OGH 2Ob13/06k

OGH2Ob13/06k31.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabine B*****, vertreten durch Dr. Alois Nussbaumer und andere Rechtsanwälte in Vöcklabruck, gegen die beklagten Parteien

1. Elisabeth E*****, 2. Edeltraud E*****, und 3. W***** AG ***** (zuvor: W***** AG), *****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 26.712,26 sA und Feststellung (Streitwert EUR 7.200), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2005, GZ 4 R 193/05p-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 28. Juli 2005, GZ 30 Cg 43/05i-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Bezeichnung der drittbeklagten Partei wird auf „W***** AG *****" berichtigt.

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 765,52 (darin EUR 127,59 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Zu 1.:

Rechtliche Beurteilung

Nach der am 30. 5. 2006 von der Hauptversammlung der drittbeklagten Partei beschlossenen und am 8. 6. 2006 zu FN ***** im Firmenbuch eingetragenen Satzungsänderung wurde der Firmenwortlaut der drittbeklagten Partei von „W***** AG" geändert in „W***** AG *****". Die Parteienbezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.

Zu 2.:

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision für zulässig erklärt, weil die vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortete Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei der Verschuldensabwägung nach einem Verkehrsunfall eine Verletzung der Gurtenanlegepflicht gänzlich vernachlässigt werden könne, für die Rechtssicherheit bedeutsam sei. Allgemeine Richtlinien zur Lösung dieser Frage könnten nur aus Einzelfallentscheidungen gewonnen werden.

Die von den beklagten Parteien gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO. Aber auch in der Revision der beklagten Parteien werden keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesbestimmung dargetan.

Die Beurteilung, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, beruht auf einer Ermessensentscheidung, bei welcher nur im Falle einer gravierenden Fehlbeurteilung und damit krassen Verkennung der Rechtslage eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist (RIS-Justiz RS0087606). Dies gilt auch für die hier relevierte Frage, ob ein geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann (vgl 2 Ob 147/05i mwN).

Auch die Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Gurtenanlegepflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (ZVR 1979/303; ZVR 1982/138; 2 Ob 156/89; RIS-Justiz RS0029844). Der (im Vergleich zum „Auslösungsverschulden") regelmäßig geringere Schuldgehalt eines „Gurtenmitverschuldens" des Verletzten wird in ständiger Rechtsprechung zu dem hier noch maßgeblichen Art III Abs 1 der 3. KFG-Nov (nunmehr § 106 Abs 2 KFG idF der 26. KFG-Nov, BGBl I 2005/117) bei der Gewichtung der Verschuldensanteile dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Verletzung der Gurtenanlegepflicht in der Regel mit etwa 25 % bewertet wird (zuletzt 2 Ob 62/05i = ZVR 2006/4 mwN; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 74; derselbe, EKHG7 § 7 E 180 f; Reischauer in Rummel, ABGB² § 1304 Rz 28; Harrer in Schwimann, ABGB³ § 1304 Rz 59). In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 41/99a = SZ 72/35 = ZVR 1999/69 (vgl auch Danzl, EKHG7 E 183a) hat der 7. Senat des Obersten Gerichtshofes im Zuge einer Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsanteile zweier „Mitschuldiger" beim Regress nach §§ 1302, 896 ABGB die Auffassung vertreten, dass das in einer Verletzung der elterlichen Fürsorgepflichten bestehende Mitverschulden eines Vaters, der seinen minderjährigen Sohn auf dem Beifahrersitz nicht angeschnallt hatte, gegenüber der besonders massiven Vorrangverletzung des am Unfall allein schuldigen Unfallgegners vernachlässigt werden könne. Es besteht demnach bereits höchstgerichtliche Judikatur, welche zumindest indiziert, dass auch das in der Verletzung der Gurtenanlegepflicht selbst gelegene Mitverschulden - nach allgemeinen Regeln - im Einzelfall ausnahmsweise zur Gänze hinter ein schweres Auslösungsverschulden des Unfallgegners zurücktreten kann (vgl das Entscheidungszitat bei Harrer aaO Rz 39 [FN 152; dort allerdings unrichtig: SZ 72/36];

ferner Messiner, Schadensteilung bei Nichtbeachtung der Gurtenanlegepflicht, ZVR 1978, 140 f; Reischauer aaO Rz 28;

Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall VI Rz IV/36). Die in der Revision geforderte Vorgabe allgemeiner Richtlinien, unter welchen Voraussetzungen das Gurtenmitverschulden im Verhältnis zum Auslösungsverschulden allenfalls vernachlässigt werden kann, ist dem Obersten Gerichtshof aber schon infolge der Einzelfallbezogenheit jeder Verschuldensabwägung nicht möglich, weshalb eine erhebliche Rechtsfrage insoweit nicht aufgeworfen wird.

Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmen wäre, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hat die bei der Rückfahrt von einem Schiurlaub auf dem Rücksitz hinter der Fahrzeuglenkerin sitzende und zunächst angegurtete Klägerin den Sicherheitsgurt nur kurz gelöst, weil sie aus einem Rucksack zu ihren Füßen eine Getränkeflasche nehmen wollte. 30 Sekunden nach dem Lösen des Gurtes, während die Klägerin noch in gebeugter Haltung nach der Flasche suchte, kam es zur Kollision, an der die Erstbeklagte - unstrittig - infolge einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs 5 StVO das alleinige Verschulden traf. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, das Fehlverhalten der Klägerin sei im Verhältnis zu jenem der Erstbeklagten von so geringem Gewicht, dass es - abweichend vom Regelfall - zur Gänze vernachlässigt und von einer Kürzung des Schmerzengeldes abgesehen werden könne, liegt noch im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraumes. Aus der Entscheidung 2 Ob 156/89, auf die sich die beklagten Parteien in ihrem Rechtsmittel stützen, sind keine gegenteiligen Erkenntnisse zu gewinnen, weil das dort beurteilte Verhalten des Verletzten mit jenem der Klägerin nicht vergleichbar ist. Dies gilt auch für das in ZVR 1989/14 veröffentlichte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, in welchem naturgemäß keine Verschuldensabwägung vorzunehmen war. Für diese sind auch die in der Revision erörterten Fragen der Beweislast der Klägerin für die - von ihr gar nicht behauptete - Unvermeidbarkeit der Verletzungsfolgen und der gesetzlichen Ausnahmen von der Gurtenanlegepflicht bedeutungslos.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte