European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00157.14S.1127.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Die W***** Gesellschaft m.b.H. errichtete in der Gemeinde R***** eine Sprungschanzenanlage. Über Antrag des Tourismusverbands ***** auf dauerhafte und lastenfreie Enteigung der für den Fortbestand dieser Sprungschanzenanlagen erforderlichen Grundstücksflächen zugunsten der W***** Gesellschaft m.b.H. wurden mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung, vom 7. 8. 2012 zwei Grundstücke der Gemeinde R***** zu Gunsten der Antragsgegnerin enteignet und ausgesprochen, dass alle im Privatrecht begründeten dinglichen und obligatorischen Rechte an diesen Grundstücken erlöschen. Der Antragstellerin, die Pächterin jener Parzellen war, wurde keine Enteignungsentschädigung zuerkannt. Sie stellte daraufhin beim Landesgericht Innsbruck zu 60 Nc 95/12p den Antrag, den Tourismusverband ***** gemäß § 42 Abs 4 des Tiroler Tourismusgesetzes iVm § 74 Abs 1 Tiroler Straßengesetz schuldig zu erkennen, ihr eine angemessene Vergütung von 200.000 EUR zu leisten.
Mit dem hier zu behandelnden Wiedereinsetzungsantrag begehrt sie, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 21 AußStrG iVm § 146 ZPO in die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrags auf Neufestsetzung der Vergütung gegen die nunmehrige Antragsgegnerin zu bewilligen.
Sie brachte dazu vor, im Verfahren gegen den Tourismusverband (60 Nc 95/12p des Landesgerichts Innsbruck) habe der dortige Richter für sie überraschend mitgeteilt, nicht der Tourismusverband, sondern die W***** Gesellschaft m.b.H. sei Enteigner. Sollte sich diese Rechtsansicht als richtig erweisen, könne ihr bzw ihrem Rechtsvertreter im Hinblick auf die Klärung der Frage, wer „Enteigner“ im Sinne der anzuwendenen Bestimmungen sei, nur ein minderer Grad des Versehens gemäß § 146 ZPO zur Last fallen. Zum einen liege hinsichtlich dieser Rechtsfrage keine Judikatur vor, zum anderen finde die Rechtsansicht der Antragstellerin, wonach der Tourismusverband „Enteigner“ sei in § 42 Tourismusgesetz eine ausdrückliche und nachvollziehbare Grundlage. Ihre Überlegungen dazu habe die Antragsstellerin im Rekurs im dortigen Verfahren ausführlich dargelegt.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab, weil rechtskundige Parteienvertreter dem Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB unterlägen, weshalb sie ungeachtet des Umstands, ob Vorjudikatur vorliege oder nicht, eine allfällige Fehlbeurteilung mit allen Konsequenzen zu tragen hätten.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und führte aus, ein materiell-rechtlicher Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die Passivlegitimation könne von vornherein nicht zur Bewilligung der Wiedereinsetzung führen, weil kein Ereignis iSd § 146 Abs 1 ZPO vorliege.
Der außerordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin in der vorliegenden Konstellation keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen sei.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 42 Abs 4 Tiroler Tourismusgesetz 2006 iVm § 74 Tiroler Straßengesetz idF LGBl 2006/35 iVm § 24 Abs 1 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz idF BGBl I 2003/112 sind auf das Verfahren die Allgemeinen Bestimmungen des AußStrG anzuwenden. Ist in einem Gesetz für die Entscheidung über einen Anspruch die sukzessive Kompetenz von Verwaltungsbehörden und Gericht vorgesehen, so ist die für die Anrufung des Gerichts bestimmte Frist ‑ sofern sich aus diesem Gesetz nichts Gegenteiliges ergibt ‑ eine verfahrensrechtliche Frist. Gegen deren Versäumung kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (RIS‑Justiz RS0106183).
Die Anfechtung der Bestätigung der Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags (§ 21 AußStrG) ist im Außerstreitverfahren nicht jedenfalls ausgeschlossen, sondern zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG vorliegen (RIS‑Justiz RS0121841).
2. Die Revisionsrekurswerberin releviert einen Rechtsirrtum bei der Ermittlung der Antragsgegnerin. Ihr bzw ihrem Rechtsvertreter könne bei der Auslegung der Bestimmungen ein Fehler unterlaufen sein, wiewohl sie nach wie vor der Ansicht sei, der Tourismusverband sei passiv legitimiert, was sie auch im Rechtsmittel im Verfahren gegen diesen dargelegt habe.
3. Unter Berufung auf Fink (Wiedereinsetzung 85 ff) hat der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertreten, auch ein Rechtsirrtum bzw die Unkenntnis einer Rechtsvorschrift könne einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn dem Wiedereinsetzungswerber an der Unkenntnis des Gesetzes keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei (RIS‑Justiz RS0101980).
Den zu diesem Rechtssatz aufgelisteten Entscheidungen liegen Sachverhalte zu Grunde, bei denen sich die Rechtsirrtümer auf Verfahrensvorschriften bezogen (Irrtum über die Frist zur Einbringung einer Kündigungsanfechtung: 8 ObA 2045/96k; Irrtum über den Beginn der Frist für eine Wiederaufnahmsklage auch schon mit Zustellung eines Gutachtens: 10 ObS 371/01h; Irrtum dafür, bei welchem Gericht ein Schriftsatz einzubringen ist: 3 Ob 175/03m, 214/03x = SZ 2004/43).
4. Ob die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht, ein materiell-rechtlicher Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die Passivlegitimation könne von vornherein nicht zur Bewilligung der Wiedereinsetzung führen, weil kein Ereignis iSd § 146 Abs 1 ZPO vorliege, richtig ist, bedarf aber ausgehend vom fehlenden Bescheinigungsanbot im Wiedereinsetzungsantrag keiner Klärung.
5. Im vorliegenden Antrag legt die Antragstellerin nicht dar, welche Überlegungen dazu geführt haben, dass sie den Tourismusverband für den Enteigner hielt. Sie verweist dazu bloß auf ihren Rekurs im Verfahren 60 Nc 95/12p des Landesgerichts Innsbruck und § 42 Tiroler Tourismusgesetz iVm § 65 Abs 1 Tiroler Straßengesetz, ohne ihre inneren Schlussfolgerungen ‑ ihren Irrtum ‑ näher zu erklären. Ein Hinweis auf Ausführungen in einem Schriftsatz eines anderen Verfahrens kann die eigenständige Erörterung im Antrag nicht ersetzen und hat somit unbeachtet zu bleiben (vgl RIS‑Justiz RS0043616; RS0007029).
Selbst wenn man die Angaben der Antragstellerin als ausreichend erachtete, unterließ sie ‑ mit Ausnahme des unzulässigen Pauschalverweises auf den Akt 60 Nc 95/12p des Landesgerichts Innsbruck (vgl dazu RIS‑Justiz RS0039953; wobei es selbst bei Beischaffung des Akts nicht zu den Aufgaben des Gerichts gehört, die wesentlichen Teile herauszufiltern [Kodek in Fasching/Konecny², § 301 ZPO Rz 11]) ‑ das Anbot einer Bescheinigung der von ihr dargelegten Umstände.
6. Im Wiedereinsetzungsverfahren gilt nach hM die Eventualmaxime. Der Wiedereinsetzungsantrag hat alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände und die Mittel zu ihrer Bescheinigung zu enthalten (§ 149 Abs 1 ZPO; OLG Wien EvBl 1935/562; EvBl 1946/215; 8 ObA 31/01v; Gitschthaler in Rechberger 4, §§ 148‑149 ZPO Rz 2; Dolinar/Holzhammer, Zivilprozeßrecht9 97; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 670; Ballon, Zivilprozessrecht12 Rz 302; Liebhart/Herzog, Das Fristenhandbuch [2007] Rz 502; dieselben, Fristsäumnis [2013] Rz 61; Noll, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, AnwBl 1992/275, [280]; Nimmerrichter, Die Zustellung von Klagen seit dem BudgetbegleitG 2009, Zak 2010/595; aA Fasching, ZPG II 742; derselbe,Lehrbuch² Rz 583; Deixler‑Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 149 ZPO Rz 2; Fink, Wiedereinsetzung 123 f). Fehlendes kann nicht nachgetragen werden; die Unterlassung der Angabe von Bescheinigungsmitteln ist nicht verbesserbar (2 Ob 272/06y; Ballon, Zivilprozessrecht12 Rz 302; Dolinar/Holzhammer, Zivilprozeßrecht9 97; Gitschthaler in Rechberger 4, §§ 148‑149 ZPO Rz 2; Hiesel, Die Wiedereinsetzungspraxis des Verfassungsgerichtshofes AnwBl 1998, 25 [27] unter Verweis auf die Judikate des VfGH; aA Deixler‑Hübner in Fasching/Konecny², II/2 § 149 Rz 5; Fink, Wiedereinsetzung 126). Fehlt aber das Anbot der Glaubhaftmachung des Rechtsirrtums, den sie nach wie vor bestreitet, als Wiedereinsetzungsgrund, kann dem Wiedereinsetzungsantrag kein Erfolg beschieden sein.
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