OGH 1Ob125/24z

OGH1Ob125/24z24.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin E* GmbH, *, gegen die Erlagsgegner 1. M*, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, und 2. N* GmbH *, wegen Erlags von 490.000 EUR, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Ersterlagsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Mai 2024, GZ 48 R 61/24m‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00125.24Z.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht nahm nach § 1425 ABGB einen offenen Treuhandbetrag von 490.000 EUR aufgrund des Vorbringens der Erlegerin an, sie vermöge als Treuhänderin bei einer mehrseitigen Treuhand aus einem Liegenschaftskaufvertrag nicht zu klären, ob der am Treuhandkonto erliegende Kaufpreis an den Käufer (Ersterlagsgegner) oder die Verkäuferin (Zweiterlagsgegnerin) schuldbefreiend auszuzahlen sei.

[2] Das Rekursgericht gab dem nur vom Ersterlagsgegner erhobenen Rekurs gegen den Annahmebeschluss nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der außerordentliche Revisionrekurs des Ersterlagsgegners ist nicht zulässig.

[4] 1. Der Rechtsmittelwerber meint, die angefochtene Entscheidung vom 28. 5. 2024 sei „nichtig“, weil über das Vermögen der Zweiterlagsgegnerin mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. 5. 2024 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Damit sei das Verfahren nach § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG iVm § 8a IO ex lege unterbrochen.

[5] 1.1. Das Erlagsgericht hat nur zu prüfen, ob ein Grund wie der angegebene zur Hinterlegung iSd § 1425 ABGB an sich taugt, also eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (RS0112198). Einer von mehreren Erlagsgegnern kann im Erlagsverfahren selbst wirksam nur geltend machen, dass das tatsächlich erstattete – und nicht das richtigerweise zu erstatten gewesene – Vorbringen des Erlegers über ein mit dem eigenen Ausfolgeanspruch konkurrierendes Recht unschlüssig sei (RS0116213). Die Klärung der Frage, ob der Erlag berechtigt war, kann letztlich nur im Prozess erfolgen (RS0106153).

[6] Nach der Rechtsprechung ist die Rechtsmittellegitimation und Beschwer des Erlagsgegners zu bejahen, wenn der Erlag zugunsten mehrerer Erlagsgegner erfolgt (RS0110882). Hingegen wird die materielle Rechtsstellung eines Erlagsgegners nicht beeinträchtigt, wenn die Annahme des Erlags abgelehnt wird (RS0110882 [T7]). Aus diesem Grund ist einem weiteren Erlagsgegner nicht zuzubilligen, einem auf Abweisung des Erlagsantrags gerichteten Rechtsmittel eines anderen Erlagsgegners mit einer Rechtsmittelbeantwortung entgegenzutreten (1 Ob 145/14a).

[7] 1.2. Im vorliegenden Fall hat nur der Ersterlagsgegner von seiner Rechtsmittelmöglichkeit Gebrauch gemacht; über dessen Rekurs hat das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss entschieden. Die Zweiterlagsgegnerin dagegen hat den erstinstanzlichen Annahmebeschluss unangefochten gelassen. Die Insolvenz über ihr Vermögen wurde erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eröffnet. Damit ist der Annahmebeschluss ihr gegenüber gemäß § 42 AußStrG formell rechtskräftig geworden.

[8] Nach der oben dargestellten Rechtslage war keine Rekursbeantwortung der Zweiterlagsgegnerin einzuholen, und sie wäre durch eine abändernde oder aufhebende Entscheidung nicht beschwert gewesen. Unter diesen Umständen ist kein Grund ersichtlich, weshalb das im Rechtsmittelstadium nur mehr zwischen der Erlegerin und der Ersterlagsgegnerin geführte Erlagsverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Zweiterlagsgegnerin unterbrochen worden wäre. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt insofern nicht vor.

[9] 2. Im Übrigen wendet sich der Ersterlagsgegner gegen die Annahme der Vorinstanzen, der Erlagsantrag sei schlüssig.

[10] 2.1. Bei der Beurteilung der Schlüssigkeit des Vorbringens des Erlegers zu den Hinterlegungsvoraussetzungen (RS0112198 [T2, T3, T19]; RS0033495 [T2]), insbesondere zu Hinterlegungsgrund und -zweck, sind immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen (RS0112198 [T21]).

[11] 2.2. Der Treuhänder kann bei Auftreten eines Konflikts zwischen seinen Treugebern und unklarer Sach- oder Rechtslage zur gerichtlichen Hinterlegung des Treuguts gemäß § 1425 ABGB „schreiten“; dies vor allem dann, wenn unklar ist, ob die Ausfolgungsbedingungen erfüllt sind (RS0010415 [T13]; RS0010472 [T14]).

[12] Das Rekursgericht hat aufgrund der (von der Erlegerin behaupteten) widersprüchlichen Erklärungen der Treugeber, einerseits des Ersterlagsgegners, den gesamten Kaufpreis wegen Mängel des Kaufgegenstands zurückzuhalten, andererseits der Zweiterlagsgegnerin, nicht auf die Auszahlung zu verzichten und die Wohnungen zwischenzeitig ordnungsgemäß fertiggestellt zu haben, unklare Verhältnisse angenommen.

[13] Darauf geht der Rechtsmittelwerber nicht weiter ein, sondern behauptet bloß, es seien keine (ausdrücklichen) Zahlungsverlangen gestellt worden. Auch damit zeigt er keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[14] 3. Da nach dem Vorbringen der Erlegerin nicht auszuschließen ist, dass der vom Erlag betroffene (behauptete) Anspruch der Zweiterlagsgegnerin in die Masse fällt, wird das Erstgericht die Rechtsmittelentscheidungen auch an den Insolvenzverwalter der Zweiterlagsgegnerin zuzustellen haben.

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