OGH 1Ob29/23f

OGH1Ob29/23f21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers T*, vertreten durch die Dr. Zsizsik & Dr. Prattes Rechtsanwälte OG in Bruck an der Mur, gegen die Antragsgegnerin P*, vertreten durch Mag. Paulus Pabst, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 16. Jänner 2023, GZ 2 R 232/22z‑48, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 7. November 2022, GZ 15 Fam 6/21k‑44, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00029.23F.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Ehegatten streben jeweils die Zuweisung einer gemeinsamen Liegenschaft mit einem als Ehewohnung genutzten Haus gegen Übernahme der damit verbundenen Kreditverbindlichkeiten an. Die Frau begründet ihr Begehren damit, dass sie – auch wegen der von ihr gehaltenen Tiere (drei Hunde, zwei Katzen sowie Schildkröten) – keine andere Wohnmöglichkeit habe und aufgrund ihres (insbesondere psychisch) schlechten Gesundheitszustands auf einen Verbleib im Haus angewiesen sei. Sie könne sich sowohl die Übernahme der damit verbundenen Schulden als auch eine Ausgleichszahlung an den Mann leisten. Die Frau beantragte auch, diesem die Offenlegung bestimmter Vermögenswerte aufzutragen.

[2] Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht das Manifestationsbegehren der Frau ab und die Ehewohnung samt damit zusammenhängender Schulden (im Innenverhältnis) dem Mann zu; weiters verpflichtete es ihn zur Leistung einer Ausgleichszahlung von 60.000 EUR. Das Rekursgericht gab dem Manifestationsbegehren Folge und hob die Aufteilungsentscheidung zur Gänze zur neuerlichen Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auf. Den nur gegen die Aufhebung der Entscheidung in der Hauptsache (Aufteilungsentscheidung) erhobenen Revisionsrekurs der Frau wies der Fachsenat als jedenfalls unzulässig zurück (1 Ob 124/22z).

[3] Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Haus mit der Ehewohnung neuerlich dem Mann zu und verpflichtete ihn, die damit zusammenhängenden Schulden allein zurückzuzahlen sowie der Frau eine Ausgleichszahlung von 61.000 EUR zu leisten. Die Frau habe das Haus binnen drei Monaten nach Erhalt der Ausgleichszahlung zu räumen.

[4] Das Rekursgericht bestätigte die Zuweisung des Hauses an den Mann, verpflichtete ihn aber zu einer Ausgleichszahlung von 67.500 EUR und verlängerte die der Frau eingeräumte Räumungsfrist auf fünf Monate.

[5] Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Frau die für das Haus zu leistende Ausgleichszahlung nicht aufbringen könnte. Mit der Frage, ob sie mehr als der Mann auf dieses angewiesen sei, setzte es sich nicht auseinander. Für die Bemessung der Ausgleichszahlung sei von einem Wert der Liegenschaft nach Abzug der konnexen Schulden von 91.130 EUR auszugehen. Davon seien der Frau 2.600 EUR als vorhandener Wert von ihr in die Ehe eingebrachter Vermögensgegenstände (im Haus verbaute Rollläden sowie eine Einbauküche) vorweg zuzuweisen, woraus sich eine Ausgleichszahlung für das Haus von rund 46.900 EUR ergebe. Für weitere dem Mann verbliebene Vermögenswerte stünden ihr 20.600 EUR zu.

[6] Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Frau ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Frage, wem das Haus mit der früheren Ehewohnung zuzuweisen ist, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist mit seinem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag auch berechtigt.

[8] 1. Dass – wovon auch die Vorinstanzen ausgingen – die Liegenschaft mit dem als Ehewohnung genutzten Haus der Aufteilung unterliegt, ist nicht strittig. Auch der den Entscheidungen der Vorinstanzen zugrunde gelegte Wert des Hauses abzüglich der Kreditverbindlichkeiten von 91.130 EUR wird von den Parteien nicht (mehr) in Frage gestellt.

[9] 2. Warum bei der Bemessung der für das Haus zu leistenden Ausgleichszahlung (durch jenen Ehegatten, dem dieses zur Gänze zugewiesen wird) das von der Frau in die Ehe eingebrachte Vermögen (Rollläden sowie eine Kücheneinrichtung) mit einem höheren als dem vom Rekursgericht angenommenen Wert berücksichtigt werden hätte müssen, legt die Frau in ihrem Revisionsrekurs nicht nachvollziehbar dar. Voreheliche Beiträge eines Teils, die in einem der Aufteilung unterliegenden Gegenstand wertbildend aufgegangen sind, sind nur insoweit wertverfolgend zu berücksichtigen, als die betreffende Leistung wertmäßig noch vorhanden ist (RS0057490 [T5]). Dass das Rekursgericht den verbliebenen Wert der vor mehr als 20 Jahren angeschafften Rollläden sowie der Kücheneinrichtung nur mit einem Viertel des ursprünglichen Kaufpreises annahm, begegnet keinen Bedenken. Keinesfalls wäre der Aufteilung der volle ursprüngliche Kaufpreis zugrunde zu legen gewesen. Dass das Haus mit Ausnahme der Rollläden und der Küche überwiegend aus vorehelichen Mitteln der Frau finanziert wurde, widerspricht der dazu getroffenen Negativfeststellung.

[10] 3. Gemäß § 83 Abs 1 EheG hat die Aufteilung nach Billigkeit zu erfolgen, um ein für beide Teile tragbares, den Umständen des Einzelfalls gerecht werdendes Ergebnis zu finden (RS0057910 [T1]). Im Allgemeinen entspricht es der Billigkeit, dass die Ehewohnung bei grundsätzlich gleich gewichteten ehelichen Beiträgen demjenigen überlassen wird, der darauf mehr angewiesen ist (RS0057733; RS0057621). Dabei sind auch die jedem Ehegatten zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses sonst zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu berücksichtigen (RS0057952). Es ist auch zu bedenken, welcher Ehegatte in der Lage wäre, eine bei Zuweisung der Ehewohnung zu leistende angemessene Ausgleichszahlung aufzubringen, würde es doch der Billigkeit widersprechen, diese jenem Teil zuzuweisen, der dazu auf keinen Fall in der Lage wäre (RS0057610).

[11] 4. Die Vorinstanzen gingen – in dritter Instanz unbekämpft – von gleichwertigen Beiträgen der Ehegatten iSd § 83 EheG aus. Somit kommt es für die Zuweisung des Hauses mit der vormaligen Ehewohnung darauf an, wer sich die Ausgleichszahlung dafür (eher) leisten kann und wer auf dieses mehr angewiesen ist.

[12] 5. Unstrittig ist, dass der Mann die zur Finanzierung einer Ausgleichszahlung für das Haus sowie die Übernahme der damit verbundenen Schulden erforderlichen Mittel aufbringen könnte. Ob dies auch auf die Frau zutrifft, kann auf Basis der vorliegenden Verfahrensergebnisse hingegen nicht eindeutig beantwortet werden:

[13] 5.1. Die Frau behauptete in erster Instanz, sowohl die Rückzahlung der mit dem Haus verbundenen Schulden leisten als auch eine Ausgleichszahlung für den Hälfteanteil des Mannes an der Liegenschaft finanzieren zu können, zumal ihr dafür auch ein Bankkredit gewährt würde. In ihrem Revisionsrekurs argumentiert sie, dass dieses Vorbringen im ersten Rechtsgang unbestritten geblieben sei. Auf die im zweiten Rechtsgang erfolgte Bestreitung durch den Mann sei nicht Bedacht zu nehmen. Mit dieser Argumentation dringt sie aber aus folgenden Gründen nicht durch:

[14] Auch im Außerstreitverfahren können die Parteien nach Aufhebung einer Entscheidung im weiteren Rechtsgang zu den von der Aufhebung betroffenen Teilen des Verfahrens neues Vorbringen erstatten (1 Ob 33/17k; 1 Ob 65/18t mwN; vgl auch RS0120282). Dies wäre ihnen nur zu bereits erledigten Streitpunkten verwehrt (RS0042031; RS0042014). Das Rekursgericht hob den erstinstanzlichen Beschluss im ersten Rechtsgang zur Gänze auf, weil es dem Manifestationsbegehren der Frau stattgab und somit noch keine (Aufteilungs‑)Entscheidung in der Hauptsache getroffen werden konnte. Damit trat das Aufteilungsverfahren auch zur Frage der Zuteilung der Ehewohnung in den Stand vor Entscheidung durch das Erstgericht zurück. Der Mann konnte daher im zweiten Rechtsgang ein Vorbringen zu diesem Streitpunkt erstatten.

[15] Aus der zu 1 Ob 12/22d ergangenen Entscheidung ist nichts Gegenteiliges abzuleiten. Die dort erfolgten Ausführungen, wonach die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Rekursgericht nicht dazu führen könne, dass bereits erstattetes Tatsachenvorbringen widerrufen, in eine günstigere Richtung abgeändert oder die unterlassene Bekämpfung nachteiliger Feststellungen nachgeholt werde, bezogen sich auf einen abschließend erledigten Streitpunkt (Anwendungsbereich des § 91 Abs 3 EheG; die Aufhebung betraf nur die Rechtsfolgen dieser Bestimmung).

[16] 5.2. Das Rekursgericht ging davon aus, dass die Frau aus folgenden Gründen keine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung aufbringen könnte:

[17] Von ihrem monatlichen Einkommen von 2.085 EUR (1.600 EUR Berufsunfähigkeitspension und 485 EUR zusätzliches Einkommen) benötige sie 1.100 EUR (Ausgleichszulagenrichtsatz) für ihre Lebensführung und weitere 350 EUR für die Versorgung ihrer Haustiere. Somit stünden ihr monatlich nur 625 EUR für die Tilgung der bestehenden Schulden (rund 128.000 EUR per Februar 2022) sowie zur Finanzierung einer Ausgleichszahlung zur Verfügung. Dieser Betrag reiche nicht aus, um neben den von der Frau – bei Zuweisung des Hauses mit der Ehewohnung an sie – zu übernehmenden Schulden auch noch eine Ausgleichszahlung zu finanzieren, zumal sich ihr Einkommen in Zukunft weiter verringern könnte, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage wäre, ein solches zusätzlich zu ihrer Pension zu erzielen.

[18] 5.3. Dass die Frau monatlich 1.100 EUR für ihre Lebensführung benötige, findet aber ebenso wenig Deckung in den erstinstanzlichen Feststellungen wie die vom Rekursgericht angenommenen Kosten für die Tierhaltung. Es lässt sich dem Sachverhalt auch nicht entnehmen, ob die monatliche Berufsunfähigkeitspension der Frau von 1.600 EUR bereits die Sonderzahlungen (vgl § 105 Abs 1 ASVG iVm § 222 Abs 1 Z 2 lit c ASVG) umfasst. Insgesamt fehlt es an Feststellungen dazu, welcher (monatliche) Betrag der Frau bei einer äußersten Einschränkung ihrer Lebensbedürfnisse (RS0057685 [insb T11, T12, T15]) verbliebe, um die von ihr zu übernehmenden Schulden für das Haus sowie eine Ausgleichszahlung für dieses zu finanzieren, wobei sie bei dessen Zuweisung an sie auch die vom Mann seit Auflösung der Ehegemeinschaft geleisteten Kreditzahlungen zu tragen hätte (RS0132057).

[19] 5.4. Jenem Ehegatten, der eine Ausgleichszahlung leisten müsste, ist auch die Aufnahme eines Kredits zuzumuten (RS0057685 [T14]; RS0057706). Auch zu diesem Aspekt ist die Feststellungsgrundlage aber unzureichend. Fest steht nur, dass die Frau „kreditwürdig“ ist und für die Finanzierung einer Ausgleichszahlung „einen Bankkredit“ erhielte. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, in welcher Höhe sie eine solche Finanzierung erlangen könnte. Die Frau weist in dritter Instanz zwar zutreffend darauf hin, dass die von ihr zu leistende Ausgleichszahlung für das Haus geringer wäre als die dem Mann von den Vorinstanzen auferlegte Zahlung, weil er auch verschiedene eheliche Ersparnisse für sich behielt. Dennoch ist eine konkrete Feststellung zum Umfang einer allfälligen (weiteren) Bankfinanzierung – insbesondere zur daraus resultierenden monatlichen Kreditbelastung – erforderlich, um beurteilen zu können, ob die Frau (auch unter Annahme einer äußersten Einschränkung ihrer Bedürfnisse) die mit der Zuweisung des Hauses an sie verbundenen finanziellen Lasten tragen könnte.

[20] 5.5. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung des Verfahrens an das Erstgericht.

[21] 6. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass eine Zuweisung des Hauses mit der Ehewohnung an die Frau nicht an der Finanzierung der damit verbundenen Schulden, der Ausgleichszahlung sowie der dem Mann zu „ersetzenden“ Kreditzahlungen seit Auflösung der Ehegemeinschaft scheitert, käme es für dessen Zuteilung maßgeblich darauf an, wer mehr auf das Haus angewiesen ist.

[22] 6.1. Die Frau leitete ihr Interesse am Verbleib in der Ehewohnung – wie dargelegt – daraus ab, dass sie über keine andere Wohnung verfüge und aus gesundheitlichen (ua psychischen) Gründen sowie aufgrund der von ihr gehaltenen Haustiere auf die bestehende Wohnmöglichkeit angewiesen sei. Der Mann verfüge mittlerweile über eine andere Wohnmöglichkeit und sei nur an einem Verkauf des Hauses interessiert.

[23] 6.2. Ganz allgemein erfordert die Prüfung, ob ein Ehegatte mehr als der andere auf die Ehewohnung angewiesen ist (anders als die Beurteilung nach § 82 Abs 2 EheG, ob ein besonderer Bedarf an einer an sich nicht der Aufteilung unterliegenden Ehewohnung besteht; vgl RS0058370; RS0058382 [T1]), keine existenzielle Bedrohung, vielmehr sind die Interessen beider Teile an dieser gegeneinander abzuwägen. Dass der Mann über eine andere Wohnmöglichkeit, die Frau hingegen über keine solche verfügt, ist unstrittig. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können ein (weiteres) schützenswertes Interesse an der Ehewohnung begründen (1 Ob 145/15b), wobei zu den behaupteten (psychischen) Einschränkungen der Frau keine konkreten Feststellungen getroffen wurden (dass nicht „feststehe“, dass sie aus gesundheitlichen Gründen „jedenfalls“ auf die Ehewohnung angewiesen sei, betrifft die rechtliche Beurteilung). Auch die Betreuung der Haustiere wäre bei der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht außer Acht zu lassen.

[24] 7. Zusammengefasst wird im fortgesetzten Verfahren nur mehr zu prüfen sein, ob eine mangelnde Finanzierbarkeit der mit dem ehelichen Haus verbundenen Schulden, der dafür zu leistenden Ausgleichszahlung sowie der vom Mann seit Auflösung der Ehegemeinschaft geleisteten Kreditzahlungen dessen Zuweisung an die Frau ausschließt, und – bei Verneinung dieser Frage – welcher Ehegatte mehr auf die Ehewohnung angewiesen ist. Alle anderen Streitpunkte sind abschließend erledigt.

[25] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 AußStrG.

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