European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130318
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind nach Kopfteilen schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.409,76 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 234,96 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Erstkläger und der Erstbeklagte waren als Lenker von Personenkraftwagen an einem Unfall beteiligt, der vom Erstbeklagten zumindest leicht fahrlässig verursacht wurde. Die Zweitbeklagte haftet als Halterin, die Drittbeklagte nach § 26 KHVG. Im Pkw des Erstklägers befand sich ein Hund, der mit einem Gurt gesichert war. Der Erstkläger schnallte ihn nach dem Unfall ab, worauf der Hund aus dem Pkw sprang und davonlief. In weiter Folge wurde er leblos am Straßenrand aufgefunden.
[2] Die Kläger begehren Trauerschmerzengeld von jeweils 8.000 EUR wegen des unfallbedingten Verlusts ihres Hundes. Der Erstbeklagte habe den Unfall aus näher dargestellten Gründen grob fahrlässig verursacht. Es habe sich um ihren „Familienhund“ gehandelt. Sie hätten ihn wie ein Kind gepflegt, ihn täglich angezogen, alle „besonderen Ereignisse“ mit ihm gefeiert, ihm „spezielle Hundehotels, Hundesalons und Hundemoden sowie auch veganes Hundefutter und sogar Hundewellnes“ zuteil werden lassen. Unter diesen Voraussetzungen bestehe – wie bei nahen Angehörigen – ein Anspruch auf Trauerschmerzengeld.
[3] Die Beklagten beantragen die Abweisung des Begehrens. Der Erstbeklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Zudem gebühre den Klägern schon aus rechtlichen Gründen kein Trauerschmerzengeld. Ein solcher Anspruch bestehe nur bei der Tötung naher Angehöriger.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, ohne weitere Feststellungen zum Unfallhergang und zur behaupteten Nahebeziehung der Kläger zum Hund zu treffen. Der Oberste Gerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass die Tötung eines Tieres keinen Anspruch auf Ersatz eines Schockschadens begründe (1 Ob 125/16p). Das gelte auch für das hier begehrte Trauerschmerzengeld.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.
[6] Nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe Anspruch auf Trauerschmerzengeld nur bei Verletzung naher Angehöriger. Dem schließe sich das Berufungsgericht an. Die Revision sei jedoch zulässig, weil der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht zu einer im Schrifttum vertretenen Auffassung Stellung genommen habe, wonach im Fall einer engen Gefühlsbeziehung auch bei Tötung eines Haustieres Trauerschmerzengeld gebühre.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Kläger ist wegen des Fehlens von Rechtsprechung zur Frage, ob auch der Verlust eines Tieres einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld begründen kann, zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[8] 1. Seit der Entscheidung 2 Ob 84/01v (SZ 74/90 = ZVR 2001/73 [Karner])bejaht der Oberste Gerichtshof aufgrund einer Rechtsanalogie bei grobem Verschulden einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld für den Verlust naher Angehöriger.
[9] 1.1. Voraussetzung des Anspruchs ist eine intensive Gefühlsgemeinschaft, wie sie zwischen nächsten Angehörigen typischerweise besteht. Erfasst sind jedenfalls Ehegatten (2 Ob 62/05i), Lebensgefährten (2 Ob 212/04x) sowie Eltern und Kinder (2 Ob 84/01v, 2 Ob 141/04f). Auch zwischen Geschwistern, die im gemeinsamen Haushalt leben, besteht typischerweise eine solche Gemeinschaft. Gegenteiliges hätte der Schädiger zu beweisen. Ohne Haushaltsgemeinschaft reicht das familiäre Naheverhältnis zwischen Geschwistern für sich allein hingegen nicht aus, um einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld zu begründen. Vielmehr wäre dann vom Geschädigten das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft, die jener innerhalb der Kernfamilie annähernd entspricht, zu beweisen (2 Ob 90/05g SZ 2005/59 = ZVR 2005, 254 [Karner]; RS0115189 [T2, T3, T4]).
[10] 1.2. Diese formale, an der familienrechtlichen Beziehung orientierte Abgrenzung des berechtigten Personenkreises sowie die an die Haushaltsgemeinschaft geknüpfte Beweislastverteilung ist beim Schadenersatz für den (bloßen) Trauerschmerz notwendig, weil sich das Bestehen und der Umfang dieses Gefühlsschadens wegen des Fehlens einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nur schwer feststellen und überprüfen lässt (2 Ob 39/09p ZVR 2010, 261 [Huber]; Karner, Glosse zu 2 Ob 90/05g, ZVR 2005, 257 f; ders, Zur Ersatzfähigkeit von Schock- und Trauerschäden – eine Bilanz, FS Danzl [2017] 87 [101]; Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/5/191 [mit Hinweis auf mögliche Ausnahmefälle]).
[11] 2. Abzugrenzen ist diese Rechtsprechung von jener zum „Schockschaden“ (2 Ob 79/00g SZ 74/24 = ZVR 2001, 204 [Karner]; RS0031111 [T2]).
[12] 2.1. In diesen Fällen ist – anders als bei bloßer Trauer – der Tatbestand des § 1325 ABGB erfüllt, wobei die Schädigung aber bloß die Reflexwirkung einer Erstschädigung ist. Die Rechtswidrigkeit wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet (10 Ob 3/20v mwN). Dabei ist entscheidend, ob das Verhalten des Schädigers gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich war, also die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet war, einen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 79/00g; 2 Ob 111/03t; 2 Ob 163/06v uva; Karner, FS Danzl 93; vgl auch Hinteregger, Trauerschmerzengeld und der Anspruch auf immateriellen Schadenersatz, FS Danzl [2017] 72 [73]). Das gilt bei der gebotenen typisierenden Betrachtung insbesondere dann, wenn der Schockschaden durch das Miterleben oder die Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen hervorgerufen wurde (2 Ob 186/03x; 2 Ob 163/06v; 2 Ob 189/16g; 2 Ob 109/19x; RS0116865; vgl dazu Karner, FS Danzl 93 ff). Nicht auf die Nahebeziehung kommt es an, wenn der Geschädigte selbst am Unfall beteiligt war (2 Ob 120/02i).
[13] 2.2. Bei einem Schockschaden bietet die eingetretene Gesundheitsgefährdung einen objektiven Anhaltspunkt für das Vorliegen und das Ausmaß eines ideellen Schadens. Diese Objektivierbarkeit spricht dafür, den Kreis der Anspruchsberechtigten weiter zu ziehen als beim Trauerschmerzengeld (Karner, FS Danzl 100 f; Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/5/191). Insbesondere sind Geschwister ersatzberechtigt, ohne dass es – wie beim Trauerschmerzengeld – auf eine besondere Nahebeziehung ankäme (2 Ob 39/09p ZVR 2010, 261 [Huber]).
[14] 3. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Trauerschmerzengeldes wegen des Verlusts eines Haustieres gibt es bisher nicht. In zwei Schockschadensfällen wurde die Haftung allerdings verneint.
[15] 3.1. Gegenstand der Entscheidung 1 Ob 125/16p (ZVR 2017, 176 [Kathrein]) war die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage einer Minderjährigen wegen des vom Beklagten verschuldeten Todes eines ihrem Vater gehörenden Pferdes, zu dem sie eine enge Beziehung gehabt habe. Die Vorinstanzen hatten die Genehmigung versagt, der Oberste Gerichtshof wies den dagegen erhobenen Revisionsrekurs zurück. Eine Haftung wegen des Verlusts eines Tieres habe der Oberste Gerichtshof noch nie angenommen; auch die Lehre begrenze den Anspruch auf den Tod naher Angehöriger. Die Antragstellerin behaupte kein vorsätzliches Verhalten, sodass ihr auch kein Anspruch auf ideellen Schadenersatz nach § 1331 ABGB zustehen könne.
[16] 3.2. In der Entscheidung 10 Ob 3/20v hatte das Berufungsgericht den Anspruch auf Ersatz des Schockschadens dem Grunde nach bejaht. Der Oberste Gerichtshof stellte das abweisende Urteil des Erstgerichts wieder her. Ein Anspruch wegen des Verlusts eines Tieres werde von der Rechtsprechung und der (überwiegenden) Lehre verneint. Der konkrete Fall biete keinen Anlass, von dieser Auffassung abzugehen. Denn hier habe das Verhalten der Klägerin, die ihre (später getöteten) Hunde an der langen Leine laufen gelassen habe, den Angriff der Hunde des Beklagten erst provoziert. Die Gefährlichkeit der Situation sei daher nicht im Verhalten des Beklagten, sondern in jenem der Klägerin gelegen. Dieser Umstand sei nicht erst bei der Wertung eines Mitverschuldens, sondern schon bei der Prüfung zu beurteilen, ob die Zufügung des Schockschadens überhaupt rechtswidrig war.
[17] 4. Die Lehre ist nicht (mehr) ganz einheitlich.
[18] 4.1. Grundsätzlich überwiegt noch immer die Auffassung, dass der Verlust eines Tieres keinen Anspruch auf Ersatz ideeller Schäden begründen kann, wobei aber regelmäßig nur die Frage des Schockschadens behandelt wird (Karner, Rechtsprechungswende bei Schock- und Fernwirkungsschäden Dritter? ZVR 1998, 182 [188 f]; ders, FS Danzl 97; Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/5/304; Kath, Schmerzengeld [2005] 92 f; Schlosser/Fucik/Hartl, Verkehrsunfall VI2 [2012] Rz 622; wohl auch Danzl, Handbuch Schmerzengeld [2019] Rz 3.59). Nach Kathrein (Glosse zu 1 Ob 125/16p, ZVR 2017, 176) entspricht die Beschränkung der Schockursache auf die Sorge um eine natürliche Person der bisher stringenten Linie zur Ablehnung von Schmerzengeldansprüchen aus der Sorge um bloße Vermögenswerte (2 Ob 100/05b [kein Schockschaden bei Beschädigung eines Pkw]). Anders als bei der Beschädigung von Vermögenswerten liege allerdings der Eintritt einer psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert bei Tötung eines geliebten Tieres nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung. Adäquanz sei also nicht zu verneinen, wohl aber der Rechtswidrigkeitszusammenhang.
[19] 4.2. Die Möglichkeit eines Anspruchs bejahen demgegenüber Beisteiner (Angehörigenschmerzengeld [2009] 181 ff) und Hinteregger (FS Danzl 84 sowie in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1325 Rz 50). Beide nehmen an, dass aufgrund eines Wertewandels, der sich in § 1332a ABGB niedergeschlagen habe, auch der Verlust eines Tieres, zu dem eine starke emotionale Beziehung bestanden habe, die Haftung begründen kann. Nach Beisteiner gilt das aber (wohl) nur für Schockschäden, da sie ausführt, dass der bloße Trauerschaden im Fall der Sachbeschädigung nach § 1331 ABGB nur bei Vorsatz zu ersetzen sei (aaO 182). Hinteregger bejaht demgegenüber (in beiden angegebenen Belegstellen) aufgrund der Wertung des § 1332a ABGB den Anspruch auf Trauerschmerzengeld, nicht aber (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1325 Rz 50) jenen auf Ersatz des Schockschadens: Nur die Sorge um einen Menschen, nicht aber die Sorge um ein Tier, könne als ausreichende Schockursache bewertet werden. Denn es sei nicht allgemein nachvollziehbar, dass sich jemand den Tod seines Haustieres so zu Herzen nehme, dass er deshalb einen eigenen Gesundheitsschaden erleidet.
[20] 5. Nach Ansicht des Senats kann die bloße Trauer um ein Haustier von vornherein keinen Schmerzengeldanspruch begründen.
[21] 5.1. Ausgangspunkt ist die Wertung des § 1331 ABGB. Danach begründet die Beschädigung einer Sache nur dann einen Anspruch auf den „Wert der besonderen Vorliebe“, wenn sie „vermittels einer durch ein Strafgesetz verbotenen Handlung oder aus Mutwillen und Schadenfreude erfolgte“. Nur unter dieser Voraussetzung können daher „außergewöhnliche Gefühlsbeziehungen“ des Eigentümers zu einer Sache den Schädiger zum Ersatz von ideellen Schäden verpflichten (1 Ob 160/98f SZ 71/156).
[22] 5.2. Tiere sind zwar nach § 285a ABGB keine Sachen; die für Sachen geltenden Bestimmungen sind aber weiterhin auf sie anzuwenden, sofern keine abweichenden Reglungen bestehen. Eine solche abweichende Regelung ist § 1332a ABGB. Diese Bestimmung erfasst aber nur die tatsächlich aufgewendeten Kosten der Heilung. Im Übrigen gelten für Grund und Höhe des Schadenersatzanspruchs bei Verletzung oder Tötung eines Tieres weiterhin die Regelungen des ABGB über die Sachbeschädigung (1 Ob 160/98f SZ 71/156 mwN; RS0110775). Im Ausschussbericht zu § 1332a ABGB (497 BlgNR 17. GP ) wird dazu ausdrücklich festgehalten, dass „neben der neuen Regelung auch § 1331 ABGB anwendbar bleibt, dass also unter den dort angeführten subjektiven Voraussetzungenauch der Wert der besonderen Vorliebe zu ersetzen ist“ (Hervorhebung durch den Senat). Der Gesetzgeber ging daher bei Schaffung jener Bestimmung, die nun als Grund für eine Erweiterung der Rechtsprechung zum Trauerschmerzengeld angeführt wird, davon aus, dass ideelle Schäden aufgrund des Verlusts eines Tieres nur bei Vorsatz zu ersetzen sind.
[23] 5.3. Auf dieser Grundlage kann die durch Rechtsanalogie entwickelte Rechtsprechung zum Ersatz des Trauerschadens nicht auf den Verlust eines Tieres übertragen werden. Denn angesichts des eindeutigen Willens des Gesetzgebers fehlt eine Lücke, die durch Analogie gefüllt werden könnte. Dazu kommt, dass die von der Rechtsprechung geforderte Typizität der Trauer beim Verlust eines Tieres – anders als bei der Tötung naher Angehöriger – nicht gegeben ist. Diese Typizität ist aber gerade beim Trauerschmerzengeld notwendige Tatbestandsvoraussetzung, weil sich Trauer einer objektiven Beurteilung entzieht und daher eine klare Abgrenzung der Anspruchsberechtigten erforderlich ist (oben 1.2.). Dabei könnte zwar in Ausnahmefällen vom Erfordernis einer formalen familienrechtlichen Nahebeziehung abgesehen werden, etwa wenn ein Kind von einem entfernteren Angehörigen – ohne Adoption – wie ein eigenes erzogen wurde (Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/5/191). Bei Verlust eines Tieres liegt aber bei objektiver Betrachtung eine dem Verlust eines Menschen gleichkommende Trauer so fern, dass eine klare Grenzziehung erforderlich ist. Im Übrigen wäre es auch ein Wertungswiderspruch, den Anspruch auf Ersatz des Schockschadens – also wegen einer tatsächlich eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigung – bei Verlust eines Tieres zu verneinen (oben 3.), wohl aber Trauerschmerzengeld zuzusprechen (so aber Hinteregger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1325 Rz 50).
[24] 5.4. „Trauerschmerzengeld“ kommt daher bei Verlust eines Tieres nur nach Maßgabe von § 1331 ABGB in Betracht. Das träfe etwa bei Tierquälerei iSv § 222 StGB zu. Bei bloßer, wenn auch grob fahrlässiger, Tötung könnte ein Anspruch demgegenüber nur durch eine Änderung des Gesetzes begründet werden.
[25] 6. Aus diesen Gründen muss die Revision der Kläger scheitern. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
[26] Da nur formelle Streitgenossenschaft vorlag, haften die Kläger nur nach Kopfteilen.
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