European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00107.24B.1105.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Wien die am 24. Februar 2024 vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu GZ 354 HR 45/24b‑65 verhängte und zuletzt am 8. Oktober 2024 (ON 232) fortgesetzte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort (ON 244.3 der Ermittlungsakten).
[2] Dabei ging es vom dringenden Verdacht aus, * M* habe in W* als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von – zumindest zehn, im angefochtenen Beschluss teils namentlich genannten – Menschen (unter anderem) zur Begehung von Suchtgifthandel vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar
1/ am 25. Dezember 2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem namentlich genannten Mittäter 2.000 Gramm Kokain (1.600 Gramm Cocain Reinsubstanz) einem unbekannten Abnehmer mit der Bezeichnung „B*“ zum Preis von 60.790 Euro;
2/ am 25. Dezember 2020 einer namentlich genannten Abnehmerin 3.000 Gramm Kokain (2.400 Gramm Cocain Reinsubstanz) zur Aufbewahrung in deren Wohnung;
3/ am 26. Dezember 2020 weitere 3.000 Gramm Kokain (2.400 Gramm Cocain Reinsubstanz) dem unbekannten Abnehmer mit der Bezeichnung „B*“.
[3] In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Beschwerdegericht dieses Verhalten dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen diesen Beschluss richtet sich die (rechtzeitige) Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten M*, die im Wesentlichen einwendet, das Beschwerdegericht habe die Annahmen zum dringenden Tatverdacht vorwiegend auf einem Beweisverbot unterliegende Verfahrensergebnisse gestützt. Dieses Beweisverbot ergebe sich aus dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 55d Abs 7 EU‑JZG und dessen Verletzung durch die österreichische Staatsanwaltschaft, weil diese „über die Infiltration der SKY CEE Chat Verläufe mittels Bundestrojaner informiert“ worden sei.
[5] Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146). Dabei kann die Verletzung eines Beweisverwertungsverbots unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall stets – also ohne Voraussetzung vorheriger, den Erfordernissen des § 55 StPO entsprechender Antragstellung – geltend gemacht werden, weil Subsidiarität dieses Nichtigkeitsgrundes gegenüber den in diesem Verfahren nicht anwendbaren Z 2 bis 4 des § 281 Abs 1 StPO ausscheidet (11 Os 85/24w; im Ergebnis schon 14 Os 26/12y, EvBl 2012/76, 518 [Ratz]).
[6] Nach § 55d Abs 7 EU‑JZG hat eine (österreichische) Staatsanwaltschaft, bei der eine „Unterrichtung“ (vgl Anhang XIX zum EU‑JZG) durch eine ausländische Strafverfolgungsbehörde darüber einlangt, dass eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in Österreich (etwa weil sich der Betroffene im Überwachungszeitraum hier aufgehalten hat) ohne technische Unterstützung (durch österreichische Behörden und/oder Unternehmen) bereits durchgeführt wurde, gegenwärtig durchgeführt wird oder in Zukunft durchgeführt werden soll, der ausstellenden (unterrichtenden) Behörde im Fall des Vorliegens der in § 55a Abs 1 Z 1 bis 5, 8 und 13 genannten Gründe binnen 96 Stunden mitzuteilen, dass die Überwachung von Nachrichten nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, sowie bereits gesammelte Ergebnisse der Überwachung von Nachrichten nicht verwendet werden dürfen (vgl Herrnfeld in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 55d EU‑JZG Rz 9).
[7] Eine auf (nach der Beschwerdebehauptung vorliegende) Überwachung verschlüsselter Nachrichten nach vorheriger Installation eines (Entschlüsselungs‑)Programms auf den Mobiltelefonen der Nutzer ohne deren Kenntnis gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung eines anderen Mitgliedstaats dürfte von österreichischen Behörden nach § 55a Abs 1 Z 13 EU‑JZG nicht vollstreckt werden (vgl VfSlg 20.356 [zur Aufhebung von ua § 134 Z 3a und § 135a StPO idF BGBl I 2018/27]; Pilnacek, Verwendung von Daten einer Kommunikation in einem österr Strafverfahren, die durch eine im Ausland angeordnete Überwachungsmaßnahme gewonnen wurden, ÖJZ 2023, 721 [723 f]).
[8] Wäre also eine österreichische Staatsanwaltschaft über eine solche (wenngleich bereits abgeschlossene, ohne Einbindung österreichischer Behörden vorgenommene) Ermittlungsmaßnahme unterrichtet worden, hätte sie die in § 55d Abs 7 EU‑JZG normierte Verpflichtung getroffen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese „Unterrichtung“ mit Hilfe des dafür vorgesehenen Formblatts (vgl Anhang XIX zum EU‑JZG und Anhang C zur Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen [kurz: RL-EEA]) vorgenommen wurde. Ausschlaggebend ist, dass die ausstellende Behörde der österreichischen Staatsanwaltschaft einen Sachverhalt mitteilt, der dieser die (rechtliche) Beurteilung des Vorliegens eines Vollstreckungshindernisses im Sinn des § 55a Abs 1 Z 1 bis 5, 8 oder 13 EU‑JZG ermöglicht.
[9] § 55d Abs 7 EU‑JZG setzt Art 31 RL‑EEA um (66 BlgNR 26. GP 9), geht über dessen Abs 3 jedoch insofern hinaus, als er der (österreichischen) Staatsanwaltschaft kein Ermessen einräumt, sondern diese zur – oben näher ausgeführten – Mitteilung an die ausländische Behörde verpflichtet (Kerschbaummayr, Nutzung ausländischer Überwachungsdaten in nationalen Strafverfahren, ecolex 2024, 635 [637 f]). Zufolge des Gebots unionsrechtskonformer Auslegung (vgl RIS‑Justiz RS0075866, RS0125352; Höpfel in WK2 StGB § 1 Rz 29 und 39 f; Klamert; Stöger in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV Art 4 EUV Rz 101) ist die Interpretation des Art 31 RL‑EEA (insbesondere unter dem Aspekt dessen Anwendungsbereichs und Schutzzwecks) durch den EuGH zu beachten (Schima in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV Art 267 AEUV Rz 203 f mwN). Dieser hielt in seiner Entscheidung über ein deutsches Vorabentscheidungsersuchen (C‑670/22 ) fest, dass einerseits die dort durchgeführte Ermittlungsmaßnahme (Überwachung verschlüsselter Kommunikation von Nutzern mit dem sogenannten „EncroChat“-Dienst ausgestatteter Mobiltelefone) vom Begriff „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ des Art 31 Abs 1 RL‑EEA erfasst sei (Rz 107 ff) und diese Bestimmung sicherstellen soll, dass das im (unterrichteten) „Mitgliedstaat im Bereich der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs garantierte Schutzniveau nicht unterlaufen wird“. Es sei daher davon auszugehen, dass Art 31 RL‑EEA „auch den Schutz der Rechte der von einer solchen Maßnahme betroffenen Person bezweckt und dass sich dieser Zweck auf die Verwendung der Daten zu Strafverfolgungszwecken im unterrichteten Mitgliedstaat erstreckt“ (Rz 124). Grundsätzlich sei es – in Ermangelung dahingehender unionsrechtlicher Bestimmungen – allein Sache des nationalen Gesetzgebers, die Zulässigkeit der Verwendung und die Würdigung unionsrechtswidrig erlangter Beweise unter Beachtung grundrechtlicher Anforderungen an die Fairness des Verfahrens (Art 6 Abs 1 MRK; Art 47 f GRC; zur „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinn des Art 51 Abs 1 GRC bei Anwendung nationaler, in Umsetzung einer EU‑Richtlinie erlassener Vorschriften vgl Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Kommentar2 Art 51 Rz 20 und 43) zu regeln (Rz 126 ff).
[10] Der österreichische Gesetzgeber hat mit § 55d Abs 7 EU-JZG für den Fall einer Unterrichtung von der Durchführung einer vom Vollstreckungshindernis des § 55a Abs 1 Z 13 EU‑JZG erfassten Ermittlungsmaßnahme eine klare Regelung im Sinn eines unbedingten (§ 140 Abs 1 StPO vergleichbaren) Beweisverwendungsverbots geschaffen. Für eine Abwägung unter Beachtung allgemeiner grundrechtlicher Garantien der Verfahrensfairness (vgl [zu anders gelagertem Vorbringen einer Verletzung von Bestimmungen der RL‑EEA durch ausländische Behörden] 11 Os 85/24w [Rz 14]; 14 Os 14/24a; vgl auch BGH 5 StR 457/21 [Rz 61 ff]; Kerschbaummayr, Nutzung ausländischer Überwachungsdaten in nationalen Strafverfahren, ecolex 2024, 635 [638]) ist demnach in der von dieser Regelung erfassten Konstellation kein Raum.
[11] Der angefochtene Beschluss enthält zur Vorgangsweise der ausländischen Ermittlungsorgane bei der Gewinnung der hier als Beweismittel verwendeten Kommunikationsdaten keine Sachverhaltsannahmen (vgl BS 6 f). Die im Zusammenhang zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen betreffen überwiegend nicht die Verwendung von Mobiltelefonen, die mit der hier gegenständlichen „SKY‑ECC“-Verschlüsselungstechnologie ausgestattet waren, oder enthalten zur Überwachungsmethode ebenfalls keine Ausführungen (vgl hingegen 11 Os 85/24w mwN).
[12] Der Beschwerdeführer kritisiert der Sache nach unvollständige Begründung der Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht, weil das Beschwerdegericht „auf den skizzierten Sachverhalt überhaupt nicht“ eingehe (Z 5 zweiter Fall, nominell Z 5 vierter Fall), unterlässt jedoch die gebotene deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Teile des von ihm (schon in der Haftbeschwerde) ins Treffen geführten 270‑seitigen (zudem überwiegend fremdsprachigen) Urkundenkonvoluts, die den von ihm behaupteten Sachverhalt indizierten und demnach unter dem Aspekt eines Beweisverbots erörterungsbedürftig gewesen wären.
[13] Die solcherart prozessordnungswidrige (RIS‑Justiz RS0118316 [T5]) Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
[14] Im weiteren Verfahren wird mit Blick auf die oben dargestellten Konsequenzen einer von § 55d Abs 7 EU‑JZG erfassten Konstellation zu klären sein, ob ausländische Strafverfolgungsbehörden die von ihnen zur Verfügung gestellten Kommunikationsdaten auf eine Weise erlangten, die ein Vollstreckungshindernis nach § 55a Abs 1 Z 1 bis 5, 8 oder (insbesondere) 13 EU‑JZG begründen würde, und ob sie eine österreichische Staatsanwaltschaft darüber informiert haben.
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