OGH 2Ob193/06f

OGH2Ob193/06f7.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers und Gegners der gefährdeten Partei DI Josef M*****, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Haftner, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte und gefährdete Partei Karen M*****, vertreten durch Dr. Maria-Christina Engelhardt, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung und einstweiligem Unterhalt, über die Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. Mai 2006, GZ 42 R 70/06i-24, womit infolge der Rekurse beider Parteien der Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 16. Dezember 2005, GZ 2 C 210/05x-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wird zurückgewiesen. Dem Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Begründung

Die Streitteile sind seit 18. 6. 1982 miteinander verheiratet. Der Ehe entstammen die am 4. 7. 1983 bzw am 16. 4. 1985 geborenen Söhne Josef und Christoph. Die Beklagte und gefährdete Partei (in der Folge: Beklagte) hatte am Anfang der Ehe den Beruf einer Büroangestellten ausgeübt, den sie nach der Geburt des ersten Sohnes aufgab, um sich fortan dem Haushalt zu widmen. Während der Ehemann der Beklagten (in der Folge: Kläger) die Ehe bis in das Jahr 2004 als harmonisch betrachtete, traf dies auf die Beklagte schon seit längerem nicht mehr zu. So kam es zu Konflikten, weil sie von ihrem Mann Unterstützung für den Wiedereinstieg in das Berufsleben erwartete und weil sie seine Körperpflege als mangelhaft empfand. Sie war auch nicht damit einverstanden, dass ihr Mann sich häufig dem Umbau des gemeinsamen Wochenendhauses widmete und in seiner Freizeit gelegentlich alleine Fahrten mit dem Motorrad unternahm. Sie empfand es ferner als Mangel an ehelicher Zuwendung, dass der Kläger gemeinsame kulturelle Aktivitäten ablehnte. Das Ehepaar verbrachte aber bis in das Jahr 2004 regelmäßig gemeinsame Urlaube und hielt sich an den Wochenenden im Wochenendhaus auf, wo die Beklagte mit großer Sorgfalt und Interesse den Garten pflegte. Bis Ende des Jahres 2004 pflegten die Eheleute auch intimen Verkehr.

Im September 2004 verbrachte die Beklagte allein einen Urlaub in Mallorca. Dort lernte sie Dr. Andreas P***** kennen, mit dem sie alsbald eine freundschaftliche, ab Anfang des Jahres 2005 aber auch eine intime Beziehung verband. Seither übernachtet die Beklagte teils in der Ehewohnung, teils in der Wohnung ihres Freundes. Sie kehrt aber regelmäßig in die Ehewohnung zurück, um Haushaltsarbeiten zu verrichten und sich um die beiden erwachsenen Söhne zu kümmern, für die sie - ebenso wie für den Kläger - ab und zu auch noch kocht. Der Kläger ist Vorstandsmitglied der M***** AG und bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 8.167,-- inklusive Sonderzahlungen. Seit Februar 2005 gewährt er der Beklagten - abgesehen von seiner Zustimmung zur Benützung der Ehewohnung - keinen Unterhalt. Die Beklagte behob im März 2005 insgesamt einen Betrag von EUR 13.500,-- vom gemeinsamen Konto, den sie zur Bestreitung ihres Unterhaltes, für den Kauf neuer Kleidung - sie hatte innerhalb weniger Monate 20 kg abgenommen - und für weitere notwendige Anschaffungen verbrauchte. Die Familienbeihilfe wendet sie für ihre Söhne auf. Ansonsten hat die Beklagte keinen Zugriff auf die gemeinsamen ehelichen Ersparnisse mehr.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten, die gegen seinen erklärten Willen eine ehewidrige Beziehung aufgenommen habe und den ehelichen Haushalt vernachlässige. Die Beklagte sprach sich nicht gegen die Ehescheidung aus, beantragte jedoch, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Mit dem Mitverschuldensantrag verband sie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, mit welchem sie einen monatlichen einstweiligen Unterhalt von EUR 2.040,-- bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens sowie einen Prozesskostenvorschuss von EUR 4.000,-- begehrte. Sie brachte vor, die Ehe sei bei Aufnahme ihrer ehewidrigen Beziehung bereits längst unheilbar zerrüttet gewesen. Der Kläger habe sie gegenüber dem feindseligen Verhalten ihrer Schwiegereltern nicht unterstützt, sich immer mehr gehen lassen und kein Interesse mehr an ihr gezeigt. Die Beklagte habe deshalb unter Depressionen, Panikattacken und mangelndem Selbstwertgefühl gelitten und darauf mit Essstörungen (Frustessen) reagiert. Erst auf Grund vieler Drohungen, Erniedrigungen und Beschimpfungen seitens des Klägers habe sie sich „in die Arme ihres Seelenfreundes geflüchtet". Sie habe auf Wunsch des Klägers ihre Berufstätigkeit aufgegeben und keine weitere Ausbildung gemacht. Nun sei sie fast 47 Jahre alt und auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Sie wohne weiterhin in der ehelichen Wohnung, verrichte dort alle wesentlichen Hausarbeiten und die Einkäufe für den täglichen Bedarf. Seit Februar 2005 bekomme sie vom Kläger kein Haushaltsgeld, der Zugriff auf die gemeinsamen Ersparnisse einschließlich der Zuwendungen ihrer Eltern sei ihr verwehrt.

Der Kläger trat dem Sicherungsantrag mit der Begründung entgegen, die Beklagte habe durch ihre ehewidrige Beziehung jeglichen Unterhaltsanspruch verwirkt.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag der Beklagten teilweise statt. Es verpflichtete den Kläger zur Leistung eines monatlichen einstweiligen Unterhaltes von EUR 1.000,-- vom 10. 10. 2005 bis zur Beendigung des Scheidungsverfahrens, sowie eines Prozesskostenvorschusses von EUR 2.000,-- an die Beklagte und wies das auf die Zahlung eines weiteren monatlichen einstweiligen Unterhaltes von EUR 1.040,-- und eines weiteren Prozesskostenvorschusses von EUR 2.000,-- gerichtete Mehrbegehren ab. Es erachtete den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt und folgerte - teilweise auch im Rahmen seiner Feststellungen - in rechtlicher Hinsicht, erst die Aufnahme der intimen Beziehungen der Beklagten zu ihrem Freund habe die objektive Zerrüttung der Ehe herbeigeführt, auch wenn die Beklagte die Ehe subjektiv schon vorher als zerrüttet empfunden habe. Nach der älteren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hätte die Beklagte ihren Unterhaltsanspruch verwirkt. Im Hinblick auf den Wegfall des Ehebruches als absoluter Scheidungsgrund mit dem EheRÄG 1999 sei aber die Rechtsprechung zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches neu zu bewerten. Dem entspreche die Möglichkeit eines Unterhaltes nach Billigkeit bei beiderseitigem Verschulden der Ehegatten gemäß § 68 EheG, der auch vor der Entscheidung über eine Scheidungsklage als vorläufiger Unterhalt zuerkannt werden könne. Im vorliegenden Fall sei der Beklagten, die sich in einer mehr als 20-jährigen Ehe fast ausschließlich der Haushaltsführung und Kindererziehung gewidmet habe, diese Aufgaben teilweise immer noch wahrnehme und über keine eigenen Mittel verfüge, ein Unterhalt nach Billigkeit zuzusprechen, der mit monatlich EUR 1.000,-- zu bemessen sei. Die Höhe des Prozesskostenvorschusses sei mit EUR 2.000,-- anzusetzen. Das von beiden Parteien angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Rechtlich führte es aus, dass von einem Unterhaltsanspruch der haushaltsführenden Ehegattin nach § 94 Abs 2 Satz 1 ABGB auszugehen sei. Bei Prüfung der Frage, ob die Geltendmachung dieses Anspruches rechtsmissbräuchlich erfolge, sei seit 1. 1. 2000 auch auf § 68a EheG Bedacht zu nehmen, der unter bestimmten Voraussetzungen einen verschuldensunabhängigen Unterhaltsanspruch nach Scheidung gewähre und zwar auch dann, wenn eine Verwirkung im Sinne des § 74 EheG anzunehmen sei. Als äußerste Grenze werde dabei festgelegt, dass ein Unterhaltsanspruch dann nicht bestehen solle, wenn die Gewährung des Unterhaltes unbillig wäre, weil der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen oder die Ehe nur kurz gedauert habe. Unter diesem Aspekt müsse auch die bisherige Rechtsprechung zur Unterhaltsverwirkung betrachtet werden. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, könne daher bei Vorliegen eines Sachverhaltes, bei dem der Unterhalt fordernde Ehegatte nach der Ehescheidung einen Anspruch nach § 68a EheG haben würde, auch vor der Ehescheidung nicht von einer Verwirkung des Unterhaltsanspruches im Sinne des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ausgegangen werden. Bei Lösung der Missbrauchsfrage sei daher in Hinkunft immer auch theoretisch ein Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG abzuführen. Dabei könne die in Abs 3 dieser Bestimmung enthaltene Unbilligkeitsregelung nicht nur zum Entfall sondern auch zur Minderung des Unterhaltsanspruches führen.

Die fortgesetzte ehewidrige Beziehung der Beklagten seit Anfang des Jahres 2005 würde im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB und § 74 EheG führen. Es lägen allerdings die Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruches nach § 68a Abs 2 EheG vor: Die Beklagte habe auf Wunsch des Klägers 1983 zu arbeiten aufgehört und eine Erwerbstätigkeit nicht wieder aufgenommen. Auf Grund der mehr als 20-jährigen beruflichen Absenz und des dadurch bedingten Mangels an Erwerbsmöglichkeiten sei ihr die Selbsterhaltung nicht mehr zumutbar. Die Anwendung dieser Grundsätze der nachehelichen Unterhaltsfeststellung auf das Unterhaltsverfahren während aufrechter Ehe sei im Sinne einer gleichbleibenden Wertung des Gesetzgebers insofern geboten, als die Sicherung des Lebensbedarfes nach Scheidung durch die Aufteilung des während der Ehe erworbenen Vermögens weniger dringend sein könne als vor der Scheidung. Die Beklagte, der ein Zugriff auf eheliche Ersparnisse nicht möglich sei, sei zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse auf den Unterhalt angewiesen. Dies rechtfertige den Zuspruch eines Unterhaltes nach § 68a Abs 2 EheG. Das Erstgericht habe die Ehe zutreffend erst ab Anfang 2005 als objektiv zerrüttet beurteilt. Davor sei jedoch das Verhalten des Klägers gestanden, der sich von der Beklagten vehement zurückgezogen habe. Die Beklagte habe unter der Tatsache gelitten, dass es zu keiner gemeinsamen Freizeitgestaltung mehr gekommen sei und ihr Mann kein Interesse an kulturellen Aktivitäten gezeigt habe. Auch seine mangelnde Körperpflege habe sie als störend empfunden. Das Erstgericht habe daher im Ergebnis zu Recht einen verminderten Unterhaltsanspruch der Beklagten angenommen. Der Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG sei nach dem konkreten Bedarf des Unterhaltsberechtigten in einem Zwischenbereich der nach der Rechtsprechung zu den §§ 68 und 66 EheG geltenden Prozentsätze, also zwischen 15 und 33 % des Einkommens des Verpflichteten auszumitteln, wobei der angemessene Unterhalt nach § 66 EheG tunlichst nicht erreicht werden solle. Im vorliegenden Fall entspreche die Bemessung des einstweiligen Unterhaltes mit EUR 1.000,-- ca 13 % der Bemessungsgrundlage. Auf Grund des der ehewidrigen Beziehung der Beklagten vorausgegangenen Verhaltens des Klägers sei eine gänzliche Verwirkung des Anspruches nicht gerechtfertigt, wohl aber ein Abschlag im Sinne des § 68a Abs 3 EheG. Im Provisorialverfahren sei nicht streng zu prüfen, was einem Ehegatten an Unterhalt zustehe, sondern lediglich ein vorläufiger Unterhaltsbetrag zur Sicherung des anständigen Lebensbedarfes des Anspruchsberechtigten festzustellen. Dieselben Kriterien müssten auch für die Bemessung des Prozesskostenvorschusses gelten, der vom Erstgericht ebenfalls nach Billigkeit mit EUR 2.000,-- festgesetzt worden sei. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass zur Frage der Änderung der Maßstäbe der Verwirkung eines vorläufigen Unterhaltsanspruches nach § 94 ABGB durch die Einführung des § 68a EheG noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes existiere.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richten sich die ordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien, wobei der Kläger die gänzliche Abweisung, die Beklagte hingegen die gänzliche Stattgebung des Sicherungsantrages anstrebt.

Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben. Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Hingegen ist der Revisionsrekurs der Beklagten unzulässig, da sie keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (hier in Verbindung mit §§ 78, 402 Abs 4 EO) geltend macht.

1. Zum Revisionsrekurs der Beklagten:

Hat das Gericht zweiter Instanz zu Recht ausgesprochen, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, macht der Rechtsmittelwerber dann aber nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist der Revisionsrekurs trotz des Ausspruches der Zulässigkeit durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0102059, RS0048272 [T1]; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ vor § 502 Rz 3).

Die Beklagte geht in ihrem Rechtsmittel auf die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage nicht ein. Sie steht vielmehr weiterhin auf dem Standpunkt, dass die objektive Zerrüttung der Ehe bereits durch rücksichtsloses Verhalten des Klägers verursacht worden sei. Die erst nach der Zerrüttung aufgenommene sexuelle Beziehung zu ihrem Freund könne nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches führen. Ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen habe sie daher Anspruch auf Unterhalt gemäß § 68a Abs 2 EheG in der im Sicherungsantrag begehrten Höhe.

Mit dieser Argumentation zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Da die Ehe der Streitteile aufrecht ist, richtet sich die Beurteilung des Unterhaltsanspruches der Beklagten nicht nach den §§ 66 ff EheG, sondern ausschließlich nach § 94 ABGB (1 Ob 171/02g = EvBl 2003/114 = JBl 2004, 45 [Kerschner]). § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB bestimmt, dass der Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten auch nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen bleibt, sofern nicht seine Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes geführt haben, ein Missbrauch des Rechtes wäre. Dieser Missbrauchsvorbehalt gilt im Ergebnis auch für alle anderen auf § 94 ABGB gestützten Unterhaltsansprüche (3 Ob 48/97y = EvBl 1997/161; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3 135; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 94 ABGB Rz 63 und 73 [dort für den Unterhaltsanspruch des haushaltsführenden Ehegatten bei aufrechter Hausgemeinschaft]; Schwimann/Ferrari in Schwimann, ABGB3 I § 94 Rz 31; Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 94 Rz 19). Nicht jede schwere Eheverfehlung führt zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist dabei, ob das dem unterhaltsberechtigten Ehepartner vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist. Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist (6 Ob 2/05w mwN).

Der Ehebruch und das „fortgesetzte sexuelle Liebesverhältnis" stellen ungeachtet des bereits anhängigen Scheidungsverfahrens grundsätzlich schwerwiegende Verletzungen der ehelichen Verhaltenspflichten dar (3 Ob 48/97y; 1 Ob 171/02g; 7 Ob 158/04t = JBl 2005, 42). Mit dem EheRÄG 1999 hat der Ehebruch aber seinen Charakter als absoluter Scheidungsgrund verloren. Er muss nunmehr zerrüttende Wirkung haben, um ein tauglicher Scheidungsgrund zu sein; bei der Verschuldensabwägung im Scheidungsverfahren kommt ihm nicht in jedem Fall höheres Gewicht zu als anderen Eheverfehlungen - es gelten die allgemeinen Grundsätze (Schwimann/Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 I § 49 EheG Rz 12). Mit dem Hinweis auf die geänderte Rechtslage wurde im Schrifttum zuletzt mehrfach betont, dass auch die Verwirkung des Unterhaltsanspruches - um Wertungswidersprüche zu vermeiden - nur (mehr) auf einen Ehebruch gestützt werden könne, der zur Ehezerrüttung zumindest beigetragen hat (Schwimann/Kolmasch aaO 138;

Kerschner in JBl 2004, 47 [Entscheidungsbesprechung zu 1 Ob 171/02g];

Berka-Böckle, Der verschuldensunabhängige Anspruch nach § 68a EheG - Neue Überlegungen zum Scheidungsunterhalt anhand aktueller Rechtsprechung, JBl 2004, 223 [232]).

Dies entspricht aber ohnedies der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, auf die sich auch die Beklagte stützt. Danach begründet selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten eines Ehepartners dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des von ihm gestellten Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe auf Grund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen schon zerrüttet war; dann stellt auch ein der Zerrüttung folgender Ehebruch des Unterhaltsberechtigten kein Hindernis für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen dar (1 Ob 306/03m; vgl RIS-Justiz RS0107416). Die Frage, ob bei der Berücksichtigung dieser Grundsätze die Geltendmachung von Unterhalt bei aufrechter Ehe einen Missbrauch des Rechts nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB darstellt, ist jeweils nach den besonderen Umständen des konkret zu beurteilenden Falles zu beantworten (6 Ob 2/05w mwN; RIS-Justiz RS0005529, RS0009759 [T13]).

Eine unheilbare Zerrüttung der Ehe ist nach objektiven Maßstäben zu messen und dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten subjektiv zu bestehen aufgehört hat (7 Ob 254/04k mwN; RIS-Justiz RS0056832; Schwimann/Weitzenböck aaO Rz 2).

Auch die Beurteilung, ob bzw seit wann eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, betrifft stets die Umstände des Einzelfalles und wirft - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - keine Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO auf (8 Ob 72/02z; 9 Ob 25/03x; RIS-Justiz RS0043423 [T8], RS0056832 [T5], RS0110837 [T1]).

In der Rechtsansicht des Rekursgerichtes, dass die Phase der unheilbaren objektiven Zerrüttung der Ehe erst mit der Aufnahme eines sexuellen Verhältnisses zwischen der Beklagten und ihrem Freund erreicht worden sei, ist eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung nicht zu erkennen. Mag auch bis zu diesem Zeitpunkt ein gewisses Stadium der Ehezerrüttung bereits erreicht worden sein, so deuten insbesondere die Feststellungen über gemeinsame Urlaube der Eheleute, deren gemeinsame Aufenthalte im Wochenendhaus, aber auch über das Bestehen intimer Beziehungen noch während des gesamten Jahres 2004 darauf hin, dass erst das ehewidrige Verhältnis der Beklagten der entscheidende Beitrag zur unheilbaren objektiven Zerrüttung der Ehe war. Dass aber auch nach der seit dem EheRÄG 1999 geltenden Rechtslage eine zerrüttungskausale fortgesetzte empfindliche Verletzung der ehelichen Treue weiterhin als Verwirkungstatbestand im Sinne des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB in Betracht kommen kann, wird selbst von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Die eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens bejahende Rechtsansicht des Rekursgerichtes ist unter den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalles jedenfalls als vertretbar anzusehen. Warum der Beklagten dennoch ein höherer als der von den Vorinstanzen zugesprochene Unterhalt zustehen soll, zeigt sie in ihrem Rechtsmittel nicht auf.

Dieses war daher zurückzuweisen.

2. Zum Revisionsrekurs des Klägers:

Das Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Der Kläger macht zusammengefasst geltend, an den Kriterien, nach denen die Verwirkung des Anspruches auf ehelichen Unterhalt gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB zu beurteilen sei, habe sich durch die Einführung des verschuldensunabhängigen Anspruches auf nachehelichen Unterhalt gemäß § 68a EheG nichts geändert. Es bestehe kein Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen.

Hiezu wurde erwogen:

Das Vorliegen eines Verwirkungstatbestandes führt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht bloß zur Schmälerung, sondern zum gänzlichen Verlust des auf § 94 EheG gegründeten Unterhaltsanspruches (1 Ob 608/95; RIS-Justiz RS0009670; Stabentheiner aaO § 94 Rz 16; Hinteregger aaO § 94 Rz 67). Durch das EheRÄG 1999 wurde der vom Verschulden an der Scheidung unabhängige (nacheheliche) Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG neu eingeführt, der nach den Erwägungen des Gesetzgebers „nur für bestimmte Härtefälle als Ausnahmeregelung" gedacht sein soll (vgl 2 Ob 117/06d mit Hinweis auf ErlRV 1653 BlgNR 20. GP 25).

Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung vermindert sich oder besteht dieser Unterhaltsanspruch aber nicht, soweit die Gewährung des Unterhalts unbillig wäre, weil unter anderem der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen hat. Je gewichtiger die Minderungs- oder Versagungsgründe sind, desto eher ist vom Bedürftigen zu verlangen, seinen Unterhalt durch die Erträgnisse einer anderen als einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oder aus dem Stamm seines Vermögens zu decken. Nach dem Bericht des Justizausschusses sollte durch diese Regelung verdeutlicht werden, dass sich eine Unbilligkeit der Unterhaltsgewährung nicht nur - im Sinne eines „Alles oder nichts" - auf das Bestehen des Unterhaltsanspruches als solches, sondern auch auf die Höhe des Unterhalts (vermindernd) auswirken kann. Das Gericht sei nun durch die Schaffung eines beweglichen Systems in die Lage versetzt, zur Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit nach den jeweiligen Gegebenheiten des Falles den Unterhalt stufenlos zwischen der Abdeckung des Lebensbedarfs und der gänzlichen Versagung auszumessen (JAB 1926 BlgNR 20. GP 4; vgl dazu etwa Koch in KBB, § 68a EheG Rz 6).

Im Schrifttum wird aus § 68a EheG einhellig abgeleitet, dass nunmehr auch bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB „die neuen Wertungen des § 68a EheG" berücksichtigt werden müssten (Schwimann/Ferrari aaO § 94 Rz 36 mwN in FN 317; Hinteregger aaO § 94 Rz 74). Uneinheitlich sind allerdings die Vorschläge, auf welche Weise dies geschehen soll.

Ferrari/Hopf (Eherechtsreform 63) meinen dazu, das Begehren auf Unterhalt werde bei besonders schwerwiegenden Eheverfehlungen des Unterhaltsbedürftigen im Sinne der bisherigen Judikatur in der Regel insoweit rechtsmissbräuchlich sein, als es den Unterhalt, der im Fall einer Scheidung nach § 68a EheG zugesprochen würde, übersteigt. An diese Ansicht knüpft Gitschthaler (Unterhaltsrecht Rz 593) an, der für die Lösung der Missbrauchsfrage künftig die Abführung eines theoretischen Unterhaltsverfahrens nach § 68a EheG als geboten erachtet.

Nach Hinteregger (aaO § 94 Rz 74 f) soll das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall maßgeblich sein. Dabei sei nach dem Vorbild des § 68a EheG vor allem zu berücksichtigen, inwiefern der Unterhalt begehrende Ehegatte seine Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit und aus dem Stamm seines Vermögens befriedigen kann. Als weitere Kriterien seien die Schwere der Eheverfehlungen des Unterhaltsberechtigten und das Verhalten des Unterhaltspflichtigen, aber auch die Dauer der Ehe und das Wohl der Kinder heranzuziehen. Zwecks Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu § 68a Abs 3 EheG, der trotz schwersten Fehlverhaltens des Unterhalt fordernden Ehegatten auch die Verminderung der Unterhaltshöhe ermögliche, solle dies auch bei rechtsmissbräuchlichem Unterhaltsverlangen während aufrechter Ehe möglich sein. Schwimann/Ferrari (aaO § 94 Rz 36) beschränken sich auf den Hinweis, dass nunmehr möglicherweise aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ein bisher von der Rechtsprechung als rechtsmissbräuchlich beurteiltes Unterhaltsbegehren nicht mehr als solches zu bewerten bzw auch die Zuerkennung eines geminderten Anspruches in Analogie zu § 68a Abs 3 EheG denkbar sei. Auch Schwimann/Kolmasch (Unterhaltsrecht³ 137) betonen, dass jene Rechtsprechung, wonach der Anspruch nur Gänze verwirkt werden könne, vor dem Hintergrund des § 68a EheG zu hinterfragen sei. Nach Ansicht dieser Autoren wäre es ein Wertungswiderspruch, ein Verhalten als gänzliche Verwirkung des Ehegattenunterhalts anzusehen, obwohl gemäß § 68a EheG bei gleichen Umständen - aufgrund der dort vorzunehmenden Unbilligkeitsabwägung - noch ein (fiktiver) Teilunterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten bestehen würde.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB und § 68a Abs 3 EheG insoweit miteinander in Einklang stehen, als nur in besonders krassen Fällen (gänzlicher) Unterhaltsverlust eintreten soll (1 Ob 171/02g; 7 Ob 158/04t; 6 Ob 4/05i; vgl auch Kerschner in Apathy, Bürgerliches Recht² V Rz 2/139 aE; Zankl in Schwimann, ABGB³ I § 68a EheG Rz 31; Hopf/Kathrein, Eherecht² § 68a EheG Anm 9). Der erkennende Senat pflichtet darüber hinaus jenen Lehrmeinungen - und damit im Ergebnis auch dem Rekursgericht - bei, wonach vor dem Hintergrund des § 68a Abs 3 EheG auch bei einem auf § 94 Abs 2 ABGB gestützten Unterhaltsanspruch die Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nicht mehr nur zur gänzlichen Versagung des Unterhaltsanspruches führen können soll, sondern auch die Minderung dieses Unterhaltsanspruches möglich ist. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, warum ein Ehegatte, dem trotz einseitig begangener besonders schwerwiegender Eheverfehlungen unter den weiteren Voraussetzungen des § 68a EheG nach der Scheidung ein reduzierter Unterhaltsanspruch zustehen könnte, für die Zeit der (noch) aufrechten Ehe jeglichen Anspruch verlieren soll. Insoweit erscheint die in der Lehre geforderte Berücksichtigung der „neuen Wertungen des § 68a EheG" bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauches nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB daher sachgerecht. Dabei richtet sich die an die Bejahung der - weiterhin nach den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien primär zu prüfenden - Frage rechtsmissbräuchlichen Unterhaltsbegehrens anknüpfende Entscheidung, ob der Rechtsmissbrauch den Verlust oder die Minderung des Unterhaltsanspruches zur Folge hat bzw in welchem Ausmaß der Anspruch allenfalls zu mindern ist, nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Es bedarf einer umfassenden Interessenabwägung, in welche - ohne dass ein „theoretisches Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG" erforderlich wäre - neben den zur Bejahung des Rechtsmissbrauches führenden Eheverfehlungen jedenfalls auch das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners, die Dauer und die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl vorhandener Kinder sowie der Bedarf des Unterhalt ansprechenden Ehegatten einzubeziehen sind. Diese Grundsätze gelten auch im Provisorialverfahren über das Begehren einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht bei seiner Interessenabwägung nicht nur das von ihm als Verwirklichung eines Rechtsmissbrauchstatbestandes qualifizierte zerrüttungskausale fortgesetzte ehewidrige Verhältnis der Beklagten, sondern auch das diesem vorangegangene Verhalten des Mannes sowie die ehebedingte mehr als 20-jährige berufliche Absenz der Beklagten und den dadurch bedingten Mangel an Erwerbsmöglichkeiten einbezogen und sich in seinen weiteren Erwägungen sowohl am Einkommen des Klägers als auch an der zur Sicherung des anständigen Lebensbedarfs der Beklagten notwendigen Unterhaltshöhe orientiert. Das dabei erzielte Ergebnis ist angesichts der bescheinigten Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht zu beanstanden.

Dem Revisionsrekurs des Klägers war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der Beklagten hingewiesen, weshalb er Anspruch auf den Ersatz der Kosten seiner Rechtsmittelbeantwortung hat. Da der im Zusammenhang mit dem anhängigen Scheidungsverfahren gestellte Provisorialantrag der Beklagten nicht der Sicherung eines Anspruches im Hauptverfahren dient, richtet sich die weitere Kostenentscheidung ausschließlich nach dem Ausmaß des Obsiegens im Provisorialverfahren (vgl 8 Ob 8/02p). In solchen Fällen, in denen die Kosten keinen Annex des Hauptanspruches bilden, ist aber auch über die Kosten der gefährdeten Partei bereits im Provisorialverfahren abzusprechen (Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, § 393 EO Rz 1). Die Saldierung der wechselseitigen Kostenersatzansprüche führt zur Kostenaufhebung im Verfahren dritter Instanz.

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