OGH 2Ob7/07d

OGH2Ob7/07d22.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Andreas H*, vertreten durch Dr. Stefan Krall und Dr. Oliver Kühnl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1) Hansjörg T*, 2) U* AG, *, beide vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 12.490,35 s.A., über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 4.924,79 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2006, GZ 2 R 135/06d‑40, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. April 2006, GZ 41 Cg 18/05y‑33, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2007:E83345

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 439,72 (darin enthalten EUR 73,29 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

 

Der Kläger erlitt als Mountainbiker am 24. 10. 2004 bei dem Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden, vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW eine Schlüsselbeinfraktur. Der von den Unfallbeteiligten befahrene Sistranser Almweg ist ein öffentlicher Interessenschaftsweg, der zur Sistranser Alm führt. Es besteht ein Fahrverbot, ausgenommen für die Inhaber von Berechtigungsscheinen und für Mountainbiker. Der Weg ist als Mountainbike‑Route gekennzeichnet und beschildert.

Der Erstbeklagte, der über keinen Berechtigungsschein verfügte, fuhr in Kenntnis des Fahrverbotes mit ca 20 bis 30 km/h bergwärts und hielt auf der 4 m breiten Fahrbahn einen Seitenabstand von ca 60 cm zum rechten Fahrbahnrand ein; die äußeren 30 cm dieses Abstandes wiesen eine nach innen hängende starke Neigung in Form einer Wasserrinne auf. Bei Annäherung an die Unfallstelle (Rechtskurve) reduzierte er seine Geschwindigkeit auf ein nicht feststellbares Ausmaß.

Der talwärts fahrende Kläger näherte sich der Kurve mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h und fuhr auf der linken Fahrbahnhälfte. Die gegenseitige Sicht betrug 17,7 m. Um auf halbe Sicht zu fahren, hätte der Erstbeklagte maximal 23 km/h, der Kläger 22 km/h fahren müssen.

Während der Erstbeklagte sein Fahrzeug vor der Kollision zum Stillstand brachte, reagierte der Kläger auf das entgegenkommende Fahrzeug nicht sofort. Seine eingeleitete Vollbremsung konnte die Geschwindigkeit nur auf 4 bis 5 km/h vermindern, weshalb es zu einer Kollision kam. Hätte der Kläger sofort innerhalb der gegebenen Sichtweite mit 5 m/sec2 gebremst, hätte er das Rad auch bei eine Geschwindigkeit von 20 km/h unfallfrei anhalten können. Bei 15 km/h hätte der Anhalteweg 6,3 m und bei 10 km/h 3,7 m betragen.

Die mehrfragmentäre Schlüsselbeinfraktur des Klägers heilte mit einer Verschiebung und einer deutlichen Stufenbildung ab. Die rechte Schulter steht auf Grund der Verschiebung des Schlüsselbeines um eineinhalb Schaftbreiten tiefer, es entsteht der Eindruck einer geringgradigen Verkürzung des rechten Schlüsselbeines, das Schulterblatt steht nicht auffallend ab. Die Lebensgefährtin des Klägers ist Ärztin. Es stört sie, wenn insbesondere beim Baden die Schulterverletzung zu sehen ist; sie will deshalb nicht die Beziehung aufgeben.

Das Erstgericht ging von einem gleichteiligen Verschulden der Unfallbeteiligten aus. Dem Kläger sei ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot und die Reaktionsverspätung anzulasten, während der Erstbeklagte das beschränkte Fahrverbot missachtet habe.

Das Berufungsgericht verneinte den Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil sich jene Gefahr, welche das eingeschränkte Fahrverbot verhindern hätte sollen, nicht verwirklicht hätte. Mangels Verschuldens des Erstbeklagten nahm das Berufungsgericht eine Schadensteilung nach EKHG im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers vor. Dem Erstbeklagten sei zwar der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht gelungen; dennoch wiege das Verschulden des Klägers (Verletzung des Rechtsfahrgebotes und Reaktionsverspätung) wesentlich schwerer.

Über Antrag des Klägers änderte das Berufungsgericht den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision ab und begründete dies mit fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Schutzzweck eines beschränkten Fahrverbotes auf einer „offiziellen Mountainbike‑Route".

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Im Revisionsverfahren sind folgende Punkte strittig:

1.) Der Rechtswidrigkeitszusammenhang bezogen auf den Verstoß gegen das Fahrverbot.

2.) Der Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht und die Anhalteverpflichtung.

3) Die Verschuldens- bzw Schadensteilung.

4) Die Höhe der von den Vorinstanzen mit EUR 1.000,‑- festgesetzten Verunstaltungsentschädigung - anstelle der vom Kläger begehrten 2.000,‑‑.

1) Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710; vgl Karner in KBB § 1311 Rz 3). Unzweifelhaft ist ein (eingeschränktes) Fahrverbot - sowie grundsätzlich die Normen der StVO (ZVR 1991/130 mwN; Harrer in Schwimann ABGB3 VI § 1311 Rz 18) - eine derartige Schutznorm (2 Ob 226/00z). Die Übertretung einer Schutznorm führt aber nicht zwingend zu einer Haftung (Harrer aaO Rz 25), sondern nur insofern als durch die Schutznorm gerade der eingetretene Schaden verhindert werden sollte (RIS‑Justiz RS0027553; RS0031143). Damit stellt sich jeweils die Frage nach dem Schutzzweck der Norm (dem Rechtswidrigkeitszusammenhang), der durch eine teleologische Interpretation zu ermitteln ist (RIS‑Justiz RS0008775; Karner aaO §§ 1295 Rz 9 und § 1311 Rz 5; vgl Welser, Schutzgesetzverletzung, Verschulden und Beweislast, ZVR 1976, 1 [7]; vgl Koziol, Haftpflichtrecht I3 8/23 ff).

Die Judikatur verneint einen Rechtswidrigkeitszusammenhang, wenn durch die Missachtung des Fahrverbotes keine Gefahren verwirklicht wurden, die das beschränkte Fahrverbot verhindern sollte (RIS‑Justiz RS0027750). Diese, durch ein beschränktes Fahrverbot zu verhindernde, spezifische Gefahr wird in einer Massierung des Verkehrs auf Straßen mit begrenztem Verkehrsteilnehmerkreis gesehen; diese Gefahr sei aber nicht verwirklicht, wenn der Unfall sich auch bei Beteiligung eines berechtigten Verkehrsteilnehmers (Anrainers) ereignet hätte (8 Ob 179/75 = ZVR 1976/141; 8 Ob 8/83 = ZVR 1984/82).

Dieses Argument trifft im Wesentlichen den Kern des hier zu beurteilenden Problemes. Der Kläger (Mountainbiker) war bei Befahren einer Verkehrsfläche, auf welcher der Verkehr mit Kraftfahrzeugen nicht generell ausgeschlossen war, nicht in seinem Vertrauen darauf geschützt, dass der Almweg nicht von dazu berechtigten KFZ‑Lenkern benützt würde. Eine Vervielfachung des Verkehrs und damit die Verwirklichung der spezifischen Gefährlichkeit zum Unfallszeitpunkt steht nicht fest; der Kläger stellte auch keine konkrete Behauptungen dazu auf.

Trotz der zunehmenden Bedeutung des Freizeitsportes „Mountainbiken" kann an diesem Ergebnis eine Widmung als „offizielle Mountainbikestraße" nichts ändern. Die gegenteilige Auffassung des Klägers vernachlässigt, dass die Strecke nicht ausschließlich dem Radfahrverkehr gewidmet ist, sondern einen KFZ‑Verkehr in eingeschränktem Ausmaß gestattet. Genau darin liegt der Unterschied zu der in der Revision zitierten Entscheidung 2 Ob 75/94 = SZ 67/198 = JBl 1995, 260 = ZVR 1995/75: Dort ging es um eine Kollision zwischen einem Radfahrer und einem Fußgänger auf einem Wanderweg, für den nach § 33 Abs 3 ForstG das grundsätzliche Verbot des Fahrens mit allen Fahrzeugen (inklusive Fahrrädern) galt. Dem in § 33 ForstG verankerten Erholungszweck des Waldes diene auch die Vermeidung von gegenseitigen Beeinträchtigungen der verschiedenen Gruppen von Waldbenützern, weshalb auch Fußgänger vom Schutzzweck der Norm umfasst seien.

Die Almstraße ist weder ein nur für Fußgänger gewidmeter Wanderweg noch eine Forststraße im Sinn der Legaldefinition des § 59 ForstG. Nach dieser Bestimmung ist eine, nach § 33 Abs 3 ForstG nur mit Zustimmung des Erhalters zu befahrende Forststraße eine nicht öffentliche Straße, die neben forstlichen Materialseilbahnen zu den forstlichen Bringungsanlagen gehört (§ 59 Abs 1 ForstG) und insbesondere der Bringung und dem wirtschaftlichen Verkehr innerhalb der Wälder sowie deren Verbindung zum öffentlichen Verkehrsnetz dient (§ 59 Abs 2 Z 1 ForstG). Eine Verwaltungsübertretung begeht nach § 174 Abs 3 lit d Z 1 ForstG auch nur derjenige, der eine für das allgemeine Befahren erkennbar gesperrte Forststraße befährt.

Dass der Almweg durch den Wald führt (wie aus den Lichtbildern ersichtlich) macht ihn nicht automatisch zur Forststraße im Sinne des ForstG, weil es sich um einen öffentlichen, einem beschränkten Kreis von Verkehrsteilnehmern zugänglichen Weg handelt.

Hätte sich der Unfall auf Grund des Fehlverhaltens des Klägers auch bei Beteiligung eines PKWs, der den Weg erlaubterweise benutzte, ereignet, ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, einen Rechtswidrigkeitszusammenhang zu verneinen, vertretbar.

2.) Von der Frage des Schutzzweckes des eingeschränkten Fahrverbotes ist jene nach dem Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht zu trennen. Der Kläger beruft sich hier auf ein Verschulden des Unfallsgegners, weshalb ihn zu diesem Punkt die Behauptungs- und Beweislast trifft; jede Unklarheit geht zu seinen Lasten (RIS‑Justiz RS0022783; vgl RS0022560). Das Erstgericht hat eine - im Zuge der Annäherung an die Kurve noch weiter reduzierte - Geschwindigkeit im Bereich von 20 km/bis 30 km/h festgestellt. Da zu Gunsten des Erstbeklagten von der geringeren Geschwindigkeit auszugehen ist, hat er dem Gebot des Fahrens auf halbe Sicht durch die Einhaltung einer unter 23 km/h liegenden Geschwindigkeit entsprochen. Dem Kläger ist der Nachweis eines schuldhaften Verstoßes gegen das genannte Gebot nicht gelungen.

Während es bei der Beurteilung einer Verpflichtung, auf halbe Sicht zu fahren, auf die Breite des eigenen Fahrzeuges und die abstrakte Möglichkeit einer Begegnung mit 2,5 m breiten Fahrzeug ankommt (RIS‑Justiz RS0073655; RS0073670) ist die Frage der Anhaltepflicht jeweils nach den konkreten Umständen, das heißt auch nach den jeweiligen Fahrzeugbreiten und der verbleibenden Durchfahrtsbreite zu lösen (2 Ob 41/93 mwN). Muss im Begegnungsverkehr angehalten werden, ist ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot (§ 7 Abs 2 StVO) für die Verschuldensfrage unwesentlich (RIS‑Justiz RS0073616).

Der Revision ist einzuräumen, dass die Erwägungen des Berufungsgerichtes zur Breite des Beklagtenfahrzeuges nicht auf Feststellungen des Erstgerichtes basieren. Ein allfälliger Verstoß gegen § 488 Abs 4 ZPO ist hier jedoch ohne Einfluss auf das Ergebnis und begründet keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens:

Die vom Berufungsgericht mit 1,90 m angenommene Durchfahrtsbreite hätte sich auch bei der in der Revision angestrebten Breite des Beklagtenfahrzeuges von 1,80 m inklusive Außenspiegel auf 1,60 m reduziert, was eine ausreichende Durchfahrtsbreite für einen 10 bis 15 km/h fahrenden Mountainbiker gewesen wäre. Wäre demnach ein kontaktfreies Vorbeifahren bei Einhaltung des Rechtsfahrgebotes durch den Radfahrer möglich gewesen, rückt die Frage der Anhaltepflicht, welcher der Erstbeklagte im Gegensatz zum Kläger ohnehin entsprochen hat, in den Hintergrund.

3.) Ob eine bestimmte Verschuldens/Schadensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (RIS‑Justiz RS0087606). Eine krasse, vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor. Der KFZ‑Lenker hat nur für die Betriebsgefahr seines KFZ einzustehen, während dem klagenden Radfahrer ein Verschulden anzulasten ist, das in der Verletzung des Rechtsfahrgebotes und der verspäteten Reaktion lag. Die von der zweiten Instanz vorgenommene Teilung von 2 : 1 zu Lasten des Radfahrers hält sich im Rahmen vergleichbarer höchstgerichtlicher Judikatur (2 Ob 2348/96z; ZVR 1983/74).

4.) Ebenso als einzelfallbezogen zu sehen ist die Angemessenheit einer Verunstaltungsentschädigung (RIS‑Justiz RS0031385 [T4]; RS0031344 [T8]). Eine erhebliche Rechtsfrage wird nicht schon dadurch begründet, dass die Vorinstanzen statt EUR 2.000,‑- lediglich EUR 1.000,‑- als Entschädigung für die festgestellte Verunstaltung als angemessen erachteten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Die Beklagten haben in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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