OGH 1Ob193/14k

OGH1Ob193/14k22.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas B*****, vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Andrea N*****, vertreten durch Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH & Co KG, Gänserndorf, wegen 305.419,12 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Juli 2014, GZ 12 R 14/14p‑106, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 7. November 2013, GZ 2 Cg 174/06y‑100, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.564,10 EUR (darin 427,35 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger begehrte zuletzt von der Beklagten die Zahlung von 305.419,12 EUR sA.

Die Beklagte wandte gegen die Klagsforderung als Gegenforderung unter anderem einen Schadenersatzanspruch von 264.738,49 EUR aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 259.468,98 EUR zu Recht und die Gegenforderungen nicht zu Recht bestünden, und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger 259.468,98 EUR sA zu zahlen. Ein Mehrbegehren von 45.950,22 EUR und „das Zinsenmehrbegehren“ wies es ab. Das Vorbringen der Beklagten zur Gegenforderung von 264.738,49 EUR sei verspätet erstattet worden, aber auch letztlich unschlüssig geblieben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen die Klagsabweisung im Umfang von 36.000 EUR sA nicht Folge und bestätigte das erstinstanzliche Urteil insofern als Teilurteil. Die von der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils erhobene Berufung wegen Nichtigkeit verwarf das Berufungsgericht, gab ihr im Übrigen Folge und hob das Ersturteil in seinen Aussprüchen über das Zu‑Recht‑Bestehen von Klags‑ und Gegenforderung sowie in Ansehung eines Zuspruchs von 259.468,98 EUR sA auf. Es führte ‑ soweit für das Rekursverfahren von Relevanz ‑ rechtlich aus, eine nichtigkeitsbegründende Unüberprüfbarkeit des Ersturteils liege nicht vor. Der von der Beklagten als Gegenforderung eingewendete Schadenersatzanspruch von 264.738,49 EUR sei hinreichend konkretisiert und substantiiert. Die Gegenforderung sei auch nicht im Sinn des § 179 [richtig:] ZPO unstatthaft verspätet erhoben worden. Da das Erstgericht zu dieser Gegenforderung keine Feststellungen getroffen habe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Im Vorprozess der Parteien habe die nunmehrige Beklagte und dortige Klägerin ihre Stufenklage nach Art XLII Abs 3 EGZPO, die im Leistungsbegehren nicht bestimmt gewesen sei, unter Anspruchsverzicht zurückgezogen. Der Einwand des Klägers, der Gegenforderung der Beklagten stehe ein Prozesshindernis entgegen, weil sie die Stufenklage unter Anspruchsverzicht zurückgezogen habe, sei (aus näher dargelegten Gründen) nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gegen das Teilurteil nicht zu, erklärte aber den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss für zulässig. Zur Frage der Wirkung der unter Anspruchsverzicht erfolgten Zurückziehung einer im Leistungsbegehren noch unbestimmten Stufenklage auf die spätere Geltendmachung eines auf den gleichen Sachverhalt gestützten, nunmehr bestimmten Leistungsanspruchs als Gegenforderung bestehe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Begehren, den Beschluss dahin „abzuändern, dass der Berufung der Beklagten nicht Folge gegeben“ werde.

Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel des Klägers zurück‑ bzw abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

1. Die Beklagte hat die im Rekursverfahren strittige Gegenforderung mit Aufrechnungseinrede geltend gemacht. Auch für die Kompensationseinrede müssen grundsätzlich die positiven Prozessvoraussetzungen vorliegen und die negativen Prozessvoraussetzungen (rechtskräftig entschiedene Sache; Klagsrücknahme mit Anspruchsverzicht) fehlen (3 Ob 26/98i mwN). Die nunmehrige Beklagte hatte im Vorprozess die gegen den nunmehrigen Kläger erhobene Stufenklage, die ein unbestimmtes Zahlungsbegehren enthielt, unter Verzicht auf den Anspruch (§ 237 Abs 1 ZPO) zurückgenommen. Die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht beendet nicht nur das Verfahren über die zurückgenommene Klage und die Streitanhängigkeit, sondern schließt jede neuerliche Geltendmachung desselben Anspruchs aus denselben rechtserzeugenden Tatsachen aus; eine neuerliche Klage wäre daher ohne sachliche Prüfung als unzulässig zurückzuweisen (Einmaligkeitswirkung). Die Frage der Einmaligkeit ist im Folgeprozess ‑ als Nichtigkeitsgrund ‑ von Amts wegen zu prüfen; sie liegt jedoch nur bei Parteienidentität und identischem Begehren im Vorprozess, in dem die Klage unter Anspruchsverzicht zurückgenommen worden ist, und im Folgeprozess vor (6 Ob 166/08t = RIS‑Justiz RS0039761 [T1]; vgl Lovrek in Fasching/Konecny² § 237 ZPO Rz 31 mwN). Ist das der Fall, begründet die Zurücknahme der Klage unter Verzicht auf den Anspruch ein Prozesshindernis (§ 237 Abs 4 ZPO), sodass eine auf denselben Anspruch gegründete Aufrechnungseinrede als prozessual unzulässig zurückzuweisen wäre (3 Ob 26/98i mwN).

2. Das Erstgericht erachtete die eingewendete Gegenforderung von 264.738,49 EUR letztlich als unschlüssig und sprach aus, dass diese nicht zu Recht bestehe. Auf die Frage eines Prozesshindernisses ging es nicht ein. Das Berufungsgericht verneinte in den Entscheidungsgründen das Prozesshindernis der Zurücknahme der Klage unter Verzicht auf den Anspruch betreffend diese Aufrechnungseinrede, weil ihr im Gegensatz zum Zahlungsbegehren der Stufenklage ein hinreichend bestimmtes Begehren zugrunde liege (und damit kein identisches Begehren bestehe).

3. Der Kläger releviert ausschließlich, dass Identität zwischen den Ansprüchen der Stufenklage und der Kompensandoforderung bestehe. Die Zurücknahme der Stufenklage unter Anspruchsverzicht begründe ein Prozesshindernis, weshalb die Aufrechnungseinrede als prozessual unzulässig zurückzuweisen sei. Der endgültige Verzicht auf den Rechtsschutz werde schon von der „reinen“ Prozesshandlung der Klagsrücknahme bewirkt. Damit fehle es der Kompensandoforderung der Beklagten an der negativen Prozessvoraussetzung im Sinn des § 230 Abs 3 ZPO.

4. Beschlüsse, die das Berufungsgericht im Berufungsverfahren fasst, sind nur in den Fällen des § 519 Abs 1 Z 1 und 2 ZPO anfechtbar. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass der Beschluss, mit dem das Berufungsgericht die Zurückweisung einer Aufrechnungseinrede aufgehoben und dem Erstgericht die Sachentscheidung „unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund“ aufgetragen hat, nicht zu diesen Beschlüssen gehört. Ist nämlich die Verwerfung einer Berufung, soweit diese Nichtigkeit wegen eines Prozesshindernisses geltend macht, nicht anfechtbar, wäre es ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch, die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der es im Gegensatz zum Erstgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs für die Aufrechnungseinrede bejaht und dem Erstgericht die Fortsetzung aufträgt, für anfechtbar anzusehen (10 Ob 225/02i; zustimmend Zechner in Fasching/Konecny² § 519 ZPO Rz 100).

5. Die Einmaligkeitswirkung eines im Vorprozess erklärten Verzichts auf den Anspruch entspricht jener der materiellen Rechtskraft (RIS‑Justiz RS0039802). Sie ist ‑ wie dargelegt ‑ als Nichtigkeitsgrund von Amts wegen zu prüfen. Die Entscheidung über ein vorher unter Anspruchsverzicht zurückgezogenes Klagebegehren ist einer der in § 477 ZPO angeführten Nichtigkeiten gleichzusetzen (Lovrek aaO mwN).

Wenn nun im vorliegenden Fall das Berufungsgericht nach einer Parteirüge oder von Amts wegen ‑ sei es mit förmlichem Beschluss oder bloß in den Urteilsgründen, der Sache nach jedoch gleichfalls beschlussmäßig ‑ aussprach, dass ein Nichtigkeitsgrund nicht verwirklicht wurde, kann dies in dritter Instanz nicht mehr überprüft werden. Dabei handelt es sich inhaltlich um einen Beschluss gemäß § 519 Abs 1 ZPO, der nach herrschender Meinung absolut unanfechtbar ist, weil er unter keine der in dieser Gesetzesstelle geregelten Ausnahmen fällt. Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn sich die erste Instanz zur Nichtigkeitsfrage nicht äußerte, jedoch das Berufungsgericht das Vorliegen einer erstgerichtlichen Nichtigkeit ausdrücklich verneinte (Zechner aaO § 503 ZPO Rz 69, § 519 ZPO Rz 49 und 51 mwN; 6 Ob 599/81 = SZ 54/190; RIS‑Justiz RS0043405 [T21, T37, T47, T48, T49]; RS0043823; Kodek in Rechberger 4 § 519 ZPO Rz 2; vgl RS0039226). Da die Verneinung einer Nichtigkeit erster Instanz durch das Berufungsgericht absolut unanfechtbar ist, darf auch ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zu deren Nachprüfung nicht zugelassen werden. Ein dennoch zugelassenes und erhobenes Rechtsmittel ist als absolut unzulässig zurückzuweisen (Zechner aaO § 503 ZPO Rz 70; wirkungsloser „Rechtskraftvorbehalt“; 6 Ob 599/81 = SZ 54/190 = RIS‑Justiz RS0043405 [T26]).

6. Das Berufungsgericht hat ‑ anders als das Erstgericht, das die Aufrechnungseinrede letztlich als unschlüssig ansah ‑ ausdrücklich das Prozesshindernis der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht für die eingewendete Gegenforderung verneint. Damit verneinte es eine Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz. Der Kläger releviert im Rekurs nur, dass dennoch ein Prozesshindernis vorliege und damit eine negative Prozessvoraussetzung für die Aufrechnungseinrede bestehe, sodass diese als prozessual unzulässig zurückzuweisen sei. Wie bereits in einem ähnlichen Fall (10 Ob 225/02i) dargelegt wurde, bestünde zu der in Punkt 5. zitierten Judikatur ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch, sähe man die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der es das Prozesshindernis der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht für die Aufrechnungseinrede verneint und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufträgt, dennoch für anfechtbar im Sinn des § 519 Abs 1 ZPO an. Hätte die Beklagte die eingewendete Gegenforderung eigenständig mit Klage geltend gemacht und das Berufungsgericht ausdrücklich das Prozesshindernis der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht und damit eine erstinstanzliche Nichtigkeit verneint, wäre dieser Beschluss nach § 519 Abs 1 ZPO nicht anfechtbar. Nichts anderes kann gelten, wenn das Berufungsgericht über die Aufrechnungseinrede entscheidet. Der vom Kläger erhobene Rekurs, in dem er weiterhin das Bestehen dieses Prozesshindernisses behauptet und damit eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, über die Gegenforderung inhaltlich entschieden zu haben, geltend macht, ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Rekursbeantwortung der Beklagten enthält begründete Ausführungen zur mangelnden Zulässigkeit des Rekurses, weshalb sie Anspruch auf Kostenersatz hat (RIS‑Justiz RS0123222; RS0035976 [T2]).

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