European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00007.15S.0409.000
Spruch:
Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.
Der Antragssteller ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 744,33 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 124,07 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Mag. H***** J***** ist als Vater von G***** J***** aufgrund einer 2004 geschlossenen Vereinbarung verpflichtet, einen monatlichen Unterhalt von 420 EUR zu leisten. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind ein Enthebungsantrag des Vaters und ein Erhöhungsantrag des Sohnes. Dieser hatte nach der HTL-Matura und dem Präsenzdienst im Wintersemester 2010 ein Soziologiestudium begonnen, das er jedoch im Jänner 2011 abbrach, um sich als (selbständiger) Profisportler (Sportkletterer) zu betätigen. Ende März 2011 teilte er seinem Vater mit, dass dieser die Unterhaltszahlungen wegen des Studienabbruchs „bis auf weiteres einstellen“ könne. In der Folge erzielte er Einnahmen aus Sponsorgeldern, die aber für den Lebensunterhalt nicht ausreichten. Im September 2012 nahm er ein anderes Studium auf, das er zielstrebig betreibt. Er lebt in Innsbruck, verbringt die Wochenenden aber regelmäßig bei seiner Mutter in Vorarlberg.
Das Rekursgericht enthob den Vater von April 2011 bis August 2012 von der Unterhaltspflicht, weil der Sohn insofern wirksam auf Unterhalt verzichtet habe. Von September 2012 bis August 2013 erhöhte es den Unterhalt auf 870 EUR, wobei es für die Bemessung annahm, dass die Mutter Naturalunterhalt leiste. Für die Zeit ab September 2013 hob es die Entscheidung des Erstgerichts zur Ermittlung der (aufgrund verschiedener Umstände möglicherweise verringerten) Bemessungsgrundlage auf. Den Revisionsrekurs gegen den abändernden Teil seiner Entscheidung ließ es nachträglich zu, weil Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob (a) ein Unterhaltsverzicht wirksam sei, den der Unterhaltsberechtigte im Hinblick auf eine angenommene, letztlich aber doch nicht eingetretene Selbsterhaltungsfähigkeit abgegeben habe, und ob (b) Sponsorgelder als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen seien.
Gegen diese Entscheidung richten sich Revisionsrekurse beider Parteien. Der Sohn strebt für die Zeit von April 2011 bis August 2013 einen Unterhalt von 1.000 EUR an, der Vater seine gänzliche Enthebung.
Rechtliche Beurteilung
1. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt allerdings weder in den vom Rekursgericht genannten noch in den von den Zulassungsbeschwerden bezeichneten Punkten vor (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG):
1.1. Das Erstgericht hat festgestellt, dass sich der Sohn „in Pflege […] bei der Mutter“ befinde. Dass es seiner rechtlichen Beurteilung (möglicherweise) eine andere Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse zugrunde legte, kann daran nichts ändern. Damit ist das Rekursgericht aber nicht von einer Feststellung des Erstgerichts abgewichen, wenn es (konkretisierend) annahm, dass die Mutter für den Sohn an den Wochenenden regelmäßig koche und ihm die Wäsche und Kleidung besorge. Vielmehr hat es damit die eingangs genannte Feststellung aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse präzisiert. § 52 Abs 2 AußStrG war daher mangels Abgehens von Feststellungen des Erstgerichts nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht anwendbar; die Relevanz des Unterbleibens einer Rekursverhandlung zeigt der Revisionsrekurs nicht auf (vgl in ähnlichem Zusammenhang 3 Ob 44/08d). Dass die Mutter unter diesen Umständen Naturalunterhalt leistet, weil sie nicht bloß „rudimentäre“ (3 Ob 223/02v, 3 Ob 44/08d) bzw „gänzlich zu vernachlässigende“ (7 Ob 163/09k) Betreuungsleistungen erbringt, kann in vertretbarer Weise angenommen werden (3 Ob 135/03d).
1.2. Nach der Berufsausbildung ist dem Unterhaltsberechtigten ein angemessener Zeitraum für die zielstrebige Arbeitsplatzsuche einzuräumen (8 Ob 82/13m, 9 Ob 24/14s); gleiches muss nach dem Abbruch eines bis dahin (trotz an sich abgeschlossener Berufsausbildung) betriebenen Studiums gelten. Einer zielstrebigen Arbeitssuche ist die Aufnahme einer - nicht von vornherein zum Scheitern verurteilten - selbständigen Tätigkeit (hier als Profisportler) gleichzuhalten. Erzielt der Unterhaltsberechtigte in der Anfangsphase dieser Tätigkeit kein ausreichendes Einkommen, ist er daher ebenso wenig wie bei einer Arbeitssuche als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Auf dieser Grundlage ist das Aufrechtbleiben der Unterhaltspflicht bis März 2011 trotz des Studienabbruchs im Jänner 2011 unbedenklich. Dass er davor nicht zielstrebig studiert hätte, lässt sich den Feststellungen der Vorinstanzen nicht entnehmen.
1.3. Zwar können auch volljährige Kinder nicht schlechthin auf den gesetzlichen Unterhalt verzichten; ein Verzicht auf einzelne Unterhaltsleistungen oder Teile davon ist aber wirksam (RIS-Justiz RS0047340). Das gilt insbesondere für einen überschaubaren Zeitraum bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit (7 Ob 209/97d). Die Auffassung des Rekursgerichts, dass die Erklärung des Sohnes von Ende März 2011, dass der Vater die Unterhaltszahlungen wegen des Studienabbruchs „bis auf weiteres einstellen“ könne, als solcher Verzicht zu verstehen sei, ist nicht zu beanstanden. Relevant ist das allerdings ohnehin nur, soweit die Unterhaltspflicht nicht schon wegen Ablaufs einer angemessenen Frist für das Erzielen eigener Einkünfte erloschen ist.
1.4. Nach dem Scheitern der selbständigen Tätigkeit nahm der Sohn im September 2012 ein (anderes) Studium auf, das er nun „ernsthaft und zielstrebig“ betreibt. Die Auffassung des Rekursgerichts, dass damit die Unterhaltspflicht wieder auflebte, ist vertretbar.
Ein den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium schiebt den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus, sofern es das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt (RIS‑Justiz RS0047580 [T3, T4]; RS0107724). Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur für Absolventen einer allgemeinbildenden höheren Schule, sondern gleichermaßen für Absolventen einer berufsbildenden mittleren oder höheren Lehranstalt, selbst wenn deren Schulabschluss mit der Berechtigung zur Ausübung eines Lehrberufs oder den Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes verbunden ist (4 Ob 510/85; 1 Ob 703/87; 8 Ob 43/11y). Der Oberste Gerichtshof hat auch ausgesprochen, dass einem Absolventen einer berufsbildenden höheren Schule, der schon einige Zeit einer Arbeit nachgegangen war und nun die Ausbildung an einer Fachhochschule anstrebte, bei entsprechender Eignung, nachhaltigem Studium und der Erwartung eines besseren Fortkommens ein Unterhaltsanspruch nicht verwehrt werden kann (RIS-Justiz RS0047580 [T13]; zuletzt etwa 8 Ob 43/11y [Studium eines HTL-Absolventen nach eineinhalbjähriger Berufstätigkeit]).
Die vom Vater in diesem Zusammenhang angeführte Rechtsprechung zur einjährigen „Überlegungsfrist“ des Unterhaltsberechtigten in Bezug auf die Studienwahl (RIS-Justiz RS0047679) steht dem nicht entgegen. Nach dieser Rechtsprechung ist bei einem Studienwechsel (im Regelfall) eine Dauer des ersten Studiums, die über ein Jahr hinausgeht, auf die durchschnittliche Dauer des zweiten Studiums anzurechnen; die Unterhaltspflicht endet daher beim zweiten Studium entsprechend früher. Das beruht auf der Wertung, dass der Unterhaltsberechtigte ohnehin schon während des ersten Studiums Unterhalt erhalten hatte; ein (zu) später Studienwechsel soll den Unterhaltsverpflichteten nicht belasten. Eine solche Situation liegt hier aber nicht vor, weil das erste Studium des Sohnes jedenfalls weniger als ein halbes Jahr gedauert hatte. Nur während dieses Studiums (und zweier weiterer Monate) hatte der Vater Unterhalt geleistet, danach ohnehin nicht.
1.5. Da für den Zeitraum von April 2011 bis August 2012 kein Unterhaltsanspruch besteht, kommt es nicht darauf an, ob die in diesem Zeitraum bezogenen Sponsorgelder Eigeneinkommen sind oder nicht.
2. Aus diesen Gründen sind beide Revisionsrekurse mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG. Der Antragsteller hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Gegenseite hingewiesen. Ihm steht daher in sinngemäßer Anwendung von § 78 Abs 2 AußStrG der Ersatz der im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses entstandenen Kosten zu (RIS-Justiz RS0122774). Der vom Erstgericht gesetzte Kostenvorbehalt steht der Kostenentscheidung nicht entgegen, weil der Ersatzanspruch unabhängig vom Ausgang in der Hauptsache ist (vgl 1 Ob 44/14y zur Rechtslage im Zivilprozess).
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