OGH 2Ob147/05i

OGH2Ob147/05i21.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Mag. Klaus Michael Fürlinger, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Dietmar S*****, und 2. A***** Versicherungs-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Wilhelm Granner, Rechtsanwalt in Wels, wegen EUR 10.517,25 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 30. März 2005, GZ 11 R 2/05a-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 14. Jänner 2005, GZ 3 Cg 105/04g-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision für zulässig erklärt, weil zur Frage, ob auch ein Verstoß gegen die die Vorrangregel des § 19 Abs 6 StVO ergänzende, jedoch eigenständige Sorgfaltsvorschrift des § 13 Abs 3 StVO im Verhältnis zu einem groben Verschulden des anderen Unfallsbeteiligten vernachlässigt werden könne, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung existiere. Die von der klagenden Partei gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Die Beurteilung, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, beruht auf einer Ermessensentscheidung, bei welcher nur im Falle einer gravierenden Fehlbeurteilung und damit krassen Verkennung der Rechtslage eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist (RIS-Justiz RS0087606). Dies gilt auch für die hier relevierte Frage, ob ein geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann (2 Ob 213/02s; 7 Ob 40/04i; 2 Ob 65/05f). Aber auch in der Revision der klagenden Partei werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan.

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Einweiser beizuziehen, wenn beim Einfahren aus einer Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO die Sichtverhältnisse so schlecht sind, dass auch ein Vortasten unmöglich ist (ZVR 1979/297; 8 Ob 15/87; 2 Ob 259/03g; RIS-Justiz RS0073277). Die Bestimmung des § 13 Abs 3 StVO über die Beiziehung eines Einweisers bei der Ausfahrt von einem Grundstück ist für extreme Fälle gedacht, in welchen nach den Umständen des Einzelfalles damit gerechnet werden muss, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer selbst bei vorschriftsmäßiger Fahrweise nur schwer oder überhaupt nicht mehr einen Zusammenstoß mit dem für ihn plötzlich auftauchenden Fahrzeug verhindern kann (8 Ob 15/87 mwN; ZVR 1992/49; RIS-Justiz RS0073270, RS0073834).

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs 3 StVO bejaht, zugleich aber hervorgehoben, dass der Verstoß des Erstbeklagten gegen die Verpflichtung zur Beiziehung eines Einweisers unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles als nur geringfügig zu beurteilen ist. Die Revision lässt die in diesem Zusammenhang geäußerte - durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckte (ZVR 1981/247) - Rechtsansicht des Berufungsgerichtes unbekämpft, wonach bei gleicher Sichtstrecke für die herannahende Pkw-Lenkerin und für den ausfahrenden Erstbeklagten die Verpflichtung zur Beiziehung eines Einweisers nicht bestanden hätte (vgl auch Dittrich/Stolzlechner StVO³ § 13 Rz 41). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wichen diese Sichtstrecken nur um 7 m zu Ungunsten des Erstbeklagten voneinander ab. Dies entspricht einer Wegstrecke, die ein im Unfallbereich nach dem Grundsatz des Fahrens auf Sicht mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrender Fahrzeuglenker in einer Zeitspanne von 0,33 sek zurücklegen kann. Der Erstbeklagte, der auf die Einhaltung der für die Benützung der Straße maßgebenden Rechtsvorschriften durch die Lenker herannahender, für ihn noch nicht wahrnehmbarer Fahrzeuge vertrauen durfte (ZVR 1981/247; RIS-Justiz RS0073241), hat demnach auf den geringfügig langsameren Pkw nur um den Bruchteil einer Sekunde später Sicht erlangt, als dies bei gleichen Sichtstrecken der Fall gewesen wäre. Dazu kommt, dass er das begonnene Ausfahrmanöver bei erster Sichtmöglichkeit auf den herannahenden Pkw sofort abgebrochen und das Beklagtenfahrzeug in die Einfahrt zurückmanövriert hat, sodass die Pkw-Lenkerin nach bremsbedingter Herabsetzung ihrer Fahrgeschwindigkeit von 60 bis 70 km/h auf etwa 30 km/h das Beklagtenfahrzeug unter Beibehaltung ihrer Fahrlinie kollisionsfrei passieren konnte.

Dem Lenker des bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten Lkws liegt hingegen zur Last, dass er zwar schon aus einer Entfernung von 65 m Sicht auf den vor ihm fahrenden Pkw hatte, dessen Abbremsen aufgrund der Bremslichter für ihn erkennbar war, seine Geschwindigkeit - nach mindestens 1,7 sek reaktionsloser Fahrt - aber dennoch nur von 60 km/h auf ca 55 km/h zu verringern vermochte, ehe er auf den Pkw auffuhr.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, dieses Fehlverhalten des Lkw-Lenkers wiege so schwer, dass unter Bedachtnahme auf alle Umstände des vorliegenden Einzelfalles kein Anlass bestehe, die beklagten Parteien zum Ausgleich nach § 11 EKHG heranzuziehen, liegt im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraumes. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der klagenden Partei daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen.

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