OGH 1Ob222/13y

OGH1Ob222/13y27.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** L*****, vertreten durch WKG Korp‑Grünbart Rechtsanwälte GmbH in Braunau, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17‑19, wegen 5.227,90 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.204,56 EUR), gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. September 2013, GZ 4 R 147/13k‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 13. Juli 2013, GZ 3 Cg 9/13b‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

In einem vor dem Bezirksgericht Gmunden abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung von 30.280,49 EUR sA an ein Kreditinstitut, zu dessen Gunsten Pfandrechte an einer damals im Eigentum der Klägerin stehenden Liegenschaft einverleibt waren. Aufgrund dieses Vergleichs beantragte die Gläubigerbank zu 10 E 18/09 des Bezirksgerichts Gmunden die Bewilligung der Exekution durch Zwangsversteigerung der Liegenschaft, deren Verkehrswert im daran anschließenden Verfahren auf 670.000 EUR geschätzt wurde. Der Zuschlag erfolgte in der Tagsatzung vom 7. 4. 2010, wobei der Ersteher das Meistbot von 640.000 EUR am 20. 4. 2010 erlegte. In der Folge kam es zu Divergenzen zwischen dem zuständigen Richter und dem Ersteher über die Meistbotszinsen, die dadurch bereinigt wurden, dass der Ersteher am 23. 6. 2010 aus diesem Titel einen weiteren Betrag von 164,37 EUR beglich und dem Bezirksgericht Gmunden mit Telefax vom 2. 7. 2010 mitteilte, dass er die Ansicht des Gerichts, wonach sich die Zinsen insgesamt auf 975,33 EUR belaufen würde, akzeptiere.

Am 8. 7. 2010 beraumte der Richter für den 23. 8. 2010 die Verteilungstagsatzung an, in der kein Widerspruch erhoben wurde. Aufgrund der angemeldeten Forderungen wies er der betreibenden Gläubigerin 254.136,89 EUR sowie 39,71 % des Zinsenzuwachses zu. Die Klägerin erhielt die Hyperocha von 385.863,11 EUR sowie 60,29 % des Zinsenzuwachses zugewiesen. Die Urschrift des Verteilungsbeschlusses vom 14. 11. 2010, der in weiterer Folge auch nicht bekämpft wurde, ist der Geschäftsabteilung am 19. 11. 2010 übergeben worden. Die Abfertigung der Ausfertigungen dieses Beschlusses erfolgte am 22. 11. 2010. Mit Beschluss vom 5. 1. 2011 erließ das Bezirksgericht Gmunden die Auszahlungsanordnung. Mit Schreiben vom 19. 1. 2011 bestätigte die betreibende Gläubigerin die Durchführung des Verteilungsbeschlusses.

Ein Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG wurde von der Klägerin im Verfahren über die Zwangsversteigerung nicht eingebracht. Urgenzen sind nicht aktenkundig.

Die Klägerin begehrt aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz des Schadens, der ihr an Zinsen und Bankspesen entstanden sei, und brachte dazu ‑ soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz ‑ vor, ein Organ des Bezirksgerichts Gmunden habe im Verfahren 10 E 18/09d den Meistbotsverteilungsbeschluss verspätet gefasst und abgefertigt. Wäre dieser in angemessener Frist abgefertigt und vollzogen worden, hätte sie die Hyperocha früher erhalten und demgemäß ab 1. Juli 2010 keine Debetzinsen und Bankspesen zu zahlen gehabt. Auf diese Schäden seien die Fruktifikationszinsen nicht anzurechnen, weil ihr diese jedenfalls zugestanden seien. Auch sei ihr nicht anzulasten, dass sie keinen Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG erhoben habe, weil sie im Zwangsversteigerungsverfahren unvertreten gewesen sei.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen einer unvertretbaren Verfahrensverzögerung, weil die Anberaumung der Verteilungstagsatzung gemäß § 209 EO erst nach vollständiger Berichtigung des Meistbots zu erfolgen habe. Darüber hinaus habe die Beklagte keinen Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG erhoben und dadurch gegen die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen. Die von der Klägerin geltend gemachten Schäden seien nicht nachvollziehbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht verneinte es den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen den von der Klägerin geltend gemachten Schaden und der von ihr behaupteten Verfahrensverzögerung. Die Klägerin habe die Bankverbindlichkeiten ohne Zusammenhang mit dem Zwangsversteigerungsverfahren begründet und damit die in Verzugszinsen bestehenden Schäden jedenfalls selbst verursacht. Darin liege kein ersatzfähiger Schaden im Sinne des § 1 AHG. Gleiches gelte für jene Zinsen und Spesen, die aufgrund der von der Klägerin mit der betreibenden Gläubigerin des Zwangsversteigerungsverfahrens geschlossenen Kreditverträge aufgelaufen seien. Ohne das von der betreibenden Gläubigerin eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren wären Zinsen und Spesen über jenen Zeitpunkt hinaus angefallen, in dem die Verbindlichkeiten durch Auszahlung der Hyperocha getilgt worden seien. Zweck der Exekution sei die Befriedigung des titulierten Anspruchs des betreibenden Gläubigers; die Entlastung des Verpflichteten von seinen Verbindlichkeiten sei lediglich Nebeneffekt einer erfolgreichen Exekution. Das Exekutionsrecht bezwecke nicht, den Schuldner in seiner vertraglich oder gesetzlich begründeten Pflicht zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten durch ein möglichst schnelles Verfahren zu entlasten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und teilte dessen Rechtsansicht. Zwar sei auch der Verpflichtete Adressat des Meistbotsverteilungsbeschlusses, doch sei er nur hinsichtlich dessen Inhalts geschützt. Demgegenüber diene die Bestimmung des § 110 Abs 1 Geo ausschließlich dem Schutz des zur Exekutionsführung genötigten Gläubigers. Der Verpflichtete habe es in der Hand, seine Verbindlichkeiten durch den eigenständigen Verkauf der Liegenschaft rascher zu befriedigen.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Rechtsfrage, ob der Schutzzweck des § 229 Abs 2 EO iVm § 110 Abs 1 Geo auch das Interesse eines Verpflichteten auf Auszahlung der Hyperocha in angemessener Frist umfasse, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist im Sinne des im Abänderungsbegehren enthaltenen Antrags auf Aufhebung (RIS‑Justiz RS0041774; 3 Ob 133/13z) auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin führt den von ihr geltend gemachten Vermögensschaden im Revisionsverfahren nur noch auf den Umstand zurück, dass das Exekutionsgericht den Verteilungsbeschluss nicht innerhalb angemessener Frist nach Abhaltung der Verteilungstagsatzung aus‑ und abgefertigt habe. Dazu beruft sie sich auf die Bestimmung des § 110 Abs 1 der Geschäftsordnung der Gerichte erster und zweiter Instanz (Geo).

2.1 § 110 Abs 1 Geo sieht unter anderem Fristen für gerichtliche Erledigungen vor. Danach sind (Meistbots‑)Verteilungsbeschlüsse (§ 229 EO) binnen acht Tagen nach Schluss der Verhandlung über die Verteilung des Meistbots der Geschäftsabteilung in Urschrift zu übergeben. Die Norm ergänzt damit § 49 Abs 1 Geo, der unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten der Richter und sonstigen Bediensteten des Gerichts“ regelt, dass die bei Gericht tätigen Personen die ihnen übertragenen Geschäfte dem Gesetz und den sonstigen Vorschriften gemäß nach bestem Wissen und Können mit tunlicher Raschheit auszuführen haben (vgl auch § 57 Abs 1 RStDG).

3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt ein Amtshaftungsanspruch wegen Verfahrensverzögerungen voraus, dass jene Normen, die von Gerichtsorganen eine rasch oder innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmende Erledigung fordern, den Zweck verfolgen, gerade auch den konkret eingetretenen Schaden zu verhindern (RIS‑Justiz RS0031143 [T5]; zuletzt 1 Ob 208/12p = JBl 2013, 183 mwN; 1 Ob 101/13d). Dazu wurde bereits ausgesprochen, dass die §§ 49 Abs 1 und 110 Abs 1 Geo Schutznormen zugunsten der beitreibenden Gläubiger gegen Vermögensnachteile sind, die ihnen aus einem nicht mit tunlicher Raschheit angeordneten Vollzugsauftrag erwachsen (1 Ob 10/96 = RdW 1997, 201). In der höchstgerichtlichen Judikatur (Nachweise bei Schragel in Fasching/Konecny ², § 180 ZPO Rz 23 sowie derselbe , AHG³ § 1 Rz 153) wurde auch anerkannt, dass in Verwaltungsverfahren aufgetretene Verzögerungen, insbesondere durch die Verletzung von Erledigungsfristen, Amtshaftungsansprüche begründen können. Der erkennende Senat hat daher erst jüngst (1 Ob 101/13d = RIS‑Justiz RS0129052) klargestellt, dass die Bestimmungen über eine rasche und fristgerechte Erledigung in einem Zivilprozess nicht nur den Interessen der Öffentlichkeit dienen, sondern auch jenen der rechtsschutzsuchenden Parteien. Für die Begrenzung der Amtshaftung nach dem Schutzzweck der Norm ist insbesondere zu prüfen, ob die übertretene Norm Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener (persönlicher Schutzbereich) normiert (vgl 1 Ob 20/93 = JBl 1994, 695; 1 Ob 247/98z = SZ 71/196 = JBl 1999, 325 [ Pfersmann ]; 1 Ob 313/01p = SZ 2002/128, je mwN; Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 1311 Rz 34). Maßgeblich ist zudem, vor welchen Schäden ein Schutzgesetz den Einzelnen bewahren soll (vgl allgemein zum persönlichen und sachlichen Schutzbereich: Karner in KBB³ § 1311 ABGB Rz 5; Schacherreiter aaO Rz 12 ff mwN).

4.1 Die Zwangsversteigerung von Liegenschaften ist ein gerichtlicher Verwertungsakt zur Befriedigung titelmäßig belegter Geldforderungen. Ziel ist die Gläubigerbefriedigung (6 Ob 601/82 = SZ 57/105). Grundsätzlich zutreffend haben die Vorinstanzen darauf verwiesen, dass das Exekutionsverfahren primär auf die Befriedigung titulierter Ansprüche der betreibenden Gläubiger abstellt. Mittel zu diesem Zweck ist die Verwertung des Eigentumsrechts des Schuldners an unbeweglichen Gütern durch Austausch dieses Eigentumsrechts an der Liegenschaft gegen das Meistbot des Erstehers (6 Ob 601/82 = SZ 57/105). In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Verzögerungsschaden aus der verspäteten Ausfertigung des Verteilungsbeschlusses und damit aus der Verzögerung bei der Verteilung des Meistbots ableitet.

4.2 Durch die Zuschlagserteilung verliert der Liegenschaftseigentümer sein Eigentum (RIS‑Justiz RS0002782 [T2]). Damit entsteht aber auch sein Anspruch auf die nach Berichtigung aller vorgehenden Ansprüche verbleibende Hyperocha nach § 217 Abs 2 EO (RIS-Justiz RS0003314; vgl auch RS0003308). Darüber hinaus wird durch den Zuschlag insbesondere die Verpflichtung des Erstehers begründet, das Meistbot bei Gericht zu erlegen (§ 152 EO). Mit Erlag des Meistbots wird ein öffentlich‑rechtliches Rechtsverhältnis begründet, kraft dessen das Gericht das Meistbot zwecks Verteilung an die Anspruchsberechtigten verwahrt ( Lecher in Burgstaller/Deixler‑Hübner , Exekutionsordnung § 236 EO Rz 1; vgl 3 Ob 75/80 = RIS‑Justiz RS0003344). Die auf das Meistbot Verwiesenen erhalten einen bedingten Anspruch auf ihren Zuweisungsbetrag, dessen Bestimmung und Auszahlung im Verteilungsverfahren durch das Exekutionsgericht vorgenommen wird (3 Ob 145/74 = SZ 47/95; RIS‑Justiz RS0003152).

4.3 Das Meistbot tritt an die Stelle der bisherigen Pfandsache und bleibt bis zur Ausfolgung Eigentum des Verpflichteten. Bis zur Ausfolgung an einen Pfandgläubiger ist der Versteigerungserlös einer durch das Gericht zwangsweise versteigerten Liegenschaft daher Eigentum des Verpflichteten. Mit dem Zuschlag ändert sich nur das Pfandobjekt der dem Pfandgläubiger verhafteten Sache. Die Ausfolgung der den Pfandgläubigern zugewiesenen Beträge gelten daher als Zahlungen des Verpflichteten ( Lecher aaO Rz 6).

5. Das Exekutionsgericht hat in seinem Verteilungsbeschluss die für den Erlös bezugsberechtigten Personen und die diesen auszufolgenden Beträge anzugeben (§ 236 Abs 1 EO) und übernimmt damit die Verteilung des Meistbots als Zahlung für den Verpflichteten (vgl Lecher aaO Rz 6). Jene Bestimmungen, die das Gericht dazu anhalten, den Versteigerungserlös zügig und ohne vermeidbare Verzögerung auszufolgen, erfassen damit nicht nur Interessen der betreibenden Gläubiger (vgl RIS‑Justiz RS0106350), sondern aller auf das Meistbot Verwiesenen, also auch die des Verpflichteten. Jede Verzögerung kann auch zu einem Nachteil des Verpflichteten führen, weil sich die Schuldtilgung verzögert. Ist das Meistbot nicht erschöpft, kann eine verspätete Zuweisung der Hyperocha an den Verpflichteten darüber hinaus zu einem Nachteil führen, wenn ihm etwa durch die verzögerte Dispositionsmöglichkeit Zinsen anfallen, die sonst nicht aufgelaufen wären. Insoweit hat das Exekutionsgericht als Verwahrer des Meistbots daher auch Interessen des Verpflichteten zu berücksichtigen. Vermögensschäden, die darauf zurückzuführen sind, dass das Exekutionsgericht die der zügigen Verfahrensführung und Einhaltung von Erledigungsfristen dienenden Bestimmungen der § 49 Abs 1, § 110 Abs 1 Geo verletzt, sind daher spätestens ab vollständigem Erlag des Meistbots durch den Ersteher bei Gericht (§ 152 Abs 1 EO) nicht mehr dem Risikobereich des Verpflichteten zuzurechnen. Die Bestimmung des § 110 Abs 1 Geo über eine rasche Ausfertigung des Verteilungsbeschlusses ist damit eine Schutzbestimmung auch zugunsten des Verpflichteten gegen Vermögensschäden, die ihm aus der nicht mit der gebotenen Raschheit durchgeführten Erledigung erwachsen. Die Vorinstanzen haben damit den Rechtswidrigkeitszusammenhang zu Unrecht verneint.

6. Zur 4‑Wochen‑Frist des § 415 ZPO für die Übergabe des Urteils zur Ausfertigung, die in § 110 Abs 1 Geo ebenfalls Erwähnung findet, wird vertreten, dass es sich um den im Durchschnitt einzuräumenden Zeitbedarf für die Abgabe der Urschrift des vorbehaltenen Urteils handelt. Im Einzelfall kann bei besonderer Komplexität der Materie auch eine längere Ausfertigungsdauer nicht zu beanstanden sein (vgl 1 Ob 349/98z = RIS‑Justiz RS0111566; M. Bydlinski in Fasching/Konecny² § 415 ZPO Rz 6). Diese Wertung kann auch für den vorliegenden Fall fruchtbar gemacht werden, sodass die Frist von acht Tagen, die dem Exekutionsrichter gemäß § 110 Abs 1 Geo für die Abgabe der Urschrift des Verteilungsbeschlusses an die Geschäftsabteilung zur Verfügung steht, für Erledigungen von durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad Geltung hat. Besondere Umstände, die eine Überschreitung dieser Frist erforderlich gemacht hätten oder auch nur vertretbar erscheinen ließen, wurden von der beklagten Partei nicht geltend gemacht und sind im Beweisverfahren auch nicht hervorgekommen. Damit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Verstoß gegen § 110 Abs 1 Geo vorliegt, weil der Exekutionsrichter den Verteilungsbeschluss entgegen dieser Bestimmung nicht innerhalb von acht Tagen nach der Meistbotsverteilungstagsatzung vom 23. 8. 2010 zur Ausfertigung an die Geschäftsabteilung übergeben hat.

7. Das Amtshaftungsrecht kennt keine eigene Definition des Schadensbegriffs, sodass hier die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts gelten (vgl RIS‑Justiz RS0050022 [T4]). Zweck des Schadenersatzes ist die Schaffung eines Ausgleichs für erlittene Einbußen, wobei der Schaden durch eine Differenzrechnung zu ermitteln ist (Schragel, AHG³ § 1 Rz 167). Dem von der Klägerin geltend gemachten Vermögensschaden liegt die Behauptung zugrunde, dass ihr bei zügiger Ausfertigung und raschem Vollzug des Verteilungsbeschlusses Debetzinsen und Bankspesen nicht angefallen wären. Dabei handelt es sich einerseits um Zinsen für die pfandrechtlich sichergestellten Forderungen. Mit der Hyperocha, so die Klägerin, wäre sie darüber hinaus in der Lage gewesen, ihre sonstigen Verbindlichkeiten früher zu begleichen. Die Klägerin macht damit einen Zinsenschaden geltend, der darin liegt, dass sie einen höheren Zinsaufwand zu tragen hatte, weil sie den ihr zugekommenen Kapitalsbetrag sonst früher zur Tilgung laufender Kredite verwendet und sich dadurch Zinsen erspart hätte (vgl RIS‑Justiz RS0080055 [T1; T5]).

8.1 Die Beklagte hat diesem Anspruch der Klägerin entgegengehalten, dass sie zur Hintanhaltung von Verfahrensverzögerungen keinen Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG erhoben und damit gegen die sie treffende Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen habe.

8.2 Nach § 2 Abs 2 AHG besteht ein Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel hätte abwenden können. Unter „Rechtsmitteln“ im Sinne des § 2 Abs 2 AHG sind prozessuale Rechtsbehelfe zur Abhilfe gegen gerichtliche oder sonstige behördliche Entscheidungen zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche (oder sonstige behördliche) Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0110188; RS0050080). Im Schrifttum werden auch Fristsetzungsanträge nach § 91 GOG zu den Rechtsmitteln im Sinn des § 2 Abs 2 AHG gezählt (vgl Schragel aaO Rz 153; Mader in Schwimann, Praxiskommentar³ § 2 AHG Rz 8).

8.3 Ist ein Gericht mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung, etwa der Anberaumung oder Durchführung einer Tagsatzung oder Verhandlung, der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Ausfertigung einer Entscheidung, säumig, so kann eine Partei nach § 91 Abs 1 GOG einen an den übergeordneten Gerichtshof gerichteten Antrag stellen, er möge dem (säumigen) Gericht für die Vornahme der Verfahrenshandlung eine angemessene Frist setzen. Außer im Fall des § 91 Abs 2 leg cit hat das Gericht diesen Antrag mit seiner Stellungnahme dem übergeordneten Gericht sofort vorzulegen. Nach § 91 Abs 2 GOG gilt der Antrag als zurückgezogen, wenn das Gericht alle im Antrag genannten Verfahrenshandlungen binnen vier Wochen nach dessen Einlangen durchführt und die Partei nicht binnen vierzehn Tagen nach Zustellung der Verständigung hierüber erklärt, ihren Antrag aufrechtzuerhalten.

8.4 Beim Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG handelt es sich damit um einen prozessualen Rechtsbehelf, über den der übergeordnete Gerichtshof zu entscheiden hat (vgl RIS‑Justiz RS0106887). Ähnlich wie der Devolutionsantrag nach § 73 Abs 1 AVG und die Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 132 B‑VG (idF vor der Verwaltungs-gerichtsbarkeits‑Novelle 2012; nunmehr Art 132 Abs 5 B‑VG) für den Bereich des Verwaltungsrechts stellt er einen Rechtsbehelf zur Abwehr von Nachteilen, die aus einem Verstoß gegen die Beschleunigungs‑ und Entscheidungspflicht eintreten könnten, dar. Der Fristsetzungsantrag gemäß § 91 Abs 1 GOG ist damit ein Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs 2 AHG.

9.1 Die Unterlassung eines Rechtsmittels durch den Geschädigten muss schuldhaft erfolgt sein. Ist dies der Fall, entfällt der Amtshaftungsanspruch nur insoweit, als das Rechtsmittel Abhilfe schaffen hätte können (RIS‑Justiz RS0027200).

9.2 Ein Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG setzt voraus, dass ein Gericht mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung säumig ist (RIS‑Justiz RS0059248), wobei für den Fristsetzungsantrag keine Frist vorgeschrieben ist. Zum insoweit durchaus vergleichbaren Fall der Säumnisbeschwerde ist anerkannt, dass der Geschädigte aus der Untätigkeit der Behörde zumindest in den ersten Monaten nach Verstreichen der Entscheidungsfrist nicht unbedingt schließen muss, dass die Behörde auch weiterhin untätig bleiben werde (1 Ob 13/91 = JBl 1992, 47). Der Geschädigte ist daher nicht dazu verhalten, unmittelbar nach Fristablauf mit dem entsprechenden Rechtsbehelf vorzugehen, um seine Ansprüche nicht zu verlieren. Dies gilt umso mehr, als mit der Erhebung eines solchen Rechtsbehelfs ebenfalls regelmäßig Verzögerungen verbunden sind, weswegen ein Zuwarten durchaus von der Hoffnung getragen sein kann, zwischenzeitig werde es zu einer Erledigung kommen. Diese Überlegungen gelten auch für den Anwendungsbereich des § 91 GOG (s Schragel aaO Rz 191), zumal § 91 GOG dem Entscheidungsträger neuerlich eine Frist zur Erledigung einräumt, bevor der Antrag der übergeordneten Stelle zur Entscheidung vorzulegen ist (vgl Angst in Angst² § 229 EO Rz 2).

9.3 Damit ergibt sich, dass nicht schon das Verstreichen der Frist des § 110 Abs 1 Geo die Klägerin, die im Versteigerungsverfahren nicht anwaltlich vertreten war, dazu veranlassen musste, eine Säumnis im Sinne des § 91 GOG anzunehmen und einen entsprechenden Antrag einzubringen. Auch ein Rechtsunkundiger ist verpflichtet, über ihm unverständliche Akte der Vollziehung Rat einzuholen, weswegen rechtliche Unerfahrenheit nicht ohne Weiteres entschuldigt (Schragel aaO Rz 192 mwN). Bei einer rechtsunkundigen Partei ist der Zeitraum, bevor sie darauf schließen muss, dass eine Untätigkeit des Gerichts vorliegt und von ihr verlangt werden kann, dass sie rechtskundigen Rat einholt, jedenfalls nicht kleinlich zu bemessen. Zumindest in den ersten Wochen nach Ablauf der der Frist des § 110 Abs 1 Geo mit Ende August 2010 kann es der Klägerin daher nicht als Verschulden angelastet werden, dass sie sich nicht nach der Möglichkeit eines Fristsetzungsantrags erkundigte und in weiterer Folge keinen entsprechenden Antrag erhob oder durch einen Vertreter einbringen ließ. Berücksichtigt man, dass dem Anspruch der Klägerin zugrunde liegt, dass sie auf die Hyperocha angewiesen war, um die Zinsenlast möglichst gering zu halten, kann der Umstand, dass sie unvertreten war, ihre Untätigkeit nicht über den gesamten Zeitraum der hier in Rede stehenden Säumnis entschuldigen. Selbst bei einer großzügigen Sichtweise wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin zur Wahrung ihrer Interessen spätestens fünf Wochen nach Abhaltung der Meistbotsverteilungstagsatzung, also in der letzten Septemberwoche rechtskundigen Rat einholt, sodass sie spätestens Anfang Oktober mit einem Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG gegen die Säumnis vorgehen hätte können. Zwar räumt § 91 Abs 2 GOG dem Entscheidungsträger eine Frist von vier Wochen ein, um die anstehende Prozesshandlung nachzuholen. Nach gewöhnlichem Lauf der Dinge kann aber davon ausgegangen werden, dass der Exekutionsrichter nach Einlangen eines Fristsetzungsantrags die Urschrift des Verteilungsbeschlusses längstens innerhalb der Frist des § 110 Abs 1 Geo von acht Tagen, also bis spätestens 11. 10. 2010, der Geschäftsabteilung zur Ausfertigung übergeben hätte.

10. Die Klägerin hat daher Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens für die Zeit von 1. 9. 2010 bis 10. 10. 2010, weil ihr für diese Zeit nicht als Verschulden angelastet werden kann, dass sie keinen Antrag gemäß § 91 GOG gestellt hat. Hingegen besteht nach § 2 Abs 2 AHG keine Ersatzpflicht für die darüber hinausgehende Zeit der Säumnis, weil ein Fristsetzungsantrag insoweit geeignet gewesen wäre, den daraus abgeleiteten Schaden zu verhindern. Das Erstgericht hat die Mehrbelastungen aufgeschlüsselt nach den einzelnen Konten der Klägerin ab 1. 7. 2010 festgestellt und dazu festgehalten, dass diese („aliquot“) unterblieben wären, wäre ihr die Hyperocha „früher“ ausgezahlt worden. Daraus lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für den der Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum tatsächlich entstandenen Schaden entnehmen. Aus diesem Grund erweist sich das Verfahren als noch nicht entscheidungsreif.

11. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und die Rechtssache ist an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

12. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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