OGH 2Ob45/93

OGH2Ob45/9316.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anja B*****, vertreten durch den Vater Johann B*****, Tischler, *****, vertreten durch Dr.Janko Tischler jun., Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Parteien 1. Paul K*****, und 2. ***** Versicherungs AG, ***** beide vertreten durch Dr.Margot Tonitz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Leistung (S 29.000) und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 6.Mai 1993, GZ 2 R 181/93-18 womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Villach vom 2.Jänner 1993, GZ 8 C 816/92g-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.590,40 (darin enthalten S 598,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 26.5.1990 verschuldete der Erstbeklagte mit einem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall, bei dem die zu diesem Zeitpunkt 20 Monate alte Klägerin, die in einem Kindersitz in Fonds des ihrer Mutter Anna B***** gelenkten PKW saß, Abschürfungen und ein Hämatom an der Stirn sowie eine Schädelprellung durch den Anprall des Kopfes gegen den Vordersitz erlitt. Anna B***** erlitt schwerste Verletzungen. Sie konnte von ihrer Tochter erstmals zwei Wochen nach dem Unfall auf der Intensivstation besucht werden und war zwei Monate durchgehend in stationärer Behandlung.

Das Unfallserlebnis selbst führte bei der Klägerin zu einem ängstlichen Zustandsbild. Sie hat Angst beim Autofahren und äußerte diese auch bei schnellere Fahrt und bleibt selbst bei Sichtkontakt mit der Bezugsperson nicht allein im Auto.

Im Vergleich zum unmittelbaren Erleben des Unfallgeschehens hatte der abrupte Beziehungsabbruch zur Mutter während des Zeitraums des Krankenhausaufenthaltes gravierende seelische Auswirkungen auf das Kind. Vor dem Unfall bestand eine enge Mutter-Kind-Beziehung, die sich im frühen Erreichen von typischen Entwicklungsleistungsstufen ausdrückte. Die Klägerin schlief vor dem Unfall bereits allein in ihrem Zimmer, nach dem traumatischen Trennungserlebnis war dies nicht mehr möglich, weil sie Angst hatte und sich weigerte, alleine zu sein. Die durch Angst, allein zu sein, hervorgerufenen seelischen Schmerzen manifestieren sich in einem massiven körperlichen Unbehagen und beeinträchtigen wesentlich das körperliche Wohlbefinden des Kindes. Aufgrund des gravierenden Trennungserlebnisses sind weitere Störungen der seelischen Entwicklung des Kindes zu erwarten; diese können in Zukunft angstneurotische Entwicklungen begünstigen. Es handelt sich dabei um eine psychische Erkrankung, die sich körperlich nicht manifestiert. Die Klägerin hat nach wie vor Ängste, die von ihr zumindest ohne fachkundige Hilfe nicht bewältigbar sind. Sie erlebt diese im Unvermögen, ohne Unbehagen alleine zu sein, als unruhige Gespanntheit und empfindet völlig irrational, jemand um sich haben zu müssen.

Die beklagten Parteien anerkannten das Alleinverschulden des Erstbeklagten und überwiesen der Klägerin vorprozessual einen Betrag von S 6.000 an Schmerzengeld.

Die Klägerin begehrt darüber hinaus noch weitere S 24.000 an restlichem Schmerzengeld sowie eine weitere Verunstaltungsentschädigung von S 5.000. Ihr Feststellungsbegehren begründete sie mit zu befürchtenden künftigen Folgen aus dem Unfallgeschehen, weil ihre psychische Stabilisierung nicht abzusehen sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Über die geleistete Zahlung hinaus stünden der Klägerin keine Ansprüche zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es erachtete den unfallbedingten Beziehungsabbruch und die damit im Zusammenhang stehenden traumatischen Störungen in der seelischen Entwicklung des Kindes und dessen hiedurch hervorgerufenen seelischen Schmerzen als nicht ersatzfähigen mittelbaren Schaden. eine Verunstaltung der Klägerin liege selbst nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es gab dem Zahlungsbegehren mit einem Teilbetrag von S 24.000 sowie dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt und wies das weitere Mehrbegehren von S 5.000 (Verunstaltungsentschädigung) ab.

Es widersprach der Rechtsmeinung, wonach der durch die Trennung eines Kindes von seiner verletzten Mutter erlittene seelische Schmerz als mittelbarer Schaden nicht ersatzfähig sei. Die Rechtsprechung habe bei Verletzung absoluter Rechte, zu denen auch die Unversehrtheit des Körpers und der Psyche zähle, auch Dritten Schadenersatzansprüche zuerkannt. Während die Lehre einhellig auch für den Ersatz der Schockschäden eintrete, sei die diesbezügliche Judikatur uneinheitlich. Eine Haftungsbegrenzung trete unter dem Geichtspunkt der Adäquanz mit der Folge ein, daß der Schadenersatzanspruch in der Regel auf nahe Angehörige des Verletzten beschränkt bleibe. Das von der minderjährigen Klägerin erlittene Trauma infolge der unfallbedingten Trennung sei als adäquate Folge des Verkehrsunfalles anzusehen und auch als Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB zu qualifizieren. Den durch das gravierende Trennungserlebnis hervorgerufenen angstneurotischen Symptomen der minderjährigen Klägerin komme ein schmerzengeldanspruchsbegründender Krankheitswert zu, der insgesamt einen Schmerzengeldanspruch von S 30.000 rechtfertige.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als insgesamt S 50.000 übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Schutz der psychischen Gesundheit des Geschädigten ohne sich nach außen manifestierender Körperverletzung uneinheitlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

§ 1325 ABGB sieht bei Verletzungen am Körper die Zahlung von Schmerzengeld vor. Dieses ist der Ersatz des ideellen Schadens, der im Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen entsteht (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 138) und ist daher dann zu gewähren, wenn solche Verletzungen verursacht wurden. Unter einer Körperverletzung ist jede Beeinträchtigung der leiblichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. Eine äußerlich sichtbare Verletzung ist nicht Voraussetzung. Auch innere Verletzungen oder Nervenschäden fallen unter den Begriff der Körperverletzung. So wurde bereits ausgesprochen, daß Störungen von Gehirn- und Nervenfunktionen (ZVR 1977/54; JBl 1989,41) wie zB auch Schlaflosigkeit (ZBl 1937/114; SZ 20/186), Aufregungszustände und Erregungszustände aller Art als Körperverletzung zu qualifizeren sind. Lediglich eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht für sich allein nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden (EvBl 1983/82; Koziol aaO 115). In der Rechtsprechung ist aber unbestritten, daß massive Einwirkungen in die psychische Sphäre jedenfalls dann eine körperliche Verletzung im Sinn der angeführten Bestimmungen darstellen, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind (3 Ob 523/88). Eine derartige massive psychische Beeinträchtigung ist aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Perspektive die Behandlung der psychischen Störung geboten ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn nicht damit gerechnet werden kann, daß die Folgen von selbst abklingen oder wenn zu befürchten ist, daß ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Störung zurückbleibt (vgl Mertens in Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rz 56 zu § 823 BGB).

Nach den Feststellungen bestehen bei der Klägerin aufgrund des gravierenden Trennungserlebnisses massive angstneurotische Symptome, die sie ohne fachkundige Hilfe nicht bewältigen kann und weitere Störungen der seelischen Entwicklung erwarten lassen. Schon das Erfordernis der medizinischen Betreuung der Klägerin macht daher deutlich, daß bei ihr nicht bloß geringfügige psychische Einwirkungen, die das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen, gegeben sind, sondern daß tatsächlich eine mit einem Krankheitswert behaftete Gesundheitsschädigung vorliegt, die einen Anspruch auf Schmerzengeld gibt.

Im übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, daß bei Beurteilung des Schmerzengeldes von Kleinkindern auch die psychische Beeinträchtigungen im Zuge einer mit einer stationären Behandlung verbundenen und erfahrungsgemäß besonders schmerzlich empfundenen Trennung von der Mutter zu berücksichtigen ist (EFSlg 27.197, 2 Ob 208/71, 6 Ob 178/75, vgl Koziol aaO 139).

Dem Einwand der Revisionswerber, es handle sich um einen nicht ersatzfähigen mittelbaren Schaden, ist Folgendes entgegenzuhalten:

Richtig ist, daß für seelische Schmerzen, die nicht auf einer Verletzung des eigenen Körpers beruhen, kein Schmerzengeld zusteht (SZ 23/311 ua; vgl auch Harrer in Schwimann, Rz 17 zu § 1295; Welser in ÖJZ 1975, 41; Apathy, EKHG, Rz 18 zu § 12). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um seelische Schmerzen als Folge der Verletzung und des Krankenhausaufenthaltes der Mutter, sondern um eine dadurch hervorgerufene Krankheit, also um einen ersatzfähigen Schaden. In ZVR 1958/144, ZVR 1963/147 und SZ 44/39 = ZVR 1977/27 wurde zwar mit der Begründung, es handle sich um einen Drittschaden, kein Ersatz für einen durch den Tod eines nahen Angehörigen verursachten Schock gewährt. Zutreffend wird die in diesen Entscheidungen vertretene Ansicht aber von der Lehre abgelehnt, weil bei einem Nervenschaden der Dritte in seinem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt ist und als unmittelbar Geschädigter angesehen werden kann (Koziol2 I 161; Apathy, EKHG, Rz 18 zu § 12 und Rz 1 zu § 13; Reischauer in Rummel2, Rz 5 zu § 1325). Überdies ist darauf hinzuweisen, daß in ZVR 1963/147 zwischen Nervenschaden und seelischen Schmerzen nicht unterschieden wurde und in SZ 44/39 und ZVR 1958/144 zur Begründung auf § 1327 verwiesen wurde. Abgesehen davon, daß in der Lehre überzeugend dargelegt wurde, daß die Berufung auf diese Vorschrift nicht zielführend ist (Reischauer aaO; Welser in ÖJZ 1975, 40), kommt eine Anwendung des § 1327 ABGB im vorliegenden Fall schon deshalb nicht in Frage, weil die Mutter der Klägerin beim Unfall nicht getötet wurde. Schließlich ist noch darauf hinzuwisen, daß die Klägerin auch durch das Unfallsgeschehen und die eigene Verletzung psychisch beeinträchtigt wurde. Schon in SZ 45/135 und in 8 Ob 219/78 wurde für psychische Schäden, die eine Folge der Verletzung am eigenen Körper aber auch des durch denselben Unfall verursachten Tod eines nahen Angehörigen waren, voller Ersatz gewährt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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