European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00208.23M.1214.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 826,80 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 137,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war am 3. Juni 2021 mit mehreren Freunden auf einer Mopedausfahrt. Einer der Teilnehmer war sein langjähriger bester Freund, mit dem ihn eine „beispiellose, äußerst innige und enge Beziehung“ verband. Wegen eines technischen Problems stellten mehrere Teilnehmer der Gruppe ihre Mopeds neben der B3 in der Nähe von Saxen etwa vier Meter außerhalb der Fahrbahn ab. Der strafrechtlich deswegen verurteilte Erstbeklagte geriet mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW von der Fahrbahn ab und fuhr ungebremst in die Gruppe der Mopedfahrer, wodurch zwei Personen – darunter der beste Freund des Klägers – starben und mehrere weitere schwer verletzt wurden. Der Kläger beobachtete den gesamten Unfallhergang aus der Nähe, er befand sich auf einem Linksabbiegestreifen der B3 und war bei der Kollision 45 bis 50 Meter von der Unfallstelle entfernt. Der Kläger war „ein paar Sekunden“ nach dem Unfall bei den Verletzten, versuchte noch erste Hilfe zu leisten, konnte aber den Tod seinen besten Freundes noch an der Unfallstelle nicht verhindern. Das Miterleben des Unfalls versetzte den Kläger in einen schockartigen Zustand. Er erlitt eine akute Belastungsreaktion, die in eine posttraumatische Belastungsstörung überging. Die krankheitswerten psychischen Folgen entsprachen (gerafft) ein bis zwei Tagen mittelstarken und 22,5 bis 30 Tagen leichten Schmerzen. Beim Kläger stellte sich eine Persönlichkeitsveränderung ein, er leidet (nach wie vor) an Alpträumen und Flashbacks. Er fährt seit dem Vorfall nicht mehr Moped. Der Kläger suchte nach dem Unfall ein Krankenhaus auf und nahm (nur) zwei Wochen lang Antidepressiva. Eine regelmäßige Psychotherapie nahm er nicht in Anspruch. Durch eine solche dem Kläger zumutbare Therapie hätte sich – in Kombination mit fortgesetzter Medikamenteneinnahme – eine geringfügige Verkürzung der erlittenen Schmerzen im Ausmaß von vier Tagen leichten Schmerzen ergeben.
[2] Der Kläger war nach dem Unfall zwei Wochen im Krankenstand. Er hätte wenige Tage nach dem Unfall als Aufbauhelfer bei einem Blasmusik-Festival 2.685 EUR netto verdient.
[3] Der Kläger begehrt die Zahlung von 9.688,52 EUR sA, darunter – allein revisionsgegenständlich – 5.000 EUR an Schmerzengeld, 2.685 EUR an Verdienstentgang und 100 EUR an vorfallskausalen Spesen. Er sei beim Unfall zwar nicht physisch verletzt worden, habe aber direkt mitansehen müssen, wie sieben seiner Freunde – darunter auch sein bester Freund – schwer verletzt oder getötet worden seien. Er sei daher als Unfallbeteiligter und nicht bloß als Zeuge anzusehen. Der Kläger habe eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Ihn habe mit seinem besten Freund eine besondere Gefühlsgemeinschaft verbunden. Der Kläger habe gesundheitsbedingt die ihm bereits zugesagte Tätigkeit als Aufbauhelfer bei einem Musikfestival nicht ausüben können, wodurch ihm ein Verdienstentgang von 2.685 EUR entstanden sei.
[4] Die Beklagten wenden – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, dass der Kläger nicht am Unfall beteiligt gewesen sei. Er habe sich nicht unmittelbar an der Unfallstelle, sondern in einer Entfernung von 45 bis 50 Metern auf einem Linksabbiegestreifen befunden, sei nicht gefährdet gewesen und daher bloßer Unfallzeuge. Der Kläger sei auch nicht Angehöriger einer der beim Unfall verletzten oder getöteten Personen gewesen. Da der Kläger weder verfügbare Medikamente noch Therapien in Anspruch genommen habe, falle ihm insoweit eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zur Last.
[5] Verdienstentgang stehe schon mangels Kausalität nicht zu, weil das Festival 2021 coronabedingt ohnehin ausgefallen wäre. Sollte die Veranstalterin das Festival bloß aus Anlass des Unfalls abgesagt haben, handle es sich um deren Eigenentschluss.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 6.685 EUR sA statt. Der Kläger habe den Unfall unmittelbar miterlebt, er sei in das Unfallgeschehen gravierend miteinbezogen worden. Er könne daher Ersatz für den erlittenen Schockschaden begehren. Ein Schmerzengeld von 4.080 EUR sei angemessen. Das Unfallgeschehen sei für den Verdienstentgang kausal gewesen.
[7] Das von sämtlichen Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei einem Schockschaden, der auf das unmittelbare Miterleben des Unfallgeschehens zurückzuführen sei, komme es auf die Angehörigeneigenschaft nicht zwingend an. Der Kläger sei keinesfalls als bloß unbeteiligter Zeuge anzusehen, er habe sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Geschehen befunden und die Körper seiner Freunde durch die Luft fliegen sehen. Er habe seinem besten Freund erfolglos erste Hilfe geleistet und habe dessen Sterben unmittelbar mitansehen müssen. Dieses unmittelbare Miterleben des Unfalls könne wertungsmäßig einer Sonderbeziehung (Eigenschaft als naher Angehöriger) gleichgehalten werden. Dazu komme, dass zwischen dem Kläger und seinem besten Freund ein besonders enges Naheverhältnis bestanden habe. Der Kläger habe daher Anspruch auf Schmerzengeld. Der vom Erstgericht zugesprochene Betrag erscheine unter Bedachtnahme auf die hohe Inflation einerseits und die Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit des Klägers durch Nichtvornahme einer Gesprächstherapie andererseits innerhalb des Ermessensspielraums.
[8] Dem Kläger stehe auch Verdienstentgang zu, weil sich aus den Feststellungen ergebe, dass er schon wegen der schockbedingten Arbeitsunfähigkeit die Aufbauarbeiten nicht durchführen habe können. Die Absage des Festivals durch den Veranstalter könne den Schädiger nicht entlasten.
[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob bei Bestehen einer außergewöhnlich engen Nahebeziehung – wie sie üblicherweise zwischen engen Familienmitgliedern bestehe – auch bei formal fehlender Angehörigeneigenschaft ein Ersatz von Schockschäden zustehe.
[10] Gegen die teilweise Stattgebung des Klagebegehrens richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn gänzlicher Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[13] Die Beklagten argumentieren, dass der Kläger den Unfall lediglich als Zeuge beobachtet habe und mangels Verwandtschaft zu seinem tödlich verletzten besten Freund insgesamt nicht anspruchsberechtigt sei. Der Erstbeklagte habe keine gegen den Kläger gerichtete Sorgfaltswidrigkeit begangen. Bei Bemessung des Schmerzengeldes sei jedenfalls der erhobene Einwand der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zu berücksichtigen. Dem Kläger gebühre kein Verdienstentgang, weil er nur mittelbar Geschädigter sei.
Dazu hat der Fachsenat erwogen:
[14] Der Kläger begehrt ausschließlich den Ersatz eines von ihm nach den Feststellungen auch tatsächlich erlittenen Schockschadens mit Krankheitswert.
[15] 1. Die (bisherige) Rechtsprechung erkennt Schmerzengeld für einen Schockschaden mit Krankheitswert in zwei Fallkonstellationen zu:
[16] 1.1. Einerseits im Fall, dass nahe Angehörige einen Schock mit Krankheitswert erleiden, dadurch in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt werden und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung – im Rahmen einer typisierten Betrachtung – gegenüber dem nahen Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein (RS0116865 [insb auch T11]).
[17] Für den Zuspruch des Schockschadens an nahe Angehörige ist nicht entscheidend, ob diese den Schock durch das Miterleben des Unfalls (2 Ob 45/93 [beim Unfall leicht verletztes Kleinkind; schwerst verletzte Mutter] und 2 Ob 99/95 [leicht verletzter 8‑Jähriger als Beifahrer; Tötung des Lenkers, des Bruders und des Cousins sowie schwere Verletzung der Mutter]) oder durch die bloße Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung des Angehörigen erleiden („Fernwirkungsschaden“: vgl RS0117794).
[18] 1.2. Andererseits im Fall, dass ein Dritter – der nicht notwendiger Weise ein naher Angehöriger des Getöteten oder schwerst Verletzten sein muss – unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt war.
[19] Bereits in der Entscheidung 2 Ob 285/75 ZVR 1977/54 sprach der Senat einem Opernsänger Verdienstentgang zu, der aufgrund eines bei einem Unfall erlittenen Schocks mit Krankheitswert zwei Auftritte absagen musste. Der Kläger war durch ein unzulässiges Fahrmanöver des Beklagten zu einem abrupten Bremsmanöver gezwungen worden, wobei sein ins Schleudern geratenes Fahrzeug einen Passanten niederstieß und schwer verletzte. Der Senat betonte, dass auch eine psychische Beeinträchtigung eine Verletzung am Körper darstelle und der Kläger aufgrund der schweren Verletzung des Passanten für diesen das Schlimmste befürchtet habe, auch wenn er vom späteren Tod des Passanten vor Erleiden des Schocks keine Kenntnis gehabt habe.
[20] In der Entscheidung 2 Ob 120/02i sprach der Senat der Klägerin Schmerzengeld für einen Schockschaden mit Krankheitswert zu, den diese dadurch erlitten hatte, dass ein Motorrad mit ihrem PKW frontal kollidiert und die Lenkerin des Motorrads noch an der Unfallstelle ihren Verletzungen erlegen war.
[21] In beiden Fällen bestand zwischen dem Schockgeschädigten und dem Unfallopfer keine nähere Beziehung, allerdings waren beide Schockgeschädigte ganz unmittelbar Unfallbeteiligte.
[22] 2. In einem ersten Schritt ist damit zu klären, ob der Kläger als naher Angehöriger iSd Punkts 1.1. anzusehen ist.
[23] 2.1. Der Angehörigenbegriff muss nach der Rechtsprechung solche Personen erfassen, bei denen in der Rechtsordnung eine typische Verbindung mit der verstorbenen Person in einer Weise verankert ist, dass auch dem schädigenden Dritten gegenüber der Schockschaden als typische Folge seiner Verletzungshandlung gesehen werden kann (RS0116866). Auf dieser Grundlage wurden von der Rechtsprechung bisher Kinder und Eltern (vgl RS0115189 [insb T1, T20]), Ehegatten (2 Ob 136/11f), Lebensgefährten (etwa 8 Ob 127/02p), Geschwister (etwa 2 Ob 39/09p) und zuletzt ein Stiefvater (2 Ob 126/23b) als nahe Angehörige angesehen.
[24] Ein rein freundschaftliches Verhältnis, mag es auch von besonderer Intensität geprägt sein, ist in der Rechtsordnung nicht verankert (vgl hingegen 2 Ob 126/23b Rz 26 ff zur Verankerung der Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkindern in der Rechtsordnung sowie 8 Ob 127/02p zur Verankerung des Lebensgefährten in der Rechtsordnung). Der Senat hat ausgehend davon bereits in der Entscheidung 2 Ob 15/07f ausgesprochen, dass eine Person, die mit dem Getöteten weder (nah) verwandt noch verheiratet noch deren Lebensgefährte war, nicht als naher Angehöriger anzusehen ist und daher keinen Anspruch auf Schmerzengeld wegen eines erlittenen Schockschadens hat. Nach den dieser rechtlichen Beurteilung zu Grunde liegenden Feststellungen bestand zwischen dem Kläger und der Getöteten eine intensive Freundschaft sowie eine intime Beziehung, zudem war eine Lebenspartnerschaft geplant. Der Senat erachtete auf dieser Grundlage die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach mangels Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft keine Lebensgemeinschaft vorliege, als nicht korrekturbedürftig.
[25] 2.2. An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Die – wenn auch nach den Feststellungen „beispiellose, äußerst innige und enge“ – rein freundschaftliche und daher in der Rechtsordnung nicht in besonderer Weise anerkannte Beziehung zwischen dem Kläger und einem der beim Verkehrsunfall Getöteten reicht – auch um eine uferlose Ausweitung der Haftung zu vermeiden – nicht zur Qualifikation der (besten) Freunde als nahe Angehörige aus. Dies entspricht auch der überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl die Nachweise bei Beisteiner,Angehörigenschmerzengeld [2009] 195 insb FN 896; differenzierend allerdings Beisteiner aaO 196: bei besonders intensiver Freundschaft als absolute Ausnahme Ersatz denkbar).
[26] 3. Allerdings erhält der Kläger aufgrund seiner qualifiziert unmittelbaren Beteiligung am Verkehrsunfall ungeachtet seiner fehlenden Qualifikation als naher Angehöriger den von ihm erlittenen Schockschaden mit Krankheitswert aus folgenden Erwägungen ersetzt:
[27] 3.1. Die Rechtsprechung hat bei fehlender Angehörigeneigenschaft in den bisherigen Entscheidungen Schockschäden nur in Fällen als ersatzfähig erachtet, in denen der Geschockte ganz unmittelbar in das Unfallgeschehen involviert war (siehe oben Punkt 1.2.). Daraus kann jedoch entgegen den Revisionsausführungen nicht der Schluss gezogen werden, dass ausschließlich im Fall ganz unmittelbarer Unfallbeteiligung ein Ersatz des Schockschadens in Betracht käme.
[28] 3.2. In der österreichischen Literatur finden sich zum Ersatz des Schockschadens im Fall der Unfallbeteiligung des Geschockten folgende Stellungnahmen:
[29] 3.2.1. Reischauer (in Rummel³, ABGB³ § 1325 Rz 5) führt aus, dass eine Sorgfaltswidrigkeit gegenüber dem psychisch Beeinträchtigten „relativ unproblematisch“ zu bejahen sei, wenn das Opfer selbst in den Unfall verwickelt oder am Unfallgeschehen zumindest unmittelbar passiv beteiligt sei (etwa als Mitfahrer), weil in diesen Fällen das Unfallgeschehen als solches zum Schockerlebnis werde. Entscheidend sei, dass das Verhalten des Schädigers typisch geeignet sei, eine Folge wie die ausgelöste herbeizuführen, und dies ein maßgerechter Mensch ex ante auch erkennen habe können. Gleiches werde wohl auch für jene Personen gelten, die die Schrecklichkeit der Unfallfolgen unmittelbar erlebten, ohne selbst in das Unfallgeschehen verwickelt zu sein.
[30] 3.2.2. Karner (Rechtsprechungswende bei Schock- und Fernwirkungsschäden Dritter?, ZVR 1998, 182 [188]) betont, dass grundsätzlich jeder, der unfreiwillig selbst Zeuge eines Unfallerereignisses werde, zum Kreis der geschützten Personen gehöre, auch wenn er mit dem Opfer nichts zu tun habe. Das Miterleben des Unfalls bewirke die erforderliche spezifische Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gegenüber dem Dritten. Allerdings sei nicht jedes zufällige Beobachten eines Unfalls aus sicherer Entfernung ausreichend, zu fordern sei vielmehr, dass der Dritte der Erstschädigung „objektiv in so gravierender Weise direkt ausgesetzt“ sei, dass das unmittelbare Miterleben des Unfallgeschehens einer „Sonderbeziehung“ zwischen nahen Angehörigen wertungsmäßig gleichgehalten werden könne. Vor allem sei hier an den Fall zu denken, dass der Dritte gleichsam in das Unfallgeschehen einbezogen werde, insbesondere weil er sich selbst als ernstlich gefährdet habe betrachten müssen.
[31] In einem späteren Festschriftbeitrag wiederholt Karner im Kern diese Ausführungen. Nicht schutzwürdig sei, wer sich aus Neugier zum Unfallort begebe und dadurch einen Schock erleide. Ein sonstiger Dritter, der kein naher Angehöriger sei, könne bei Miterleben des Unfalls nur dann Ersatz erhalten, wenn er selbst in das Unfallgeschehen miteinbezogen worden sei (Karner, Zur Ersatzfähigkeit von Schock- und Trauerschäden – eine Bilanz, in: FS Danzl [2017] 87 [94 f]).
[32] 3.2.3. Koziol (Haftpflichtrecht II³ A/5/185 ff) betont, dass Anknüpfungspunkt der Dritthaftung der Eingriff in das absolut geschützte Recht des Schockgeschädigten selbst auf seine körperliche und psychische Unversehrtheit sei. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit bedürfe einer umfassenden Interessenabwägung. Werde der Schockschaden durch das unmittelbare Miterleben eines Schadensgeschehens ausgelöst, komme es auf eine Sonderbeziehung des durch den Schock verletzten Dritten zum Erstgeschädigten nicht notwendig an. Für die Rechtswidrigkeit sei vielmehr die besonders hohe Gefährdung des Dritten durch das direkte Miterleben entscheidend. Eine solche liege vor allem dann vor, wenn der Dritte in das Unfallgeschehen miteinbezogen werde, insbesondere weil er sich selbst als ernstlich gefährdet habe betrachten müssen. Es bedürfe „besonderer Unfallnähe“, um eine Haftung für einen Schockschaden bejahen zu können.
[33] 3.2.4. Beisteiner (Angehörigenschmerzengeld 206 ff) führt aus, dass einem opferfremden Dritten bei „hautnahem“ Miterleben des Unfallgeschehens ein Schockschaden zu ersetzen sei. Als haftungsbegründend sieht die Autorin eine „qualifizierte Involvierung“ in das Unfallereignis an, es bedürfe daher einer besonderen Unfallnähe. Der Schockgeschädigte müsse das Unfallgeschehen derart intensiv miterleben, dass dieser Umstand die fehlende Sonderbeziehung zum Primärgeschädigten aufwiege. Eine mögliche Ausprägung des „Miteinbezogenseins“ in den Unfall sei die Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit. Denkbar sei aber auch, dass der Schockgeschädigte – etwa bei einem erzwungenen Ausweichmanöver – zum Werkzeug der Erstschädigung oder ein Unfallbeteiligter mit den schwersten Verletzungen oder dem Todeskampf hautnah konfrontiert werde. Auch ein Dritter, der den am Unfall Beteiligten (erste) Hilfe leiste, sei ersatzberechtigt. In einem beweglichen System könnten auch die Haftungsgründe der Intensität der Nahebeziehung und der räumlich-zeitlichen Unfallnähe kombiniert werden. So könne etwa bei einem (bloßen) Freund des Opfers eine Unfallnähe, die für gänzlich opferfremde Dritte als nicht genügend anzusehen wäre, für die Annahme einer Haftung ausreichen.
[34] 3.2.5. Kramer (Schockschaden mit Krankheitswert – noch offene Fragen? in FS Koziol [2010] 743 [746 f]) geht davon aus, dass die direkte Beobachtung des Unfalls durch den schockgeschädigten Dritten haftungsbegründend sei, wenn das Unfallgeschehen selbst zum Schockerlebnis werde.
[35] 3.3. Der deutsche Bundesgerichtshof (in der Folge: BGH) spricht bei Fehlen einer personalen Sonderbeziehung zwischen dem Schockgeschädigten und dem Unfallopfer (nur) dann Ersatz für den Schockschaden zu, wenn der Schockgeschädigte „vom Schädiger in die Rolle eines Unfallbeteiligten gezwungen wird“ und das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (so bereits BGH VI ZR 103/84). Dies bejahte der BGH in einem Fall, in dem das Unfallopfer dem Schockgeschädigten ohne unfallverhindernde Reaktionsmöglichkeit vor das Auto lief (BGH VI ZR 103/84). Ebenso sprach der BGH einem schockgeschädigten Polizeibeamten Schadenersatz zu, der zum Einsatz im Zusammenhang mit einem Amoklauf in einer Schule beordert worden war (VI ZR 237/17).
[36] Hingegen verneinte der BGH einen Anspruch auf Schockschaden, wenn der Schockgeschädigte nicht unmittelbar am Unfall beteiligt war, weil das zufällige Miterleben eines Unfallgeschehens und die daraus resultierende bloße Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen seien. Im Anlassfall war ein Polizeibeamter zufällig an der Unfallstelle nach einem „Geisterfahrerunfall“ vorbei gekommen und hatte erfolglose Rettungsversuche unternommen (VI ZR 17/06).
[37] Die aus der zuletzt genannten Entscheidung resultierenden Beschränkungen der Ersatzpflicht werden in der deutschen Literatur teilweise kritisiert. So weist etwa Oetker (MüKoBGB9 [2022] § 249 Rn 153 mwN) darauf hin, dass bei besonders schweren Unfällen, die unmittelbar miterlebt würden, sogar völlig Fremden ein ersatzfähiger Schockschaden zugebilligt werden könne.
[38] 3.4. Nach Ansicht des Senats bedarf die Zuerkennung eines Schockschadenersatzes an Dritte, die nicht als nahe Angehörige anzusehen sind, eines der rechtlichen Sonderbeziehung gleichwertigen Zurechnungsgrundes. Dies setzt nach den überzeugenden Ausführungen Karners (oben Punkt 3.2.2.) voraus, dass der Dritte der Erstschädigung „objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt“ war. Eine derart qualifizierte Unfallbeteiligung kann nicht nur bei ganz unmittelbarer Involviertheit etwa als Unfallgegner oder bei Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit durch den Schädiger, sondern nach Ansicht des Senats auch in anderen, wertungsmäßig vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen anzunehmen sein. Beisteiner weist überzeugend darauf hin, dass bei Prüfung der Frage, ob eine wertungsmäßig vergleichbare Fallkonstellation vorliegt, auch eine Nahebeziehung zwischen dem Opfer und dem schockgeschädigten Dritten, die nicht zur Bejahung von dessen Angehörigeneigenschaft führt, Berücksichtigung finden kann.
[39] 3.5. Umgelegt auf den vorliegenden Fall führt dies zur Bejahung der Haftung der Beklagten. Zwar kann der Kläger nicht als unmittelbar Unfallbeteiligter angesehen werden und war auch nicht in seiner eigenen körperlichen Sicherheit gefährdet. Er ist allerdings entgegen den Revisionsausführungen auch nicht als bloßer unbeteiligter Unfallzeuge anzusehen. Vielmehr hat er den nicht nur aufgrund der Mehrzahl an Opfern, sondern auch der Wucht der Kollision (das Berufungsgericht erwähnt in diesem Zusammenhang das „Herumfliegen“ der Körper durch die Luft) besonders schrecklichen Unfall aus räumlicher Nähe (45 bis 50 Meter von der Unfallstelle entfernt) zur Gänze mitangesehen, war „in Sekunden“ am Unfallort, versuchte seinen besten Freund zu retten, musste aber dessen Versterben hautnah miterleben. Insgesamt ist damit bei wertender Betrachtung von einer qualifizierten Beteiligung des Klägers am Unfallgeschehen auszugehen, wobei einem maßgerechten Menschen ex ante auch erkennbar war, dass das Hineinfahren in eine Gruppe von Mopedlenkern typischer Weise eine Folge wie die ausgelöste – nämlich einen Schockschaden bei einem weiteren Mitglied der Gruppe – herbeizuführen geeignet war.
[40] 3.6. Die in der Revision behaupteten sekundären Feststellungsmängel zur Entfernung des Klägers vom Unfallort liegen schon deswegen nicht vor, weil das Vorbringen der Beklagten zu diesem Thema vom Kläger nicht (substantiiert) bestritten wurde (§§ 266 f ZPO), sodass es der rechtlichen Beurteilung ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden kann.
3.7. Als Zwischenergebnis folgt:
[41] Die Zuerkennung eines Schockschadenersatzes an Dritte, die nicht als nahe Angehörige anzusehen sind, bedarf eines der rechtlichen Sonderbeziehung gleichwertigen Zurechnungsgrundes. Ein solcher muss nicht zwingend in der ganz unmittelbaren Involviertheit in das Unfallgeschehen (etwa als Unfallgegner oder Beifahrer) oder in der Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit des Schockgeschädigten durch den Schädiger liegen. Erforderlich ist aber jedenfalls, dass der Dritte bei gebotener wertungsmäßiger Gesamtbetrachtung der Erstschädigung objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt war („qualifizierte Unfallbeteiligung“).
[42] 4. Das Berufungsgericht hat – entgegen den Ausführungen in der Revision – dem auf eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit (vgl dazu RS0023573 [insb T12]) abzielenden Einwand der Beklagten sehr wohl Rechnung getragen und ausgeführt, dass sich im Hinblick auf die inflationsbedingte Geldentwertung selbst unter Berücksichtigung der (geringfügigen) Reduktion der erlittenen Schmerzen im Fall der Durchführung einer zumutbaren Gesprächstherapie die Bemessung des Schmerzengelds durch das Erstgericht in dessen Beurteilungsspielraum halte. Mit dieser Rechtsansicht setzen sich die Beklagten in ihrer Revision nicht auseinander, sodass sie nicht darzustellen vermögen, dass die Ausmittlung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhen würde.
[43] 5. Nach der Judikatur steht einem Schockgeschädigten, der eine Körperverletzung iSd § 1325 ABGB erlitten hat, auch Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs zu (2 Ob 202/18x Punkt 1. mwN; vgl bereits 2 Ob 285/75 ZVR 1977/54). Nach den Feststellungen war der Kläger aufgrund des erlittenen Schocks nicht in der Lage, als Aufbauhelfer bei einem Festival 2.685 EUR zu verdienen. Wieso er ausgehend von diesem Sachverhalt bloß mittelbar Geschädigter sein sollte, vermögen die Beklagten in der Revision nicht nachvollziehbar darzustellen.
[44] 6. Gesonderte inhaltliche Ausführungen zum Ersatz unfallkausaler Nebenspesen enthält die Revision nicht, sodass sich nähere Ausführungen zu dieser Frage erübrigen.
[45] 7. Der Revision war damit insgesamt nicht Folge zu geben.
[46] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.
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