen darüber, ob sie über diesen Zeitraum hinaus Nachhilfe in Anspruch nahmen, nicht erforderlich. Nach der Aktenlage haben beide Antragstellerinnen die Reifeprüfung längst abgelegt und im Anschluss an ihre Schulausbildung zu studieren begonnen.

Nach Auffassung des Rekursgerichts kann eine Nachhilfe im Zeitraum von einem bzw zwei Semestern nicht als derart lange angesehen werden, dass sie gegen die Eignung zum Schulbesuch bzw gegen die Sinnhaftigkeit der Nachhilfe spräche. Ob das in dieser Allgemeinheit zutrifft, muss nicht näher erörtert werden. Im vorliegenden Einzelfall hat das Rekursgericht den ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten, wenn es vor dem Hintergrund der aktenkundigen Lern- und Studienerfolge der Antragstellerinnen die Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit des seinerzeitigen Aufwands für die Nachhilfe während der Dauer eines Kalenderjahres bejahte.

5. Von der Beurteilung eines Aufwands als Sonderbedarf ist die Frage zu trennen, ob eine Deckungspflicht des unterhaltspflichtigen Elternteils besteht, ob diesem also die Deckung angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist (7 Ob 163/09k; RIS‑Justiz RS0107179, RS0109907). Sie ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn dieser Aufwand auch in einer intakten Familie unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenssituation getätigt worden wäre. Ob dies zutrifft, richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls und wirft daher grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (6 Ob 238/09g; 7 Ob 163/09k; RIS‑Justiz RS0107182).

Der Antragsgegner verweist dazu ein weiteres Mal auf die „freiwilligen Zuwendungen“ seiner Lebensgefährtin und seiner (2008 verstorbenen) Mutter, ohne die er seine Fixkosten nicht tragen könne. Dies schließe seine Leistungsfähigkeit zur Bezahlung von Sonderbedarfskosten zwingend aus.

Mit diesem (einzigen) Argument vermag der Antragsgegner eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen nicht aufzuzeigen, ist doch eine Überschreitung seiner Belastungsgrenze daraus nicht ableitbar. Als Richtsatz für die Belastungsgrenze eines Unterhaltspflichtigen orientiert sich die Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum des § 291b EO, ohne dass dieses jedoch eine in jedem Fall starre Untergrenze bildete, sondern bei Bedarf in den Grenzen des § 292b EO noch unterschritten werden darf (vgl RIS‑Justiz RS0013458, RS0047455). Demnach ist eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze nicht möglich; es ist vielmehr im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen (7 Ob 163/09k mwN; 6 Ob 81/10w).

Ein Abweichen von diesen Grundsätzen durch die Vorinstanzen wird im Rechtsmittel nicht dargelegt. Der Antragsgegner zeigt somit auch zu diesem Aspekt seiner Unterhaltspflicht keine erhebliche Rechtsfrage auf.

6. Da somit erhebliche Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen sind, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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