Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten 220,50 EUR an Barauslagen des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Die übrigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 25. 2. 2005 geheiratet. Die Ehe verlief von Anfang an nicht harmonisch. Die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden: Klägerin) forderte, nachdem sie früher als geplant schwanger wurde, vom Beklagten und Widerkläger (im Folgenden: Beklagter) die Eheschließung und begegnete sein Zögern mit der Drohung mit Abtreibung. Sie legte großen Wert auf sozialen Stand und adelige Herkunft, geriet aufgrund ihrer egozentrischen Art leicht in Konflikt mit ihrem Umfeld und war auch in ihren Wünschen sehr fordernd.
Während ihrer Schwangerschaft klagte sie oft über Beschwerden, deren organische Ursachen nicht feststellbar waren. Während dieser Zeit vermittelte sie ihrer Umwelt den Eindruck, im Mittelpunkt stehen zu wollen. Der Beklagte wohnte der Geburt seines Sohnes bei und kümmerte sich auch in der Folge intensiv um das Kind. Nach der Geburt kam es zu Auseinandersetzungen, weil die Klägerin unreflektiert die Meinung ihrer Mutter übernahm. Auch bei der Taufe des Kindes kam es zu Kontroversen über die zu teure Torte, die gewählte Dekoration und die Sitzordnung.
Nach der Eheschließung zogen die Streitteile in eine ca 150 m² große Wohnung im Schloss des Beklagten. Seine Mutter wohnte dort gesondert, die Geschwister des Beklagten hielten sich mit ihren Familien häufig dort auf. Die Klägerin beklagte sich immer wieder über die mangelnde Privatsphäre im Schloss. Bis dahin war es üblich gewesen, dass die übrigen Familienmitglieder das Badezimmer in der späteren Ehewohnung benutzten. Die Klägerin wünschte das nicht und legte Sachen, die Familienmitglieder im Badezimmer gelagert hatten, vor deren Zimmer. Die Mutter des Beklagten hatte auch eine Waschmaschine in der Ehewohnung, die über Ersuchen der Klägerin entfernt wurde. Die Klägerin wollte drei weitere Räume zur Verfügung haben, um ein Gästezimmer ausschließlich benutzen zu können, was der Beklagte letztlich wegen der schlechten Stimmung zwischen den Streitteilen ablehnte. Es kam in diesem Zusammenhang zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und den Geschwistern des Beklagten. Weiters kam es zu Streitigkeiten wegen des Versperrens einer Tür zum Hof. Die Klägerin wollte auch die Benützung der Spielsachen des Sohnes durch die Nichten und Neffen des Beklagten nicht erlauben und beschwerte sich darüber, dass der Bruder des Beklagten seinen Hund frei im Hof herumlaufen lasse, obwohl ihr Kind sich dort aufgehalten habe.
Der Beklagte war (schon vor der Eheschließung) der Meinung, dass er finanziell in bescheidenen Verhältnissen lebe und der Klägerin nicht bieten könne, was sie sich vorstelle. Diese Bedenken zerstreute die Klägerin mit Hinweis auf ihre guten finanziellen Verhältnisse. Der Beklagte stellte der Klägerin ein Haushaltsgeld von 400 EUR monatlich für Einkäufe zur Verfügung, für ihre eigenen Bedürfnisse, wie Kleidung etc, sollte sie selbst aufkommen. Die Fixkosten der Wohnung und den Pkw bezahlte der Beklagte. Die Beklagte hatte einen VW Passat mit einem Wechselkennzeichen zur Mitbenützung zur Verfügung. Ihrem Wunsch nach einem eigenen Fahrzeug kam der Beklagte mit Hinweis auf seine finanziellen Verhältnisse nicht nach. Auch schickte er zwei von der Klägerin bestellte und von ihr zu bezahlende Putzfrauen wieder weg, weil die Streitteile besprochen hatten, dass die Klägerin, wenn sie keiner außerhäuslichen Arbeit nachgeht, den Haushalt ohne fremde Hilfe führt.
Bereits kurz nach der Eheschließung kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen die Streitteile einander wüst beschimpften, auch vor anderen Familienmitgliedern und dem gemeinsamen Sohn. Ein Mal trat die Klägerin den Beklagten dabei aus dem Bett.
Im Dezember 2006 wurde die Klägerin wegen starker Schmerzen ins Spital gebracht, wobei der Beklagte dieses verließ, als die Klägerin stationär aufgenommen wurde. In der Folge kam es zu einer Fehlgeburt. Diese Schwangerschaft war den Streitteilen bis dahin nicht bekannt gewesen. Im Jänner 2007 war die Klägerin wegen Rückenproblemen in stationärer Spitalsbehandlung, der Beklagte besuchte sie und gab bei der Entlassung wegen anhaltender Schmerzen zu bedenken, ob es nicht besser wäre, länger im Spital zu bleiben oder eine Kur zu absolvieren. Bezüglich der darauf folgenden Pflege und Fahrten zur Therapie gab es Diskussionen.
Anfang 2007 flog die Klägerin auf Einladung ihrer Mutter in deren Begleitung nach London. Der Beklagte begleitete sie nicht, sondern brachte sie zum Flughafen und zog ansonsten ein Abendessen mit einem Freund der Gesellschaft seiner Schwiegermutter vor. Während des Aufenthalts in London erfuhr die Klägerin von gesundheitlichen Probleme ihres in den USA lebenden Vaters und reiste mit dem Sohn dorthin weiter, womit der Beklagte nicht einverstanden war. Er unterbrach ein Telefonat und nahm spätere Anrufe nicht mehr entgegen. Auch die Einladung, zu Ostern ebenfalls in die USA zu reisen, lehnte er mit Hinweis auf seine Beschäftigung in der Landwirtschaft ab. Die Klägerin informierte ihn nicht, ob und wann sie mit dem gemeinsamen Sohn nach Österreich zurückkehre, was tatsächlich im April 2007 der Fall war.
Anlässlich des zweiten Hochzeitstages der Streitteile wollte die Mutter der Klägerin die Streitteile zu einem Urlaub nach Paris einladen, was der Beklagte ablehnte.
Die Beziehung der Streitteile verschlechterte sich im Sommer 2007 erneut. Den Geburtstag der Klägerin verbrachte der Beklagte mit seiner Mutter. Die Klägerin hatte Freunde zu einer Geburtstagsparty eingeladen, nicht aber die Mutter des Beklagten, mit der Begründung, es sei nicht genug zu Essen da. Deshalb weigerte sich der Beklagte, die Geburtstagstorte zu den Gästen zu tragen.
Auch warf der Beklagte ein Mal, als die Klägerin im Bett lesen wollte, deren Buch aus dem Fenster und wiederholte dies, nachdem die Klägerin das Buch wieder geholt hatte.
Als die Klägerin am 12. 8. 2007 an der Türe der Schwiegermutter solange rüttelte, bis der Riegel der Tür abbrach und die Tür aufsprang, war der Beklagte so erzürnt, dass er die Klägerin an der Kleidung packte und schüttelte. Dadurch wurde die Klägerin von den Fäusten des Beklagten im Brustkorbbereich getroffen, wobei eine Verletzung nicht feststellbar war. Als die Klägerin am 18. 8. 2007 den zornigen Beklagten beruhigen wollte und ihn dabei berührte, packte er sie und schob sie zur Seite, wodurch sie zur Wand fiel. Danach zog er aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus und kehrte dorthin nicht mehr zurück.
Am 20. 10. 2007 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen über eine am nächsten Tag folgende Einladung zu einem Brunch, weil sich der Beklagte nicht äußern wollte, ob er mitgehe. Als die Klägerin mit dem nach Ansicht des Beklagten nicht ausgeschlafenen Kind zu einer Freundin fahren wollte, nahm der Beklagte das Kind, worauf die Klägerin versuchte, ihm das Kind zu entreißen. Der Beklagte verhinderte dies, indem er den Oberkörper von der Klägerin wegdrehte. Daraufhin drückte er die Klägerin mit seinem ganzen Körper ein paar Mal gegen den Türrahmen, packte sie an der Kleidung und schüttelte sie. Als die Klägerin ihn aufforderte loszulassen, schrie er ihr ins Gesicht, dass er sie hasse. Er bereute den Vorfall und wollte mit der Klägerin darüber reden. Er folgte ihr ins Schlafzimmer, worauf diese ihm mit der Polizei drohte. Die Klägerin ließ sich daraufhin im Krankenhaus untersuchen, eine Verletzung konnte nicht festgestellt werden. Mit einstweiliger Verfügung des Erstgerichts vom 30. 11. 2007, GZ 3 C 59/07t-9, wurde der Beklagte für drei Monate aus der Ehewohnung ausgewiesen.
Der Beklagte nahm mehrfach alleine Abendtermine als Gemeinderat bzw bei der örtlichen freiwilligen Feuerwehr wahr und traf sich auch mit Freunden.
Am 7. 3. 2008 begehrte die Klägerin die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Er habe nach der Eheschließung sein Junggesellenleben weiter geführt, sie nicht in Entscheidungen einbezogen und alltägliche oder finanzielle Angelegenheiten nicht mit ihr besprochen. Er habe die Klägerin während der Schwangerschaft bzw im Krankheitsfall nicht ausreichend unterstützt. Er habe einerseits nicht gewünscht, dass die Klägerin arbeite, ihr andererseits aber ein Luxusleben vorgeworfen. Im August 2007 habe er sie während einer Auseinandersetzung misshandelt und sei danach aus dem Schlafzimmer ausgezogen. Im Oktober 2007 habe er sie sogar verletzt, sodass sie seine Ausweisung aus der Ehewohnung erwirkt habe.
Der Beklagte bestritt und erhob Widerklage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Er habe überhaupt nur auf Druck der Klägerin geheiratet, die nie eine partnerschaftliche Beziehung angestrebt, sondern nur eine finanzielle Absicherung und Versorgung gewünscht habe. Sie habe sich in den Mittelpunkt des Geschehens im Schloss gerückt und das Fruchtgenussrecht der Mutter des Beklagten nie anerkannt. Auch mit den Geschwistern des Beklagten und deren Familien habe es immer wieder Probleme gegeben. Sie sei krankhaft eifersüchtig, habe alles gering geschätzt und in den Angelegenheiten des gemeinsamen Kindes die Meinung ihrer Mutter unreflektiert übernommen, anstatt sich an die Empfehlungen von Hebamme und Kinderarzt zu halten. Sie habe sich um Haushalt und Kinderbetreuung unzureichend gekümmert und bei der Instandhaltung des Schlosses und dessen Betrieb nie geholfen. Im Frühjahr 2007 sei sie ohne den Beklagten zu informieren, mit dem gemeinsamen Sohn in die USA gereist. Sie habe sich unnachgiebig gezeigt, ihn bei Auseinandersetzungen stark beschimpft, zwei Mal ins Gesicht geschlagen sowie ein Mal aus dem Bett getreten. Die Wegweisung habe sie durch unwahre Angaben erwirkt. Er habe die Klägerin in alle Entscheidungen und Angelegenheiten einbezogen und sich auch in ihrer Schwangerschaft intensiv um sie gekümmert, die Klägerin sei aber nie zufrieden gewesen. Mit einer Berufstätigkeit der Klägerin sei er einverstanden gewesen, die Klägerin habe dies ihrerseits abgelehnt, dafür aber eine Putzfrau und ein Au-Pair-Mädchen gefordert.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Parteien, das Berufungsgericht änderte die Verschuldensteilung in das überwiegende Verschulden des Beklagten ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin, in eventu das gleichteilige Verschulden der Parteien auszusprechen. Weiters wird in eventu ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt:
1. Die Verschuldenszumessung bei einer Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS-Justiz RS0119414; RS0110837; RS0118125). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aber die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten.
2. Allgemein müssen, um beiderseitige Eheverfehlungen beurteilen zu können, diese in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Es kommt nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe haben (RIS-Justiz RS0057223). Von Bedeutung ist vor allem, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang macht (9 Ob 33/03y, 10 Ob 44/03y = EFSlg 104.870; RIS-Justiz RS0057361). Es ist das Gesamtverhalten der Ehegatten, soweit darin eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen, und sind nicht einzelne Eheverfehlungen zahlenmäßig gegenüberzustellen (RIS-Justiz RS0056171). Eheverfehlungen nach unheilbarer Zerrüttung spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe keine entscheidende Rolle (RIS-Justiz RS0056921).
3. Seit dem EherechtsänderungsG 1999 ist im neu eingefügten Satz 2 des § 49 EheG ausdrücklich die Zufügung körperlicher Gewalt als schwere Eheverfehlung angeführt. Auf die Schwere der Beeinträchtigung kommt es grundsätzlich nicht an. Die besondere Hervorhebung körperlicher Gewalt im Gesetzeswortlaut bedeutet, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen objektiven, also insbesondere einen von der persönlichen Lebenssituation der Ehegatten unabhängigen Maßstab an das Verhalten der Ehegatten anlegen wollte. Jegliche Gewalt soll in Ehe und Familie prinzipiell verpönt sein (RIS-Justiz RS0118055).
Die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Ehegatten durch den anderen stellt daher an sich bereits eine schwere Eheverfehlung dar (RIS-Justiz RS0056787). Jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem eine Reaktionshandlung auf voran gegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben normal gesitteter Eheleute noch verständlich und entschuldbar sein können (RIS-Justiz RS0057020).
4. Bei Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RIS-Justiz RS0057303). Dabei ist der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nur dann zulässig, wenn ein erheblicher gradueller Unterschied zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057821; 7 Ob 254/04k, 4 Ob 51/05m = EFSlg 111.246). Weil das überwiegende Verschulden, insbesondere bei den Scheidungsfolgen, dem alleinigen Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen (LGZ Wien EFSlg 111.244). Ein überwiegendes Verschulden ist daher anders als im allgemeinen Sprachgebrauch nicht schon bei mehr als 50 % Überwiegen anzunehmen, sondern erst dann, wenn das Verhalten der Gegenseite wertungsmäßig fast völlig in den Hintergrund tritt (RIS-Justiz RS0057821 [T1]).
Auch eine Wegweisungsverfügung führt nicht automatisch zur Bejahung des überwiegenden Verschuldens (vgl 2 Ob 183/09i im Zusammenhang mit der Verwirkung des Wohnungserhaltungsanspruchs).
5. Wendet man die Kriterien der Judikatur auf den hier vorliegenden Fall an, ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass die unheilbare Zerrüttung der Ehe im Herbst 2007 eintrat.
Bis dahin hat die Klägerin - auch wenn von den Umständen der Eingehung der Ehe abzusehen ist - durch ihr egozentrisches und forderndes, sich selbst in den Mittelpunkt stellendes Verhalten und ihre Unfähigkeit mit der vorgefundenen Wohnsituation zurechtzukommen, den Anfang des ehezerstörenden Verhaltens gesetzt, auch wenn von Beginn an und während der gesamten weiteren Ehe Streitigkeiten und Spannungen, ausgehend von beiden Streitteilen, bestanden. Bis zum Zerrüttungszeitpunkt stehen einander weiters drei tätliche Übergriffe des Beklagten sowie ein Übergriff der Klägerin gegenüber.
Angesichts der Gesamtumstände des Einzelfalls ist der erkennende Senat der Ansicht, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts von den oben dargestellten Grundsätzen der Verschuldensteilung, insbesondere jenem, dass ein überwiegendes Verschulden erst dann anzunehmen ist, wenn das Verhalten der Gegenseite wertungsmäßig fast völlig in den Hintergrund tritt, in aufgreifenswertem Ausmaß abweicht. Ein solches Überwiegen liegt hier nicht vor, weshalb von gleichteiligem Verschulden auszugehen ist.
Es war daher der Revision im Sinne der Wiederherstellung des Verschuldensausspruchs des Erstgerichts Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren gründet sich auf § 43 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.
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