OGH 15Os8/06z

OGH15Os8/06z16.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Sole und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Otto A***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 14. Oktober 2005, GZ 631 Hv 2/05y-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Otto A***** der Verbrechen (zu I./) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, (zu II./) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60, (zu III./) des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, sowie (zu IV./) der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Michelstetten

I./ von 1. Oktober 1998 bis Ende 2000 mit einer unmündigen Person, nämlich der am 25. August 1990 geborenen Michaela T*****, eine dem Beschlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dadurch unternommen, dass er in einer nicht feststellbaren Zahl von Angriffen seinen Zeigefinger in ihre Scheide einführte,

II./ von Sommer 1996 bis 30. September 1998 die Genannte auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er in einer nicht feststellbaren Zahl von Angriffen seinen Zeigefinger in ihre Scheide einführte,

III./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der genannten unmündigen Person vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen, und zwar

1./ von Sommer 1996 bis Ende 2000 in einer nicht feststellbaren Zahl von Angriffen, indem er sie im Scheidenbereich berührte, 2./ von Sommer 1996 bis Ende 2000, indem er sie in einer nicht feststellbaren Zahl von Angriffen sein Glied angreifen und reiben ließ,

IV./ von Sommer 1996 bis Ende 2000 mit einer minderjährigen Person, nämlich der am 25. August 1990 geborenen Michaela T*****, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person durch die zu I./ bis III./ inkriminierten Tathandlungen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen oder an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf „Einholung eines weiteren neuen Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychologie zum Beweis dafür, dass sich aus den Testergebnissen bei richtiger Fehlerquellenanalyse die behaupteten Missbrauchsvorwürfe der Michaela T***** als unglaubwürdig und nicht feststellbar ergeben" (S 256 f). Zur Antragsbegründung wurde vorgebracht, die Sachverständige habe „nur" einen „projektiven Test" nach der (richtig:) Rorschachmethode durchgeführt, der aber „dem letzten Stand der Wissenschaft" nicht entspreche und zur Gutachtenserstellung nicht herangezogen werden dürfe. Ein „AID-Test" sei hingegen nicht durchgeführt worden und es seien die „bisherigen Beweisergebnisse" nicht „nach den Kriterien gegebener Suggestivfragen, Wiederholungsfragen geprüft" worden. Der Beschwerde zuwider durfte das Schöffengericht diesen Antrag ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen.

Eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen, etwa zur Glaubwürdigkeit von Zeugen ist grundsätzlich zulässig, jedoch kommt zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen die Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Die nachträgliche Beiziehung eines zweiten Sachverständigen kommt (im gegebenen Zusammenhang: nur dann) in Frage, wenn der aufgenommene Befund dunkel, unbestimmt, im Widerspruch mit sich selbst oder mit erhobenen Tatumständen ist (§ 125 StPO) oder wenn sich solche Widersprüche oder Mängel in Bezug auf das Gutachten ergeben oder dieses Schlüsse enthält, die aus den angegebenen Vordersätzen nicht richtig gezogen sind (§ 126 StPO), und ein Verbesserungsversuch durch nochmalige Vernehmung des Sachverständigen erfolglos geblieben ist. Die Prüfungsbefugnis des Richters ist auf die dargestellten Formalmängel beschränkt, während die Auswahl der Untersuchungsmethoden dem Sachverständigen obliegt (Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 2; 13 Os 51/98). Ein durch § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hat der Beschwerdeführer nur dann, wenn er in der Lage ist, einen der in §§ 125 f StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen (11 Os 116/02, 15 Os 43/03, 15 Os 132/05h; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 38). Zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Antrags auf Beiziehung eines anderen Sachverständigen dient dem Angeklagten dabei sein Fragerecht (14 Os 129/05k). Ist der Sachverständige iSd in §§ 125, 126 Abs 1 StPO beschriebenen Verbesserungsverfahrens nochmals vernommen worden, so hat der Antragsteller fundiert darzutun, weshalb die behaupteten Bedenken gegen das Gutachten nicht aufgeklärt wurden, es also weiterhin Mängel iSd §§ 125, 126 StPO aufweist (12 Os 36/04). Im konkreten Fall hat der Verteidiger in seinem Antrag keine der in §§ 125 f StPO beschriebenen Mängel von Befund oder Gutachten dargetan, sondern - ohne weitere Begründung - eine von der Sachverständigen angewandte Untersuchungsmethode als unwissenschaftlich kritisiert und das Fehlen bestimmter anderer Tests bemängelt. Damit hat er keinen gesetzlichen Grund für die Beiziehung eines anderen Sachverständigen angesprochen und im Übrigen vernachlässigt, dass die Sachverständige nicht „nur" den Rorschachtest, sondern auch eine „Standard Progressive Matrices" Untersuchung vorgenommen und darüber hinaus auf Fragen des Verteidigers eingehend begründet hat, warum sie einzelne Testmethoden angewendet hat, andere aber nicht (S 254 ff). Mit diesen Ausführungen der Sachverständigen hat sich der Verteidiger im Rahmen seines Antrags weder auseinandergesetzt, noch dargetan, worauf er die der Sache nach aufgestellte Behauptung gründe, die von der Sachverständigen angewendeten Testmethoden wären unwissenschaftlich und durch bestimmte andere zu ersetzen.

Die Beschwerde verstößt mit der Nachholung von Gründen für die Antragsbehauptungen und der weiteren Behauptung von im Antrag noch nicht vorgebrachten Mängeln der Befundaufnahme und des Gutachtens zum einen gegen das für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117), zum anderen bekämpft sie mit der Kritik am inhaltlichen Ergebnis des Gutachtens der Sache nach bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung. Der Mängelrüge (Z 5) zuwider hat das Schöffengericht die Aussage der Zeugin Edith T***** nicht unberücksichtigt gelassen, sondern erörtert und als unglaubwürdig verworfen (US 11, 12 f). Gleiches gilt für die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (US 13 f). Dabei waren die Tatrichter - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht verhalten, sich mit allen Details der als widerlegt angesehenen Aussagen im einzelnen auseinander zu setzen (RIS-Justiz RS0106642, RS0098778). Mit der Behauptung der „Aktenwidrigkeit" bestimmter Feststellungen verkennt die Beschwerde das Wesen dieser Urteilsnichtigkeit. Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt, nicht aber, wenn Feststellungen des erkennenden Gerichtes im (behaupteten) Widerspruch zu einzelnen, isoliert herausgegriffenen Beweisinhalten stehen (Ratz, WK-StPO 281 Rz 467 f; RIS-Justiz RS0099431). Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der Behauptung der Richtigkeit der von ihr detailreich dargestellten, vom Erstgericht aber als nicht stichhältig angesehenen (US 11 f) Aussage des Zeugen Michael T***** sowie mit der Wiederholung der bereits im Rahmen der Verfahrensrüge vorgebrachten Kritik an Befundaufnahme und Gutachten der Sachverständigen keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken. Soweit sie sich auf ein Erkenntnis des deutschen Bundesgerichtshofs vom 30. Juli 1999 (ersichtlich gemeint: 1 StR 618/98) beruft und behauptet, der Oberste Gerichtshof habe „analog dazu Mindestgütekriterien gleichgeschaltet für Österreich für Sachverständigengutachten bei sexuellem Missbrauch übernommen", argumentiert sie zum einen nicht auf Basis des anzuwendenden (österreichischen) Rechts, zum anderen ist ihre die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs betreffende Behauptung unzutreffend (vgl Tews, RZ 2005, 58). Die Beschwerde übersieht, dass die Tatrichter ihre Feststellungen nicht nur auf das Gutachten der Sachverständigen über die Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit der Michaela T*****, sondern vor allem auf die in den wesentlichen Punkten gleichlautenden und widerspruchsfreien Angaben dieser Zeugin (US 7 ff), darüber hinaus aber auch auf die von der Beschwerde nicht erwähnte Aussage der Zeugin Brigitte A***** über gleichartige Missbrauchshandlungen in ihrer Kindheit (US 15) gestützt haben, weshalb der Lösung der Beweisfrage keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs entgegen stehen.

Die Sanktionsrüge (Z 11) macht mit der Behauptung, das Wohlverhalten des Angeklagten nach der Tat sei nicht ausreichend gewürdigt worden, keinen Nichtigkeitsgrund geltend (Ratz, WK-StPO 281 Rz 728). Soweit sie zwar grundsätzlich zutreffend vorbringt, dem Angeklagten hätte ein nicht angeklagter und bereits verjährter sexueller Missbrauch seiner Tochter im Rahmen der Strafzumessung infolge Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) nicht (als Grund für die Nichtannahme des Milderungsgrunds des ordentlichen Lebenswandels) vorgeworfen werden dürfen, vernachlässigt sie, dass das Erstgericht den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB auch aus einem anderen - von der Beschwerde aber nicht kritisierten - Grund als nicht gegeben angesehen hat. Dass die Strafe nicht (zumindest zum Teil) bedingt nachgesehen worden ist, stellt keinen Nichtigkeitsgrund dar (15 Os 146/88), ebenso wenig die unbegründet gebliebene Annahme des Erstgerichts, dem Angeklagten seien die psychischen Folgen des Opfers egal gewesen. Auch mit der Anführung von Vergleichsfällen, in denen niedrigere und bedingt nachgesehene Strafen verhängt worden seien, wird keine Urteilsnichtigkeit dargetan, sondern nur ein Berufungsvorbringen erstattet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung resultiert (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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