European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00123.23M.0725.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.150,39 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 191,73 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin wurde im Jänner 2019 in der von der Erstbeklagten betriebenen Klinik, deren Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte ist, aufgrund des Verdachts auf Vorliegen einer (neuerlichen) Eileiterschwangerschaft behandelt, wobei sie zu diesem Zeitpunkt nur mehr über ihren linken Eileiter verfügte. Der Zweitbeklagte führte am 9. 1. 2019 einen operativen Eingriff in Form einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) durch, bei dem sich gegen alle Erwartung herausstellte, dass es bereits zu einem kompletten Tubarabort gekommen war und sich ein unauffälliger, blander linker Eileiter zeigte. Daraufhin entschloss sich der Zweitbeklagte, von einer Entfernung des linken Eileiters Abstand zu nehmen, was den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Bei entsprechendem Wunsch der Klägerin wäre auch eine prophylaktische Entfernung des linken Eileiters (Tubektomie) lege artis gewesen, wobei eine solche nur nach klarer Festlegung der Patientin angezeigt ist, dass sie keinen Kinderwunsch (mehr) hat oder in Zukunft ausschließlich mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) schwanger werden möchte. Es steht nicht fest, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Aufklärungsgespräche bereits die Entscheidung getroffen hatte, ihren Kinderwunsch in Zukunft nur mittels IVF verwirklichen zu wollen.
[2] Nachdem die Klägerin nach einer IVF ein (weiteres) Kind zur Welt gebracht und damit ihre Familienplanung abgeschlossen hatte, unterzog sie sich am 17. 12. 2020 einem erneuten laparoskopischen Eingriff, im Zuge dessen einerseits Verwachsungen im Unterleib gelöst wurden und andererseits der linke Eileiter prophylaktisch entfernt wurde. Welche medizinische Indikation konkret für den Eingriff ausschlaggebend war, ist nicht feststellbar.
[3] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 8.603,02 EUR sA an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Der Zweitbeklagte habe ihr eine Entfernung des linken Eileiters aufgrund bestehender medizinischer Indikation empfohlen. Die Klägerin, die ohnehin in Zukunft auf IVF zurückgreifen habe wollen, sei damit einverstanden gewesen. Nach der Operation habe sich aber herausgestellt, dass der Zweitbeklagte ohne beachtliche Gründe keine Tubektomie vorgenommen habe. Letztlich habe die Klägerin im Dezember 2020 die Tubektomie durchführen lassen. Die zweite Operation, deren einziger Grund die Entfernung des linken Eileiters gewesen sei, wäre bei ordnungsgemäßem Vorgehen des Zweitbeklagten nicht erforderlich gewesen und habe der Klägerin (zusätzliche) Schmerzen und Schäden zugefügt. Die ärztliche Aufklärungspflicht hätte es jedenfalls geboten, dass sich der Zweitbeklagte bei der Klägerin vergewissern hätte müssen, ob diese jedenfalls oder nur im Bedarfsfall eine Entfernung des linken Eileiters gewünscht habe.
[4] Die Beklagtenbestreiten das Vorliegen eines Behandlungs‑ oder Aufklärungsfehlers. Es habe keine medizinische Indikation für eine Tubektomie bestanden. Die Operation im Dezember 2020 habe nicht „nur“ der Entfernung des linken Eileiters, sondern der Behebung chronischer, auf Verwachsungen zurückzuführender Unterbauchschmerzen gedient.
[5] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab. Gegenstand des Behandlungsvertrags sei nach den Feststellungen nur die Behandlung der Klägerin aufgrund akuten Verdachts auf Eileiterschwangerschaft gewesen. Der Nachweis eines Behandlungsfehlers sei der Klägerin auf dieser Grundlage misslungen. Auch ein Aufklärungsfehler liege nicht vor.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Die prophylaktische Tubektomie sei keine Behandlungsalternative gewesen, über die der Zweitbeklagte aufklären hätte müssen. Vielmehr würde es sich dabei um einen völlig anderen Eingriff handeln, der nichts mit der Behandlung der Eileiterschwangerschaft zu tun habe. Außerdem sei dem Klagebegehren bereits durch die Non-liquet-Feststellung zur Indikation für die Folgeoperation im Dezember 2020 der Boden entzogen.
[7] Die ordentliche Revision sei zur Frage zulässig, inwiefern anlässlich der Behandlung einer Eileiterschwangerschaft auch über die Vorteile einer prophylaktischen Tubektomie aufzuklären sei.
[8] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[9] Die Beklagten beantragen, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.
[11] 1. Der ärztliche Behandlungsvertrag ist ein im Gesetz nicht näher typisiertes Vertragsverhältnis, aufgrund dessen der Arzt dem Patienten eine fachgerechte Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst – nicht aber einen bestimmten Erfolg – schuldet, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (2 Ob 49/21a Rz 21 mwN). Als Gegenstand des jeweiligen Behandlungsfalls ist im Regelfall grundsätzlich ein bestimmter „Krankheitsfall“ des Patienten anzusehen (RS0123378). Die Auslegung des konkreten Behandlungsvertrags hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 1/23g Rz 7).
[12] Wenn das Berufungsgericht auf Grundlage der getroffenen Feststellungen davon ausging, dass im vorliegenden Fall (nur) die aufgrund des Verdachts auf das Vorliegen einer Eileiterschwangerschaft medizinisch indizierte Behandlung Gegenstand des Behandlungsvertrags war, stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Dass eine Tubektomie unabhängig von einer bestehenden medizinischen Notwendigkeit für die Entfernung des linken Eileiters „jedenfalls“ vereinbart worden wäre, hat das Beweisverfahren nicht ergeben. Die von der Klägerin behauptete Verletzung des Behandlungsvertrags hat das Berufungsgericht damit vertretbar verneint.
[13] 2. Den im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers, also eines nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgten Vorgehens des Zweitbeklagten, hält die Klägerin in der Revision nicht aufrecht.
[14] 3. Grundlage für die Haftung eines Arztes oder Krankenhausträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient muss daher in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (RS0118355). Der Patient kann nur dann wirksam einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499). Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, der Arzt behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Die Haftung des Arztes beschränkt sich bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung des Risikos, auf das er hinweisen hätte müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben (RS0026783 [T6, T9, T11]). Der Umfang der Aufklärungspflicht hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt damit im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung dar (RS0026763 [T5]), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (RS0021095).
[15] 3.1. Vorauszuschicken ist, dass sich die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Frage des Umfangs der Aufklärungspflicht einer allgemeingültigen Antwort entzieht.
[16] 3.2. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht liegt nicht vor. Dieses ist unter Hinweis auf den von ihm angenommenen Umfang des Behandlungsvertrags in nicht korrekturbedürftiger Weise davon ausgegangen, dass der Zweitbeklagte im konkreten Fall keine Aufklärung über die Möglichkeit einer rein prophylaktischen Eileiterentfernung geschuldet habe. Zu berücksichtigen ist, dass nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht feststeht, ob sich die Klägerin im Zeitpunkt der Aufklärungsgespräche bereits eine gefestigte Meinung über ihren Wunsch nach einer auf natürlichem Weg zu erreichenden künftigen Schwangerschaft gebildet hatte. Legt man aber eine ambivalente Haltung der Klägerin zu dieser Frage zu Grunde, war die Entfernung des verblienenen gesunden Eileiters – also dessen prophylaktische Entnahme – medizinisch nach den weiteren Feststellungen nicht indiziert; vielmehr war bei dieser Sachlage der Eileiter (wenn möglich) zu erhalten. Das Berufungsgericht hat vor diesem Hintergrund das Bestehen einer Aufklärungspflicht über die Möglichkeit zur prophylaktischen Tubektomie im konkreten Einzelfall vertretbar verneint.
[17] 4. Eines näheren Eingehens auf die Hilfsbegründung des Berufungsgerichtsbedarf es damit nicht.
[18] 5. Insgesamt war die Revision zurückzuweisen.
[19] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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