OGH 14Os115/22a

OGH14Os115/22a9.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. November 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen * O* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB, AZ 41 Hv 21/21k des Landesgerichts Feldkirch, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 28. September 2022, AZ 11 Bs 211/22z, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00115.22A.1109.000

 

Spruch:

 

* O* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

[1] * O* war mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 1. Dezember 2021, GZ 41 Hv 21/21k‑49, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden, weil er am 18. Juni 2021 in B* * T* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht haben soll, indem er sie gegen ihren Willen in ein Gebüsch zerrte, zu Boden stieß und gewaltsam zu entkleiden versuchte, um mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr zu vollziehen.

[2] Der Oberste Gerichtshof hat dieses Urteil mit Erkenntnis vom 1. August 2022, AZ 14 Os 21/22b, aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Feldkirch verwiesen. Mit ihren Berufungen wurden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen (ON 68).

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Beschwerde des Angeklagten gegen den (über seinen Enthaftungsantrag ergangenen) Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 8. September 2022 (ON 73 S 3 und ON 74), mit dem die am 20. Juni 2021 vom Landesgericht Feldkirch verhängte (ON 5 S 5 f und ON 6) Untersuchungshaft fortgesetzt worden war, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft wegen dringenden Verdachts des zuvor referierten und vom Beschwerdegericht dem Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB unterstellten Verhaltens aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO fort (ON 84).

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die sich gegen die Annahme eines dringenden Tatverdachts sowie die herangezogenen Haftgründe wendet und eine Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft behauptet.

[5] Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine Haftbeschwerde – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS‑Justiz RS0121605 [T3]). Dabei kann die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts (nur) nach Maßgabe der Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146; vgl auch Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 26 ff).

[6] Indem der Beschwerdeführer das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts durch Kritik am Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 8. September 2022 „bestreitet“ und „seine Argumente, die er bereits vor dem Oberlandesgericht vergeblich vorgetragen hat“, wörtlich wiederholt, argumentiert er nicht auf Basis der Entscheidung des Oberlandesgerichts, die aber (allein) Grundlage des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens ist.

[7] Mit der Behauptung, die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum Tathergang seien „unangebracht“, dies vor allem, weil „die Strafzumessungsgründe des Ersturteils in den Abwägungen des angefochtenen Beschlusses nicht vorkommen“, wird kein Begründungsdefizit iSd Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO angesprochen.

[8] Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens (nur) dahin, ob sie aus den vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich (mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet [vgl dazu RIS‑Justiz RS0118317]) angesehen werden müsste (RIS‑Justiz RS0117806, RS0118185; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49).

[9] Soweit die Beschwerde die vom Landesgericht Feldkirch im Beschluss vom 8. September 2022 getroffenen Annahmen zum Vorliegen von Flucht- und Tatbegehungsgefahr kritisiert, verfehlt sie somit abermals den Bezugspunkt des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens.

[10] Das Oberlandesgericht stützte seine Annahme, der Angeklagte werde sich – „trotz ansonsten gegebener sozialer Integration sowie der familiären Bindungen des Angeklagten im Inland“ – auf freiem Fuß zumindest verborgen halten, auf die hohe Strafdrohung und die im Fall verdachtskonformer Verurteilung zu erwartende hohe Strafe „in Verbindung mit der Ausländereigenschaft des Angeklagten“, dem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus, dem Fehlen eines Aufenthaltstitels und dem bei der erkennungsdienstlichen Behandlung festgestellten AFIS‑Treffer samt Alias-Datensatz, wobei es § 173 Abs 3 erster Satz StPO mit Blick auf die gegenständlich maßgebliche Strafdrohung für nicht anwendbar erachtete (ON 84 S 10).

[11] Indem die Beschwerde kritisiert, das Oberlandesgericht habe nicht näher ausgeführt, wo und wie sich der Angeklagte verborgen halten könnte, zeigt sie keine Willkür der Begründung zum oben dargelegten Haftgrund auf, sondern zieht ohne inhaltliche Argumentation andere Schlüsse als das Oberlandesgericht. Gleiches gilt für den Verweis auf die Unschuldsvermutung, die Unbescholtenheit und die – vom Beschwerdegericht berücksichtigte – soziale Integration des Angeklagten.

[12] Da bereits der Haftgrund der Fluchtgefahr die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, auf das Beschwerdevorbringen zum ebenfalls herangezogenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) einzugehen (RIS‑Justiz RS0061196;Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 44).

[13] Das Oberlandesgericht sah die Dauer der Untersuchungshaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung mit Blick auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Strafe als verhältnismäßig an, wobei es bei dieser Prüfung die Möglichkeit einer bedingten Entlassung im Fall der Verurteilung ausdrücklich nicht berücksichtigte und das Erfordernis, die Haftdauer müsse wesentlich hinter der zu erwartenden Strafe zurückbleiben, für nicht maßgeblich erachtete (ON 84 S 12).

[14] Warum diese Entscheidung nicht vertretbar (vgl RIS‑Justiz RS0120790) sein sollte, zeigt die Beschwerde mit der bloßen Behauptung, die in Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 14 vorgenommene Auflistung jener Umstände, die nach der Judikatur für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ohne Bedeutung seien, widerspreche der Rechtsprechung des EGMR, nicht auf. Die in diesem Zusammenhang vorgenommene Wiedergabe von „Guidelines“ des EGMR (überdies) in englischer Sprache (vgl aber Art 8 Abs 1 B‑VG und § 53 Abs 1 Geo) ist einer inhaltlichen Erwiderung ebenso wenig zugänglich wie die Zitierung mehrerer Kommentarstellen zu Fragen des Haftrechts.

[15] Bleibt anzumerken, dass das Oberlandesgericht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft zutreffend nur auf die Bedeutung der Sache sowie die zu erwartende Strafe abgestellt (vgl § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) und die Möglichkeit einer bedingten Entlassung nicht berücksichtigt hat (RIS‑Justiz RS0123343). Dass die Dauer der Untersuchungshaft wesentlich hinter der zu erwartenden Strafe zurückbleiben muss, ist aus dem geltenden Recht nicht abzuleiten (RIS-Justiz RS0117603).

[16] * O* wurde demnach durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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