European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00108.21W.0907.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die
Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Der Vater, der keine weiteren Sorgepflichten hat, verpflichtete sich in einer am 25. Oktober 2010 gemäß § 214 Abs 2 ABGB aF vor dem zuständigen Jugendamt geschlossenen Vereinbarung zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 700 EUR für seine minderjährige Tochter, die im Haushalt der Mutter betreut wird.
[2] Der unterhaltspflichtige Vater beantragte – rückwirkend ab 1. 2. 2013 – die Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsleistung auf 250 EUR. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass er aufgrund von gegen ihn geführten Strafverfahren seine Anstellung und damit seine wirtschaftliche Existenz verloren habe. Er sei mittlerweile nicht mehr arbeitsfähig und beziehe nur eine Berufsunfähigkeitspension. Der von ihm bewirtschaftete – von seinem Onkel geerbte – land- und forstwirtschaftliche Betrieb, den er zuletzt verpachtet habe, werfe kaum Erträge ab.
[3] Eine Anspannung auf die aus einer Verpachtung des elterlichen Hofs, auf den er als Miterbe nach seiner verstorbenen Mutter zugunsten seines Bruder verzichtet habe, erzielbaren Erträge, komme nicht in Betracht, weil der Verzicht aus familiären Gründen erfolgt sei. Es sei der Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er den (größeren) Hof seines Onkels bekommt, sein Bruder hingegen den (kleineren) elterlichen Hof. Die Mutter habe ihn – im Hinblick darauf, dass der Bruder den elterlichen Hof bekommen soll – auch beim Erwerb weiterer landwirtschaftlicher Flächen im Bereich des Betriebs seines Onkels finanziell erheblich unterstützt. Um dem Wunsch seiner Eltern – insbesondere seiner Mutter – zu entsprechen, habe er nach ihrem Tod zugunsten seines Bruders auf den elterlichen Hof verzichtet. Andernfalls hätte er zwei land- und forstwirtschaftliche Betriebe bekommen, wohingegen sein Bruder – entgegen dem Willen seiner Eltern – leer ausgegangen wäre. Da auch von einem pflichtbewussten unterhaltspflichtigen Vater nicht verlangt werden könne, dass er den – wenngleich nicht testamentarisch festgehaltenen – letzten Willen seiner Mutter unerfüllt lasse, habe das mit seinem Bruder abgeschlossene Erbübereinkommen (in dem dieser auf einen sich aus den finanziellen Zuwendungen der Mutter an den Antragsteller ergebenden Schenkungspflichtteil verzichtet habe) auf – auch im Unterhaltsverfahren – „berücksichtigungswürdigen Gründen“ beruht. Eine Anspannung auf erzielbare Erträge aus der Verpachtung des von seinem Bruder übernommenen elterlichen Hofs, auf dessen Übernahme er nach dem Kärntner Erbhöfegesetz auch gar keinen Anspruch gehabt hätte, komme damit nicht in Betracht.
[4] Er sei auch nicht auf den hypothetischen Ertrag aus der Vermietung einer – aufgrund des Wunsches seiner verstorbenen Mutter im Erbteilungsübereinkommen ebenfalls seinem Bruder überlassenen – kleinen Eigentumswohnung anzuspannen, an der ihm bloß ein (nicht zur Vermietung berechtigendes) Wohnungsgebrauchsrecht zukomme.
[5] Eine Anspannung – sowohl auf die Erträge aus der Verpachtung des elterlichen Hofs als auch aus der Vermietung der Eigentumswohnung – habe im Übrigen schon deshalb zu unterbleiben, weil er den angemessenen Unterhalt für sein Kind aus seinem tatsächlichen Einkommen leisten könne.
[6] Das unterhaltsberechtigte Kind wandte – soweit in dritter Instanz relevant – ein, der Vater habe dadurch, dass er in dem mit seinem Bruder abgeschlossenen Erbübereinkommen zu dessen Gunsten auf den elterlichen Hof, der ihm sonst nach dem Kärntner Erbhöfegesetz als Anerben zugefallen wäre, verzichtet und er sich an einer ebenfalls dem Bruder überlassenen Eigentumswohnung nur ein – nicht zur Vermietung berechtigendes – Wohnungsgebrauchsrecht (anstatt eines dazu berechtigenden Fruchtgenussrechts) einräumen lassen habe, die Unterhaltsbemessungsgrundlage sorgfaltswidrig geschmälert. Hätte er den elterlichen Hof übernommen, hätte er diesen verpachten können. Auch die Wohnung hätte er, wenn ihm an dieser anstatt des Wohnungsgebrauchsrechts ein Fruchtgenussrecht eingeräumt worden wäre, vermieten können. Da ein verantwortungsvoller Unterhaltspflichtiger nicht zulasten seines unterhaltsberechtigten Kindes auf ihm zustehende Einnahmequellen verzichtet hätte, sei der Vater auf die fiktiven Einkünfte aus der Vermietung bzw Verpachtung des elterlichen Hofs sowie der Wohnung anzuspannen.
[7] Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters insoweit Folge, als es den monatlich zu leistenden Unterhalt für den Zeitraum vom 1. 1. 2017 bis 31. 12. 2017 auf 250 EUR, vom 1. 1. 2018 bis zum 31. 12. 2018 auf 260 EUR, vom 1. 1. 2019 bis 30. 9. 2019 auf 263 EUR, vom 1. 10. 2019 bis 31. 12. 2019 auf 293 EUR und ab 1. 1. 2020 auf 350 EUR herabsetzte.
[8] Es ging davon aus, dass eine Anspannung des Vaters auf die aus einer Vermietung bzw Verpachtung des elterlichen Hofs sowie der Eigentumswohnung erzielbaren Erträge schon deshalb nicht in Betracht komme, weil er den angemessenen Unterhalt für sein Kind aus seinem tatsächlichen Einkommen leisten könne. Da der Vater bei Abschluss des Erbübereinkommens bereits den Erbhof seines Onkels erhalten hat, lägen außerdem „berücksichtigungswürdige Gründe“ für den Verzicht zugunsten seines Bruders vor.
[9] Das Rekursgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung – aus in dritter Instanz nicht maßgeblichen Gründen – teilweise ab und setzte den monatlichen Unterhalt des Kindes für den Zeitraum vom 1. 1. 2017 bis 31. 12. 2017 mit 250 EUR, vom 1.1.2018 bis 31. 12. 2019 mit 330 EUR und ab 1. 1. 2020 mit 350 EUR fest.
[10] Zur Frage der Anspannung bestätigte es die Rechtsansicht des Erstgerichts und ging wie dieses davon aus, dass der Vater nicht auf die fiktiven Erträge aus einer Vermietung bzw Verpachtung des im Erbübereinkommen seinem Bruder überlassenen elterlichen Hofs sowie der ebenfalls diesem zugewiesenen Eigentumswohnung angespannt werden könne, weil er den angemessenen Unterhalt – den das Rekursgericht mit der Höhe des Regelbedarfs annahm – annähernd aus seinem tatsächlichen Einkommen leisten könne. Das Zurückbleiben der zugesprochenen Unterhaltsleistungen hinter dem Regelbedarf um bis zu 87 EUR pro Monat „stelle noch keine Verletzung des angemessenen Unterhalts dar, weshalb der Vater als potentieller Liegenschaftseigentümer nicht [fiktiv] zur Vermietung oder Verpachtung verhalten werden könne“. Es komme daher auch nicht darauf an, ob er Anerbe des elterlichen Hofs geworden wäre, aus welchen Gründen er das Erbübereinkommen mit seinem Bruder abschloss, ob er aus einer Verpachtung des Hofs Erträge erwirtschaften hätte können, inwieweit er „pflichtwidrig“ auf die Einräumung eines Fruchtgenussrechts an der dem Bruder zugekommenen Eigentumswohnung verzichtet habe und ob er überhaupt einen Anspruch auf Einräumung eines solchen Rechts gehabt hätte bzw ihm dieses von seinem Bruder eingeräumt worden wäre.
[11] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rechtsansicht, wonach eine Anspannung schon deshalb nicht in Betracht komme, weil der angemessene Unterhalt aus dem tatsächlichen Einkommen des Vaters geleistet werden könne, „in gewissem Widerspruch zur Rechtsprechung stehe, wonach eine Anspannung schon dann zu erfolgen habe, wenn die tatsächlichen Einkünfte des Unterhaltspflichtigen in auffälliger Weise hinter den nach den im Einzelfall gerechtfertigten Erwartungen zurückbleiben, was unter anderem der Fall sei, wenn der ermittelte Unterhalt weniger als den Durchschnittsbedarf der Altersgruppe des Unterhaltsberechtigten ergebe.“ Es stelle sich auch insoweit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG, als Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, „ob der Verzicht eines Unterhaltspflichtigen auf einen Erbhof auch dann zur Anspannung führen könne, wenn er – wie im vorliegenden Fall – bereits einen anderen Hof bewirtschaftet bzw verpachtet.“
Rechtliche Beurteilung
[12] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig und mit seinem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag auch berechtigt.
[13] 1. Gemäß § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Unterhaltsschuldner hat alle Kräfte anzuspannen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können (RIS‑Justiz RS0047686). Da Vermögen, das dem Unterhaltspflichtigen aus erbrechtlichen Ansprüchen zufließt, bei seiner Verpflichtung zur Leistung des angemessenen Unterhalts zu berücksichtigen ist (RS0047404), kommt bei einem Verzicht auf solche Ansprüche, der nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen darf, eine Anspannung auf die aus dem insoweit entgangenen Vermögen erzielbaren Erträge in Betracht (vgl etwa 1 Ob 104/09i). Voraussetzung dafür ist aber eine dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbare Pflichtverletzung, also dessen zumindest leichtes Verschulden (vgl RS0047495; RS0107086). Der Anspannungsgrundsatz dient als „eine Art Missbrauchsvorbehalt“, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung (deutlich) höherer Einkünfte versäumt wird (RS0047495 [T4]). Maßgeblich ist, wie ein pflichtbewusster Familienvater in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen gehandelt hätte (vgl RS0113751). Dessen Verhalten muss ex ante gegenüber dem Unterhaltsberechtigten vertretbar gewesen sein (vgl RS0047495 [T12]). Ist der Verzicht auf die Erzielung eines Einkommens bzw die Erlangung einer Einkommensquelle nach den Verhältnissen des Einzelfalls (vgl RS0113751; RS0047686 [T27]; RS0007096 [T1]) aus (besonders) berücksichtigungswürdigen Gründen gerechtfertigt, kommt der Anspannungsgrundsatz nicht zur Anwendung (RS0047566).
[14] 2.1. Die Rechtsansicht, wonach zumutbarerweise erzielbare Vermögenserträge nur dann zu berücksichtigen sind und der Unterhaltspflichtige auf diese anzuspannen ist, wenn der „angemessene Unterhalt“ nicht aus dem tatsächlich erzielten Einkommen geleistet werden kann, wurde erst jüngst – sogar zum Ehegattenunterhalt – ausdrücklich abgelehnt (6 Ob 6/21g). In der (jüngeren) Rechtsprechung zum Kindesunterhalt wird ganz allgemein vertreten, dass eine „Anspannung“ der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen auch über den statistisch erhobenen Durchschnittsbedarf des Kindes (den Regelbedarf) zu erfolgen hat, wenn er zu Unterhaltsleistungen, die über die Deckung des Regelbedarfs des unterhaltsberechtigten Kindes hinausgehen, im Stande ist (vgl RS0047487; 9 Ob 39/20f). Eine Anspannung ist demnach auch auf gehobene Einkommensverhältnisse möglich, wenn die Voraussetzungen „als solche“ dafür vorliegen (1 Ob 75/12d; 9 Ob 39/20f, jeweils mwN).
[15] 2.2. Da das Rekursgericht diese Rechtsprechung unberücksichtigt ließ, bedarf dessen rechtliche Beurteilung – unabhängig davon, dass der auf Basis des tatsächlichen Einkommens nach der Prozentwertmethode bemessene Unterhalt hier sogar unter dem Regelbedarf liegt und die Differenz zwischen diesem und dem auf Basis des tatsächlichen Einkommens des Vaters bemessenen Unterhalt von monatlich bis zu 87 EUR nicht vernachlässigbar ist – einer Korrektur.
[16] 3.1. Ob es dem Vater als zumindest leicht fahrlässige Schmälerung seiner Unterhaltsbemessungsgrundlage vorzuwerfen ist, dass er den Erbhof seiner Eltern – und offenbar auch weiteres Nachlassvermögen (zB eine Eigentumswohnung; vgl dazu 4.) seinem Bruder überließ, kann auf Basis der dazu getroffenen erstinstanzlichen „Feststellung“ nicht abschließend beurteilt werden. Das Erstgericht führte zwar aus, „dass nicht feststeht, dass er den Erbhof in unterhaltsschädigender Absicht ausgeschlagen bzw zugunsten seines Bruders auf diesen verzichtet hat.“ Ob der Abschluss des Erbübereinkommens durch den Vater im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht „vertretbar“ war, ergibt sich daraus aber nicht. In seiner Beweiswürdigung legte das Erstgericht ergänzend dar, dass nicht beurteilt werden könne, warum die Mutter des Kindesvaters kein Testament errichtet hat, dass es aber der Lebenserfahrung entspreche, dass es in einer intakten Familie durchaus üblich sei, die Regelungen nach dem Tod mündlich zu besprechen und nicht ausschließlich in schriftlicher Testamentsform festzuhalten. Der Vater möge zwar ursprünglich als Anerbe (des elterlichen Hofs) gedacht gewesen sein, da er den Erbhof seines Onkels erhielt, sei es aber „sehr wohl glaubwürdig, dass als Ausgleich sein Bruder den elterlichen Hof übernahm“. Auch daraus kann jedoch nicht verlässlich abgeleitet werden, dass der Vater – wie er behauptet – mit dem Verzicht auf den elterlichen Hof den – testamentarisch nicht dokumentierten – Willen seiner Eltern (insbesondere seiner Mutter) erfüllen wollte, zumal er im Verlassenschaftsverfahren eine Erbantrittserklärung über 50 % des Nachlasses abgegeben hatte.
[17] 3.2. Da somit nicht feststeht, aus welchem Grund der Vater auf den Hof seiner Eltern verzichtete, kann die Frage, ob ihm der Abschluss des Erbübereinkommens im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht vorzuwerfen ist, nicht beantwortet werden. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher zur Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage aufzuheben. Ob dem Vater der elterliche Hof – nach den Bestimmungen des Kärntner Erbhöfegesetzes – überhaupt als Anerbe zugefallen wäre, wozu es ebenfalls an den erforderlichen Feststellungen fehlt, muss erst beurteilt werden, wenn feststeht, dass sein „Verzicht“ aus im Unterhaltsverfahren nicht berücksichtigungswürdigen Gründen erfolgte.
[18] 4. Das unterhaltsberechtigte Kind wirft dem Vater zudem vor, dass sich dieser im Erbübereinkommen an einer dem Bruder überlassenen Eigentumswohnung bloß ein nicht zur Vermietung sondern nur zum eigenen Gebrauch berechtigendes – allerdings nicht ausgeübtes – Wohnungsgebrauchsrecht anstatt eines zur Vermietung berechtigenden (RS0011877) Fruchtgenussrechts „einräumen ließ“. Es fehlt jedoch an Feststellungen dazu, ob dem Vater – wenn er von seinem Bruder die Einräumung eines Fruchtgenussrechts verlangt hätte – ein solches Recht zugestanden worden wäre. Die Entscheidungen der Vorinstanzen bedürfen daher auch insoweit einer Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage.
[19] Soweit die Revisionswerberin darauf abstellt, dass sich der Vater an einer weiteren Wohnung (im Wohnhaus des elterlichen Hofs) kein Fruchtgenussrecht „einräumen ließ“, ging sie selbst davon aus, dass der Vater diese selbst bewohnt. Eine Anspannung auf die bei einer Vermietung erzielbaren Mieterträge käme daher schon aus diesem Grund nicht in Betracht.
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