OGH 1Ob172/23k

OGH1Ob172/23k20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Ecker-Kaufmann & Filzmaier, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 12. Juli 2023, GZ 6 R 101/23a‑18, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 30. Mai 2023, GZ 206 Cg 272/23f-11, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Juni 2023, GZ 206 C 272/23f‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00172.23K.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die zuständige Bezirkshauptmannschaft nahm dem Kläger acht (von insgesamt zwölf) der von ihm gehaltenen Schlittenhunde ab und brachte sie bei dem beklagten Tierschutzverein unter.

[2] DerKläger begehrt, dem Beklagten zu untersagen, die Hunde zur Weitergabe anzubieten und weiterzugeben. Er habe gegen die zwangsweise Abnahme der Hunde Beschwerde erhoben und unter einem deren Rückausfolgung beantragt; das Beschwerdeverfahren beim Landesverwaltungsgericht sei noch anhängig. Der Antrag auf Rückausfolgung sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft abgewiesen worden; auch dagegen habe er Beschwerde erhoben. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sei er mangels Eintritts des gesetzlichen Verfalls nach wie vor Eigentümer aller Hunde. Der Beklagte biete die Hunde – trotz Unterlassungsaufforderung – beispielsweise auf seiner Homepage (unentgeltlich) zur Weitergabe an und greife damit unzulässig in das Eigentumsrecht des Klägers ein. Der zwischen dem Beklagten und der Bezirkshauptmannschaft geschlossene privatrechtliche Verwahrvertrag berechtige lediglich zur Verwahrung, nicht aber zur Weitergabe der Hunde. Soweit der Beklagte die Hunde zur Weitergabe anbiete, agiere er eigenmächtig und nicht mehr als Verwahrer, sodass der ordentliche Rechtsweg zulässig sei. Die Anweisung, die Tiere zu vergeben, sei keine hoheitliche Anweisung, sondern erfolge im Rahmen des Verwahrvertrags, der ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers sei. Bei einem solchen Vertrag bestehe auch im Anwendungsbereich des AHG eine unmittelbare Haftung des beliehenen Organs.

[3] Der Beklagte bestritt und wandte insbesondere die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück.

[5] Das Rekursgerichtbestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es auch das der angefochtenen Entscheidung vorangehende Verfahren für nichtig erklärte. Die zwangsweise Abnahme der Hunde, deren anschließende Verwahrung und das Anbieten zur Weitergabe durch den hierfür von der Behörde beauftragten Beklagten seien in Vollziehung des Tierschutzgesetzes (TSchG) erfolgt. Nur durch die Gesamtheit der behördlichen Maßnahmen (Abnahme, Verwahrung und Besorgung der Unterbringung nach Verfall des Tieres) könne das öffentliche Interesse im Sinn des § 1 TSchG sichergestellt werden. Der Beklagte sei eine juristische Person des Privatrechts, dem die Besorgung hoheitlicher Aufgaben – wenn auch im Rahmen eines Privatrechtsverhältnisses – von der Bezirkshauptmannschaft zu deren Entlastung/Unterstützung übertragen worden sei. Vor diesem Hintergrund könne es nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte, der nach § 30 Abs 4 TSchG allen Anweisungen der Behörde Folge zu leisten und auch die Entscheidung der Behörde über die weitere pflegliche (tierschutzkonforme) Unterbringung eines verfallenen Tieres nach § 40 Abs 2 TSchG zu befolgen habe und dadurch am Vollzug mitwirke, als zur Vollziehung hoheitlicher Aufgaben – hier amtliche Verwahrung im Sinn des § 30 Abs 1 TSchG und pflegliche Unterbringung im Sinn des § 40 Abs 2 TSchG – in Pflicht genommen anzusehen sei, sodass er auch beim Anbieten der Tiere zur Weitergabe funktionell als Organ der für den Tierschutz zuständigen Behörde tätig (gewesen) sei. An dieser Organstellung würde auch eine vom Kläger behauptete Eigenmacht des Beklagten bei der Weitergabe der Hunde nichts ändern. Schließlich gehe auch die Berufung des Klägers auf einen Vertrag mit Schutzwirkung zu seinen Gunsten ins Leere.

[6] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das Anbot zur Weitergabe und die Weitergabe zwangsweise abgenommener Tiere eines von einer Behörde nach § 30 Abs 2 TSchG zur Verwahrung beauftragten Privatrechtssubjekts während der amtlichen Verwahrung als Handlungen in Erfüllung einer hoheitlichen Verpflichtung anzusehen seien.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs des Klägers ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

[8] 1. Für Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in Pflicht genommen oder beliehen wurden, ist – ebenso wie für Klagen gegen physische Personen als Organe – gemäß § 9 Abs 5 AHG der Rechtsweg unzulässig (RS0124590). Besorgt eine Person hoheitliche Aufgaben, ist sie Organ, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt, gewählt, ernannt oder sonst wie herangezogen wurde und ob deren Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist (RS0087679). Private handeln auch dann als Organe, wenn sie keine Hoheitsakte zu setzen haben, sondern ihre Tätigkeit in der unterstützenden Mitwirkung bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben und Zielsetzungen besteht und sie in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden werden, um andere Organe bei deren Besorgung zu unterstützen (RS0104351). Entscheidend für das Vorliegen einer Tätigkeit im Sinn des § 1 Abs 1 AHG ist, dass eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist; dann sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RS0049948; RS0049897).

[9] 2. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist von den Klagebehauptungen auszugehen (RS0045718). Maßgebend ist nicht eine entsprechende Rechtsbehauptung der klagenden Partei, sondern der geltend gemachte und allein durch das Gericht zu beurteilende Streitgegenstand. Es ist zu prüfen, ob die klagende Partei die beklagte Partei inhaltlich aus einem Hoheitsakt in Anspruch nimmt (RS0050139 [T2, T5]). Der Rechtsweg ist auch ausgeschlossen, wenn zwar ein privatrechtlicher Eingriff behauptet wird, das Begehren auf Unterlassung aber zeigt, dass in Wahrheit der beklagten Partei hoheitliches Handeln untersagt werden soll (RS0010522).

[10] 3. Ausgehend von dieser Rechtsprechung haben die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtswegs gegen den Beklagten zutreffend verneint:

[11] 3.1. Nach § 37 Abs 3 TSchG gilt für abgenommene Tiere § 30 TSchG. Diese Bestimmung regelt das rechtliche Schicksal von Tieren, die sich nicht mehr in ihrem ursprünglichen Obhutsverhältnis befinden, etwa weil sie dem Tierhalter – wie hier – durch behördlichen Akt entzogen wurden. Der objektive Schutzzweck der Norm besteht darin, die tierschutzrechtskonforme Unterbringung und Betreuung dieser Tiere sicherzustellen (Binder, Das österreichische Tierschutzrecht4 § 30 TSchG 131; vgl auch RV 446 BlgNR 22. GP  26: „Aufgabe der gesetzeskonformen Unterbringung und Betreuung“).

[12] Der Kläger bezweifelt nicht, dass die zwangsweise Abnahme der Hunde nach § 37 TSchG und die Verweigerung von deren Herausgabe nach § 37 Abs 3 iVm § 30 TSchG durch die Bezirkshauptmannschaft Akte der Hoheitsverwaltung sind und demgemäß über eine allfällige Herausgabeklage gegen den Rechtsträger nach Art 137 B-VG der VfGH zu erkennen hätte (vgl 8 Ob 530/93). Er meint allerdings, die Verwahrung der Hunde und/oder deren Weitergabe seien der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.

[13] 3.2. Die Abnahme der Tiere begründet eine behördliche Gewahrsame („amtliche Verwahrung“; Herbrüggen/Wessely, Österreichisches Tierschutzrecht I [2020] § 37 Anm 7).

[14] Nach § 37 Abs 3 iVm § 30 TSchG ist die Behörde, wie ausgeführt, zur Sicherstellung einer dem TSchG entsprechenden Verwahrung der abgenommenen Tiere verpflichtet. Dies erfolgt gemäß § 30 Abs 1 TSchG – soweit eine Übergabe an den Halter nicht in Betracht kommt – durch Übergabe der Tiere an geeignete Personen, Institutionen und Vereinigungen („Verwahrer“). Auch in diesem Fall („im Sinne des Abs 1“) befinden sich die Tiere „in der Obhut der Behörde“ (§ 30 Abs 3 TSchG). Bereits das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass gemäß § 30 Abs 4 TSchG einVerwahrer von Tieren im Sinn des Abs 1 den Vollzugsorganen jederzeitigen Zutritt zu den Tierhaltungseinrichtungen und jederzeitige Kontrolle des Gesundheitszustands des Tieres zu gewähren und allen Anweisungen der Behörde Folge zu leisten hat. Nach § 30 Abs 8 TSchG bedarf die Ausfolgung von Tieren im Sinn des Abs 1 an Personen, die ein Eigentumsrecht an diesen Tieren geltend machen, der Zustimmung der Behörde.

[15] Die Bezirkshauptmannschaft hat die Hunde hier dem Beklagten nach § 30 Abs 1 TSchG, wenn auch im Rahmen eines Privatrechtsverhältnisses (8 Ob 530/93; 7 Ob 245/08t), in Verwahrung gegeben. Der Beklagte ist daher als Verwahrer der durch eine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt abgenommenen Hunde im Sinn des § 30 Abs 1 TSchG in die Besorgung hoheitlicher Aufgaben, konkret die „amtliche Verwahrung“ der Tiere (vgl § 30 Abs 5 TSchG), eingebunden und daher für deren Dauer Organ, mag ihm auch selbst keine eigenständige Entscheidungsbefugnis zukommen (vgl Herbrüggen/Wessely, Österreichisches Tierschutzrecht I [2020] § 30 Anm 9: „Verwaltungshelfer“). Die Behauptung des Klägers, bei der Unterbringung fehle es (im Unterschied zur Abnahme und einer allfälligen Verfallserklärung) an Imperium, übersieht, dass damit der durch die zwangsweise Abnahme der Hunde begründete Zustand – die behördliche Gewahrsame – bis zur Rückführung oder den Verfall der Tiere aufrecht erhalten wird.

[16] 3.3. Das Rekursgericht ist daher richtig davon ausgegangen, dass die amtliche Verwahrung nach § 30 iVm § 37 Abs 3 TSchG der Hoheitsverwaltung zuzuordnen ist. Die Weitergabe bzw das Anbot zur Weitergabe steht wiederum in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwahrung und den – die amtliche Verwahrung beendenden – Akten der Rückstellung nach § 37 Abs 3 TSchG bzw des (rechtskräftigen) Verfalls nach § 37 Abs 3 iVm § 40 TSchG.

[17] Daran ändert auch die Behauptung des Klägers nichts, dem Beklagten sei „Eigenmacht“ anzulasten: Schon das Rekursgericht hat die Rechtsprechung zitiert, wonachin der Regel ein hinreichend enger Zusammenhang selbst dann vorliegt, wenn das Organ ungeachtet seiner fehlenden Zuständigkeit tätig wird oder seinen Befugniskreis überschreitet (RS0103735; RS0049948 [T21, T23, T33]). Damit setzt sich der Kläger nicht weiter auseinander.

[18] 3.4. Die hier zu beurteilende Verwahrung ist von jener im Exekutionsrecht zu unterscheiden:

[19] Ein nach den Vorschriften der Exekutionsordnung bestellter Verwahrer, der Sequester im Sinn des § 968 ABGB und kein Organ ist und daher persönlich für den durch Vernachlässigung seiner pflichtgemäßen Obsorge verursachten Schaden haftet (RS0003712), ist mit einem „Verwahrer“ im Sinn des § 30 Abs 1 TSchG nicht vergleichbar. Der Rechtsprechung zu § 259 Abs 3 EO bzw § 349 Abs 2 EO liegt zugrunde, dass dem hoheitlich bestellten Sequester keine Funktionen übertragen werden, in deren Ausübung er als Organ des Rechtsträgers Bund hoheitlich handelte (1 Ob 9/84). Vielmehr wird die Verwahrung aufgrund eines fingierten Vertragsverhältnisses – in der Fahrnisexekution mit dem betreibenden Gläubiger und in der Räumungsexekution mit dem Verpflichteten – vorgenommen, aus dem sich die persönlichen Pflichten des Verwahrers ableiten (4 Ob 157/13m). Im Gegensatz dazu besteht ein Vertrag hier (nur) zwischen der Behörde und dem beklagten Verein, mit dem letzterer in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden wird, die – wie ausgeführt – die tierschutzgerechte Unterbringung und Betreuung der Tiere gegebenenfalls auch gegen den Willen des Tierhalters zum Ziel haben.

[20] 4. Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf einenVertrag mit Schutzwirkung zu seinen Gunsten stützen, um die begehrte Unterlassung zu erwirken. Der Auffassung des Rekursgerichts, er versuche mit der Unterlassungsklage gegen den in Pflicht genommenen Beklagten in Wahrheit auf das hoheitliche Handeln der Behörde anlässlich der Verwahrung der Hunde Einfluss zu nehmen (vgl RS0010522), nämlich die (die behördliche Obhut beendende) Weitergabe der Hunde zu unterbinden, hält er nichts Substantielles entgegen. Sein Hinweis, dass ein Schadenersatz- und ein Unterlassungsanspruch nicht deckungsgleich seien, geht am Thema vorbei. Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass jedenfalls der die Organstellung des Schädigers erst begründende Vertrag (hier: Verwahrvertrag zwischen der Behörde und dem Beklagten) nicht dessen persönliche Inanspruchnahme zu rechtfertigen vermag. Der Geschädigte kann sich auch nicht darauf berufen, von den Schutzwirkungen dieses Vertrags umfasst zu sein (1 Ob 296/03s = RS0119445).

[21] 5. Dem Rekurs des Klägers war daher nicht Folge zu geben.

[22] Die diese Entscheidung tragende Erwägung ist wie folgt zusammenzufassen:

Der Verwahrer abgenommener Tiere im Sinn des § 30 Abs 1 TSchG handelt in Vollziehung der Gesetze, auch wenn die Verwahrung auf einem zwischen ihm und der Behörde geschlossenenVerwahrungsvertrag beruht.

 

[23] 6. Die Revisionsrekursbeantwortung des Beklagten ist als verspätet zurückzuweisen. Der Freistellungsbeschluss des Rekursgerichts wurde dem Beklagten am 2. 10. 2023 zugestellt. Die Revisionsrekursbeantwortung wurde entgegen dem im Revisionsrekursverfahren sinngemäß anzuwendenden (§ 528 Abs 2a und Abs 3 ZPO) § 507a Abs 3 Z 1 ZPO nicht beim Rekursgericht, sondern (am 16. 10. 2023) beim Erstgericht eingebracht. Entscheidend für die Einhaltung der 14-tägigen Revisionsrekursbeantwortungsfrist (§ 521a Abs 1 iVm Abs 2 ZPO), die in diesem Fall am 16. 10. 2023 endete, war aber das Einlangen beim Rekursgericht (vgl RS0043678) am 18. 10. 2023.

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