OGH 6Ob2/05w

OGH6Ob2/05w21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Maria Cinzia V***** R*****, Hausfrau, *****, vertreten durch Mag. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Diplombetriebswirt (FH) Christian R*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Peter Armstark, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 18. Oktober 2004, GZ 23 R 189/04y-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 3. Juni 2004, GZ 2 C 216/03z-18, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens jeweils endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind seit 1998 verheiratet. Ein Ehescheidungsverfahren ist anhängig.

Das Erstgericht wies den zugleich mit einer Unterhaltsklage gestellten Antrag der Klägerin auf Zuerkennung eines vorläufigen Unterhalts gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO und auf Zahlung eines Prozesskostenvorschusses ab, weil es eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin als bescheinigt ansah. Die Abweisung letzteren Begehrens blieb unbekämpft.

Das Rekursgericht hob den Beschluss hinsichtlich des einstweiligen laufenden Unterhalts auf und trug dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die bewusst unrichtige Behauptung der Klägerin vor der Polizei und vor Gericht, der Beklagte habe sie mit einem Kerzenleuchter bedroht, stelle zwar eine schwere Eheverfehlung dar. Ob damit aber auch der Verwirkungstatbestand des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB erfüllt sei, könne noch nicht abschließend beurteilt werden. Mit dem vom Beklagten zugestandenen außerehelichen Beziehungen habe sich die Klägerin zwar abgefunden, es seien aber auch die anderen von der Klägerin behaupteten Eheverfehlungen des Beklagten zu berücksichtigen. Habe der Beklagte den Eintritt einer tiefgreifenden Zerrüttung der Ehe allein oder zumindest weitaus überwiegend herbeigeführt, könnten selbst die zeitlich nach der Zerrüttung aufgestellten wissentlich falschen Behauptungen nicht mehr als Verwirkungsgrund gewertet werden. Das Erstgericht habe die wesentlichen Behauptungen der Klägerin über das Fehlverhalten des Beklagten nicht geprüft. Es sei nicht auszuschließen, dass die Ehe der Streitteile schon vor der festgestellten Eheverfehlung der Klägerin tiefgreifend zerrüttet gewesen sei. Die diesbezüglichen sekundären Feststellungsmängel seien zu beheben. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob eine für sich betrachtet besonders schwere Eheverfehlung, mit der die Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung und von beruflichen Nachteilen des Unterhaltspflichtigen verbunden sei, zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen Rechtsmissbrauchs führe.

Der Revisionsrekurs des Antragsgegners ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof sieht in ständiger Rechtsprechung den Unterhaltsanspruch nur unter der wesentlichen Voraussetzung als verwirkt an, dass das dem unterhaltsberechtigten Ehepartner vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt (RIS-Justiz RS0009766) und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist (5 Ob 38/99w; 3 Ob 147/04w). Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist.

Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners bei der Frage der Verwirkung nicht vernachlässigt werden darf (8 Ob 563/90; 1 Ob 171/02g) und dass selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens begründe, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen Partners zerrüttet wurde (RIS-Justiz RS0107416; 1 Ob 306/03m).

Mit dieser Rechtsprechung steht die Ansicht des Rekursgerichts in Einklang, dass nicht in jedem Fall eine punktuell gesetzte Eheverfehlung, auch wenn sie schwer ist, das Unterhaltsbegehren als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt, sondern dass es der Prüfung der näheren Umstände bedarf, die diesem Fehlverhalten vorausgingen und insbesondere, ob die Ehe nicht ohnehin aufgrund massiver Eheverfehlungen des anderen Teils bereits zerrüttet war.

Die Frage, ob bei der Berücksichtigung dieser Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Geltendmachung von Unterhalt nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts einen Missbrauch des Rechts iSd § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB darstellt, ist jeweils nach den besonderen Umständen des konkret zu beurteilenden Falls zu beantworten (1 Ob 306/03m; 3 Ob 147/04w ua). Wie bestimmte Eheverfehlungen des einen Ehepartners mit Rücksicht auf bestimmte Eheverfehlungen des anderen in der jeweiligen Lebenssituation der beiden Ehepartner im Hinblick auf die Bestimmung des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB zu gewichten sind, entzieht sich aufgrund der Unterschiedlichkeit des jeweils zu beurteilenden Sachverhalts generellen Aussagen. Eine richtungsweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann daher im vorliegenden Einzelfall nicht gefällt werden.

Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 402, 78 EO, 40 und 50 Abs 1 ZPO. Die Rekursbeantwortung war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, weil darin zur Unzulässigkeit des Revisionsrekurses mangels erheblicher Rechtsfrage nichts ausgeführt wurde.

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