OGH 2Ob166/17a

OGH2Ob166/17a24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach O***** P*****, verstorben am ***** 2016, zuletzt wohnhaft in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mag. R***** T*****, vertreten durch Mag. Stephan Podiwinsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 1. August 2017, GZ 23 R 82/17x‑18, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 31. Mai 2017, GZ 12 A 343/16i‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00166.17A.0924.000

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufgehoben. Der Rekurs und die Rekursbeantwortung werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Erblasser hinterließ seine Ehefrau, die er testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt hatte, sowie einen Sohn und eine Tochter. Diese wurde vom Gerichtskommissär von ihrer Pflichtteilsberechtigung verständigt. Die Witwe gab im schriftlichen Weg eine unbedingte Erbantrittserklärung ab. Sie erstattete in einem weiteren Schriftsatz eine Vermögenserklärung und beantragte die Erlassung des Einantwortungsbeschlusses. Für den Fall der antragsgemäßen Beschlussfassung verzichtete sie, ebenso wie der Sohn, auf Rechtsmittel und Zustellung und beantragte die Übermittlung einer Beschlussausfertigung mit Rechtskraftvermerk.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. 5. 2017 antwortete das Erstgericht die Verlassenschaft der Witwe zur Gänze ein.

Am selben Tag, aber erst nach Abgabe der schriftlichen Abfassung des Einantwortungsbeschlusses zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle (die laut Kanzleivermerk „am Vormittag“ erfolgt war), wurde beim Erstgericht der Antrag der Tochter des Erblassers auf Inventarisierung und Nachlassseparation zur Sicherung ihrer Pflichtteilsansprüche im ERV eingebracht (laut eigenem Rekursvorbringen um 13:19 Uhr), womit sich die Tochter erstmals am Verlassenschaftsverfahren beteiligte. Das Erstgericht entschied über diesen Antrag nicht.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Tochter gegen den ihr vom Erstgericht zugestellten Einantwortungsbeschluss nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

In seiner Begründung führte es aus, der Antrag der Tochter sei am Nachmittag des 31. 5. 2017 eingebracht worden, somit nach Abgabe der Entscheidung über die Einantwortung an die Gerichtskanzlei und nach Eintritt der Bindung des Erstgerichts an diesen Beschluss. Es begründe daher keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, wenn das Erstgericht nicht auf den nachträglichen Antrag Rücksicht genommen habe, auch wenn über diesen noch zu entscheiden sein werde.

Die Tochter beantragt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs die Aufhebung des Einantwortungsbeschlusses. Ihrer Auffassung nach treten die Wirkungen der Einantwortung nicht bereits mit der Fassung des Beschlusses ein, sondern erst mit seiner Zustellung. Werde ein Einantwortungsbeschluss trotz anhängigen Separationsantrags vor dessen Erledigung erlassen, sei er aufzuheben.

Die Witwe beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben, weil dieses über einen unzulässigen Rekurs meritorisch entschieden hat:

1. Die in § 812 ABGB geregelte Nachlassseparation bezweckt als Sicherungsmittel für die Verlassenschaftsgläubiger im Wesentlichen, den Nachlass gegen Zugriffe der Erben und Erbengläubiger zu sichern (RIS‑Justiz RS0013073). Auch der Noterbe (Pflichtteilsberechtigte) ist zur Stellung eines Antrags auf Nachlassseparation berechtigt (RIS‑Justiz RS0013052). Die Separation muss gemäß § 812 ABGB „vor der Einantwortung“ der Abhandlung beantragt werden.

2. Die Parteien können bereits vor Erlassung des Einantwortungsbeschlusses auf Rechtsmittel gegen einen ihren Anträgen entsprechenden Beschluss verzichten; die ihren Anträgen entsprechenden Anordnungen können dann gleich in Vollzug gesetzt werden (§ 180 erster Satz AußStrG). Wenn der Erbe auf Zustellung des Einantwortungsbeschlusses und Rechtsmittel verzichtet, wird der Einantwortungsbeschluss mit der Abgabe der schriftlichen Abfassung zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle (§ 40 AußStrG) rechtskräftig, sofern andere rechtsmittellegitimierte Beteiligte nicht vorhanden sind (10 Ob 28/11g mwN).

3. Hier hat die antrittserklärte Erbin einen solchen Verzicht auf Rechtsmittel und Zustellung abgegeben, sodass der Einantwortungsbeschluss mit Abgabe seiner schriftlichen Abfassung in der Geschäftsstelle rechtskräftig und wirksam wurde, wenn die Erbin die einzige rechtsmittelbefugte Partei des Verfahrens war.

Da auch der Sohn auf Zustellung und Rechtsmittel verzichtet hat, bleibt zu prüfen, ob der Tochter Rechtsmittellegitimation zukam. Von dieser Prüfung entbindet auch die Zustellvorschrift des § 178 Abs 5 AußStrG nicht. Die bloße Zustellung des Beschlusses begründet nämlich für den Empfänger noch keine Rechte. Sie verleiht ihm weder Parteistellung noch das Recht der Beteiligung am Verfahren, wie etwa die Legitimation zur Einbringung eines Rechtsmittels (2 Ob 168/17w; RIS‑Justiz RS0006882).

4. Nach der hier maßgeblichen Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 bleibt die Parteistellung der Pflichtteilsberechtigten im Verlassenschaftsverfahren auf die Rechte nach den §§ 784 (Anwesenheit bei Schätzungen), 804 (Antrag auf Inventarisierung) und 812 (Antrag auf Nachlassseparation) ABGB beschränkt (stRsp; vgl zuletzt etwa 1 Ob 25/17h; 2 Ob 183/15y; 2 Ob 134/15t; RIS‑Justiz RS0006519, RS0012909; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 2 Rz 143 ff). Der Pflichtteilsberechtigte ist nur insoweit Beteiligter, als durch eine Entscheidung des Verlassenschaftsgerichts eine Verkürzung seiner materiellen Rechte oder eine Beeinträchtigung seiner verfahrensrechtlichen Stellung herbeigeführt wird (RIS‑Justiz RS0006500 [T9]). Abgesehen von dem – hier nicht vorliegenden – Fall der Nichtbeiziehung zum Verfahren („übergangener Noterbe“; vgl 6 Ob 153/10h; 3 Ob 165/13f; RIS‑Justiz RS0006567; RS0006479) kommt ihm daher auch nur in diesem Rahmen (iSv RIS‑Justiz RS0050435 und RS0006500) Rechtsmittelbefugnis zu.

5. Da sich die Tochter zuvor am Verfahren nicht beteiligt hat, konnte sie frühestens durch ihren Antrag auf Inventarisierung und Nachlassseparation Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren erlangen. Der von der Rechtsmittelwerberin selbst angegebene Zeitpunkt der Übermittlung ihres Antrags im ERV liegt aber laut dem aktenkundigen Kanzleivermerk nach dem Einlangen des Einantwortungsbeschlusses zur Ausfertigung in der Gerichtskanzlei.

§ 40 AußStrG stellt für die Bindung des Gerichts – trotz mangelnder Publizitätswirkung des darin beschriebenen Vorgangs – ausdrücklich auf diesen Zeitpunkt ab (vgl Rechberger in Rechberger, AußStrG² § 40 Rz 1), der etwa auch für die Rechtsmittelbefugnis des übergangenen Erben entscheidend ist (RIS‑Justiz RS0123316, RS0126598). Steht demnach – wie hier – fest, dass der Antrag der Pflichtteilsberechtigten erst nach Abgabe des Einantwortungsbeschlusses in der Geschäftsstelle eingebracht wurde, dessen Rechtskraft und Wirksamkeit infolge des Zustell- und Rechtsmittelverzichts der einzigen Erbin bereits eingetreten ist, konnte der Antrag keine Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis der Pflichtteilsberechtigten mehr bewirken.

6. Der Rekurs der Tochter war daher unzulässig. Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen wegen fehlender Rekurslegitimation mangels Parteistellung unzulässigen Rekurs meritorisch, ist dieser Mangel der funktionellen Zuständigkeit vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen. Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt auch im Außerstreitverfahren (RIS‑Justiz RS0121264).

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